«Manchmal muss man den Menschen etwas zutrauen»
«Ob von mir Liebe und Hoffnung ausgegangen sind», das zählt im Leben letztlich, sagt Anselm Grün.
Bild: © Abtei Münsterschwarzach

«Manchmal muss man den Menschen etwas zutrauen»

Anselm Grün feiert heute Dienstag, 14. Januar, seinen 80. Geburtstag

Er ist der bekannteste Mönch im deutschsprachigen Raum: Der Benediktiner und Autor Anselm Grün wird am 14. Januar 80 Jahre alt. Zu diesem Anlass ist ein Buch über ihn erschienen. 

«Was let­ztlich zählt im Leben», heisst das Buch zu Ihrem 80. Geburt­stag. Ihre Antwort? 
Anselm Grün: Let­ztlich zählt, dass ich dieser ein­ma­lige Men­sch werde, der ich von Gott her gewollt bin. Weit­er zählt, ob von mir Liebe und Hoff­nung aus­ge­gan­gen sind, oder ob ich nur um mich selb­st gekreist bin. 

Was ist für Sie im Ver­lauf Ihres Lebens wichtig gewor­den?
Im Umgang mit anderen und mit mir selb­st wurde mir in den let­zten Jahren wichtiger, zu ver­ste­hen statt zu bew­erten. Das gilt auch für die eige­nen Emo­tio­nen. Sie sind ein­fach da und die Frage ist: Wie gehe ich damit um?  

Welche Sehn­sucht erfahren Sie im Alter beson­ders stark?
Die Sehn­sucht, Gott zu spüren, von dem ich so viel gesprochen habe. Dass ich seine Nähe auch wahrnehmen kann und seine Worte mich im Tief­sten berühren. 

Ist diese Sehn­sucht im Alter stärk­er als in jün­geren Jahren?
Ja, früher stand die Leis­tung mehr im Vorder­grund, etwas für andere Men­schen zu tun. Das tue ich immer noch, aber das ist nicht meine tief­ste Sehn­sucht. Jet­zt wün­sche ich vielmehr, dass ich nicht nur über Gott spreche, son­dern ihn auch erfahre. 

Wie gelingt es, gelassen alt zu wer­den?
Indem ich bere­it bin, das Gebraucht-Wer­den loszu­lassen. Im Moment suchen Men­schen immer noch das Gespräch mit mir, aber irgend­wann muss ich auch das loslassen und sagen: Wenn ich nicht mehr kann, ist das auch gut. Ich über­lasse es Gott. Das gibt eine innere Frei­heit. 

Was let­ztlich zählt im Leben

Das neue Buch von Anselm Grün

Anselm Grün: Alles in allem. Was let­ztlich zählt im Leben. Anselm Grün im Gespräch mit Rudolf Wal­ter. Herder 2024

«Manchmal muss man den Menschen etwas zutrauen» - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz
Cov­er des aktuell­sten Buchs von Anselm Grün. © Abtei Mün­ster­schwarzach

Vie­len Men­schen gelingt das jedoch nicht.
(lacht) Wie es dann wirk­lich gelingt, weiss ich noch nicht. Ich bere­ite mich auf jeden Fall darauf vor, loszu­lassen. Im Kloster kon­nte ich früher als Celler­ar (Wirtschaftsver­wal­ter, d. Red) sehr vieles gestal­ten. Heute muss ich nicht mehr bei allem mit­mis­chen.

Fiel es Ihnen leicht, dieses langjährige Amt loszu­lassen?
Ja, denn ich wollte nie Celler­ar wer­den. Als ich es abgeben kon­nte, habe ich mich gefreut, mehr Zeit zum Schreiben und für Vorträge zu haben. 

Wie gehen Sie mit Mis­ser­fol­gen um?
Als Celler­ar hat­te ich auch Mis­ser­folge bei Gel­dan­la­gen. Ich ver­suche, gelassen damit umzuge­hen. Es hat auch etwas Gutes, dass ich nicht nur der erfol­gre­iche Men­sch bin, dass ich mich nicht darüber definiere. Es kommt auch vor, dass ich nach einem Vor­trag das Gefühl habe: «Das war jet­zt nicht opti­mal». Doch auch das gehört zu mir.  

Wie möcht­en Sie ster­ben?
Ich möchte friedlich und bewusst ster­ben, mit wachem Geist, ohne Demenz. Natür­lich ist das mein Wun­sch. Aber Gott entschei­det, wie ich ster­ben werde, ob plöt­zlich oder durch eine Krankheit. 

