Reden über Glaube und Gott in der Schule : ein Hürdenlauf

Reden über Glaube und Gott in der Schule : ein Hürdenlauf

  • In den Schulen hat der kon­fes­sionelle Reli­gion­sun­ter­richt an Stel­len­wert ver­loren.
  • Das hat ein­er­seits mit dem Lehrplan zu tun, aber ander­er­seits auch mit man­gel­nden Schul­räu­men.
  • Der Unter­richt selb­st hat sich eben­falls stark verän­dert.

In der Kirche St. Paul in Rothrist an einem schul­freien Mittwochnach­mit­tag Mitte Novem­ber. Vorn, gle­ich neben dem Altar, sitzt Kat­e­chetin Karin Binggeli im Kreis zusam­men mit zehn aufmerk­samen Buben und Mäd­chen. Im Pfar­reizen­trum nebe­nan betreut Chris­tiana Quaino eine zweite Gruppe. Es ist «Reli-Tre­ff» für die Kinder der drit­ten Klasse. Im näch­sten Früh­jahr wer­den sie Erstkom­mu­nion feiern. Karin Binggeli erzählt, wie der Erzen­gel Gabriel Maria die Geburt Jesu ankündigte und welch weit­en Weg Maria und Josef nach Beth­le­hem hat­ten. Als die Rede auf die drei Weisen aus dem Mor­gen­land und ihre Gaben von Gold, Weihrauch und Myrrhe kommt, stellt sie die Frage, ob an Wei­h­nacht­en nicht auch wir Chris­tus Geschenke machen müssten. Manuel antwortet keck überzeugt: «Das machen wir ja schon, wenn wir Wei­h­nacht­en feiern!»

Auswendiglernen Adieu

Reli­gion­sun­ter­richt, nicht als Erzählen bi​blischer Geschicht­en im Frontalun­ter­richt, son­dern als Dia­log mit den Kindern. Wie religiös­es Wis­sen und Glaubensin­halte ver­mit­telt wer­den, hat sich im Ver­lauf der let­zten Jahrzehnte völ­lig verän­dert. «Mit dem Zweit­en Vatikanis­chen Konzil neigte sich die herkömm­liche Paukschule mit dem unseli­gen Mem­o­ri­eren ihrem Ende zu», stellt der in Windisch aufgewach­sene Reli­gion­späd­a­goge Stephan Leim­gru­ber fest. «Meine Mut­ter», bestätigt Sil­via Balmer von der Fach­stelle Kat­e­ch­ese-Medi­en in Aarau, «musste zu Beginn der Fün­fziger­jahre noch den Kat­e­chis­mus auswendig ler­nen.»

Heute geht es längst nicht mehr darum, auswendig gel­ernte Glaubensin­halte herun­terzu­rat­tern, son­dern den Kindern zu helfen, eine eigene Iden­tität zu entwick­eln, religiöse Aus­drucks­for­men zu erwer­ben, christliche Werte zu vertreten und in der Liturgie den Glauben zu feiern. Der aktuelle Lehrplan spricht von Kom­pe­ten­zen, die ver­mit­telt wer­den sollen, einem «Ineinan­der von Wis­sen (Ver­ständ­nis), Wollen (Hal­tung) und Anwen­den (Fer­tigkeit)». Susanne Ester­mann, die neben ihrer Arbeit auf der Fach­stelle in Wet­tin­gen als Kat­e­chetin arbeit­et, sagt: «Das Ziel ist es, die Kinder zu einem kri­tis­chen, hin­ter­fra­gen­den Glauben zu erziehen.»

Schöpfung und Urknall

Kon­fes­sioneller Reli­gion­sun­ter­richt find­et heute in einem völ­lig anderen gesellschaftlichen Umfeld statt als noch vor dreis­sig oder vierzig Jahren. Die Kinder brin­gen auch ein ganz anderes Vor­wis­sen in den Unter­richt mit. «Wenn wir die Schöp­fungs­geschichte behan­deln, kom­men schon Erstk­lässler mit dem Urk­nall», sagt Susanne Ester­mann. Da muss dann die Kat­e­chetin – Reli­gion­sun­ter­richt erteilen zu über 90 Prozent Frauen – den Kindern ver­ständlich machen, dass eben bei­des stimmt: die Schöp­fungs­geschichte als the­ol­o­gis­che Aus­sage und der Urk­nall als natur­wis­senschaftliche These.

Kommt hinzu, dass die Glauben­sprax­is abn­immt. Wohl schick­en viele Fam­i­lien ihre Kinder in den kon­fes­sionellen Reli­gion­sun­ter­richt, aber prak­tizieren den Glauben selb­st nicht mehr aktiv und kön­nen damit die Kinder in ihrem religiösen Aufwach­sen und Behei­mat­en kaum unter­stützen.

