«Interreligiöse Treffen sind zu versöhnlich»

«Interreligiöse Treffen sind zu versöhnlich»

Nach den Polizei-Ein­sätzen gegen Islamis­ten in Win­terthur und im Tessin disku­tiert die Schweiz wieder über den Islam. Jas­min El Son­bati, Begrün­derin von «Offene Moschee Schweiz», Halit Duran vom Ver­band Aar­gauer Mus­lime und Myrosla­va Rap, Fach­frau für Inte­gra­tion und Inter­re­ligiös­es Han­deln bei der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau, set­zen im Kampf gegen Extrem­is­mus auf eine inner­is­lamis­che Debat­te, Alter­na­tiv­en zu den beste­hen­den islamis­chen Vere­inen  sowie auf einen inter­re­ligiösen Dia­log, der sich nicht im Aus­tausch von Net­tigkeit­en erschöpft.Über den Islam wird in der Schweiz nach wie vor kon­tro­vers disku­tiert. Frau El Son­bati, in ihrem aktuellen Buch fra­gen Sie: Gehört der Islam zur Schweiz? Jas­min El Son­bati: Die Mus­lime in ihrer Het­ero­gen­ität haben einen Platz in der Schweiz, ganz klar. Myrosla­va Rap: Mus­lime sind seit Jahrzehn­ten Teil der Schweiz­er Gesellschaft. Wir müssen aber schauen, wie wir das Zusam­men­leben mit ihnen gestal­ten.Hier­für wird ja auch inter­re­ligiös­er Dia­log gepflegt. Mit Erfolg? Halit Duran: Ich finde den inter­re­ligiösen Dia­log eine wichtige Sache. Im Aar­gau gibt es zwei Stammtis­che in Aarau und Baden, inter­re­ligiöse Gebete und Anlässe. Schade nur, dass sich so wenige beteili­gen. Jas­min El Son­bati: Mir sind diese inter­re­ligiösen Ver­anstal­tun­gen manch­mal zu ver­söhn­lich. Was nicht heisst, dass es das nicht braucht. Myrosla­va Rap: Wahrschein­lich trauen sich die Leute da zu wenig, zu stre­it­en. Man muss zuerst Ver­trauen auf­bauen, bevor kon­tro­verse The­men ange­sprochen wer­den.Rei­bungspunk­te gibt es der­weil genug: Beispiel­sweise der Schwim­munter­richt oder die «Hand­schlagde­bat­te» Halit Duran: Ger­ade die Sache mit dem «Hand­schlag« war für mich etwas weit herge­holt. Es war sicher­lich eine Respek­t­losigkeit. Wären es nicht islamis­che Jugendliche gewe­sen, dann wäre das aber wohl nicht so in den Medi­en aufge­bauscht wor­den. Jas­min El Son­bati: Sicher­lich muss man unter­schieden, geht es um Erwach­sene oder Jugendliche, die ja erst noch sozial­isiert wer­den müssen. Aber grundle­gende Kul­turtech­niken wie das Grüssen muss man in der Schule ein­fordern – unab­hängig von der Reli­gion­sprax­is.Aber der Vater der Jugendlichen, die in Ther­wil ihrer Lehrerin die Hand nicht mehr reichen woll­ten, ist Iman in ein­er umstrit­te­nen Basler Moschee. Jas­min El Son­bati: In besagter Faysal-Moschee ver­wen­det der Imam für die Frauen noch nicht ein­mal das Fem­i­ninum. Hinzu kommt, dass es da ein Poten­zial bei diesen arabo­pho­nen Ima­men gibt, extreme Posi­tio­nen zu vertreten, das mich beun­ruhigt. Und das kommt auch in den Predigten zum Aus­druck.Auch der Aar­burg­er Imam stand in der Kri­tik Halit Duran: In der Schweiz organ­isieren sich die Mus­lime nach ihrer eth­nis­chen Zuge­hörigkeit. Ger­ade auf­grund dieser schwingt mehr oder weniger Nation­al­is­mus mit. So hat beispiel­sweise der säku­lare Kemal­is­mus viele Türken zu Ultra­na­tion­al­is­ten gemacht. Bei den Albanern ver­hält es sich ähn­lich. Jas­min El Son­bai: Ein Imam sollte aber nicht entsprechende Predigten hal­ten. Halit Duran: Let­ztlich ist das Prob­lem aber auch, was der Adres­sat ein­er Predigt ver­ste­hen will. Jas­min El Son­bati: Aber der Imam hat da schon eine Ver­ant­wor­tung über die Inhalte sein­er Predigten. Er muss die Gesellschaft, in der er lebt, also die schweiz­erische, im Auge behal­ten. Nation­al­is­tis­che oder gar islamistis­che Inhalte sind völ­lig Fehl am Platz.Warum beschäftigt sich die Schweiz­er Öffentlichkeit denn nur mit radikalen Mus­li­men? Myrosla­va Rap: Genau das habe ich auch ein­mal mit Bekan­nten disku­tiert. Und dann meinte jemand: «Weil die anderen nie­man­den töten» Halit Duran: In weit­en Teilen der islamis­chen Welt sehen die Men­schen das anders. Dort gel­ten die Chris­ten als die Aggres­soren, die Krieg gebracht und ganze Län­der kolonisiert haben.Aber es gibt islamistis­che Ter­ro­ran­schläge und radikale Mus­lime, die das gutheis­sen. Auch in der Schweiz nehmen die Men­schen das wahr. Jas­min El Son­bati: Das ist richtig, und das dür­fen wir nicht ver­harm­losen. Ger­ade in Deutsch­land gibt es mit­tler­weile mehrere Tausend Salafis­ten – davon sind einige Hun­dert gewalt­bere­it. Umso mehr braucht es eine