«Ich bin nicht allein»
Wie der internationale Austausch junge Gläubige ermutigt
In den vergangenen Tagen waren über 30 «Jugendbotschafter/innen» aus verschiedenen Ländern zu Gast in Basel. Im Rahmen des Jugendbotschaftsprogramms von Mission 21, das von den Stiftungen Movetia und Wegweiser unterstützt wird, diskutieren sie über kulturelle Grenzen hinweg gemeinsam Fragen der globalisierten Welt und suchen im Austausch nach Lösungsansätzen. Einer von ihnen ist Musung Mun. Er kommt aus Südkorea und erzählt, wie der Austausch mit anderen jungen engagierten Menschen seine Sicht auf Theologie, den gelebten Glauben und seine Zukunftsvisionen bereichert hat. Das Programm, an dem Sie teilnehmen, möchte einen Raum schaffen, in dem sich junge Menschen aus aller Welt über gesellschaftliche, politische und religiöse Themen austauschen können. Warum ist ein internationaler Austausch wichtig?Musung Mun: Wenn wir uns nur im nationalen Kontext bewegen, verlieren wir oft den Weitblick. Es ist wichtig, sich mit Menschen auszutauschen, die aus einem anderen Kontext heraus und mit einer anderen Perspektive auf die Themen blicken. Der Austausch und das Erkennen der Unterschiede hilft uns bei einer Standortermittlung: «Wo ist die eigene Gesellschaft progressiv, wo ist sie eher konservativ?»
Warum sollten gerade junge Menschen zu diesen Themen in einen internationalen Austausch gehen?Junge Menschen versinken durch Social Media heutzutage in einer Masse an Informationen. Doch diese Informationen werden trotzdem durch einen Algorithmus bestimmt. Jeder und jedem werden genau die zu seiner Meinung passenden Inhalte gezeigt. Viele Informationen zu bekommen, führt für sie also mitnichten dazu, dass sie ihren Horizont erweitern, sie bleiben in ihrer Interessensblase. Wenn junge Menschen sich persönlich treffen, sich unterhalten, ihre Gedanken austauschen und diskutieren, ist das sehr wertvoll. In den sozialen Netzwerken wollen viele einfach nur ihre Meinung loswerden, ohne den anderen zuzuhören.
Und wieso muss dabei auch eine religiöse Perspektive eingenommen werden? Reicht es nicht, auf einer «profanen» Ebene über Themen zu sprechen?Wer Christin oder Christ ist, der muss meiner Meinung nach nicht einer bestimmten Partei, einer bestimmten Denkrichtung oder einer Interessensvertretung angehören. Wir können sozusagen, auf eine gewisse Weise neutral sein, wir können mit unserem Glauben, der über das «weltliche» hinausgeht, neue Perspektiven einbringen.
Sie kommen aus Südkorea. Können Sie uns einen Einblick in die Gesellschaft geben?Wir haben einige Probleme in unserem Land. Es gibt eine Ungleichbehandlung der Geschlechter, der Graben zwischen arm und reich ist sehr tief, wir haben die höchste Selbstmordrate der Welt. Der Neoliberalismus ist sehr präsent in unserem Land. Grosser beruflicher Erfolg und gutes Aussehen sind extrem wichtig für die Menschen und müssen um jeden Preis erreicht werden. Die Männer gehen ins Fitnessstudio, die Frauen helfen mit Schönheitsoperationen nach. Wer diesem Bild der erfolgreichen, schönen Person nicht entspricht, gilt als Verlierer.Und selbstverständlich ist auch die Situation mit Nordkorea allgegenwärtig. Hier stelle ich fest, dass Menschen aus anderen Ländern oft über die politische Figur Kim Jong-un Bescheid wissen. Aber in diesem Land leben auch Menschen. Die Probleme, die die Bevölkerung dort hat, scheinen hier oft unbekannt zu sein, zum Beispiel, dass Menschen dort verhungern, oder wie es den Menschen ergeht, die versuchen, aus Nordkorea zu fliehen. Oft sind sie chinesischen «Brokern» vollkommen ausgeliefert und werden von ihnen misshandelt und vergewaltigt, viele sterben auch anonym. Wir Südkoreaner machen uns grosse Sorgen um diese Menschen.
Und wie sieht es in der Kirche in Ihrem Land aus?Die Kirche ist sehr konservativ, misogyn und patriarchalisch. Die Gesellschaft ist, wie gesagt, sehr wettbewerbsorientiert und das spiegelt sich auch in der Kirche wider. Ausserdem sprechen wir in Südkorea darüber, dass die europäischen Kirchen zusammenbrechen und die Zahlen sinken. Unsere konservative Kirchenkultur sorgt dafür, dass die Zahlen bei uns zumindest langsamer sinken.
Ich habe gehört, Sie möchten Lösungen für eine solidarischere Gesellschaft entwickeln und sich unter anderem für mehr Gleichberechtigung von Frauen einsetzen. Wie kann Ihnen das, was sie hier im Programm lernen, dabei konkret helfen?An meiner Uni gibt es in meinem Studiengang die Möglichkeit für Studierende, Seminare für Mitstudierende zu halten. Ich möchte das tun. Vor allem das Thema «Ökumene» möchte ich fördern, denn viele Studierende bei uns wissen nicht viel darüber und sehen es als etwas sehr Negatives an. Auch über das Thema «Frauenrechte» möchte ich aufklären. Viele Studierende wissen nicht einmal, was Feminismus ist. Allerdings habe ich mir bisher bei diesem Gedanken auch Sorgen gemacht. Vor allem, was einige konservative Professoren oder andere kirchliche Instanzen sagen könnten, oder ob ich gar rausgeschmissen werden könnte. Hier im Programm treffe ich andere junge Menschen, die sich ebenfalls für diese Themen einsetzen. Ich merke, dass ich nicht allein bin. Ich bin vielen Menschen begegnet, die konkret aus ihrem Glauben heraus handeln. Das ermutigt mich für meine Arbeit zuhause.
Sie haben, unter anderem, Theologie studiert. Wie hat der Austausch mit den Menschen aus anderen Ländern Ihre Theologie beeinflusst? Bisher gab es für mich sozusagen zwei getrennte Theologien: die systematische und die praktische. Mein Fokus lag bisher stark auf der systematischen Theologie. Ich scheibe, lese oder spreche viel über den Glauben und sehe mich selbst weniger als einen Aktivisten. Dadurch hatte ich auch das Gefühl, ich hätte gar kein Recht, auf der mir weniger bekannten praktischen Seite etwas zu initiieren. Durch die anderen Teilnehmenden habe ich gemerkt, dass es diese klare Trennung zwischen diesen beiden Theologien so gar nicht gibt. Ich lerne gerade, eine Verbindung, eine Brücke zwischen den beiden Bereichen der Theologie zu schlagen.
Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?Nachdem ich einige Zeit im Ausland studiert und im Zuge meiner Ausbildung zwei bis drei Jahre in einer lokalen Kirche gearbeitet haben werde, möchte ich Doktor oder Professor werden. Ich möchte auf gewisse Weise «bekannt» sein. Nicht, weil ich das für mich persönlich brauche. Aber ich hatte es schon erwähnt: In Südkorea geht es immer darum, eine erfolgreiche akademische Karriere hinzulegen. Gehör bekommt nur, wer eine hohe Position erreicht hat. Mir geht es darum, das Gehör, das ich bis dahin hoffentlich bekomme, meine Stimme, die ich gegen ungerechte Strukturen erhebe, zu nutzen, um etwas zu verändern.
Leonie Wollensack