«Kirche ist nicht Partei, aber immer parteiisch»

«Kirche ist nicht Partei, aber immer parteiisch»

  • Ob No Bil­lag-Ini­tia­tive, Asylge­set­zre­form oder Präim­plan­ta­tions­di­ag­nos­tik: Immer wieder äussern sich kirch­liche Vertreter zu poli­tis­chen Fra­gen und Abstim­mungen. Ein Podi­um am Dien­stagabend, 20. März, im Kul­turhaus Odeon, ging der Frage nach, inwieweit sich Kirchen in die Poli­tik ein­mis­chen soll­ten.
  • Über den Auf­trag der Kirche mit Blick auf die Poli­tik disku­tierten die Aar­gauer CVP-Präsi­dentin Mar­i­anne Binder-Keller, der Sozialethik­er Thomas Wal­li­mann-Sasa­ki, die ehe­ma­lige Hor­i­zonte-Redak­tion­slei­t­erin Car­men Frei und die Freiburg­er FDP-Par­la­mentsab­ge­ord­nete Béa­trice Ack­lin-Zim­mer­mann.
  • Einig waren sich alle in einem Punkt: Den moralis­chen Anspruch der Kirchen auf die Poli­tik abzuleit­en, geht gar nicht. Ob und wie Kirchen­vertreter sich poli­tisch äussern soll­ten, darüber gin­gen die Mei­n­un­gen hinge­gen stark auseinan­der.
 Soll sich Kirche in die Poli­tik ein­mis­chen? Über diese Frage disku­tierten am ver­gan­genen Dien­stagabend in Brugg Vertreter aus Poli­tik und Kirche. Die Podi­ums­diskus­sion wurde vom Pas­toral­raum Region Brugg-Windisch organ­isiert. Auf­fal­l­end: Die Vertreterin­nen der Poli­tik sprachen sich klar dafür aus, dass sich die Kirche aus poli­tis­chen Fra­gen her­aushal­ten soll. Namentlich die Aar­gauer CVP-Präsi­dentin Mar­i­anne Binder-Keller schätzte allerd­ings, dass sich Alt-Abt Mar­tin Werlen für die Frauenor­di­na­tion ein­set­zt. «In Kirchen­poli­tik darf sich die Kirche ein­mis­chen, aber nicht in die Tage­spoli­tik?» fragte Mod­er­a­tor Jür­gen Heinze nach. «Die Kirche soll sich zu uni­verselleren Fra­gen äussern, präzisierte sodann die CVP-Poli­tik­erin. «Aus dem Evan­geli­um soll­ten nicht tage­spoli­tis­che Fra­gen abgeleit­et wer­den.» Und Béa­trice Ack­lin-Zim­mer­mann ergänzte: «Zum Ker­nauf­trag der Kirche gehört anderes als Wahl- und Abstim­mungsempfehlun­gen».

«Kirche ist immer politisch»

Anders sah es Thomas Wal­li­mann-Sasa­ki, der die bis­chöfliche Kom­mis­sion «Justi­tia et Pax» prä­si­diert. Diese äussert sich im Namen der Schweiz­er Bis­chöfe in poli­tis­chen Fra­gen. «Mich freut es, dass Kirche Tage­spoli­tik the­ma­tisiert. Zum Beispiel zur Erweiterung der Kriegs­ma­te­ri­alaus­fuhr», erk­lärte der Sozialethik­er. Kirche sei per se immer poli­tisch. «Sie ist nicht Partei, aber immer partei­isch.»Allerd­ings räumte Thomas Wal­li­mann-Sasa­ki ein, dass das Engage­ment der Bis­chöfe bei der No Bil­lag-Ini­tia­tive dur­chaus als frag­würdig betra­chtet wer­den kann: «Dass am Son­ntag kein Gottes­di­enst mehr aus­ges­trahlt wer­den kann, finde ich ein zu schwach­es Argu­ment, um sich gegen die Ini­tia­tive auszus­prechen» Wenn es aber um Frei­heit und Rück­sicht auf Min­der­heit­en gehe, müsse und solle Kirche sich ein­mis­chen.

