Was glau­ben wir über das Leben nach dem Tod?

Was glau­ben wir über das Leben nach dem Tod?

  • In zwei Wochen fei­ern wir Aller­hei­li­gen und geden­ken unse­rer Toten. Wel­che Vor­stel­lun­gen aber machen wir Leben­den uns vom Dasein nach dem Tod? Gibt es ein Jen­seits und wie sieht es aus? Hori­zon­te begab sich auf Spurensuche.
  • Es zeigt sich: Die Vor­stel­lun­gen vom Jen­seits sind eben­so zahl­reich wie indi­vi­du­ell. Laut sta­ti­sti­scher Erhe­bung glau­ben zudem mehr Frau­en als Män­ner an ein Leben nach dem Tod und längst nicht alle Ange­hö­ri­gen reli­giö­ser Gemeinschaften.
 «Ich habe noch nie jeman­den erlebt, der nicht die Vor­stel­lung von einem «erleb­ba­ren Danach» hat­te», so Die­ter Her­mann, Geschäfts­füh­rer des Hos­piz Aar­gau. Etwa 400 Men­schen hat er in Brugg für die letz­ten Tage des Lebens im Hos­piz sta­tio­när ein schüt­zen­des Obdach gege­ben. Mit vie­len hat­te er per­sön­li­chen Kon­takt, hat sie beglei­ten und mit ihnen ins Gespräch kom­men dür­fen.

Ste­ter Wan­del der Jenseitsvorstellungen

Die Vor­stel­lung von einem «Danach» nach dem Tod lässt sich bereits früh im Kon­text der Bestat­tungs­kul­tur min­de­stens indi­rekt able­sen, wenn den Ver­stor­be­nen Waf­fen, Lebens­mit­tel und Schmuck für den Weg, die Rei­se oder eben das «Danach» mit­ge­ge­ben wur­den.Die Vor­stel­lung eines «Danach» ver­än­der­te sich in ver­schie­de­nen Kul­tu­ren und geschicht­li­chen Epo­chen. Auch zur Fra­ge, ob nur die See­le oder auch der Kör­per in das Jen­seits über­tritt, gab es ver­schie­de­ne Vor­stel­lun­gen. Oft wur­de der Über­gang in das «Danach» mit Gerichts­vor­stel­lun­gen ver­bun­den: War das Leben eines Ver­stor­be­nen nach den Mass­stä­ben der jewei­li­gen Über­zeu­gung gut, durf­te er in einen para­die­si­schen Ort ein­tre­ten. Die Alter­na­ti­ve waren Orte des Lei­dens oder eine Art Däm­mer­exi­stenz und War­ten.

Vor­freu­de und Neu­gier auf das Leben danach 

Wird heu­te vom Jen­seits gespro­chen, meint man damit das Gegen­teil von Dies­seits. Der Begriff Dies­seits umfasst die irdi­sche Welt. Alles, was wis­sen­schaft­lich mess- und erfass­bar ist. Jen­seits, die­ser Begriff bezieht sich auf meist reli­giö­se Vor­stel­lun­gen eines tran­szen­den­ten Berei­ches jen­seits der sicht­ba­ren, dies­sei­ti­gen Welt, in den die Ver­stor­be­nen ein­ge­hen. Wie die­ser tran­szen­den­te Bereich zu ver­ste­hen ist, unter­schei­det sich in den ver­schie­de­nen Reli­gio­nen und Über­zeu­gun­gen.Mit Blick auf die Men­schen, die er im Hos­piz sta­tio­när in Brugg beglei­ten durf­te, erläu­tert Die­ter Her­man: «Für alle ging es wei­ter und für alle war die Zukunft posi­tiv! Und was ganz span­nend ist: Vie­le Men­schen, wenn sie abge­schlos­sen haben, war­ten final auf den Todes­mo­ment und wer­den oft­mals vor­freu­dig und sind neu­gie­rig ob dem, was da kom­men wird.» Die Jen­seits­bil­der, wel­che die Men­schen äus­ser­ten, sei­en unter­schied­lich, so Die­ter Her­man. Ganz häu­fig höre er aber von Blu­men­wie­sen, von Son­nen­schein, von war­ten­den Ange­hö­ri­gen und Freun­den, wel­che frü­her ver­stor­ben sind.

