«Niemand ist gegen Obdachlosigkeit gefeit»

«Niemand ist gegen Obdachlosigkeit gefeit»

  • Seit vier Jahren empfängt Susi Hor­vath ihre Gäste an der Oberen Halde 23 als Betrieb­slei­t­erin der Notschlaf­stelle Aar­gau.
  • Hier find­en Men­schen ohne Obdach ein offenes Ohr, eine warme Mahlzeit und ein Bett für die Nacht.
  • Ohne den Ein­satz von frei­willi­gen Helfend­en wäre der Betrieb nicht möglich.

Susi Hor­vath leit­et die Notschlaf­stelle in Baden, wo sie mich am Nach­mit­tag vor der Betrieb­szeit empfängt. «Ich bin für diese Arbeit geboren», sagt die Betrieb­slei­t­erin. Sie brauche nur wenig Schlaf. Ide­al für die Arbeit in der Nacht. Drei bis vier Mal pro Woche empfängt Susi Hor­vath ihre Gäste an der Oberen Halde 23. Geöffnet ist die Notschlaf­stelle von 20 Uhr bis am näch­sten Mor­gen um 9 Uhr. Wer einen Schlaf­platz braucht muss bis 23 Uhr eingecheckt haben. 15 Bet­ten ste­hen in kleinen Zim­mern auf vier Eta­gen zur Ver­fü­gung. Seit der Eröff­nung vor vier Jahren hat die Notschlaf­stelle rund 600 Men­schen Unter­schlupf geboten.

Armut, Krankheit und Sucht

Knapp die Hälfte der Gäste sind von Armut betrof­fen. Sechs Prozent lei­den an ein­er psy­chis­chen Krankheit, vierzehn Prozent haben ein Sucht­prob­lem und ger­ade so viele lei­den an bei­dem. Und allen gemein­sam ist, dass sie kein Dach über dem Kopf haben. Während Coro­na etwa waren häu­fig Män­ner zu Gast, die von zu Hause weggewiesen wur­den, weil die Span­nun­gen in der Fam­i­lie nicht mehr aushalt­bar waren. Susi Hor­vath ken­nt die Men­schen hin­ter den Zahlen und weiss: «Nie­mand ist vor Obdachlosigkeit gefeit.»

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Wenn sie die Türe der Notschlaf­stelle öffnet, lässt sie die Gäste einzeln ein. Das sei ein wichtiger Moment. Susi Hor­vath ver­sucht dann zu spüren, wie es den Gästen geht und was sie brauchen. Manch­mal fragt sie: «Hast du Hunger?» oder: «Nimm doch eine Dusche, wenn du möcht­est, bringe ich dir frische Klei­der, das wird dir gut­tun.» Alle Gäste fragt sie nach Alko­hol und Dro­gen. Diese Sub­stanzen müssen sie abgeben. Wenn die Gäste wieder auscheck­en, erhal­ten sie alles wieder zurück. In der Zwis­chen­zeit bekom­men sie eine warme Mahlzeit, eine Dusche, frische Wäsche, ein offenes Ohr, wenn sie dies Wün­schen und vor allem – ein Bett für die Nacht. Das alles für fünf Franken.

Serie Diakonie, Teil 5: Notschlafstelle Aargau

Die Fach­stelle Diakonie der Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau set­zt sich dafür ein, dass Sol­i­dar­ität in der Kirche gelebt und prak­tiziert wird. Mit ein­er Artikelserie zur Diakonie macht sie das diakonis­che Schaf­fen in der Kirche, in Vere­inen und sozialen Insti­tu­tio­nen sicht­bar. | www.kathaargau.ch/diakonie

Engagement der Kirchen

Der Betrieb der Notschlaf­stelle kostet jährlich 210‘000 Franken. Seit ver­gan­genem Jahr unter­stützt der Kan­ton die Notschlaf­stelle mit 150‘000 Franken jährlich. Der Rest stammt von Spenden und Legat­en. Bevor sich der Kan­ton an der Finanzierung beteiligt hat, haben die Lan­deskirchen und der Lot­terie­fonds neben den Spenden die Insti­tu­tion haupt­säch­lich finanziert. Die Kirchen engagieren sich weit­er für die Notschlaf­stelle etwa mit dem Prä­sid­i­um des Vor­standes. Susanne Muth, Lei­t­erin der Fach­stelle Diakonie der römisch-katholis­chen Kirche im Kan­ton Aar­gau, ist Präsi­dentin des Vere­ins Notschlaf­stelle.

Neben Susi Hor­vath arbeit­en drei Betreuende in der Notschlaf­stelle. Jede Nacht ist eine fes­tangestellte und eine frei­willige Betreu­ungsper­son vor Ort. Ohne den Ein­satz der frei­willi­gen Helfend­en kön­nte der Betrieb nicht geführt wer­den. Seit Coro­na sei es jedoch schwierig mit den Frei­willi­gen, sagt Susi Hor­vath. Unter ihnen hat­te es viele ältere Men­schen, die während der Pan­demie zu den beson­ders gefährde­ten Per­so­n­en gehörten und ihren Dienst nicht mehr leis­ten kon­nten. Nach Coro­na haben einige von ihnen den Frei­willi­gen­di­enst quit­tiert.

Freiwillig und professionell ausgebildet

«Wer frei­willig in der Notschlaf­stelle arbeit­en möchte, muss mit bei­den Füssen auf dem Boden ste­hen, sich durch­set­zen kön­nen, ein offenes Ohr und ein gross­es Herz haben», sagt die Betrieb­slei­t­erin. Manch­mal müsse man ein­steck­en kön­nen. Aber Selb­stschutz gehe vor Fremd­schutz. In diesem Sinne wer­den die Mitar­bei­t­en­den jährlich pro­fes­sionell aus­ge­bildet. Sie wis­sen, wie sie deeskalieren kön­nen, wenn die Wut auf­steigt. Wenn ein Gast aggres­siv wird, rufen die Betreuen­den sofort die Polizei. Das sei aber in vier Jahren nur wenige Male vorgekom­men. Denn die meis­ten Gäste seien extrem dankbar, dass sie in der Notschlaf­stelle Unter­schlupf fän­den.

»Ich wün­sche mir, dass unsere Gäste noch mehr die Ange­bote nützen, die wir ihnen bieten», sagt Susi Hor­vath. Denn wer länger als sieben Tage in der Notschlaf­stelle bleiben will, muss eine Sozial­ber­atung beim Vere­in HOPE in Anspruch nehmen. Das christliche Sozial­w­erk bietet acht Plätze in der Not­pen­sion an, die durch Sozialleis­tun­gen finanziert wer­den. Die Plätze befind­en sich eben­falls an der Oberen Halde 23. Für die Gäste, denen es gelingt, sich in die Struk­turen einzufü­gen, ste­hen Plätze im Wohnzen­trum des Vere­ins HOPE zur Ver­fü­gung. Von da geht es für sie vielle­icht weit­er ins Wohnex­ter­nat. Wer das geschafft hat, ist wieder bere­it für eine eigene Woh­nung.


https://www.horizonte-aargau.ch/eine-nacht-in-der-notschlafstelle/
Eva Meienberg
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