Quo vadis ecclesia?

Quo vadis ecclesia?

  • Der Papst­be­such, die Miss­brauchs­fäl­le, die Jugend­syn­ode: Es sind die gros­sen Ereig­nis­se und The­men, die für 2018 für die Römisch-Katho­li­sche Kir­che in der Schweiz in Erin­ne­rung bleiben.
  • Mehr Mut von Sei­ten der Kir­chen­ver­ant­wort­li­chen wün­schen sich die einen, mehr posi­ti­ve News die ande­ren. Hori­zon­te hat mit bekann­ten kirch­li­chen Per­sön­lich­kei­ten über deren Hoff­nun­gen und Erwar­tun­gen für das kom­men­de Jahr gesprochen.
 Und wie­der geht für die Römisch-Katho­li­sche Kir­che in der Schweiz ein ereig­nis­rei­ches Jahr zu Ende. Es gab Freud­vol­les, aber auch Trau­ri­ges. Zu den Höhe­punk­ten gehör­te mit Sicher­heit der Besuch von Papst Fran­zis­kus in Genf, obgleich die­se Visi­te nicht ohne Neben­ge­räu­sche über die Büh­ne ging. Nicht ordi­nier­te Theo­lo­gin­nen und Theo­lo­gen hat­ten nicht das Recht, die Papst­mes­se zusam­men mit den Prie­stern und Dia­ko­nen zu fei­ern.

Miss­brauchs­fäl­le auch 2018 domi­nan­tes Thema

Wei­ter beglei­te­ten uns das ganz Jahr über neu­er­lich publik gewor­de­ne Miss­brauchs­fäl­le in der Schweiz und im Aus­land durch katho­li­sche Prie­ster. Auch im Kan­ton Aar­gau oute­te sich mit Andre­as San­to­ni ein Miss­brauchs­op­fer; sei­ne Geschich­te schlug hohe Wel­len.Dabei fing das Jahr viel­ver­spre­chend an: Meh­re­re tau­send Jugend­li­che aus ganz Euro­pa kamen nach Basel zum euro­päi­schen Tai­zé-Jugend­tref­fen. Zahl­rei­che Aar­gau­er Gemein­den rund um Frick, Brugg, Aar­au und Zofin­gen nah­men Gäste auf. Kurz dar­auf fei­er­te das Klo­ster Fahr sei­nen 888. Geburts­tag im Bei­sein von alt Bun­des­rä­tin Doris Leu­thard. Und im März war da noch die gewon­ne­ne Abstim­mung über die Bei­be­hal­tung der Radio- und Fern­seh­emp­fangs­ge­büh­ren, deren Abschaf­fung zur Strei­chung von Reli­gi­ons­sen­dun­gen geführt hät­te.

Ambi­va­len­tes Bild der Jugend­syn­ode in Rom

Nach der Som­mer­pau­se gab es im Sep­tem­ber zunächst den Her­bert Haag-Preis für Jung­wacht und Blau­ring Schweiz, dann fei­er­ten meh­re­re hun­dert Jugend­li­che zusam­men mit Bischof Felix Gmür in Brugg-Win­disch das Bis­tums­ju­gend­tref­fen.Im Spät­herbst folg­te die Jugend­syn­ode in Rom, die in der Schweiz mit viel Inter­es­se ver­folgt wur­de. Der Umstand, dass zwar Jugend­ver­tre­ter aus aller Welt an der Syn­ode kon­sul­tiert wur­den, in der media­len Bericht­erstat­tung aber ein­mal mehr das Bild vom män­ner­do­mi­nier­ten Alt­her­ren­klub trans­por­tiert wur­de, dämpf­te vie­le Hoff­nun­gen.

