Was glaubst du denn?
Die Teilnehmenden des Christlichen Forums Deutschschweiz erzählen sich in Kleingruppen ihre Glaubensgeschichten.
Bild: © Simo­na Lempen

Was glaubst du denn?

Glaubensgeschichten teilen, schafft Beziehung

Am ersten Christlichen Forum in der Deutschschweiz haben über 100 Christinnen und Christen teilgenommen. ​Im Fokus standen die persönlichen Glaubensgeschichten. ​Andi Roth-Bachmann ist überzeugt, dass der Kern jeder Ökumene die Beziehung der Menschen zu einander ist.

Ildi­ko kommt aus Ungarn und hat dort wäh­rend und trotz des kom­mu­ni­sti­schen Regimes ein inten­si­ves Glau­bens­le­ben gelebt. Als sie nach der Schu­le als Au-pair nach Deutsch­land geht, lernt sie dort eine Frei­kir­che ken­nen, in der sie mit offe­nen Armen emp­fan­gen wird. Das erleich­tert ihr die Ankunft in der Frem­de. In Deutsch­land lernt sie ihren Mann ken­nen und zieht spä­ter mit ihm in die Schweiz. Hier sind es unga­ri­sche Pro­te­stan­tin­nen und Pro­te­stan­ten, die sie im neu­en frem­den Land will­kom­men heis­sen. Nach einer Wei­le bekommt Ildi­ko ein Prak­ti­kum in einer Lan­des­kir­che, die heu­te ihre Arbeit­ge­be­rin ist.

Lucia nimmt sich als Kind vor, ein guter Mensch zu wer­den. Denn sie hört vie­le Geschich­ten vom drit­ten Reich und von Men­schen, die sich dank ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gung gegen das natio­nal­so­zia­li­sti­sche Regime weh­ren konn­ten. Lucia will das auch kön­nen. Das Mäd­chen ist neu­gie­rig, stellt ihrem Vater reli­giö­se Fra­gen. Wenn er sie nicht beant­wor­ten kann, schickt er Lucia zum Prie­ster. An der einen Fra­ge bleibt sie hän­gen: Lässt sich die Auf­er­ste­hung bewei­sen? Viel spä­ter schreibt Lucia ihre Diplom­ar­beit in katho­li­scher Theo­lo­gie zu die­sem The­ma. Bewei­sen kann sie es nicht, aber ihrem reli­giö­sen Weg ist sie treu geblieben.

Donat stammt aus einer säku­la­ren Fami­lie. Reli­gi­on spielt für sei­ne Eltern kei­ne Rol­le. Er ist zwölf Jah­re alt, als er zum ersten Mal eine Kir­che betritt. Bei Fami­li­en­freun­den betet er ein Tisch­ge­bet. Es gefällt ihm, wenn sich alle die Hän­de rei­chen und Gott für das Essen dan­ken. Donat geht mit dem Sohn der Fami­lie in die CEVI-Jung­schar, wo er spä­ter Lei­ter wird. Die Lei­tungs­grup­pe wird zu einem bestän­di­gen Freun­des­zir­kel, in dem Donat wäh­rend 15 Jah­ren inten­si­ve reli­giö­se Dis­kus­sio­nen führt. Donat nimmt an Ver­an­stal­tun­gen des Evan­ge­li­schen Gemein­schafts­werks teil. Mit der Zeit reicht ihm deren Theo­lo­gie nicht mehr. Er beschliesst, inter­re­li­giö­se Stu­di­en zu stu­die­ren. Heu­te ist er froh, rela­tiv unge­bun­den Teil der refor­mier­ten Kir­che zu sein und einen nüch­ter­nen Glau­ben zu leben, der ihm ganz entspricht.

