Im Kirchenasyl Zuflucht suchen

Im Kirchenasyl Zuflucht suchen

  • Geflüchteten kann das Kirchenasyl wertvolle Zeit ver­schaf­fen, um die ihnen ­zuste­hen­den Rechte voll auszuschöpfen.
  • Doch unter welchen Bedin­gun­gen ist Kirchenasyl möglich?
  • Wie Kirchen­rat­spräsi­dent Luc Hum­bel dazu ste­ht, lesen Sie im Inter­view weit­er unten.

«Es gibt seit einiger Zeit wieder mehr Anfra­gen von Men­schen, die im Kirchenasyl Zuflucht suchen», sagt Christoph Albrecht, Leit­er des Jesuit­en-Flüchtlings­di­en­stes der Schweiz. Der Seel­sorg­er besucht seit 2016 regelmäs­sig das Rück­kehrzen­trum in Glat­tbrugg bei Zürich. Dort befind­en sich Men­schen, die von den Schweiz­er Behör­den einen Weg­weisungsentscheid erhal­ten haben. Immer häu­figer befän­den sich dort auch Asyl­suchende, die auf­grund der Dublin-Verord­nung in der Schweiz gar kein Asylge­such stellen dür­fen, sagt Christoph Albrecht. Sie warteten dort auf ihre begleit­ete Rück­reise. Die Men­schen in den Rück­kehrzen­tren lebten oft monate­lang beengt, ohne Pri­vat­sphäre in Con­tain­ern und ver­fügten lediglich über den Nothil­fe-Betrag von zehn Franken pro Tag, schildert er die Sit­u­a­tion der Betrof­fe­nen.

Verschlechterung der Situation

Die Sit­u­a­tion der Asyl­suchen­den habe sich ver­schlechtert, seit Kroa­t­ien im Schen­gen­raum sei, sagt Christoph Albrecht. Seine Kol­legin­nen und Kol­le­gen vom Net­zw­erk Migra­tionschar­ta haben ver­gan­ge­nes Jahr staatliche und zivilge­sellschaftliche Insti­tu­tio­nen in Kroa­t­ien besucht, die sich um die Asyl­suchen­den küm­mern. Die Del­e­ga­tion hat sys­temis­che Män­gel fest­gestellt in der Anerken­nungsquote der Asylver­fahren und bei der medi­zinis­chen Betreu­ung. Zurück in der Schweiz hat das Net­zw­erk Migra­tion das Staatssekre­tari­at für Migra­tion (SEM) aufge­fordert, darauf zu verzicht­en, die knapp 1000 Asyl­suchen­den, die in Kroa­t­ien zum ersten Mal reg­istri­ert wor­den sind, für das Asylver­fahren dor­thin zurück­zuschick­en, wie es die Dublin-Verord­nung will.

Die davon betrof­fe­nen Men­schen im Rück­kehrzen­trum in Glat­tbrugg berichteten von schlim­men Zustän­den in Kroa­t­ien, von Push­backs, mit denen den Flüch­t­en­den an der Gren­ze zu Kroa­t­ien das Recht ver­wehrt werde, einen Asy­lantrag zu stellen, erzählt Christoph Albrecht. Push­backs sind ein Ver­stoss gegen das Völk­er­recht. Der Zürcher Jesuit hört auch Geschicht­en von Gewalt in den kroat­is­chen Asylzen­tren. Nach Kroa­t­ien wolle nie­mand zurück.

Kirchenasyl – wie geht das?

Christoph Albrecht hat Erfahrung mit dem Kirchenasyl. Um dessen Sinn ver­ständlich zu machen, erzählt er die Geschichte von Peter, der in Wirk­lichkeit anders heisst. Peter hat­te in der Schweiz einen Asy­lantrag gestellt, weil er fürchtete, in seinem Herkun­ft­s­land ins Gefäng­nis zu kom­men und dort gefoltert oder gar getötet zu wer­den. Als poli­tis­ch­er Flüchtling hätte er seinen Asy­lantrag aber in dem Schen­gen­land stellen müssen, wo Peter seit eini­gen Semes­tern studierte, von dem er aber wusste, dass er in sein Herkun­ft­s­land aus­geliefert würde. Die Schweiz­er Behör­den entsch­ieden jedoch, nicht auf Peters Asylge­such einzuge­hen. Daraufhin unter­nahm der Abgewiesene Vor­bere­itun­gen für einen Suizid mit der Hil­fe von Exit. Die Behör­den erhiel­ten Ken­nt­nis von dem Vorhaben und wiesen den jun­gen Mann für eine Akut­ther­a­pie in die psy­chi­a­trische Uni­ver­sität­sklinik in Zürich ein. Nach der Ent­las­sung kon­tak­tierte Peter Christoph Albrecht. Dieser gewährte ihm zunächst Auf­nahme in der Gemein­schaft der Jesuit­en und schliesslich in den Räu­men ein­er Kirchge­meinde. Peter fand sich in einem stillen Kirchenasyl wieder.