Wer viel schreibt, läuft Gefahr, sich zu wieder­holen oder an Tiefe zu ver­lieren. Wie wirken Sie dem ent­ge­gen?
Ich ver­suche, mich mit den The­men wirk­lich auseinan­derzuset­zen. Ich habe immer Men­schen im Blick und möchte Antworten geben auf ihre Fra­gen. Men­schen wan­deln sich, eben­so meine Antworten, aber natür­lich bleibt einiges ähn­lich, man hat einen gewis­sen Stil und bes­timmte The­men. 

Ihre Buchti­tel lesen sich wie eine spir­ituelle Hausapotheke. Es geht um Zufrieden­heit, Ver­söh­nung, das rechte Mass, Trost, das Glück des Älter­w­er­dens. Kirchen­poli­tik lese ich weniger. Weshalb?
Anselm Grün: Ich ver­suche, die Men­schen zu begleit­en, sowohl die Kirchen- wie die Welt­poli­tik lasse ich aussen vor. Ich schreibe nicht gern darüber, weil das rasch nach Besser­wis­serei klingt, als ob ich die Lösung hätte, wie die Kirche sein sollte. Es liegt mir auch nicht, andere anzuk­la­gen. Ich ver­suche, eine pos­i­tive Botschaft zu geben und mich nicht über andere aufzure­gen.

Über welch­es The­ma wür­den Sie niemals schreiben?
(über­legt) Wenn der Ver­lag ein bes­timmtes The­ma anfragt, höre ich immer auf mich: Springt da etwas in mir an oder ist da ein Wider­stand? Ich ver­traue diesem Gefühl.

Gab es das schon, dass Sie Wider­stand spürten und Nein gesagt haben?
Ja, das Buch übers Älter-Wer­den hat sich gut verkauft. Als der Ver­lag ein zweites zu diesem The­ma wollte, habe ich abgelehnt. 

Den Kirchen fehlen zunehmend Mit­glieder und Per­son­al. Was kön­nen Kirchen tun angesichts dieser Entwick­lung?
Die Kirche und die Seel­sor­gen­den dür­fen nicht von oben herab moral­isieren, son­dern sie müssen genau hin­hören: Was bewegt die Men­schen? Was sind Ihre Sehn­süchte? Dann braucht es eine Sprache, die auf diese Fra­gen und Sehn­süchte antwortet. Bei Rit­ualen ist es wichtig, dass sie in Beziehung zu den Men­schen geschehen, dass diese ein­be­zo­gen wer­den. 

Und wenn Men­schen keinen Zugang zu diesen Rit­ualen haben?
Manch­es muss man neu deuten. Wir feiern bei uns Eucharistie oder das Chorge­bet, das ist nichts Mod­ernes. Trotz­dem sind die Leute gerne dabei, weil sie dadurch Ruhe find­en und spüren: Da ist etwas lebendig, stim­mig. Auch Kirchen­ferne kön­nen sich darauf ein­lassen, weil sie ein­fach daran teil­nehmen kön­nen, ohne dass sie etwas Bes­timmtes denken oder glauben müssen. 
Manch­mal muss man den Men­schen auch etwas zutrauen. Wenn ich Vorträge halte, mache ich am Schluss immer ein Segen­sritu­al. Das Kreuz ist eine Gebärde der Ein­heit der Gegen­sätze, die ich annehme mit meinen Stärken und Schwächen, mit dem Gesun­den und Kranken, mit der Ruhe und Unruhe. Dann lese ich einen alten kirch­lichen Segen. Ich sage ihnen, dass das ein alter Text ist, angere­ichert durch die Glaubenser­fahrung der Men­schen, die seit 1600 damit ihr Leben bewälti­gen. Sie müssen nicht glauben, aber sind getra­gen vom Glauben ander­er. Ich lade sie ein: «Pro­bieren Sie mal, was das mit Ihnen macht.» Manche Leute fra­gen danach: «Wo find­et man das Gebet?»

Auch Klöster ster­ben aus. Was kön­nte langfristig an ihre Stelle treten?
Klöster braucht es nach wie vor. Es braucht Orte, wo Men­schen den Glauben lebendig leben. Die aktiv­en Orden brauchen eine neue Sen­si­bil­ität für die Nöte der Men­schen heute. Die kon­tem­pla­tiv­en Orden wie die Benedik­tin­er und Benedik­tiner­in­nen wer­den weniger, aber es gibt doch eine Rei­he lebendi­ger Klöster, die auch Nach­wuchs haben. 

Das Inter­view erschien zuerst im «pfar­rblatt» Bern

Sylvia Stam
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