Öku­me­ni­sches Tref­fen auf dem Chrischona-Campus

Sol­che Glau­bens­ge­schich­ten stan­den im Zen­trum des ersten Christ­li­chen Forums in Bet­tin­gen. Vom 27. bis 30. Okto­ber tra­fen sich über 100 Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter von 25 Lan­des- und Frei­kir­chen, tra­di­tio­nel­len und jun­gen Kir­chen und christ­li­chen Gemein­schaf­ten auf dem Chrisch­o­na-Cam­pus. In inter­kon­fes­sio­nel­len Grup­pen erzähl­ten sich die Teil­neh­men­den ihre Glau­bens­ge­schich­ten. Dies sei der erste Schritt auf dem Weg der Öff­nung für­ein­an­der und für ein neu­es Mit­ein­an­der, sag­ten die Veranstaltenden.

Glo­bal Chri­sti­an Forum-Bewegung

Alle sind zur Öku­me­ne eingeladen

Das Christ­li­che Forum Deutsch­schweiz gehört zur Bewe­gung Glo­bal Chri­sti­an Forum (GCF). Die­se inter­na­tio­na­le Bewe­gung wur­de 1990 vom Öku­me­ni­schen Rat der Kir­chen (ÖRK) gegrün­det. Es gibt natio­na­le und inter­na­tio­na­le Aus­tra­gun­gen. Die Foren rich­ten sich nach einem vor­ge­ge­be­nen Ablauf, in des­sen Zen­trum das Tei­len per­sön­li­cher Glau­bens­ge­schich­ten steht. Das GCF ent­stand aus dem Wunsch her­aus, auch weni­ger insti­tu­tio­na­li­sier­te reli­giö­se Bewe­gun­gen wie etwa die Pfingst­be­we­gung zur Öku­me­ne ein­zu­la­den. Seit 2008 wird das GFC vom ÖRK, dem Päpst­li­chen Rat zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten, der Welt­wei­ten Evan­ge­li­schen Alli­anz und dem Pen­te­co­stal World Fel­lo­ship getragen.

Über 100 Men­schen aus ver­schie­de­nen christ­li­chen Kir­chen und Gemein­schaf­ten haben am ersten Christ­li­chen Forum im deutsch­spra­chi­gen Raum teil­ge­nom­men. © Simo­na Lempen

Das Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tee for­mier­te sich aus der Arbeits­ge­mein­schaft christ­li­cher Kir­chen in der Schweiz (AGCK). Im Fokus der ersten Aus­ga­be des Christ­li­chen Forums sei­en kirch­li­che Lei­tungs­per­so­nen gestan­den, sagt Andi Bach­mann-Roth, Geschäfts­füh­rer der Schwei­ze­ri­schen Evan­ge­li­schen Alli­anz und Vize-Prä­si­dent des Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tees. «Sol­che Begeg­nun­gen machen etwas mit uns. Wenn ich die glei­chen Men­schen das näch­ste Mal in einer Stra­te­gie­sit­zung tref­fe, wer­den wir auf einer tie­fe­ren Bezie­hungs­ebe­ne zusammenarbeiten.»

Ein Leben in sie­ben Minuten

Die vom Glo­bal Chri­sti­an Forum vor­ge­ge­be­ne Metho­de ist ein­fach: Nach einem gemein­sa­men Auf­takt tref­fen sich die Teil­neh­men­den in inter­kon­fes­sio­nel­len Grup­pen zu maxi­mal zehn Per­so­nen. Ein Mode­ra­tor beginnt bei­spiel­haft mit sei­ner Geschich­te und behält die Rede­zeit der Teil­neh­men­den im Auge. Richt­zeit sind sie­ben Minu­ten. Die Geschich­ten wer­den nicht kom­men­tiert. Nach einem Bei­trag folgt Stil­le, manch­mal ein Gebet oder ein Lied. Nach der Mit­tags­pau­se äus­sern sich die Teil­neh­men­den zu vor­ge­ge­be­nen Leit­fra­gen: Was hat dich bewegt? Wo erkennst du Gemein­sam­kei­ten, wo Unter­schie­de? Wel­che Ein­sich­ten hast du gewon­nen? Wo spürst du das Wir­ken des Hei­li­gen Geistes?