Kol­lek­tiv­aus­tritt nach unglück­li­chen Aus­sa­gen des Papstes

Nach Ableh­nung der von der SVP ein­ge­brach­ten Selbst­be­stim­mungs­in­itia­ti­ve dann der näch­ste Pau­ken­schlag: Sechs inner­halb der katho­li­schen Kir­che pro­fi­lier­te Frau­en tra­ten im Novem­ber medi­en­wirk­sam aus der katho­li­schen Kir­che aus. Das Fass zum Über­lau­fen gebracht hat­ten unglück­li­che Äus­se­run­gen von Papst Fran­zis­kus zum The­ma Abtrei­bun­gen und Homo­se­xua­li­tät. Der befürch­te­te Nach­ah­mungs­ef­fekt in wei­ten Tei­len der weib­li­chen Kir­chen­ba­sis blieb zwar aus, doch über 300 Per­so­nen unter der Füh­rung von Jac­que­line Keu­ne und Moni­ka Hun­ger­büh­ler reagier­ten mit einem öffent­li­chen Pro­test­schrei­ben, in wel­chem sie nach­drück­lich die Gleich­wer­tig­keit der Geschlech­ter inner­halb der katho­li­schen Kir­che ein­for­der­ten.Was bleibt an der Schwel­le zum neu­en Jahr in Erin­ne­rung? Hori­zon­te hat bei bekann­ten Per­sön­lich­kei­ten aus dem kirch­li­chen Leben nach­ge­fragt. Wenig erstaun­lich: Fast alle erwäh­nen den Besuch von Papst Fran­zis­kus. «Die­ser ver­moch­te so vie­le Leu­te zu mobi­li­sie­ren», meint bei­spiels­wei­se Luc Hum­bel, Prä­si­dent der Römisch-Katho­li­schen Zen­tral­kon­fe­renz RKZ und der Römisch-Katho­li­schen Lan­des­kir­che Aar­gau.

Zwei­klas­sen­ge­sell­schaft an der Papst­mes­se in Genf

Auch die Theo­lo­gin Jac­que­line Straub, die­ses Jahr von der eng­li­schen BBC in die Liste der hun­dert inspi­rie­rend­sten und ein­fluss­reich­sten Frau­en für das Jahr 2018 auf­ge­nom­men, erklärt: «Ich habe mich sehr gefreut, dass der Papst die Schweiz besuch­te.» Auch der Schwei­zer Zir­kus­pfar­rer Adi Bolz­ern erwähnt den Papst­be­such, blickt aber auch kri­tisch auf das Ereig­nis: «Der Papst­be­such im Juni in der Schweiz hat vie­le bewegt. Lei­der gab es auch Ärger, da die nicht geweih­ten Theo­lo­gin­nen und Theo­lo­gen nicht mit den Bischö­fen, Prie­stern, Dia­ko­nen und dem Papst um den Altar fei­ern konn­ten. Dies ist aus mei­ner Sicht wirk­lich scha­de.»Im Zusam­men­hang mit dem Papst­be­such wird oft auch an die «unge­schick­ten Aus­sa­gen» erin­nert, die die­ser im Lau­fe des Jah­res gemacht hat. «Die­se schmer­zen», bekennt Vro­ni Peter­hans, Oeku-Prä­si­den­tin und Vize­prä­si­den­tin des Schwei­ze­ri­schen Katho­li­schen Frau­en­bun­des und ergänzt: «Sol­che Aus­sa­gen las­sen uns unsi­cher zurück, ob die katho­li­sche Kir­che wirk­lich für alle da sein will, also all­um­fas­send wir­ken möch­te». «Ich hat­te ihm (Anmer­kun­gen der Redak­ti­on: Gemeint ist Papst Fran­zis­kus) zuge­traut, etwas ver­nünf­ti­ger und umsich­ti­ger zu sein mit sei­nen Aus­sa­gen», erklärt der bekann­te Sozi­al­ethi­ker und Prä­si­dent der bischöf­li­chen Kom­mis­si­on «Justi­tia et Pax», Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki. «Der Papst hat mit sei­nen Aus­sa­gen Men­schen zusätz­lich ver­letzt, die häu­fig in see­li­schen Nöten sind und denen mit dem Moral­ham­mer kaum gehol­fen ist.»

