«Verstorbene sollen nicht alleine sein»

  • «Für Ster­ben und Tod gibt es ein gottes­di­en­stlich­es Vorge­hen», sagt die Liturgiewis­senschaft­lerin, Bir­git Jeg­gle-Merz.
  • Die Auf­bahrung des Leich­nams gehört dazu.
  • Der Leich­nam von Papst Benedikt war den Men­schen­massen nicht aus­geliefert, son­dern wurde von diesen beschützt.

Bir­git Jeg­gle-Merz, mir kam der aufge­bahrten Leich­nam von Papst Benedikt im Peters­dom schut­z­los vor, den Massen aus­geliefert. Wie ging es Ihnen mit den Bildern?
Bir­git Jeg­gle-Merz: Der Ein­druck, dass der aufge­barte Leich­nam ungeschützt ist, ist falsch. Die umste­hen­den Men­schen schützen ihn. Sie begleit­en ihren Brud­er, Papst Benedikt, und ehren seinen Leich­nam.

Was genau ist dieser Leich­nam?
Der Leich­nam ist nicht ein­fach ein tot­er Kör­p­er, son­dern der Leib, in dem Chris­tus gewohnt hat. Darum muss er ehren­voll behan­delt wer­den. Es war der Leib, der getauft wurde, der die Kom­mu­nion emp­fan­gen hat­te. Der Leib ist nichts, was zum Men­schen hinzukommt. Er macht den Men­schen aus. Wir glauben im Chris­ten­tum an eine leib­hafte Aufer­ste­hung. Die ganze Leibfeindlichkeit in der Geschichte der Kirche, ist darum gegen die Schöp­fung gerichtet.

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Welche Vorstel­lun­gen gehören eben­falls zu Tod und Ster­ben im christlichen Ver­ständ­nis?
Es gibt die sehr alte christliche Vorstel­lung, dass der Brud­er oder die Schwest­er in Chris­to nicht alleine gelassen wer­den darf von sein­er Fam­i­lie, also von den Getauften. Das begin­nt, wenn der Ster­be­prozess in eine finale Phase geht. Es gibt das Ide­al, dass Ster­ben und Begraben ein ein­heitlich­er Gottes­di­enst ist. Während also der Brud­er oder die Schwest­er stirbt, wer­den die Exo­dus-Psalmen oder die Pas­sion­s­texte gele­sen. Die Ster­ben­den gehen den Weg von Chris­tus mit. Nach dem Tod wird auch das Waschen des Leich­nams, das Ein­klei­den und das Ein­sar­gen gottes­di­en­stlich vol­l­zo­gen. So ist es auch beim emer­i­tierten Papst geschehen.

Die Men­schen im Peters­dom haben den Leich­nam fotografiert und die Bilder in den sozialen Medi­en geteilt. Ein Self­ie mit dem Leich­nam des Pap­stes? Ist das ehren­voll?
Das ist unsere Zeit. Wir hal­ten alles über­all fest und teilen diese Bilder. Wir präsen­tieren uns mit diesen Bildern und sie geben uns eine Iden­tität. Ich glaube aber, dass die meis­ten Men­schen im Peters­dom mit der Absicht dort waren, sich zu ver­ab­schieden und dem Ver­stor­be­nen die let­zte Ehre zu erweisen.

Was passierte in den drei Tagen während der Auf­bahrung mit dem Leich­nam von Papst Benedikt?
Wenn der Tod ein­tritt, machen viele Men­schen die Erfahrung, dass die ver­stor­bene Per­son noch präsent ist. Und dann scheint sie sich immer mehr zu ent­fer­nen. Die Gesicht­szüge verän­dern sich. Irgend­wann haben die Hin­terbliebe­nen das Gefühl, dass die ver­stor­bene Per­son wirk­lich nicht mehr da ist. Viele der Men­schen, die im Peters­dom vier Stun­den ange­s­tanden sind, woll­ten sich vergewis­sern, dass der Papst, mit dem sie etwas ver­bun­den hat­te, nun wirk­lich nicht mehr da ist. Das ist auch für den Trauer­prozess eine wichtige Sta­tion.

