Suchen war gestern

Suchen war gestern

Die Römisch-Katho­li­sche Lan­des­kir­che ver­schick­te Ende Juni 2016 eine Ein­la­dung zur Schu­lung «Leit­fa­den Geschäfts­füh­rung und Archi­vie­rung mit Ord­nungs­sy­stem» an alle Kir­chen­pfle­gen, Finanz­ver­wal­tun­gen und Pfarr­äm­ter im Aar­gau. Und es gescha­hen Zei­chen und Wun­der: «Wir rech­ne­ten mit rund 50 Inter­es­sier­ten», erin­nert sich Mar­cel Not­ter, Gene­ral­se­kre­tär der Lan­des­kir­che. «Doch es ent­wickel­te sich eine Ver­drei­fa­chung der Teil­neh­men­den. Wir muss­ten umge­hend Zusatz­kur­se organisieren.»Sin­ni­ger­wei­se war im Kir­chen­aar­gau bis letz­tes Jahr die Archiv­ver­ord­nung von 1932 gül­tig. Dann aber knüpf­te sich ein Fach­gre­mi­um aus Ver­tre­tern der Lan­des­kir­che und des Bis­tums, zusam­men mit Exper­ten des Staats­ar­chivs, Histo­ri­kern und einer Erwach­se­nen­bild­ne­rin deren Über­ar­bei­tung vor. Per 1. Janu­ar 2015 setz­te der Kir­chen­rat der Römisch-Katho­li­schen Lan­des­kir­che Aar­gau eine neue Archiv­ver­ord­nung in Kraft. Seit die­sem Jahr schliess­lich gibt es den Leit­fa­den «Geschäfts­füh­rung und Archi­vie­rung für Kirch­ge­mein­den und Pfar­rei­en». Ein Hilfs­mit­tel, das laut Mar­cel Not­ter «schweiz­weit sei­nes Glei­chen sucht».

Öffent­li­che Gedächtnisse

Nun fragt sich der Laie, war­um so viel Auf­he­bens um die­ses The­ma gemacht wird. «Die Archi­vie­rung von geschäfts­re­le­van­ten Doku­men­ten erfolgt nicht nur auf­grund eines gesetz­li­chen Auf­tra­ges», erklärt Mar­cel Not­ter und fährt vol­ler Begei­ste­rung fort: «Archi­ve sind öffent­li­che Gedächt­nis­se und imma­te­ri­ell wich­ti­ge Wer­te der Gesell­schaft: Sie gewähr­lei­sten Rechts­si­cher­heit, ermög­li­chen den Nach­voll­zug von Ver­wal­tungs­hand­lun­gen, bewah­ren Kul­tur­gut und bie­ten Gele­gen­heit für histo­ri­sche For­schun­gen.»Der Wert­schät­zung nicht genug, ergänzt der Ver­wal­tungs­fach­mann: «Aus­ser­dem sind sie Grund­la­ge für die Füh­rung der Kirch­ge­mein­de bezie­hungs­wei­se der Pfar­rei und die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Behör­den­mit­glie­dern und Mit­ar­bei­ten­den.»

Bye-bye Bana­nen­schach­teln

Susann Gre­te­ner Jeg­ge war als Erwach­se­nen­bild­ne­rin Teil der «Arbeits­grup­pe Voll­zugs­er­las­se Archiv». Ihr oblag etwa die pra­xis­na­he For­mu­lie­rung des erwähn­ten Leit­fa­dens. Ent­spre­chend bild­haft tönt ihre Begrün­dung, war­um in Sachen Archi­vie­rung im Kir­chen­aar­gau vor­wärts gemacht wer­den muss: «Wo das Archiv ledig­lich sechs Bana­nen­schach­teln im Est­rich des Pfarr­hau­ses umfasst, besteht Hand­lungs­be­darf.»Dar­um bie­tet die Lan­des­kir­che seit Mit­te Sep­tem­ber 2016 Schu­lun­gen an ver­schie­de­nen Stand­or­ten im Aar­gau an und finan­ziert ergän­zend eine maxi­mal fünf­stün­di­ge Bera­tung durch Fach­leu­te vor Ort.

