Seelsorge und Sterbehilfe: Dabei bleiben oder gehen?

Seelsorge und Sterbehilfe: Dabei bleiben oder gehen?

  • Ver­gan­genen Mittwoch, 28. Novem­ber, 2018, wurde in Muri das Ver­hält­nis der Seel­sorge zur Ster­be­hil­fe disku­tiert. Gegenüber Hor­i­zonte hat­te im Vor­feld Heim­seel­sorg­er Andreas Zim­mer­mann öffentlich gemacht, dass er ein­er Per­son auf ihrem Weg mit «Exit» bis zulet­zt beige­s­tanden hat­te.
  • An der Ver­anstal­tung in Muri brachte die Bio- und Ethikkom­mis­sion der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz SBK ihre Sicht ein (siehe Inter­view mit Roland Graf).
  • Von der zuständi­gen Aar­gauer Fach­stelle für Heim- und Spi­talseel­sorge der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau war nie­mand anwe­send. Die Fach­stelle hat­te allerd­ings im Vor­feld an ihre Angestell­ten die Order erlassen, «auf Anfra­gen seit­ens der Presse auf Inter­views zu verzicht­en».
 Über 200 Per­so­n­en kamen am ver­gan­genen Mittwochabend, 28. Novem­ber 2018, auf Ein­ladung von Pal­lia­tiv Aar­gau nach Muri. Dort wurde der Fall ein­er 60-jähri­gen Frau besprochen, die in der «pflegimuri» » mit ein­er Ster­be­hil­fe-Organ­i­sa­tion ihrem Leben ein Ende geset­zt hat­te.

Grosser Ansturm – Das Thema beschäftigte

Der Ansturm über­traf die Erwartun­gen. «Es zeigt, dass das The­ma die Leute beschäftigt und es für Men­schen mit bedeu­ten­den Ein­schränkun­gen eine zen­trale Fragestel­lung ist», erk­lärte Car­men Frei, Kom­mu­nika­tionsver­ant­wortliche der «pflegimuri» gegenüber Hor­i­zonte.Auf dem Podi­um berichteten Ange­hörige der Ver­stor­be­nen, der Heim­seel­sorg­er Andreas Zim­mer­mann (im Bild ganz links) und die Pflegev­er­ant­wortliche Irène Syla. Mod­eriert wurde der Abend von Daniela Foos von Pal­lia­tive Aar­gau.

Interviewverbot für Seelsorgende

Für Hor­i­zonte hat­te der Heim­seel­sorg­er Andreas Zim­mer­mann bere­its vor­ab berichtet, wie er die mit­tler­weile Ver­stor­bene begleit­et hat­te. Auf das Inter­view hat­te die Hor­i­zonte-Redak­tion viele Reak­tio­nen erhal­ten. Viele Leserin­nen und Leser melde­ten sich tele­fonisch und lobten den Mut von Seel­sorg­er Andreas Zim­mer­mann. «Es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Solche Men­schen braucht es», schrieb eine Leserin auf What­sApp.Ein Seel­sorg­er gab demge­genüber in ein­er län­geren Stel­lung­nahme allerd­ings zu bedenken, dass der erfol­gte Suizid nir­gends als solch­er benan­nt werde. «Ein­mal mehr hat sich die Sprachregelung Ster­be­hil­fe durchge­set­zt, weil sie gedanken­los über­nom­men wird. Und damit ver­bun­den die fast roman­tisierende Schilderung ihres Vol­lzugs. Wer darauf hin­weist, dass dies keine Hil­fe im Ster­ben ist, son­dern Suizid­bei­hil­fe, riskiert böse Reak­tio­nen, wenn nicht Beschimp­fung». In jedem Fall sollte «der Seel­sor­gende vor der Türe dieses „Exits“ ste­hen bleiben.»

«Der Seelsorger soll zum Leben ermutigen»

Ein Kirchenpfleger kri­tisierte, dass im Rah­men des Artikels nicht erk­lärt wurde, «weshalb eine solche Form der Ster­be­hil­fe nach katholis­chem Ver­ständ­nis nicht erlaubt ist». Es hätte nachge­fragt wer­den müssen, «inwiefern Seel­sorg­er nicht die Pflicht haben, Entschei­de zu beurteilen — vor allem, wenn es um exis­ten­tielle Fra­gen geht.» Und in Anbe­tra­cht der Gefahr des Nachah­mungsef­fek­ts müsse man sich fra­gen, ob es denn nicht bess­er sei, «dass man darüber schweigt, beziehungsweise ihm (Anmerkung der Redak­tion: Andreas Zim­mer­mann) keine Plat­tform gibt.»Ähn­lich äusserte sich auch ein Leserin: Solche Artikel wie das Inter­view mit Andreas Zim­mer­mann hät­ten eine fatale Sig­nal­wirkung. Organ­i­sa­tio­nen wie «Exit» macht­en aktiv Pro­pa­gan­da und ältere Men­schen melde­ten sich dann an, weil sie Angst um ihre Leben­squal­ität hät­ten. Sie habe erlebt, wie sich eine ältere Frau trotz schw­er­er gesund­heitlich­er Ein­schränkun­gen dank ihrem Glauben ihren Lebenswillen bewahrt habe. «Würde man so eine Geschichte in Hor­i­zonte lesen, kön­nten sich Kranke daran ori­en­tieren und der eine oder andere würde erneut Mut schöpfen.» Auch ein Seel­sorg­er habe die Auf­gabe, «den Patien­ten zu ermuti­gen und alles daran zu set­zen, dass dieser sein Leben lebt.»