Das Kirchenasyl ver­schafft den flüch­t­en­den Per­son Zeit, alle Rechtsmit­tel auszuschöpfen, um ihre Sit­u­a­tion zu verbessern. «Das Haupt­prob­lem für Asyl­suchende ist nicht nur die Härte der hiesi­gen Recht­sprechung, son­dern auch der schwierige Zugang zum Recht», sagt Christoph Albrecht.

Tradition seit der Antike

Für das Kirchenasyl gibt es keine geset­zliche Grund­lage. Seine Tra­di­tion reicht aber bis in die Antike zurück. Kirchenasyl ist eine christliche Form des zivilen Unge­hor­sams. Pierre Büh­ler, emer­i­tiert­er The­olo­giepro­fes­sor und Ver­fass­er des Man­i­fests «Kirchen als Asy­lorte» erin­nerte jüngst an ein­er Tagung in Zürich an das prophetis­che Wächter­amt der Kirchen. An die Pflicht, zu protestieren, wenn der Staat gegen eigene Recht­sprinzip­i­en ver­stosse. Auf diese Argu­men­ta­tion stützten sich etwa Kirchen­men­schen, die sich für die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive stark macht­en. Diese Art des poli­tis­chen kirch­lichen Engage­ments stösst jedoch nicht nur auf Zus­tim­mung im Kirchen­volk. Im Nach­gang der Abstim­mung wurde die Rolle der Kirchen im Abstim­mungskampf kon­tro­vers disku­tiert. «Seit der Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive sind die Kirchge­mein­den vor­sichtig, sich poli­tisch zu exponieren», sagt Christoph Albrecht. Das habe Zurück­hal­tung zur Folge auch bei den Kirchenasylen. Wenn diese über­haupt noch gewährt wür­den, dann fast nur noch still. Auf den öffentlichkeitswirk­samen Ein­bezug der Medi­en – auf das öffentliche Kirchenasyl – wird verzichtet, um die Behör­den nicht zu provozieren.

Kirchenasyl ist keine Hexerei

Auch die Kirchen gewähren Asyl nur auf Beschluss entsprechen­der Gremien. Das duale Sys­tem der katholis­chen Kirche mit der staatskirchen­rechtlichen und der pas­toralen Seite macht die Organ­i­sa­tion des Kirchenasyls zwar kom­plex­er, aber es hil­ft auch zur klaren Aufteilung unter­schiedlich­er Rollen. Nicht nur die kirch­lichen Entschei­dungsträger müssen genau wis­sen, worauf sie sich ein­lassen. Auch die Asyl­suchen­den brauchen eine minu­tiöse Aufk­lärung darüber, was es bedeutet, in einem Kirchenasyl zu leben. Die Lebens­be­din­gun­gen in diesem Sta­tus sind streng, der Bewe­gungsra­dius ganz klein. Asyl­suchende im Schutz der Kirche kön­nen wed­er Nothil­fe noch Sozial­hil­fe beziehen. Sie sind fast gän­zlich abhängig von der Kirchge­meinde. Zudem beste­ht die Gefahr, dass sie trotz gegen­teiliger Absicht­en öffentlich exponiert wer­den. Finde ein Kirchenasyl den­noch statt, sei dieses aber oft auch für die Kirchge­meinde oder die Pfar­rei mit ihren frei­willi­gen Helfend­en eine bere­ich­ernde Erfahrung. Man könne das Kirche sein in hohem Mass als sinnhaft erleben. «Kirchenasyl ist keine Hex­erei», sagte Christoph Albrecht an der erwäh­n­ten Kirchenasyl-Tagung. Zusam­men mit seinen Kol­legin­nen und Kol­le­gen vom Net­zw­erk Migra­tionschar­ta ermutigte er die anwe­senden Pfar­rper­so­n­en, Mit­glieder von kirch­lichen Behör­den, haupt-​amtlichen und frei­willi­gen engagierten Men­schen, das Kirchenasyl auch in der eige­nen Pfar­rei oder Kirchge­meinde zu prüfen. Als Christin­nen und Kirchen seien wir zuallererst dem weltweit­en Reich Gottes verpflichtet, das keine Lan­des­gren­zen und Aus­gren­zung kenne.