Auf zum Kulturwandel

4. Okto­ber, kurz vor 17 Uhr, Chor­her­ren­haus Baden: Dem Geheim­nis nach der Erfolgs­sto­ry die­ses Kur­ses auf der Spur. Aus allen Him­mels­rich­tun­gen tref­fen die Kurs­teil­neh­me­rin­nen und –teil­neh­mer ein. Mar­cel Not­ter begrüsst, Susan­ne Gre­te­ner Jeg­ge und Mar­cel Giger, lang­jäh­ri­ger Archi­var beim Staats­ar­chiv Aar­gau, über­neh­men. Wir ler­nen: Es geht um Kul­tur­wan­del.Schritt I: Auf allen Stu­fen der Bear­bei­tung soll es künf­tig ein Ord­nungs­sy­stem geben – von der Abla­ge im Büro des Pfar­rei­se­kre­ta­ri­ats über die Auf­be­wah­rung bis hin zum Archiv.«Die­ses durch­ge­hend glei­che System ist nicht unse­re Erfin­dung», ruft auch Susann Gre­te­ner Jeg­ge in Erin­ne­rung. Viel­mehr sind dazu bereits seit 2006 alle öffent­lich-recht­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen ver­pflich­tet. Dies gemäss kan­to­na­lem Gesetz über die Infor­ma­ti­on der Öffent­lich­keit, den Daten­schutz und das Archiv­we­sen (IDAG). Für die Aar­gau­er Kirch­ge­mein­den und Pfar­rei­en wur­de eine mög­lichst ein­fa­che Umset­zung die­ses Erlas­ses ange­strebt.

Alle zie­hen am glei­chen Strick

Kul­tur­wan­del Schritt II: Alle, von der Ehren­amt­li­chen bis zum Pro­fi, arbei­ten mit dem glei­chen System. «Ab wann muss ich jetzt unser Archiv umstel­len?», fragt Kurs­teil­neh­me­rin und Pfar­rei­se­kre­tä­rin Käthi Stad­ler aus Kün­ten. «Ist die alte Ord­nung im Archiv eine gute Ord­nung, kann man sie belas­sen», ant­wor­tet Archi­var Mar­cel Giger. «Es macht aber Sinn, die Abla­ge zum Tages­ge­schäft auf das neue Ord­nungs­sy­stem umzu­stel­len. Dies am besten zu Beginn eines Geschäfts­jah­res.»Im fol­gen­den, ange­reg­ten Aus­tausch ent­lar­ven Fach­mann und Pfar­rei­se­kre­tä­rin eine typi­sche Archi­vie­rungs­sün­de. Mar­cel Giger: «Stel­len Sie beim neu­en Archiv sicher, dass nicht das Tab­lar oder der Schrank im Archiv beschrif­tet ist, son­dern die Schach­tel, in der die Doku­men­te gela­gert wer­den.»

Qua­si eine Neumöblierung

Über­haupt wird wäh­rend der Schu­lung oft von Möbel­stücken gespro­chen. «Stel­len Sie sich das neue Ord­nungs­sy­stem als gros­ses Möbel mit ver­schie­de­nen Schub­la­den vor.» Schub­la­de 1 ist der Kirch­ge­mein­de zuge­ord­net. «1, weil die Kirch­ge­mein­de 1 Ding» ist, so die Esels­brücke von Susann Gre­te­ner Jeg­ge oder «3 für Pfar­rei, weil dort die Drei­fal­tig­keit zählt.»Wird eine Schub­la­de geöff­net, fin­det sich dar­in die immer glei­che Struk­tur: Grund­la­gen, Lei­tung, Res­sour­cen, Out­put, Part­ner. Über­setzt auf eine Kirch­ge­mein­de wür­de dies heis­sen: Grund­la­gen wie Geset­ze, Ver­ord­nun­gen, Regle­men­te. Lei­ten­de Orga­ne wie Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung oder Kir­chen­pfle­ge. Res­sour­cen wie Per­so­nal, Finan­zen, Infra­struk­tur. Out­put wie Lei­stun­gen, Akti­vi­tä­ten oder Part­ner wie Koope­ra­tio­nen, Netz­wer­ke.

Die kol­lek­ti­ve Ordnung

Ziel der gan­zen «Übung» ist es, eine gemein­sa­me Spra­che zu fin­den. Ein Ansatz, der sich bereits auf den Gemein­de­ver­wal­tun­gen bewährt hat. «Wech­selt jemand die Stel­le, fin­det er oder sie am neu­en Ort das glei­che Ord­nungs­sy­stem vor – und sich somit zugleich zurecht», erwäh­nen die Exper­ten einen der Vor­zü­ge.Nebst einem ein­heit­li­chen System braucht der gelin­gen­de Drei­schritt Abla­ge-Auf­be­wah­rung-Archiv moti­vier­te Mit­wir­ken­de mit gesun­dem Men­schen­ver­stand. Mar­cel Giger: «Oft wird mehr­spu­rig gefah­ren und es bewahrt der Prä­si­dent, der Aktu­ar und die Finanz­mi­ni­ste­rin jedes Sit­zungs­pro­to­koll der Kir­chen­pfle­ge auf. Schliess­lich wird alles in Ord­ner gepackt und in Rega­le gestellt, die sich bei genau­er Durch­sicht locker von 15 Meter auf 1,5 Meter Län­ge redu­zie­ren lies­sen.»