«Kul­tur des Ver­schwei­gens und Vertuschens»

Am zweit­häu­fig­sten sind die Miss­brauchs­fäl­le ein The­ma. «Das hat mich schockiert», räumt Jac­que­line Straub ein, die Bekannt­heit erlang­te, weil sie öffent­lich­keits­wirk­sam für ihren Wunsch ein­tritt, katho­li­sche Prie­ste­rin zu wer­den. Nament­lich die Kul­tur des Ver­schwei­gens und Ver­tu­schens» rund um das seit Jah­ren viru­len­te The­ma habe sie sehr ent­täuscht, bedau­ert die jun­ge Theo­lo­gin und Buch­au­to­rin aus Muri.Zu den posi­ti­ven Ereig­nis­sen gehört in der Erin­ne­rung die Jugend­syn­ode. «Das hat mich bewegt», gibt Hil­de­gard Aepli, zu, die als Initi­an­tin des Pil­ger­pro­jekts für eine Kir­che mit* den Frau­en vor zwei Jah­ren schweiz­weit bekannt wur­de. «Erst­mals wur­de in einer Vor­syn­ode den Jugend­li­chen sel­ber Raum für ihre The­men, Fra­gen und Anlie­gen geschaf­fen», sagt sie. «Die Jugend­li­chen wur­den von den Bischö­fen der gan­zen Welt gehört. Das hat eine Wir­kung. Nicht heu­te und mor­gen, aber für die Zukunft der Kir­che. Davon bin ich über­zeugt.»

«Trotz allem: Ich spü­re eine tie­fe Berufung»

Nicht ganz so oft wie viel­leicht erwar­tet, wird an den Kol­lek­tiv­aus­tritt der sechs in der Kir­che bekann­ten Frau­en erin­nert. «Für mich war das ein ein­schnei­den­des Ereig­nis», erklärt Clau­dia Men­nen, Lei­te­rin der Prop­stei Wis­li­kofen (Semi­nar- und Bil­dungs­zen­trum der Römisch-Katho­li­schen Lan­des­kir­che Aar­gau). «Die­se haben getan, was ich auch tun wür­de, spür­te ich nicht auch heu­te noch eine tie­fe Beru­fung, im Rah­men der Kir­che tätig zu sein und die Frei­räu­me zu gestal­ten, die da sind.»Ange­sichts der doch in vie­ler­lei Hin­sicht bedrücken­den The­men wie Miss­brauch durch Geist­li­che und man­geln­de Geschlech­ter­gleich­be­rech­ti­gung wün­schen sich die mei­sten Befrag­ten für das kom­men­de Jahr posi­ti­ve, ermu­ti­gen­de Ent­wick­lun­gen. «Dass sich die Kir­che vom Nega­tiv-Image lösen kann und Schlag­zei­len macht mit muti­gem Vor­an­ge­hen», bringt es Vro­ni Peter­hans auf den Punkt.

«Mei­ne Kir­che hat auch heu­te noch viel zu bieten»

Mut wünscht sich auch Jac­que­line Straub – vor allem von den Bischö­fen. «Mut, Neu­es anzu­packen und nicht wei­ter in den alten Struk­tu­ren zu ver­har­ren». Mit Blick auf die Situa­ti­on der Frau­en erklärt die jun­ge Theo­lo­gin: «Ich wün­sche mir in Bezug auf die Frau­en­fra­ge mehr Dia­log, vor allem von Sei­ten der Kir­chen­füh­rung in der Schweiz und im Vati­kan». «Kla­re Schrit­te auf dem Weg zu geteil­ter Ver­ant­wor­tung und Macht», prä­zi­siert Susan­ne Andrea Bir­ke, die sich im Aar­gau als Theo­lo­gin für Frau­en, gleich­ge­schlecht­lich Lie­ben­de und die LGBT-Com­mu­ni­ty (Les­ben, Schwu­le, Bise­xu­el­le und Trans­gen­der) ein­setzt.Zir­kus­pfar­rer Adi Bolz­ern möch­te ein­fach wie­der mehr Posi­ti­ves über die Kir­che in den Medi­en lesen. «Ich wün­sche mir, dass mehr über das Posi­ti­ve, das Auf­bau­en­de und Hoff­nungs­vol­le unse­rer Kir­che gespro­chen und geschrie­ben wird. Mei­ne Kir­che hat auch heu­te noch viel zu bie­ten», ist er über­zeugt. Das glaubt auch RKZ-Prä­si­dent Luc Hum­bel. Er hofft, «dass wie­der ver­mehrt Distan­zier­te oder gar Abge­wand­te sich einer glaub­wür­di­gen Kir­che zuwen­den wol­len, weil wir gemein­sam mehr errei­chen».