kri­tis­che Herange­hensweise an den Koran. Halit Duran: Das geschieht doch schon. Und die islamis­chen Autoritäten haben alle Ter­ro­ran­schläge stets verurteilt.Richtig. Sie weisen auch darauf hin, dass die Leute, die solche Anschläge verüben, im Grunde keine Mus­lime seien. Myrosla­va Rap: Genau das hat mir ein Imam auch schon gesagt. Aber so ein­fach geht das doch nicht, zumal sich diese Leute ja selb­st als Mus­lime ver­ste­hen. Halit Duran: Wir verurteilen Anschläge und Gewalt. Sich davon dis­tanzieren zu müssen, das lehne ich ab, weil wir nicht Teil davon sind. Jas­min El Son­bati: Man kann den Islam aber auf­fassen, um gestützt auf ihn Gewalt zu verüben. Da kön­nen wir uns nicht reinwachen. Wir müssen akzep­tieren, dass sich solche Leute auf diesel­ben Quellen beziehen wie wir und daraus eine fehlgeleit­ete Inter­pre­ta­tion ableit­en.Gibt es darüber eine inner­is­lamis­che Debat­te? Jas­min El-Son­bati: Ja, die gibt es. Im Moment ist es so: Wir haben einen soge­nan­nten islamis­chen Staat… Halit Duran: Ja, soge­nan­nt. Dieser selb­ster­nan­nte «islamis­che Staat» hat nicht das Recht, die Vertre­tung von Islam und Mus­li­men zu beanspruchen. Jas­min El Sobati: … und ich kenne ara­bis­che Moscheen, da höre ich Predigten, die mich beun­ruhi­gen. Da wird zu Par­al­lelge­sellschaften aufgerufen. Halit Duran: Diese Vor­würfe zu Gewal­taufrufen kann ich nicht nachvol­lziehen – zumin­d­est für den Aar­gau. Seit Jahren wer­den alle Fre­itagspredigten auch auf Deutsch auf den Web­seit­en veröf­fentlicht. Man kann das nach­prüfen. Ich besuche zudem regelmäßig die Predigten und kann keine der Vor­würfe bestäti­gen.Im Grunde erstaunlich angesichts der grossen Vielfalt islamis­chen Lebens. Myrosla­va Rap: Ich wün­sche mir, dass diese Vielfalt spür­bar­er wird – und viele andere bes­timmt auch. Man ken­nt den «Islamis­chen Zen­tral­rat» als sehr kon­ser­v­a­tive Grup­pierung. Es gilt aber, andere Rich­tun­gen des Islam bess­er sicht­bar zu machen. Halit Duran: Es gibt auch nicht zu jed­er Schat­tierung einen islamis­chen Vere­in. Als in den 1970er und 1990er Jahren viele Mus­lime in die Schweiz kamen, besan­nen sie sich auf ihre religiösen Wurzeln. Das betraf auch Men­schen, die in ihrer Heimat nicht unbe­d­ingt religiös waren. So ent­standen viele islamis­che Vere­ine. Mit­tler­weile sind die Übergänge fliessender. Es gibt viele, die nicht in die Moschee gehen, Alko­hol trinken, aber doch auch Mus­lime sind.… Jas­min El Son­bati: Nur etwa fünf Prozent der Mus­lime sind an eine Moschee gebun­den. Viele suchen auch nach Alter­na­tiv­en zu den beste­hen­den Vere­inen. Da gibt es ver­schiedene Ini­tia­tiv­en, zum Beispiel die «Offene Moschee». Män­ner, Frauen und Kinder kön­nen dort gemein­sam beten – auch unter weib­lich­er Leitung.Und was bedeutet Vielfalt für den inter­re­ligiösen Dia­log? Frau Rap, seit­ens der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau haben sie ja den Auf­trag, dahinge­hend aktiv zu wer­den. Myrosla­va Rap: Ich erachte es als wichtig, Begeg­nungsmöglichkeit­en zwis­chen den Reli­gio­nen zu schaf­fen und Ver­net­zungsar­beit zu leis­ten. Zudem muss man beacht­en, dass die anderen Reli­gion­s­ge­mein­schaften nicht über die gle­ichen per­son­ellen oder finanziellen Ressourcen für den Dia­log ver­fü­gen. Darum soll die Lan­deskirche aktiv auf andere zuge­hen. Bei­de Seit­en müssen aber am Dia­log inter­essiert sein. Halit Duran: Auf kom­mu­naler Ebene gibt es schon viele gute Ansätze – beispiel­sweise in Döt­tin­gen oder Nuss­bau­men. Es sind lei­der nur eine Hand voll Leute und vor allem Frauen. Schön wäre, wenn die Kirchge­mein­den dort, wo es mus­lim­is­che Vere­ine und Moscheen hat, aktiv­er den Kon­takt suchen wür­den. Lei­der haben manche Seel­sorg­er da noch Vor­be­halte. Das­selbe gilt selb­stver­ständlich auch für die mus­lim­is­che Seite. Dabei haben wir viel Verbinden­des: Die gemein­samen Propheten und Büch­er beispiel­sweise. Jas­min El Son­bati: Und ich wün­sche mir, dass ich ein­mal in eine katholis­che Kirche ein­ge­laden werde, um eine Predigt zu hal­ten. Zudem bin ich noch immer der Ansicht, dass das Wis­sen über Reli­gion fehlt. Ger­ade bei Jugendlichen. Ein guter Ansatz wären Podi­umsver­anstal­tun­gen an Schulen. Nicht, um Jugendliche zu bekehren, son­dern damit sie ver­schiedene Reli­gionsvertreter ken­nen ler­nen kön­nen. 
Andreas C. Müller
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