Kirchenratspräsident Luc Humbel zum Kirchenasyl

Haben Sie Ken­nt­nis von einem Kirchenasyl im Kan­ton Aar­gau?

Luc Hum­bel: Mir ist kein Fall bekan­nt, der sich während mein­er vierzehn­jähri­gen Tätigkeit als Kirchen­rat­spräsi­dent zuge­tra­gen hat.

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In welchen Sit­u­a­tio­nen hal­ten Sie ein Kirchenasyl für gerecht­fer­tigt?

Dazu gibt es ein Grund­la­gen­pa­pi­er der Römisch-Katholis­chen Zen­tralkon­ferenz (RKZ). Daran hal­ten wir uns von der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau. Aus diesem Papi­er geht her­vor, dass der Anwen­dungs­bere­ich eines Kirchenasyls sehr eng begren­zt ist, weil wir in der Schweiz einen funk­tion­ieren­den und gut aus­ge­baut­en Rechtss­chutz haben.

Angenom­men eine Kirchenge­meinde oder Pfar­rei wür­den ein Kirchenasyl gewähren wollen. Auf welche Unter­stützung seit­ens der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau kön­nten sie zählen?

Wir wären darauf bedacht, dass der Entscheid gut abge­wogen wird unter Ein­bezug bei­der Seit­en des dualen Sys­tems. Wed­er ein einzel­ner Seel­sorg­er noch eine einzelne Kirchenpflegerin dürfte den Entscheid alleine fällen. Wir wür­den auch anre­gen, die Hal­tung der Kirchge­meinde oder allen­falls des Pfar­reirates in den Entscheid miteinzubeziehen.

Die Lan­deskirche würde also vor allem ver­mit­teln?

Vor allem wür­den wir erk­lären, was das Kirchenasyl ist. Es ist wed­er kirchen­rechtlich noch staat­srechtlich ver­fasst. Das Kirchenasyl hat klare Gren­zen. Es gilt zu beacht­en, dass ein solch­es Engage­ment nicht vorschnell, zwar aus einem guten Willen her­aus ent­standen, in ein­er Sack­gasse lan­det.

In Deutsch­land wer­den jährlich mehrere Hun­dert Kirchenasyle gewährt. In der Schweiz sind es eine Hand voll. Warum ist das so?

In der Schweiz gibt es fast keine Anwen­dungs­fälle. Für mich wäre ein prak­tis­ch­er Anwen­dungs­fall, wenn kleine Kinder während eines laufend­en Ver­fahrens aus­geschafft wer­den soll­ten. Dann würde ich ver­ste­hen, dass sich die Kirche für das Bleiben der Kinder engagiert, um einen Gericht­sentscheid abzuwarten. Im Rah­men ordentlich­er Asy­lentschei­de sehe ich keine Notwendigkeit eines Kirchenasyls. Wir sind als Kirche nicht legit­imiert, staatlich gefällte Entschei­de auf ihre Recht­mäs­sigkeit hin zu über­prüfen.

Wie sieht es mit den Dublin-Fällen aus, die in Län­der zurück­geschafft wer­den sollen, in denen sie zuerst reg­istri­ert wur­den, wo sie bekan­nter­massen wenig Chance auf einen ordentlichen Asyl­prozess haben, wie etwa die Berichte aus Kroa­t­ien zeigen?

Auch hier ist die Kirche aus mein­er Sicht gehal­ten, das staatliche Recht und die Anord­nun­gen zu respek­tieren.

Was denken Sie über das prophetis­che Wächter­amt der Kirche, das den Staat mah­nt, wenn er seinen Recht­sprinzip­i­en nicht gerecht wird?

Im Rück­blick auf die ver­gan­genen Ereignisse (Luc Hum­bel spielt auf den Miss­brauchsskan­dal an) sind wir gut berat­en, wenn wir die eige­nen Ansprüche nicht über­höhen, wenn wir sie selb­st nicht erfüllen.

Wäre das Ausüben dieses Amtes nicht auch eine Möglichkeit, wieder an Glaub­würdigkeit zu gewin­nen?

Dazu ist der Asyl­bere­ich der falsche Fokus, weil wir aus­ge­sprochen gute Rechtswege haben. Die Kirche kön­nte sich aber aktiv­er ein­brin­gen in Werte­diskus­sio­nen.

Inter­view: Eva Meien­berg

Eva Meienberg
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