Vom Wert des Wartens

Der Glau­be, dass Gott Mensch gewor­den ist, zeich­net das Chri­sten­tum gegen­über ande­ren Reli­gio­nen aus. Begon­nen hat die Ver­eh­rung des gött­li­chen Kin­des im 13. Jahr­hun­dert dank dem Erfin­der des Krip­pen­spiels, Franz von Assisi.«Im 13., 14. Jahr­hun­dert ver­la­ger­te sich das Ver­ständ­nis weg vom all­mäch­ti­gen Herr­scher, hin zu einem Gott, der als Mensch in die Welt gekom­men ist», erklärt Bar­ba­ra Reif, ehren­amt­li­che Kura­to­rin des Muse­ums Klo­ster Muri. Begrün­det wur­de die­ser tief­grei­fen­de Glau­bens­wan­del durch das erste Weih­nachts­spiel. Franz von Assi­si war im Dezem­ber 1233 in Greccio zuge­gen und hat­te die Idee, den dor­ti­gen Men­schen die Geschich­te von Jesu Geburt näher zu brin­gen. Dies jedoch nicht als Erzäh­lung, son­dern als Erleb­nis, indem die Men­schen die Geschich­te gleich sel­ber spie­len durf­ten.

Info­tain­ment

Dar­aus ent­wickel­te sich eine Emo­tio­na­li­sie­rung des Glau­bens. Jesus­kin­der wur­den fort­an von Men­schen gebraucht, um sie zu wie­gen und so eine Ver­bin­dung zu ihnen auf­zu­bau­en. Ent­spre­chend ent­stan­den im Lau­fe des Mit­tel­al­ters zahl­rei­che pla­sti­sche und bild­li­che Dar­stel­lun­gen des kind­li­chen Erlö­sers. Bar­ba­ra Reif ver­weist auf das Beson­de­re: «Es sind Ein­zel­fi­gu­ren, los­ge­löst und unab­hän­gig von Weih­nachts­dar­stel­lun­gen oder Krip­pen­sze­nen.»

Füh­rung empfohlen

Die­ser Umstand sticht auch den Besu­che­rin­nen und Besu­chern der zwei­ten Son­der­aus­stel­lung im Muse­um Klo­ster Muri sofort ins Auge und führt zur Fra­ge: Sind dies wirk­lich Christ­kin­der? «Je mehr man über die gezeig­ten Objek­te weiss, desto bes­ser ver­steht man die Aus­stel­lung und freut sich umso mehr dar­an», fin­det Kunst- und Kir­chen­hi­sto­ri­ke­rin Bar­ba­ra Reif. Dies ist ein Grund, war­um bis Aus­stel­lungs­en­de am 15. Janu­ar 2017 jeden Sonn­tag um 14 Uhr öffent­li­che Füh­run­gen ange­bo­ten wer­den.

Gleich­ge­stal­tig werden

Wer sich auf das Aus­stel­lungs-The­ma ein­lässt, erfährt zum Bei­spiel den Sinn hin­ter der ver­stärk­ten, gefühls­mäs­si­gen Ver­bin­dung zum Christ­kind. Er wird auch im Aus­stel­lungs­füh­rer beschrie­ben: «Die Gläu­bi­gen sol­len sich selbst ganz in die Situa­ti­on Jesu ver­set­zen, an sei­ner Geburt, sei­nem Leben, Lei­den und Ster­ben Anteil neh­men – letzt­lich ihm ‚gleich­ge­stal­tig’ wer­den. So wer­den sie, laut Ver­heis­sung, auch mit ihm auf­er­ste­hen.» Die­se Fröm­mig­keits­hal­tung erreich­te in der Barock­zeit ihren Höhe­punkt. Aus die­ser Zeit – auch der Blü­te­zeit des Klo­sters Muri – stam­men die Expo­na­te, gelie­hen aus einer Pri­vat­samm­lung.

Hol­de Knaben

In der Mit­te des ersten Aus­stel­lungs­raums ste­hen die drei «Lieb­lin­ge» der Kura­to­rin. Jesus­kin­der aus Süd­deutsch­land, Ita­li­en und Spa­ni­en. Bar­ba­ra Reif lacht, weil sie fin­det, dass die blos­se Kör­per­lich­keit der drei Hol­den auf deren Ursprungs­land ver­weist. Und Recht hat sie. Was hier und im Ver­lauf des Aus­stel­lungs­be­suchs auf­fällt: Die Figu­ren haben nichts wirk­lich Kind­li­ches an sich. Sie tra­gen eine Ernst­haf­tig­keit im Gesicht, Kro­ne, Reichs­ap­fel, Welt­ku­gel und Kreuz in der Hand oder prä­sen­tie­ren sich als himm­li­scher Bräu­ti­gam. Bar­ba­ra Reif: «Die­se Jesus­kin­der brin­gen damit ihre Bestim­mung zum Aus­druck, neh­men also das spä­te­re Leben vor­weg, ins­be­son­de­re das Lei­den und den Tod.»

