Von Spöttern und Verspotteten

Von Spöttern und Verspotteten

Weisheit 2,1a.12.17–20Die Frevler tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Lasst uns dem Gerecht­en auflauern! Er ist uns unbe­quem und ste­ht unserem Tun im Weg. Er wirft uns Verge­hen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Ver­rats an unser­er Erziehung. Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und prüfen, wie es mit ihm aus­ge­ht. Ist der Gerechte wirk­lich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott sein­er an und entreisst ihn der Hand sein­er Geg­n­er. Roh und grausam wollen wir mit ihm ver­fahren, um seine San­ft­mut ken­nen zu ler­nen, seine Geduld zu erproben. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hil­fe gewährt. Ein­heit­süber­set­zung 

Von Spöttern und Verspotteten

Dichter schaf­fen in ihren Dra­men bes­timmte Fig­uren, die uns unter­schiedliche Charak­tereigen­schaften spiegeln sollen, die auch in uns selb­st leben: Heldin­nen und Helden, Gegen­spiel­er, Ver­mit­tler, Intri­g­an­ten. Auch das Buch der Weisheit und ver­schiedene andere Büch­er der Bibel ken­nen dieses Stilmit­tel. Eine der häu­fig­sten Gegenüber­stel­lun­gen in der alttes­ta­mentlichen Lit­er­atur find­et sich im Ver­gle­ich des Frevlers mit dem Gerecht­en, man kön­nte auch sagen, des Gottes­läster­ers mit dem From­men. Immer wieder – bis ins Neue Tes­ta­ment hinein – reflek­tieren Texte den Unter­schied zwis­chen diesen bei­den Typen. Dieser Abschnitt aus dem Buch der Weisheit (ent­standen im ägyp­tis­chen Alexan­drien um 30 v.Chr.) ist Teil der Rede von Frevlern, die – nach­dem sie sich die Endlichkeit des Lebens vor Augen gehal­ten haben – nun das Leben nach dem Mot­to «Carpe diem» auskosten. Schon die blosse Exis­tenz der Gerecht­en und erst recht deren Anspruch, die beson­deren Lieblinge Gottes zu sein, waren für die Frevler eine unerträgliche Her­aus­forderung: «Lasst uns dem Gerecht­en auflauern!» Er ist uns unbe­quem und ste­ht unserem Tun im Weg … Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hil­fe gewährt.»Der Kon­flikt zwis­chen den Frevlern und dem Gerecht­en find­et sich auch in den Darstel­lun­gen der Pas­sion Jesu wieder. Der­selbe spöt­tis­che Ton begeg­net uns hier. Im Ver­hör vor dem Hohen Rat schla­gen die anwe­senden Scher­gen Jesus, ver­hüllen ihm das Gesicht und fra­gen ihn: «Du bist doch ein Prophet! Sag uns, wer hat dich geschla­gen?» (Lk 22,64) Als Jesus am Kreuz hängt und stirbt, sagen sie zueinan­der: «Lasst uns doch sehen, ob Eli­ja kommt und ihn her­ab­n­immt!» (Mk 15,36)Wie sie sich doch gle­ichen, die Aus­sagen der Spöt­ter! Für sie ist Wehrlosigkeit ein Zeichen von Schwäche, ja von Gottver­lassen­heit. Wer unter­liegt, den hat Gott aufgegeben.Es ist aber nicht dieser von den Gegen­spiel­ern verspot­tete Gott, auf den der Gerechte ver­traut – denn diesen gibt es für ihn gar nicht. Zumin­d­est ist das nicht sein vor­rangiges Ver­ständ­nis von Gott. Er ver­traut auf einen Gott, der sich im Scheit­ern und in der Wehrlosigkeit nicht von ihm abwen­det. Er bezieht seine Iden­tität, seinen Selb­st­wert, aus sein­er Beziehung zu Gott, aus der Liebe Gottes, die sich ihm zuwen­det und ihn selb­st durch all seine Ver­let­zun­gen hin­durch erre­icht.Und wie sollen wir das alles in unsere heutige Zeit und in unsere Welt hinein über­set­zen? Was heisst das für uns Chris­ten? Die Schrift­stel­lerin Andrea Schwarz bringt es meines Eracht­ens sehr gut auf den Punkt, wenn sie den Chris­ten als «Tor» beschreibt. Ein Tor ist ein Narr, ein­er, der ver­rück­te Dinge tut – aber ein Tor ist auch eine Tür, ein Ein­gang, ein Über­gang.Chris­ten sind Toren – weil sie aus der Sicht der anderen manch­mal ganz när­rische Dinge tun: In den Gottes­di­enst gehen und beten, sich für das unge­borene Leben ein­set­zen, Sex­u­al­ität als Wert ver­ste­hen, den man nicht verkaufen darf.Chris­ten sind aber auch Tore. Sie leben im Über­gang, in der Vor­läu­figkeit zwis­chen Him­mel und Erde, Gott und Men­sch. Sie ahnen etwas von der Her­rlichkeit Gottes und der Ewigkeit – und kön­nen deshalb das Leben hier und jet­zt anders leben. Sie kön­nen anders Men­sch sein, weil es Gott in ihrem Leben gibt.Nadia Miri­am Keller, The­olo­gin, ursprünglich Pflege­fach­frau, arbeit­et in der Pfar­rei St. Odil­ia, Arlesheim
Redaktion Lichtblick
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