Refor­mier­te glau­ben eher nicht an ein Leben nach dem Tod 

Die Zah­len der 2014 durch­ge­führ­ten Erhe­bung zu Spra­che, Reli­gi­on und Kul­tur (ESRK) des Bun­des­am­tes für Sta­ti­stik (BfS), an der 16 500 Män­ner und Frau­en ab 15 Jah­ren teil­nah­men, macht deut­lich: An ein Leben nach dem Tod glau­ben mit Sicher­heit oder wahr­schein­lich nur etwas über 40 Pro­zent der befrag­ten Män­ner und nur wenig über 50 Pro­zent der Frau­en. In einer Aus­wer­tung der Zah­len mit Blick auf die Kon­fes­sio­nen und Reli­gio­nen durch das Schwei­ze­ri­sche Pasto­ral­so­zio­lo­gi­sche Insti­tut St. Gal­len (SPI) heisst es: «Der Glau­be an ein Leben nach dem Tod fin­det unter allen Kon­fes­sio­nen und Reli­gio­nen eine gros­se Zustim­mung. Die Mehr­heit aller befrag­ten Per­so­nen glaubt «eher oder sicher» an ein Leben nach dem Tod. Ein­zig bei den Mit­glie­dern der pro­te­stan­ti­schen Kir­che (47 Pro­zent) und bei den Kon­fes­si­ons­lo­sen (29 Pro­zent) sind die Men­schen mit Glau­ben an ein Jen­seits in der Min­der­heit. Der gröss­te Anteil an Per­so­nen, die sicher oder eher an ein Leben nach dem Tod glau­ben, fin­det sich mit 82 Pro­zent bei den Mit­glie­dern evan­ge­li­ka­ler Gemein­schaf­ten und mit 67 Pro­zent bei den Mit­glie­dern mus­li­mi­scher Gemein­schaf­ten».Das neu­test­amt­li­che Zeug­nis sieht in Jesus Chri­stus die jüdi­schen Vor­stel­lun­gen vom Para­dies erfüllt. Der Him­mel ist der Ort des Heils für die Aus­er­wähl­ten. Das heisst: für die­je­ni­gen, die zum Glau­ben an Chri­stus gefun­den haben. Direkt nach dem Tod, so die Vor­stel­lung, gelangt der Mensch dort­hin oder – so er gott­los ist – in die Höl­le zur ewi­gen Ver­damm­nis. Beim End­ge­richt schliess­lich ver­ge­hen Him­mel und Erde und die Schöp­fung wird neu.

«Im Him­mel wird alles gut»

Im Kate­chis­mus der Römisch-Katho­li­schen Kir­che wer­den zu den The­men Tod, Gericht und Auf­er­ste­hung die offi­zi­el­len Posi­tio­nen mit bibli­schen Ver­sen, Kir­chen­vä­ter­wor­ten und Pas­sa­gen aus den Tex­ten des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils beschrie­ben. Dort heisst es mit Blick auf die christ­li­che Jen­seits­vor­stel­lung: «Im Him­mel leben heisst «mit Chri­stus sein». Die Aus­er­wähl­ten leben «in ihm», behal­ten oder bes­ser gesagt, fin­den dabei ihre wah­re Iden­ti­tät, ihren eige­nen Namen». Im christ­li­chen Glau­ben ist der Him­mel der Ort, in dem dann alles umfas­send gut ist. Ein Myste­ri­um, das jedoch – so der Kate­chis­mus – über jedes Ver­ständ­nis und jede Vor­stel­lung hin­aus­ge­he.So über­rascht es nicht, dass die Vor­stel­lun­gen, die sich Men­schen vom Jen­seits machen, zahl­reich und indi­vi­du­ell sind. Manch­mal sind es Bil­der, manch­mal auch ein­fach abstrak­te, offe­ne Begrif­fe. So erzählt eine jun­ge Frau, dass für sie ein Gang in die Ber­ge zu ihrem Bild für das Jen­seits führ­te: Aus den nebe­li­gen Tälern hoch zur Son­ne. Ein Mann beschreibt, dass sein Bild hell ist und Wär­me aus­strahlt. Eine wei­te­re Aus­sa­ge: «Ich glau­be, dass nach dem Tod das Leben auf­ge­ho­ben ist. Im dop­pel­ten Wort­sinn: auf­ge­löst, nicht mehr rele­vant – aber sorg­fäl­tig auf­be­wahrt in dem, was wir Gott nen­nen.»