Hin­ter Tape­ten und Täfer

Im zwei­ten Aus­stel­lungs­raum fin­den sich ver­schie­de­ne Andachts­bil­der, im Volks­mund als «Hel­ge­li» bezeich­net, und ein soge­nann­tes Fat­schen­kind. Fat­schen­kin­der sind eng gewickel­te – gefatsch­te – lie­gen­de Jesus­kin­der. Sie fan­den gros­se Ver­brei­tung in Frau­en­klö­stern — als «Trö­ster­li» – oder in Wohn­stu­ben, «im soge­nann­ten Herr­gotts­win­kel», sagt Bar­ba­ra Reif. Für eine frü­he­re Aus­stel­lung zu Fat­schen­kin­dern kam sie mit einer Fami­lie im Ober­frei­amt in Kon­takt, wel­che nach einer umfas­sen­den Reno­va­ti­on des Hau­ses unter Schich­ten von Tape­ten und Täfer auf ein sol­ches Christ­kind stiess. «Obwohl die Ver­eh­rung im Lauf der Jah­re abge­flacht war, wäre es den Haus­be­sit­zern nicht in den Sinn gekom­men, die­ses Fat­schen­kind weg­zu­ge­ben.»

Von Scher­ben und Narben

Zu Fat­schen­kin­dern hat die Aus­stel­lungs­ma­che­rin wei­te­re Geschich­ten auf Lager. Etwa jene vom Münch­ner Christ­kind. Sie geht so: Im Jahr 1624 schlich sich ein Fra­ter der Augu­sti­ner­bar­füs­ser nachts zu dem heu­te so berühm­ten «Kindl», um es ein­mal ganz allein in sei­nen Armen zu hal­ten und zu wie­gen. In sei­ner Auf­re­gung liess er den wert­vol­len Schatz sei­nes Klo­sters fal­len und das bei­na­he lebens­ech­te Köpf­lein mit den schö­nen Glas­au­gen zer­sprang in tau­send Stücke. Ver­zwei­felt räum­te der Mönch die Scher­ben in einen Schrank und bat Gott um Hil­fe. Als das Weih­nachts­fest immer näher rück­te, muss­te er dem Pri­or sein Ver­ge­hen beich­ten. Als sie jedoch gemein­sam den Schrank öff­ne­ten, hat­te sich auf wun­der­sa­me Wei­se das Gesicht wie­der zusam­men­ge­fügt. Nur ein Riss an der Wan­ge zeugt bis heu­te vom Sturz. Bar­ba­ra Reif: «Wegen die­ser Geschich­te haben auch ande­re Fat­schen­kin­der eine Nar­be auf der Wan­ge».

Wie­der war­ten können

In Mün­chen übri­gens wird das berühm­te «Kindl» immer nur vom ersten Weih­nachts­fei­er­tag bis zum Drei­kö­nigs­tag zur Ver­eh­rung aus­ge­stellt. Auf die Fra­ge, was sie aus der Erfah­rung mit der Christ­kind-Aus­stel­lung mit­nimmt, knüpft Bar­ba­ra Reif an die­sem Punkt an. «Die Christ­kin­der wur­den immer erst am 25. Dezem­ber auf­ge­stellt. Das mach­te mir wie­der bewusst, wie wert­voll es eigent­lich ist, auf etwas War­ten zu kön­nen.»

The­ma mit Wirkkraft

Zurück bei den drei Hol­den im ersten Aus­stel­lung­raum liegt nach wie vor ein gewis­ses Erstau­nen ob der inten­si­ven Jesus­kind­ver­eh­rung in der Luft. Noch­mals Bar­ba­ra Reif: «Span­nend ist ja auch, dass sie alle Schich­ten durch­wirk­te.» So näh­te die mit Königs­fel­den eng ver­bun­de­ne Agnes von Ungarn fürs Sar­ner Jesus­kind Klei­der, gleich­wohl tat es die öster­rei­chi­sche Kai­se­rin Maria-The­re­sia fürs Pra­ger Jesus­kind, des­sen jüng­ste Kro­ne ihm der eme­ri­tier­te Papst Bene­dikt 2009 schenk­te. «Gros­ser Respekt vor Kul­tur und Inhalt der Jesus­kind­ver­eh­rung bewog auch den Leih­ge­ber zu die­ser Samm­lung», betont Bar­ba­ra Reif und ver­weist abschlies­send auf den Aus­stel­lungs­füh­rer, in dem am Ende des Ein­füh­rungs­tex­tes steht: «Die Wir­kungs­ge­schich­te die­ser Pra­xis und der christ­li­chen Vor­stel­lung von der Got­tes­kind­schaft reicht bis zur Dis­kus­si­on um die moder­nen Kin­der­rech­te.» Aber­mals ein Argu­ment, sich ein­ge­hend mit der Aus­stel­lung «Christ­kin­der und ande­re weih­nächt­li­che Schät­ze» zu befassen. 
Redaktion Lichtblick
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