Konkurrenz der Angebote

Der von den Kirchen organ­isierte Reli­gion­sun­ter­richt ste­ht, so wird im Gespräch auf der Fach­stelle Kat­e­ch­ese-Medi­en mit Stel­len­leit­er Joachim Koehn, Sil­via Balmer und Susanne Ester­mann deut­lich, unter Druck. Mit dem Lehrplan 21 für die Volkss­chule wurde das kon­fes­sion­sneu­trale Fach «Ethik, Reli­gio­nen, Gemein­schaft» einge­führt, das nach Beobach­tung der Fach­leute zeitlich und qual­i­ta­tiv äusserst unter­schiedlich unter­richtet wird.

Mit dem Lehrplan 21 wur­den auch flächen­deck­end Blockzeit­en einge­führt. Dies hat zur Folge, dass der kon­fes­sionelle Reli­gion­sun­ter­richt an den Schulen in den Rand­stun­den oder ausser­halb der Schul­räume stat­tfind­en muss, am freien Mittwochnach­mit­tag oder sog­ar am Sam­stag­mor­gen. Zudem ste­ht er in Konkur­renz zu anderen frei­willi­gen Ange­boten wie Sport oder Musikun­ter­richt.

Abhängig von Schulleitungen

Artikel 17a des aar­gauis­chen Schulge­set­zes schreibt klar vor: «Zur Erteilung des kirch­lichen Reli­gion­sun­ter­richts sind den öffentlich-rechtlich anerkan­nten Reli­gion­s­ge­mein­schaften für zwei Wochen­stun­den pro Abteilung inner­halb der Unter­richt­szeit unent­geltlich geeignete Schul­räume zur Ver­fü­gung zu stellen.» Doch die geset­zliche Vor­gabe bleibt vielerorts tot­er Buch­stabe, vor allem, weil in vie­len Gemein­den der Schul­raum knapp gewor­den ist, auch wegen neuer Unter­richts­for­men. Sil­via Balmer sagt: «Wir erwarten eigentlich nur Räume für eine Stunde, aber an manchen Orten bekom­men wir nicht mal das.» Oder den Kat­e­chetinnen wer­den für den Reli­gion­sun­ter­richt ungeeignete Räume zugewiesen; für eine Klasse von 15 Kindern zum Beispiel ein Raum, in welchem ger­ade mal knapp acht Kinder Platz find­en. Auch sind Lehrper­so­n­en oft nicht bere­it, ihre Klassen­z­im­mer ausser­halb der Blockzeit­en Kat­e­chetinnen zur Ver­fü­gung zu stellen.

Es gibt Empfehlun­gen («Han­dre­ichung» genan­nt) zum Sta­tus und zur Organ­i­sa­tion des kirch­lichen Reli­gion­sun­ter­richts an der Volkss­chule, gemein­sam erar­beit­et von den drei Lan­deskirchen im Aar­gau und dem Departe­ment Bil­dung, Kul­tur und Sport (BKS). Fach­stel­len­leit­er Joachim Koehn sagt dazu: «Damit haben wir eine Hand­habe, wenn wir unsere Bedürfnisse anmelden». Aber es sind eben nur Empfehlun­gen. Die Gemein­den, genauer die Schulleitun­gen, sind autonom in ihren Entschei­den, welche Räume sie für den Reli­gion­sun­ter­richt zur Ver­fü­gung stellen. Dies ist stark abhängig vom Schul­haus. «Wir sind auf den Good­will der Schulleitun­gen angewiesen. Wo die Schulleitung offen ist gegenüber den Bedürfnis­sen des Reli­gion­sun­ter­richts, find­et man eher Lösun­gen, mit denen bei­de Seit­en leben kön­nen», sagt Sil­via Balmer.

Ausserhalb der Schule

Ver­schiedene Pfar­reien organ­isieren deshalb den kon­fes­sionellen Reli­gion­sun­ter­richt zunehmend bewusst ausser­halb der Schulzeit­en und in den Räu­men der Kirchge­meinde. In Aarau zum Beispiel ist dies seit Jahrzehn­ten der Fall, in Aar­burg und Rothrist seit min­destens zwanzig Jahren, und dies mit grossem Erfolg. Trotz Konkur­renz durch andere Freizeitak­tiv­itäten kom­men an diesem grauen Novem­ber­mittwoch in Rothrist über zwanzig Buben und Mäd­chen der 3. Klasse für zweiein­halb Stun­den zum «Reli-Tre­ff» im Pfar­reizen­trum.

Kat­e­chetin Sil­ja Egger Mar­ti sagt, ein wichtiges Anliegen sei es den Reli­gion­slehrerin­nen, dass sich die Kinder wohl fühlen: «Sie sollen den Ort Kirche mit pos­i­tiv­en Gefühlen und Erin­nerun­gen verbinden.» Und sie sieht zahlre­iche Vorteile des Unter­richts ausser­halb der Schule: «Wir sind nicht so unter Zeit­druck und natür­lich kom­men die Kinder frei­willig, was vor allem bei den älteren Schü­lerin­nen und Schülern ein wichtiger Punkt ist.» Das andere Set­ting trage sich­er auch dazu bei, dass man keine dis­z­pli­nar­ischen Prob­leme kenne.

Christian Breitschmid
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