Profan, aber würdig

Profan, aber würdig

  • Wenn immer weniger Men­schen in die Kirche gehen, wer­den Kirchenge­bäude mancherorts kaum mehr genutzt.
  • Es drängt sich die Frage auf, wie kirch­liche Gebäude sin­nvoll (um)genutzt wer­den kön­nen.
  • Die bish­eri­gen Erfahrun­gen zeigen, dass die Umnutzung von Kirchen kom­plex ist und die Zusam­me­nar­beit ver­schieden­ster Part­ner erfordert.

Im let­zten Som­mer nah­men gegen 700 Per­so­n­en an ein­er Online­ta­gung teil, die neue Per­spek­tiv­en der Kirchen­nutzung the­ma­tisierte. Der Organ­isator der Tagung, Johannes Stück­el­berg­er, weiss, dass Kirchenum­nutzun­gen in den ver­gan­genen Jahren zugenom­men haben und das The­ma an Aktu­al­ität gewin­nt.

Stück­el­berg­er ist Kun­sthis­torik­er und Dozent für Reli­gions- und Kirchenäs­thetik an der Uni Bern sowie Pro­fes­sor für Neuere Kun­st­geschichte an der Uni Basel. Zudem ist er wis­senschaftlich­er Leit­er des Schweiz­er Kirchen­bau­tags, einem Pro­jekt des Kom­pe­tenzzen­trums Liturgik an der Uni­ver­sität Bern. Der Schweiz­er Kirchen­bau­tag führt eine Daten­bank über Umnutzung­spro­jek­te von Kirchen in der Schweiz, die so nach Nutzungsart, Kon­fes­sion, Ort und Kan­ton überblickt wer­den kön­nen.

18 Objekte im Aargau

Die Daten­bank verze­ich­net für die let­zten 25 Jahre über 200 Schweiz­er Kirchen, die umgenutzt oder abgeris­sen wur­den. Für den Aar­gau sind aktuell 18 Objek­te erfasst. Bei den meis­ten han­delt es sich um kleinere Kapellen und Gebäude von Gemein­schaften wie den Methodis­ten, den Neua­pos­tolen und der Chrischonage­meinde. Darin sind heute Ate­liers oder Woh­nun­gen und sog­ar eine Zah­narzt­prax­is unterge­bracht.

«Thema nicht virulent»

Die Aar­gauer Lan­deskirchen sind mit je zwei Kirchen vertreten, die neu genutzt wer­den oder deren kün­ftiger Zweck noch disku­tiert wird: die reformierten Kirchen Villmer­gen und Tur­gi sowie die katholis­chen Kirchen Wohlen­schwil und Boswil. Luc Hum­bel, der Kirchen­rat­spräsi­dent der römisch-katholis­chen Kirche im Aar­gau, sagte vor vier Jahren gegenüber der Aar­gauer Zeitung: «Das The­ma ist für uns nicht so vir­u­lent. Wir haben stag­nierende Mit­gliederzahlen und nicht zu viele Gebäude.» An dieser Ein­schätzung habe sich nichts geän­dert, erk­lärt er gegenüber Hor­i­zonte. Man beobachte das The­ma, um dere­inst nicht über­rascht zu wer­den.

Es sei anspruchsvoll, sin­nvolle Ver­wen­dun­gen für Kirchen zu find­en, sagt Experte Johannes Stück­el­berg­er. Für Katho­liken ist die Kirche zudem ein gewei­hter Ort, der bei der Auf­gabe ein­er Kirche «entwei­ht» oder «pro­faniert» wer­den müsse. Der Begriff pro­fan kommt aus dem Lateinis­chen und beze­ich­nete in der Antike den Raum vor dem Tem­pel (pro-fanum), der im Gegen­satz zum Inneren nicht heilig war.