Eman­zi­pa­ti­on von alt­her­ge­brach­ten Bildern

Die­ter Her­man beschreibt sich auf Nach­fra­gen als Suchen­den, den sei­ne Erfah­run­gen mit den Men­schen im Hos­piz zu einem posi­ti­ven Opti­mis­mus beim Nach­den­ken über das «Danach» führ­ten: «Mei­ne Vor­stel­lun­gen und Bil­der sind mit der Zeit inten­si­ver gewor­den — dies aller­dings eher in einer emo­tio­na­len, emp­fin­den­den Art. Ich bin nach wie vor der Suchen­de, wel­cher es begrei­fen möch­te. Mei­ne Spi­ri­tua­li­tät lässt vie­les zu und ich bin mit mir in vie­lem noch nicht einig mit mir in mei­ner Vor­stel­lung.»Gera­de weil das Myste­ri­um des Todes und der Auf­er­ste­hung auch für glau­ben­de Men­schen über jedes Ver­ständ­nis und jede Vor­stel­lung hin­aus­geht oder mit trau­ma­ti­sie­ren­den Fol­gen lan­ge Zeit zur Erzie­hung miss­braucht wur­de, eman­zi­pie­ren sich die Men­schen zuneh­mend von den über­lie­fer­ten Bil­dern. Die Höl­le, das Gericht oder die leib­li­che Auf­er­ste­hung von den Toten wer­den kaum direkt the­ma­ti­siert.

«Ein Leben wie die­ses gibt es nur im Diesseits»

Clau­dia Men­nen ist Theo­lo­gin und sagt unum­wun­den, sie glau­be nicht an ein Jen­seits: «Ich glau­be an Gott als das Geheim­nis des Lebens – ich glau­be (rela­tiv bild­los) an Gott als mein Dies­seits und mein Jen­seits. Des­halb habe ich eine Hei­mat, fal­le nicht ins Lee­re und blei­be in Bezie­hung. Ich bin radi­kal dies­sei­tig gewor­den. Ich gebe Gott im Dies­seits bereits einen Platz in mei­nem Leben und das wird auch in mei­nem Ster­ben so sein. Und was nach mei­nem Ster­ben kommt, ist mir egal! Ich hof­fe nur für alle Men­schen, denen Gewalt und Unge­rech­tig­keit ange­tan wur­de im Dies­seits, dass ihre Trä­nen getrock­net wer­den im Jen­seits».Ob ihr Leben anders sei ohne Jen­seits­vor­stel­lung? «Ohne das Ver­trau­en in Gott als mein Jen­seits, ver­än­dert sich mein Dies­seits sehr. Die Hoff­nung auf Gott ent­la­stet das Hier und Jetzt davon, dass alle Wün­sche und Träu­me auf­ge­hen müs­sen. Zugleich bin ich davon über­zeugt, dass es ein Leben, so wie die­ses, nur im Dies­seits gibt», so Clau­dia Men­nen.

«Ohne Jen­seits ist die irdi­sche End­lich­keit bedrückend»

Die­ter Her­man dage­gen bricht eine Lan­ze für die Vor­stel­lun­gen von einem «Danach»: «Ohne Jen­seits­vor­stel­lung wäre die irdi­sche End­lich­keit bedrückend und der Tod hät­te ein ande­res Gesicht». Auch ein ande­rer katho­li­scher Gesprächs­part­ner meint: «Dem Leben ohne Jen­seits­vor­stel­lung wür­de die Dimen­si­on der Ewig­keit feh­len. Das Leben wäre ein Abrol­len der Zeit.» 
Anne Burgmer
mehr zum Autor
nach
soben