Kein «normaler» Beruf
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Kein «normaler» Beruf

Kein «normaler» Beruf

Franz Kuhn – Ein 92-jähriger Priester blickt zurück

 92 Jahre ist Franz Kuhn alt. 1958 wird er in Solothurn zum Priester gewei­ht und kann auf viele Jahre und ver­schieden­ste Sta­tio­nen des geistlichen und diakonis­chen Wirkens zurück­blick­en. Wo begin­nt sein Weg mit Gott? Hat sich sein Glaube über die Jahre verän­dert? Was beschäftigt einen Men­schen mit 92 Jahren? Und was bedeutet «Priester-Sein» eigentlich? Diese und weit­ere Fra­gen hat er «Kirche heute» beant­wortet. Ihr Glaubensweg, wo fängt der in Ihrem Leben an? Und was hat Sie dazu bewegt, Priester zu wer­den? Unsere Fam­i­lie war schon immer in engem Kon­takt mit den Mönchen des Kapuzin­erk­losters hier in Dor­nach. Sie gin­gen bei uns ein und aus. Als es um die Frage ging, welch­es Gym­na­si­um ich besuchen sollte, entsch­ieden wird zunächst, dass ich nach Engel­berg gehen sollte. Doch dort gefiel es mir ziem­lich bald nicht so gut. Mein Vater besprach dieses Prob­lem mit den Kapuzin­er­mönchen und die schlu­gen vor, dass ich nach Appen­zell gehen kön­nte, wo sie eine höhere Bil­dungsanstalt führten. Und so ging ich in Appen­zell aufs Gym­na­si­um bis zur Matu­ra. Die Zeit dort hat mich geprägt. Den Wun­sch, Priester zu wer­den hat­te ich aber schon seit ich ein Kind bin und so entsch­ied ich mich nach der Matu­ra, im Priestersem­i­nar in Luzern die Priester­aus­bil­dung zu machen. Hat­ten Sie manch­mal Zweifel, ob es die richtige Entschei­dung war? Eigentlich nicht. Ich bin immer zufrieden gewe­sen. Nach mein­er Priester­wei­he 1958 in Solothurn war ich Vikar in Olten und danach in Bern. Ausser­dem war ich Jugend­seel­sorg­er und war in diesem Bere­ich auf Bis­tum­sebene sog­ar Gen­er­alsekretär in Luzern. Anschliessend wirk­te ich als Pfar­rer in Riehen und dann lange Zeit, von 1983 bis 1999, in Bern. Irgend­wann habe ich auch mit Reisen begonnen. Ich war zum Beispiel in Deutsch­land, Ital­ien, Öster­re­ich und Frankre­ich. Wir als Pfar­rei haben diese Reisen organ­isiert, haben an den ver­schiede­nen Orten Gottes­di­en­ste gefeiert und ich habe zu den ver­schiede­nen Reis­es­ta­tio­nen Kom­mentare vor­bere­it­et. Diese Reisen haben die Pfar­rei geprägt. Ich war dann natür­lich auch in Kon­takt mit den Seel­sorg­ern vor Ort und die haben den Men­schen religiös etwas geboten, sodass es nicht ein­fach nur eine ein­fache Reise war, son­dern eine mit seel­sorg­erisch­er Begleitung. Eine Reise miteinan­der, das bindet und schafft Erin­nerun­gen, die bleiben. Diese vie­len ver­schiede­nen Tätigkeit­en haben mir immer viel Freude bere­it­et und mich mit Sinn erfüllt. Welche Ein­flüsse haben Ihren Glauben über die Jahre verän­dert? Die Auf­gaben, die ich in meinem Leben aus­geübt habe. Ich war zunächst als Vikar in Bern immer nah an den Men­schen dran. Dieses «Da-Sein» für die Men­schen hat meinen Glauben geprägt. Im weit­eren Laufe meines Lebens habe ich aber gle­ichzeit­ig gemerkt: Ich bin irgend­wie auch ver­bun­den mit der Weltkirche. Also der bish­er auf ein Gebi­et beschränk­te Glaube hat sich auf diesen weltkirch­lichen Glauben aus­ge­bre­it­et. Und auch die Men­schen, denen