Birgit Jeggle-Merz

Bir­git Jeg­gle Merz ist Pro­fes­sorin für Liturgiewis­senschaft an der The­ol­o­gis­chen Hochschule Chur und an der the­ol­o­gis­chen Fakultät in Luzern. Zu den Schw­er­punk­ten ihrer Arbeit zählen u.a. die Wort-Gottes-Feier, die per­for­ma­tive Dimen­sion der Liturgie sowie der The­menkreis Liturgie und Lebenswelt. Sie ist Her­aus­ge­berin des Mag­a­zins «trans­for­ma­tio;». Von 2011–2019 war Bir­git Jeg­gle-Merz Zen­tral­präsi­dentin des Schweiz­erischen Katholis­chen Bibel­w­erks (SKB). Sie ist Mit­glied der Litur­gis­chen Kom­mis­sion der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz (LKS).

Wie ste­ht es mit der Auf­bahrung der Ver­stor­be­nen in der Schweiz?
Das ist gebi­etsweise sehr unter­schiedlich. Ich lebe im Kan­ton Graubün­den. In der Sur­sel­va etwa wer­den die Ver­stor­be­nen oft direkt aus dem Kan­ton­sspi­tal ins Kre­ma­to­ri­um nach Chur gebracht. Das hat die Riten stark verän­dert. Früher hat man die Toten aufge­bahrt und alle kon­nten sich ver­ab­schieden.

Wie sieht das ide­ale katholis­che Ster­ben, der ide­ale katholis­che Tod aus?
Das Ide­al ist, dass die ster­bende und die ver­stor­bene Per­son nicht allein bleibt. Auch das gemein­same Gebet ist wichtig. Es gibt ein sehr altes Gebet für diesen Moment: ‚Kommt her­bei ihr Heili­gen Gottes und nehmt die Seele des Ver­stor­be­nen und tragt sie zum Aller­höch­sten empor‘.

Vor dem Zweit­en Vatikanis­chen Konzil gab es die soge­nan­nten Ausseg­nun­gen. Da wurde der Priester für die Sterbe­sakra­mente gerufen. Er hat einen ganzen Kat­a­log an Ster­bege­beten gesprochen. Damals hat der Priester die Funk­tion gehabt, den Ster­be­prozess zu begleit­en. Heute sind die Ange­höri­gen oft auf sich selb­st ver­wiesen, auss­er sie machen sich kundig oder sie lassen sich begleit­en. Die Hos­pizbe­we­gun­gen leis­ten da gute Arbeit. Es wollen ja auch nicht alle nach christlichen Vorstel­lun­gen begleit­et wer­den.

Welche Rit­uale gehören eher der Ver­gan­gen­heit an?
Aus dem Hochmit­te­lal­ter ken­nen wir den soge­nan­nten Verse­hgang. Damit ist der Gang eines Priesters zu ein­er ster­ben­den Per­son gemeint, um dieser das Bus­sakra­ment, die let­zte Ölung und die Kom­mu­nion zu spenden. Mit der Ölung wurde die ster­bende Per­son darauf vor­bere­it­et, Gott gegenüberzutreten. Seit dem Zweit­en Vatikanis­chen Konzil sprechen wir statt von der let­zten Ölung von der Kranken­sal­bung. Diese Trias von Rit­ualen ist für viele Men­schen auch heute noch tröstlich.

Gibt es Rit­uale, die aus ein­er katholis­chen Auf­fas­sung her­aus vol­l­zo­gen wer­den müssen?
Nein, es gibt kein Rit­u­al, das zwin­gend notwendig ist. Aber das Bedürf­nis nach solchen Rit­ualen sowohl von Ster­ben­den als auch von den Ange­höri­gen ist gross. Darum wur­den in jüng­ster Zeit soge­nan­nte Sterbe­segen entwick­elt.  Diese Segen dür­fen alle Men­schen sprechen. Dafür braucht es keine Ordi­na­tion.

Es kann einem also nichts fehlen beim Ster­ben und im Tod, um in den Him­mel zu kom­men?
Es kann einem nichts fehlen. Die Taufe ist die Grund­lage dafür, in den Him­mel zu kom­men. Aber wer Ster­bende rit­uell begleit­et, kann sie reich beschenken. Ihnen vielle­icht die Angst nehmen und ihnen den Über­gang erle­ichtern.

Eva Meienberg
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