«Kirche soll Werte konservieren»

Die entschei­dende Frage sei weniger, ob Kirche sich äussern solle, son­dern wie, warf Béa­trice Ack­lin-Zim­mer­mann ein. «Es sind zwei Paar Schuhe, ob die Kirche sich poli­tisch äussert, oder ob sie sich vor den parteipoli­tis­chen Kar­ren span­nen lässt.» Als Beispiele führte die FDP-Vertreterin bioethis­che Vor­la­gen an: «Das Evan­geli­um lässt ja ver­schiedene Lesarten zu.»Mar­i­anne Binder-Keller präzisierte den Ansatz ihrer FDP-Kol­le­gin an der Frage des Umgangs mit Abtrei­bun­gen: «Eine Fre­undin von mir hat zwei schw­er­st­be­hin­derte Kinder geboren und sie wurde oft gefragt, warum man da denn nichts habe machen kön­nen», berichtete die CVP-Gross­rätin. Eigentlich sei das eine unge­heuer­liche Frage, kom­men­tierte sie und meinte dann: «Die Kirche bewahrt den Grundgedanken, dass man nicht leicht­fer­tig mit Leben umge­ht». Das müsse Kirche leis­ten. Da kon­serviere sie wichtige Werte. «Äussert sich die Kirche hinge­gen zur Tage­spoli­tik, ist sie Partei wie jede andere auch.» Car­men Frei, ehe­ma­lige Redak­tion­slei­t­erin von Hor­i­zonte, kri­tisierte, dass Kirche, wenn sie sich nur noch auf die Kon­servierung von Werten beschränke, Gefahr laufe, sich von den Men­schen zu ent­frem­den.

«Politische Stellungnahmen führen zu Kirchenaustritten»

Thomas Wal­li­mann-Sasa­ki erk­lärte, dass poli­tis­che Stel­lung­nah­men eben genau von der Gesellschaft erwartet wür­den. Oft entschei­de die bis­chöfliche Kom­mis­sion «Justi­tia et Pax», keine Empfehlun­gen zu poli­tis­chen Abstim­mungen abzugeben. «Dann aber kom­men die Jour­nal­is­ten und wollen wis­sen, wo wir ste­hen.» Aber genau solche poli­tis­chen Stel­lung­nah­men führten dann zu Kirchenaus­trit­ten, gab Mar­i­anne Keller-Binder zu bedenken. «Weil sich die Leute moralisch verurteilt fühlen, wenn man in Abtrei­bungs­fra­gen und Asyl­fra­gen eine andere Mei­n­ung ver­tritt.»Dann soll­ten sich die Bis­chöfe doch bitte zurück­hal­tender und dif­feren­ziert­er äussern, forderte Béa­trice Ack­lin-Zim­mer­mann. «Der Schweiz­erische Evan­ge­lis­che Kirchen­bund lässt sich weniger vor den parteipoli­tis­chen Kar­ren span­nen.» Dem hielt Thomas Wal­lim­man-Sasa­ki ent­ge­gen, dass die Bis­chöfe weniger abhängig von der Poli­tik seien als reformierte Kirchen­vertreter.

«Kirche soll zur Entpolarisierung der Politik beitragen»

Als möglichen drit­ten Weg skizzierte Béa­trice Ack­lin-Zim­mer­mann fol­gende Option: «Warum set­zt die Kirche nicht eigene The­men und trägt zur Ent­po­lar­isierung bei, anstatt diese noch mitzu­tra­gen?» Die Kirche müsse doch nicht immer nur die «Ver­stärk­er­rolle» ein­nehmen und sich zu The­men äussern, wenn alle anderen schon etwas dazu gesagt haben.Car­men Frei ver­wies in diesem Zusam­men­hang auf eine weit­ere Alter­na­tive: die Möglichkeit der aktiv­en Teil­nahme der Kirchen an poli­tis­chen Entschei­dung­sprozessen. «In Deutsch­land sitzen Kirchen­vertreter in ein­er ethis­chen Kom­mis­sion, welche die Auswirkun­gen des autonomen Fahrens für die Gesellschaft abzuschätzen ver­sucht.

«Schämen sich die Kirchen für verfolgte Christen?»

Auch die Asylpoli­tik gab zur reden: Mar­i­anne Binder-Keller kri­tisierte, dass weltweit Chris­ten ver­fol­gt wür­den, dies aber von den Schweiz­er Kirchen kaum the­ma­tisiert werde. Komme hinzu «Es gibt sieben Mal mehr mus­lim­is­che denn christliche Flüchtlinge in der Schweiz. Das ver­stün­den viele Men­schen nicht. Genau so wenig wie das Schweigen der Kirchen zum The­ma Chris­ten­ver­fol­gung. «Schä­men sich die Kirchen für ver­fol­gte Chris­ten?», fragte die CVP-Poli­tik­erin pro­voka­tiv in die Runde.Einig waren sich alle Podi­um­steil­nehmenden in einem Punkt: Auf keinen Fall dürfe ein moral­isieren­der Anspruch von Seit­en der Kirchen vertreten wer­den. Das gebe es aber ohne­hin nicht mehr, meinte Thomas Wal­li­mann-Sasa­ki. Er wisse von keinem Bischof, der sich mit dem Anspruch geäussert habe, die Wahrheit zu vertreten. «Das ist oft nur noch das Bild der Leute.» 
Andreas C. Müller
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