«Macht­kämp­fe um Realitätsdeutung»

«Vie­le fra­gen auch: Wo sind die jun­gen Leu­te?» bringt Tho­mas Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki den Aspekt des feh­len­den Nach­wuch­ses ins Spiel. Der Prä­si­dent der bischöf­li­chen Kom­mis­si­on «Justi­tia et Pax» gibt jedoch zu beden­ken, dass gera­de jene, wel­che die jun­ge Gene­ra­ti­on schmerz­lich ver­miss­ten, oft unfä­hig sei­en, mit den jun­gen Men­schen unter­wegs zu sein und mit deren Nöten und Fra­gen offen und ohne Scheu­klap­pen umzu­ge­hen.Sor­gen berei­ten Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki auch die in der Kir­che seit den 1980er-Jah­ren aus­ge­foch­te­nen «Macht­kämp­fe», die «um Rea­li­täts­deu­tung rin­gen». Eine Ent­wick­lung, «die zuerst in Chur statt­fand und spä­ter mit dem Erstar­ken der SVP auch in der poli­ti­schen Land­schaft ankam.» Man könn­te auch sagen: Die zuneh­men­de Pola­ri­sie­rung inner­halb der Gesell­schaft färb­te auch auf die Kir­che ab.

«Reak­tio­nä­re Kräf­te sind eine Minderheit»

«Für mich ist die­se Pola­ri­sie­rung weder gesell­schaft­lich, noch kirch­lich neu», meint Susan­ne Andrea Bir­ke. «Aber sie wur­de mit der zuneh­men­den Umver­tei­lung von poli­ti­scher Macht, dem fol­gen­den Rück­schlag und dem wach­sen­den wirt­schaft­li­chen Gra­ben sicht­ba­rer, weil die Aus­ein­an­der­set­zun­gen här­ter wur­den». Der Wunsch nach Öff­nung im Gegen­satz zum Bestre­ben, das Rad zurück­zu­dre­hen, sei­en die bei­den auf­ein­an­der­pral­len­den Kräf­te.Das sieht auch Jac­que­line Straub so. «Es gibt durch­aus einen sehr reform­feind­li­chen Flü­gel in der katho­li­schen Kir­che, der bei Fra­gen wie der Gleich­be­rech­ti­gung, der Akzep­tanz gegen­über wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen und Homo­se­xu­el­len enorm auf die Brem­se drückt oder gar das Rad zurück­dre­hen will.» In den Sozia­len Medi­en wür­den die­se Leu­te aggres­siv und pla­ka­tiv auf­tre­ten. «Aber die­se Kräf­te sind nur eine Min­der­heit und soll­ten kei­nen vom Ein­satz für Refor­men ab- oder auf­hal­ten», ergänzt die Theo­lo­gin.

«Es feh­len schlüs­si­ge Ant­wor­ten auf Fragen»

Abhal­ten las­sen will sich auch Vro­ni Peter­hans auf kei­nen Fall. Als Vize­prä­si­den­tin des Schwei­ze­ri­schen Katho­li­schen Frau­en­bun­des SKF beob­ach­te sie, dass sich immer mehr Ver­bün­de­te für eine Kir­che mit und für alle ein­setz­ten. Dem­ge­gen­über stün­den aller­dings jene, «die froh sind um star­ke, für mich eher star­re Leit­plan­ken und Regeln. Schon in der Früh­kir­che hat­ten ver­schie­de­ne Strö­mun­gen und Ansich­ten Platz. War­um nicht auch heu­te?»Er stel­le kei­ne eigent­li­che Pola­ri­sie­rung fest, meint RKZ-Prä­si­dent Luc Hum­bel. Es fehl­ten aber auf pasto­ra­ler Sei­te schlüs­si­ge Ant­wor­ten auf Fra­gen, wel­che die Gesell­schaft beweg­ten. Bleibt zu hof­fen, dass 2019 Ant­wor­ten gefun­den wer­den, die eine posi­ti­ve Dyna­mik in Gang bringen. 
Andreas C. Müller
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