Der Kern der Ökumene

«Wir von der Arbeits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kir­chen Schweiz sind der Über­zeu­gung, dass der Kern jeder Öku­me­ne die Bezie­hun­gen der Men­schen zuein­an­der ist. Mit die­sem Anlass ver­su­chen wir eine gute Grund­la­ge zu legen», sagt Andi Bach­mann-Roth. Das gros­se Plus des Christ­li­chen Forums sei, dass sich dafür auch Men­schen aus reli­giö­sen Tra­di­tio­nen gewin­nen lies­sen, die nicht über Insti­tu­tio­nen an der Öku­me­ne teil­hät­ten, ins­be­son­de­re die pfingst­lich-cha­ris­ma­ti­schen Kir­chen. Auch Teil­neh­men­de aus Basis­be­we­gun­gen wie etwa Haus­kir­chen, die nir­gends ein­ge­bun­den sei­en, näh­men an der Ver­an­stal­tung teil. Wäh­rend auf der insti­tu­tio­nel­len Ebe­ne in ethisch-theo­lo­gi­schen Fra­gen immer noch gros­se Grä­ben bestün­den oder die­se sich ange­sichts der aktu­el­len Welt­la­ge sogar ver­grös­ser­ten, sehe er gleich­zei­tig ein Zusam­men­rücken ange­sichts der fort­schrei­ten­den Säku­la­ri­sie­rung. Auf der indi­vi­du­el­len Ebe­ne suche man daher Koope­ra­ti­ons­mög­lich­kei­ten und Gemein­sam­kei­ten, die dies ermöglichten.

Das Mit­ein­an­der nicht verzwecken

«Ich schät­ze das Christ­li­che Forum, weil hier das Mit­ein­an­der nicht ver­zweckt wird», sagt Andi Bach­mann-Roth. Effi­zi­enz­stei­ge­rung und Kosten­spa­ren sei nicht das zen­tra­le Ele­ment die­ser öku­me­ni­schen Bemü­hun­gen. «Die­se Gemein­schaft hat einen Wert an sich, weil sie das Wesen des Evan­ge­li­ums sicht­bar macht: Chri­stus hat Frie­den zwi­schen uns geschaf­fen», sagt Andi Bach­mann-Roth. Gemein­sam besuch­ten die Teil­neh­men­den am Diens­tag ver­schie­de­ne sozi­al­dia­ko­ni­sche Ein­rich­tun­gen in der Stadt Basel, wie etwa die Heils­ar­mee, die Seel­sor­ge im Tabu­be­reich oder das Hou­se of Pray­er HOP Basel, und nah­men am Tai­zé­ge­bet im Bas­ler Mün­ster teil. Am Mitt­woch ende­te das Christ­li­che Forum mit Berich­ten aus den ein­zel­nen Kir­chen­fa­mi­li­en und einer Schlussbotschaft.

Schluss­bot­schaft

Unter dem Jesus­wort «Habt Salz in Euch und hal­tet Frie­den unter­ein­an­der» (Mar­kus 9,50) waren wir, etwa 110 vom Glau­ben an Chri­stus beweg­te Men­schen aus über 25 christ­li­chen Kir­chen und Gemein­schaf­ten, vom 27. bis 30. Okto­ber auf dem Chrisch­o­na Cam­pus in Bet­tin­gen (BS) versammelt.

Wir waren ein­ge­la­den, über unse­re gewohn­ten Hori­zon­te hin­aus­zu­blicken, uns für ande­re Glau­bens­er­fah­run­gen zu öff­nen und das Gespräch mit Glau­bens­ge­schwi­stern zu suchen, die uns bis­her fremd waren.