ISO 9706

So rich­tig in Fahrt kommt Mar­cel Giger, als er zu einer Bil­der­rei­se durch mehr oder weni­ger anmä­che­li­ge Aar­gau­er Archi­ve ein­lädt: Von Spinn­we­ben bis Schim­mel, von Tro­pen­hit­ze bis zu viel Son­nen­ein­strah­lung ist alles ver­tre­ten, was einem Archiv scha­det. Immer wie­der stoppt Mar­cel Giger sei­ne Aus­füh­run­gen, greift nach einer Schach­tel oder einem Mäppli, erzählt von des­sen Vor­zü­gen und Nach­tei­len im Zusam­men­hang mit der Archi­vie­rung oder ent­führt in Wis­sen­stie­fen wie ISO 9706, der Norm für säu­re­frei­es Papier, das 200 Jah­re halt­bar ist. «Die schlimm­ste Bedro­hung eines Archivs ist jedoch der des­in­ter­es­sier­te Mensch», so der Pro­fiar­chi­var.

Res­sort Archiv

Des­halb emp­fiehlt das Exper­ten­team eine ver­ant­wort­li­che Per­son für das Archiv. Kurs­teil­neh­mer Ste­fan Michel ist frei­er Archiv­ver­ant­wort­li­cher in Bir­menstorf. Etwa zwan­zig bis dreis­sig Stun­den pro Jahr inve­stiert der Histo­ri­ker in die­ses für ihn span­nen­de Amt. «Genau, es muss nicht immer eine Mit­ar­bei­te­rin oder ein Mit­ar­bei­ter der Pfar­rei sein», fin­den auch Susann Gre­te­ner und Mar­cel Giger. Eine freie Mit­ar­bei­te­rin oder ein Pro­fi­dienst­lei­ter sind Alter­na­ti­ven.Als zen­tral erach­tet wird, dass die archiv­ver­ant­wort­li­che Per­son einen Ansprech­part­ner in der Kir­chen­pfle­ge hat. «Min­de­stens ein Mal pro Amts­pe­ri­ode soll­te das zustän­di­ge Kir­chen­pfle­ge­mit­glied Stich­pro­ben im Archiv machen und klä­ren, ob es Anlie­gen oder Sor­gen gibt», so die Kurs­lei­tung.

Time for change

Lud­wig Aepli, Kir­chen­pfle­ger aus Kill­wan­gen, hört auf­merk­sam zu und meint nach fast vier Stun­den Archiv­schu­lung: «Es war sehr inter­es­sant, aber gibt Arbeit. Vor allem fra­ge ich mich, wie sich die ande­ren Kir­chen­pfle­ge­mit­glie­der und die Mit­ar­bei­ten­den moti­vie­ren las­sen.» Damit trifft er den wun­den Punkt am Gan­zen.«Time for chan­ge» heisst es dazu in der Power­point-Prä­sen­ta­ti­on von Susann Gre­te­ner Jeg­ge und Mar­cel Giger. Aus­ge­spro­chen heisst das: «Suchen Sie das Gespräch mit allen Betei­lig­ten. Über­zeu­gen, moti­vie­ren Sie. Alle müs­sen sich hin­ter den Kar­ren span­nen las­sen.»Und mit einem Augen­zwin­kern ergän­zen die Bei­den: «Bei genü­gend Inter­es­se könn­ten wir im 2017 eigent­lich eine Fort­set­zung die­ses Kurs­an­ge­bots in Erwä­gung zie­hen.»  

Der Archi­vie­rungs-Schnell­test

Die Teil­neh­men­den des Kur­ses «Leit­fa­den Geschäfts­füh­rung und Archi­vie­rung mit Ord­nungs­sy­stem» wur­den zum Pra­xis­test ein­ge­la­den, den auch Sie hier­mit an einem Bei­spiel absol­vie­ren kön­nen. Die fin­gier­te Auf­ga­be lau­tet:«Die Kir­chen­pfle­ge hat vom zustim­men­den Beschluss der Kirch­ge­mein­de zum Bau eines neu­en Pfar­rei­zen­trums Kennt­nis genom­men und beauf­tragt sie an der Sit­zung vom 24.11.2016 mit der Eröff­nung eines ent­spre­chen­den Neu­bau­do­s­siers. Als erstes soll ein Archi­tek­tur­wett­be­werb durch­ge­führt wer­den. Die Feder­füh­rung in die­sem Dos­sier obliegt Kir­chen­pfle­ge­mit­glied Flo­ri­an Hol­zer. Der Neu­bau soll 2018 in Betrieb genom­men wer­den.Abla­ge unter:Abla­ge­or­ga­ni­sa­ti­on der Dossiers:Dos­sier­ti­tel:Die Lösung lässt sich mit Hil­fe des «Ord­nungs­sy­stems Aus­ga­be 2016» der Rechts- und Doku­men­ten­samm­lung auf www.kathaargau.ch finden. 
Redaktion Lichtblick
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