«Das ist mein Auftrag: Bleiben und mitaushalten»

An der Ver­anstal­tung in Muri war das Hor­i­zonte-Inter­view für die Gäste aufgelegt wor­den. Gle­ich­wohl schilderten in der Fallbe­sprechung auf dem Podi­um die Schwest­er und die Schwiegertochter der Ver­stor­be­nen noch ein­mal, wie diese zu ihrem Entschluss gelangte. Ihr Lei­densweg habe schon bei ihrer Geburt begonnen: Eine ange­borene Gehbe­hin­derung, mit zwei Jahren eine Hirn­hau­t­entzün­dung, später dann Tuberku­lose, Alko­holis­mus, der Tod ihres Sohnes und COPD.Lobende Worte fan­den die Ange­höri­gen der Ver­stor­be­nen für die Arbeit von Seel­sorg­er Andreas Zim­mer­mann: «Ganz toll, wie er sich um sie geküm­mert hat.» Ein Vertreter der Bio-Ethik-Kom­mis­sion der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz SBK kri­tisierte hinge­gen den Heim­seel­sorg­er für sein Vorge­hen (siehe Kurz­in­ter­view anbei). Dieser jedoch ent­geg­nete: «So ver­ste­he ich meinem Auf­trag als Seel­sorg­er — dass ich dabei bleibe und mitaushalte». Dafür ern­tete Andreas Zim­mer­mann lan­gan­hal­tenden und war­men Applaus.

Diskussion über Rolle der Seelsorge dominierte

Von Seit­en der zuständi­gen Fach­stelle für Spi­tal- und Heim­seel­sorge der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau war in Muri nie­mand anwe­send. Jedoch war im Vor­feld an die Angestell­ten der Fach­stelle die Order ergan­gen, «auf Anfra­gen seit­ens der Presse auf Inter­views zu verzicht­en» und alle öffentlichen Aus­sagen von Fach­stel­len­leit­er Hans Niggeli autorisieren zu lassen. Gegenüber Hor­i­zonte wollte sich Hans Niggeli dazu nicht öffentlich äussern, son­dern liess via Esther Kuster, Kom­mu­nika­tionsver­ant­wortliche der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche aus­richt­en: «Am Dien­stag, 4. Dezem­ber 2018 find­et das Fach­stel­len­lei­t­en­den-Tre­f­fen statt. Wir wer­den dort den Umgang mit den Medi­en auf Fach­stel­lenebene disku­tieren.»Die Mei­n­un­gen der Anwe­senden in Muri sym­pa­thisierten gross­mehrheitlich mit Andreas Zim­mer­mann: «Ich bin zwar katholisch, aber auch ich würde diesen Weg wählen, wenn ich unheil­bar an Krebs erkranken würde», out­ete sich ein älter­er Mann. Und Hans Wey, ehe­ma­liger Direk­tor des Spi­tals Muri, meinte gegenüber Hor­i­zonte:«Was ist das für eine Seel­sorge, die den Men­schen allein lässt, wenn die Not am Grössten ist?» Hans Wey bedauerte allerd­ings, dass im Rah­men der Ver­anstal­tung die Rolle der pal­lia­tiv­en Pflege zu wenig Raum hielt.

«Die Leute sollen wissen, was unsere Haltung ist»

Auch Thomas Wern­li, Direk­tor der «pflegimuri», hat­te sich bei der Begrüs­sung für die Selb­st­bes­tim­mung stark gemacht: «Diese soll auch am Lebensende nicht aufhören», erk­lärte er. Aus diesem Grunde dürften Men­schen inner­halb der «pflegimuri» die Dien­ste der Ster­be­hil­fe-Organ­i­sa­tion «Exit» in Anspruch nehmen. «Ich finde es wichtig, dass die Leute wis­sen, was unsere Hal­tung ist – und dass wir diese The­matik nicht ver­steck­en. Das halte ich für falsch», so Thomas Wern­li.  
Andreas C. Müller
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