Im Aus­tausch und im wech­sel­sei­ti­gen Hören unse­rer per­sön­li­chen Glau­bens­ge­schich­ten haben wir erfah­ren, wie unter­schied­lich unse­re Wege mit Gott und zu Gott sind, und dass es mög­lich ist, in gros­ser spi­ri­tu­el­ler und inter­kul­tu­rel­ler Viel­falt eine geist­li­che Gemein­schaft zu bil­den. Wir alle sind Glie­der am einen Leib Chri­sti, ver­schie­de­ne Zwei­ge am sel­ben Wein­stock, Teil der Jün­­ger- und Jün­ge­rin­nen­schar, die in die Welt gesandt ist, um Salz der Erde zu sein.

Auf dem Emma­us-Weg waren wir zu zweit unter­wegs und haben als Chri­stin­nen und Chri­sten unter­schied­li­cher Her­kunft unse­re Begeg­nun­gen und Gesprä­che wei­ter­ge­führt und ver­tieft. Vie­le erfuh­ren etwas vom Sinn der Fra­ge der bei­den Weg­ge­fähr­ten «Brann­te nicht unser Herz dabei?» (Lukas 24,32)
Ein Podi­um und Gesprä­che unter der Fra­ge «Was gibt uns Hoff­nung?» bestärk­ten in uns den Wunsch, da wo wir ste­hen, «Streich­höl­zer» zu sein, die klei­ne Lich­ter der Hoff­nung ent­zün­den. Wir wur­den dar­an erin­nert, dass wir als Ein­zel­ne ver­lo­ren und auf das «Du» und das «Wir» ange­wie­sen sind, um die Hoff­nung zu bewah­ren und sie in Wort und Tat zu bezeugen.

Die Besu­che sozi­al­dia­ko­ni­scher Pro­jek­te unter­schied­li­cher Kir­chen und Gemein­schaf­ten in der Regi­on, die ermu­ti­gen­den Gruss­wor­te der Ver­ant­wort­li­chen aus den Kir­chen­fa­mi­li­en und das gemein­sa­me Sin­gen und Beten haben uns gestärkt und inspiriert.

Das gros­se öku­me­ni­sche Tai­­zé-Gebet im Bas­ler Mün­ster zog auch zahl­rei­che Men­schen aus Basel und Umge­bung an. Die medi­ta­ti­ven Gesän­ge und die Stil­le schu­fen einen Raum, um gemein­sam und jede und jeder für sich die Begeg­nun­gen und Erfah­run­gen zu ver­in­ner­li­chen und zur Ruhe zu kommen.

Mit­ten in einer von Spal­tun­gen, Kri­sen und Kon­flik­ten zer­ris­se­nen Mensch­heit kön­nen Frie­den und Gerech­tig­keit auf­blü­hen, wo Men­schen ein­an­der in ihrer Ver­schie­den­heit anneh­men, an der Hoff­nung auf Ver­söh­nung fest­hal­ten und in ihrem Beten und Han­deln für die­sen Frie­den eintreten.
Ermu­tigt und im Bewusst­sein, dass nicht nur die Teil­neh­men­den an unse­rem Forum, son­dern unzäh­li­ge ande­re Men­schen inspi­riert vom Glo­bal Chri­sti­an Forum in aller Welt auf unter­schied­lich­ste Wei­se Zeug­nis für die Ein­heit able­gen, bre­chen wir gemein­sam in unse­ren All­tag auf.

Wir neh­men den wei­ten Blick für Begeg­nun­gen und Zusam­men­ar­beit mit Chri­stin­nen und Chri­sten aus ande­ren Kir­chen und Gemein­schaf­ten in unser eige­nes Umfeld mit und sind vom Erzäh­len der Glau­bens­ge­schich­ten inspi­riert. Das erste Christ­li­che Forum für die Deutsch­schweiz bestärkt uns im Ver­trau­en, dass die Lie­be des drei­ei­ni­gen Got­tes allen gilt und alle Gläu­bi­gen sowie die gan­ze Mensch­heits­fa­mi­lie zu Frie­den und Ver­söh­nung anstiftet.

Eva Meienberg
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