ich begeg­net bin, haben eine Rolle gespielt. In der Dreifaltigkeit­skirche in Bern, wo ich lange Priester war, hat­ten wir immer Kar­wochen­predi­ger zu Besuch. Die wohn­ten dann bei uns im Pfar­rhaus und manch­mal blieben sie auch etwas länger. Ein­er davon war zum Beispiel Paul Zulehn­er. Er und andere Koryphäen waren bei mir zu Gast. Und mit eini­gen von ihnen habe ich heute noch Kon­takt. Sie sind inzwis­chen 92 Jahre alt. Wie lange haben Sie noch Gottes­di­en­ste als Priester gefeiert? Bis vor weni­gen Jahren. Es war das Jahres­gedächt­nis für meine Eltern und Grossel­tern. Die Kirche war voller Men­schen, die uns nah­e­s­tanden. Ich feierte diesen Gottes­di­enst als Priester und begann plöt­zlich etwas zu schwanken. Sofort kamen zwei Lek­torin­nen zu mir, um mich zu hal­ten und eine rief eine Ambu­lanz. Und dann stürmten zwei Per­so­n­en mit ein­er Bahre in die Kirche. Sie nah­men mich, ich kon­nte nicht ein­mal mehr recht etwas sagen, legten mich mit meinem Gewand auf die Bahre und tru­gen mich hin­aus. Ich gestikulierte mit den Hän­den, um ihnen mitzuteilen, dass ich noch lebe. Als man sie danach auf diesen Moment ansprach, sagten sie: «Das war so ergreifend, als wir den Pfar­rer Kuhn hin­aus­tru­gen, denn er hat uns sog­ar auf der Bahre liegend noch geseg­net.» Das war das let­zte Mal, dass ich zu einem grösseren Anlass einen Gottes­di­enst gehal­ten habe. Was beschäftigt Sie momen­tan? Eine Frage, die ich mir jet­zt im Alter stelle: Was mache ich mit all diesen Din­gen hier in meinem Büro? Mit den vie­len Kas­set­ten und Ord­nern voller Predigten, mit all den Büch­ern. Momen­tan miste ich hier aus. Bei den wis­senschaftlichen Büch­ern über­lege ich weniger. Die inter­essieren mich in meinem Alter jet­zt nicht mehr so sehr. Aber es gibt Büch­er, die voller schön­er Bilder sind, die weit­er­führen. Die Predigten habe ich alle behal­ten. Ab und zu, wenn ich nicht zu tun habe, lese ich die auch wieder und dann staune ich, was ich da gepredigt habe. Also im pos­i­tiv­en Sinne. Ich habe Predigten nie ein­fach so gehal­ten und abge­le­sen son­dern ich habe beim Predi­gen immer «ver­daut». Was bedeutet für Sie «Priester sein»? Manch­mal kamen Leute auf mich zu: «Der Vater ist gestor­ben, kön­nen Sie ihn nicht beerdi­gen? Aber ich muss dazu sagen, es gibt da noch ein Prob­lem: Der Vater ist aus­ge­treten aus der Kirche. Ich sage das, weil ich nicht weiss, ob sie es trotz­dem machen.» Ich antwortete ihnen: «Selb­stver­ständlich mache ich es. Dass er aus­ge­treten ist, das inter­essiert mich nicht. Das ist eine Geld­frage: ‹Zahlt er die Kirchen­s­teuer oder nicht.› Und viele sagen: ‹Er zahlt sie nicht, dann beerdi­ge ich ihn auch nicht.› Aber auf der anderen Seite sehe ich: Er ist getauft, hat die Kom­mu­nion emp­fan­gen. Er ist nicht mehr in die Kirche gegan­gen aber ist zuge­hörig. Ich bin nicht Priester gewor­den, weil sie mir jet­zt die Beerdi­gung zahlen. Das ist eine zweite oder dritte Frage. Wir glauben: Der Tod ihres Vaters ist noch nicht der Schluss, son­dern er geht heim zu Gott. Und das kann ich nicht bezahlen, wie an der Kinokasse.»Das Inter­view führte Leonie Wol­len­sack.  — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — - — -

Auszüge aus der Osterpredigt 1997 von Franz Kuhn

Meine lieben Mitmenschen
«Die Kirchen geben oft Antworten auf Fragen, die nicht gestellt werden. Zu Fragen, welche die Menschen umtreiben, sagen sie jedoch nichts.» […]
Also: Welche Fragen beschäftigen Sie und mich, heute, an Ostern 1997? […] Mich beschäftigen seit längerer Zeit vielmehr hintergründige Lebens-Fragen. […] Wer begleitet mich im Tod und durch den Tod hindurch? […] Wer gibt hierzu eine Antwort?
Junge japanische Menschen haben an Ostern «das christliche Abendland» besucht. In Japan haben sie dann einen engagierten Artikel über das «Hühnerfest» in Europa geschrieben. […] Hinweise, dass Ostern das Fest der Feste für uns Christen ist, haben sie scheinbar nicht gefunden. Schade.
Dass es so weit gekommen ist, daran sind wir Christen selbst schuld. Es sei geklagt, dass unsere religiösen Feste und deren Aussagen, die wir so dringenst benötigen, zu leeren Flaschen geworden sind: «Etikett schön – Inhalt leer». Ich beende nun diesen bitteren Spass, denn es ist uns klar, dass weder die Hühner mit ihren Eiern, noch die schokoladenen Osterhasen die Fragen beantworten, welche die Menschen heute beschäftigen. […] Ostereier und Osterhasen sind Symbole, Wegmarkierungen. Nichts mehr und nichts weniger. Weil wir aber in vielen Belangen, Gott-«los» sind, bleiben wir armen Menschen bei den Ostereiern und Osterhasen hocken.
Noch etwas. In der Heiligen Schrift steht: «Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet?» (Mt 7.9) Wir dürfen diesen Satz bestimmt abändern: «Oder ist einer unter euch, der seinem Kind ein Ei oder einen Osterhasen gibt, wenn es um das Leben, um Gott bittet?» Die Menschen suchen heute vermehrt nach dem Urquell allen Lebens, nach Geborgenheit in Gott. Wir sollten uns nicht so leicht mit Nichtigkeiten abfüttern lassen.
[…]
Diese Frage interessiert mich brennend: Wer wird mich im Tod und über den Tod hinaus begleiten? Sie spüren, dass wir jetzt das «Hühnerfest», die Eier und die schokoladenen Osterhasen ruhig hinter uns lassen können. Das bringt nichts, nur saures Aufstossen.
Wir müssen jetzt Hinhorchen auf die alten Evangelientexte. […] Sich abwendend vom Grab, trifft [Maria von Magdalas] Blick den Auferstandenen, doch sie erkennt ihn nicht. […] Da sagt Jesus zu ihr: «Maria!». Da spricht Herz zu Herz, nicht Verstand zu Verstand. […] Dem liebenden und suchenden Menschen erschliesst sich der Auferstandene in seiner neuen Seinsweise.
[…]
Wer Ostern feiern will, muss die Wirklichkeit dieses Lebens ernst nehmen und aushalten, sonst macht er sich etwas vor. Die Probleme, die uns zu schaffen machen, sind nicht einfach weggewischt. […] Aber wenn ich den Osterglaube habe, dann werde ich an meinem Alltag nicht zerbrechen, auch wenn mir vieles entgleitet. […] Ostern blitzt immer wieder in meinen Alltag hinein. Immer da, wo ich etwas Schweres bestehe, wo ich eine Beziehung neu belebe, einen Lichtblick gesehen habe, immer dort, wo ich Befreiung und Freude in irgendeiner Form erlebe. Da ist Auferstehung — schon hier und jetzt.
[…]
Leonie Wollensack
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