Entwidmung obliegt dem Bischof

Das Kirchen­recht gibt einige wenige Richtlin­ien für die Umnutzung und Pro­fanierung von «Heili­gen Orten». Es schreibt vor, dass Die for­male «Entwid­mung» oder Pro­fanierung ein­er Kirche dem zuständi­gen Diöze­san­bischof obliege, der allein für die Seg­nung oder Wei­he der Kirchenge­bäude zuständig sei. Eben­so hält das Kirchen­recht fest, dass eine Kirche, wenn sie in kein­er Weise mehr zum Gottes­di­enst ver­wen­det wer­den kann, vom Diöze­san­bischof «pro­fanem, aber nicht unwürdi­gem» Gebrauch zurück­gegeben wer­den kann (Can. 1210 und 1212 sowie Can. 1222 CIC).[esf_wordpressimage id=37148][/esf_wordpressimage]

Liturgischer Abschied

Weil ein eigen­er Rit­us zur Pro­fanierung von Heili­gen Orten in der römisch-katholis­chen Kirche nicht existiert, macht die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz in ihren «Empfehlun­gen für die Umnutzung von Kirchen und kirch­lichen Zen­tren» aus dem Jahr 2006 einen Vorschlag für den «Litur­gis­chen Abschied»: «Ins­beson­dere bei der Umnutzung von Kirchen und Kapellen soll vor der Über­gabe zu einem neuen, nicht kul­tischen Ver­wen­dungszweck in ein­er litur­gis­chen Feier Abschied genom­men wer­den.» Nach einem Gebet wer­den die Hostien aus dem Taber­nakel genom­men und mit dem Kreuz und Heili­gen­fig­uren in ein­er Prozes­sion aus der Kirche getra­gen. So wird sym­bol­isch klar: Die Kirche ist nun keine Kirche mehr.

Lieber vermieten als verkaufen

Die Richtlin­ien der SBK besagen auch, man solle Kirchen grund­sät­zlich lieber ver­mi­eten als verkaufen und primär ver­suchen, sie anderen religiösen Gemein­schaften der römisch-katholis­chen Kirche oder der katholis­chen Ander­ssprachi­genseel­sorge zur Ver­fü­gung zu stellen. In Betra­cht kämen auch  andere christliche Gemein­schaften wie ortho­doxe Gemein­den, die meist über keine eige­nen Kirchen oder kirch­liche Zen­tren ver­fü­gen und auf die Hil­fe der in der Schweiz öffentlich-rechtlich anerkan­nten Kirchen angewiesen seien. Wichtig sei immer, den kün­fti­gen Nutzungszweck in Verträ­gen schriftlich festzuhal­ten. 

Zwei gelungene Beispiele im Aargau

Im Aar­gau ste­hen gle­ich zwei Beispiele für eine gelun­gene Umnutzung, wie Heiko Dobler, Bauber­ater bei der Kan­tonalen Denkmalpflege erk­lärt. Die bei­den pro­fanierten, kan­ton­al geschützten alten Kirchen in Boswil – seit 1991 das bekan­nte Kün­stler­haus Boswil – und die Kirche Wohlen­schwil, heute Stiftung Alte Kirche-Wohlen­schwil. In bei­den Fällen sei die Neunutzung des Sakral­raums, dessen Unter­halt, sowie ein Geschichts­be­wusst­sein im Umgang mit unserem Kul­turgut unter einen Hut gebracht wor­den.

«Die guten Beispiele werden überzeugen»

Die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz hält aber auch fest, dass kirch­liche Gebäude als Orte der Begeg­nung das Leben prä­gen und oft kul­turelle Bedeu­tung haben, die über den rein kirch­lichen Bere­ich hin­aus­ge­ht. Johannes Stück­el­berg­er erk­lärte gegenüber kath.ch, dass in den Gemein­den Tur­gi und Villmer­gen der Wider­stand gegen den Abriss der jew­eili­gen reformierten Kirchen rel­a­tiv bre­it abgestützt sei, deute darauf hin, dass es auch Kirchen­fer­nen oft wichtig sei, dass die Kirche im Dorf bleibe. Er blickt zuver­sichtlich in die Zukun­ft. «Die guten Beispiele wer­den überzeu­gen.» Ausser­dem seien Kirchenum­nutzun­gen nichts Neues. Schon zur Zeit der Ref­or­ma­tion seien Klöster nicht abgeris­sen, son­dern anders genutzt wor­den und so erhal­ten geblieben.

Marie-Christine Andres Schürch
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