Herzlich willkommen!
Ein Besuch kündigt sich an.
Bild: © Eva Meienberg

Herzlich willkommen!

Viele Menschen sind einsam, nicht allen ist das egal.

Die Landeskirchen unterstützen Freiwillige, die Besuche bei Menschen zu Hause, in Spitälern, Heimen und Gefängnissen machen mit einem Einführungskurs. Gespräche führen und Zuhören wollen gelernt sein.

Rund jede zwölfte Per­son über 15 Jahren leis­tet in der Schweiz Frei­willi­ge­nar­beit in ein­er Reli­gion­s­ge­mein­schaft, Kirche oder kirchen­na­hen Organ­i­sa­tion. Dazu gehören auch die Besuchs­di­en­ste der Aar­gauer Lan­deskirchen. Frei­willige besuchen Men­schen in Insti­tu­tio­nen – Alter­sheimen, Spitälern, Gefäng­nis­sen – oder zu Hause. Im ver­gan­genen Jahr besucht­en Frei­willige der Lan­deskirchen im Kan­ton Aar­gau rund 20 000 Jubi­lar­in­nen und Jubi­lare. Nicht gezählt sind dabei die Weg­be­gleitun­gen und Besuche von Pal­lia­tiv­pa­ti­entin­nen und ‑patien­ten. Eben­falls nicht eingeschlossen sind die Besuche, die von anderen Organ­i­sa­tio­nen, wie etwa dem Schweiz­erischen Roten Kreuz oder der Pro Senec­tute organ­isiert wer­den. Koor­diniert wer­den die Besuchs­di­en­ste der Lan­deskirchen in den Pfar­reien und Kirchge­mein­den vor Ort.

Besuchen lernen

Für zukün­ftige Besuchende oder zur Auf­frischung für ges­tandene Besuchs­di­en­st­lerin­nen und-dien­stler gibt es einen Ein­führungskurs, der die reformierte und die katholis­che Lan­deskirche gemein­sam ver­ant­worten. Am drit­ten Kursabend geht es in den Räu­men der katholis­chen Lan­deskirche an der Feer­strasse in Aarau um das aktive Zuhören. Alois Metz, Ver­ant­wortlich­er Frei­willi­ge­nar­beit der römisch-katholis­chen Kirche im Kan­ton Aar­gau, leit­et den Ein­führungskurs, der zweimal jährlich stat­tfind­et. Dreizehn Teil­nehmende – sieben Frauen und sechs Män­ner – sitzen um einen grossen Tisch. Die meis­ten von ihnen wer­den Men­schen in einem Gefäng­nis besuchen – einige zum ersten Mal, andere schon seit Jahrzehn­ten. Viele Teil­nehmende haben ein fort­geschrittenes Alter. Die Atmo­sphäre ist lock­er, es wird viel gelacht, alle sind per Du. Alois Metz erin­nert die Teil­nehmenden daran, wie wichtig ihre eigene Hal­tung bei einem Besuch ist. «Ein­ladend, inspiri­erend, authen­tisch» lautet seine Kurz­formel. Berichte der besucht­en Men­schen sollen wed­er gew­ertet noch kom­men­tiert wer­den. In den Kur­sun­ter­la­gen ist ein gross­es Ohr abge­bildet, denn die Besuchen­den sind zuallererst Zuhörende. Und das aktive Zuhören will gel­ernt sein, weil es dem Gegenüber sig­nal­isiert: «Ich bin da, mich inter­essiert, was du sagst. Wenn ich etwas nicht ver­ste­he, dann frage ich nach», erk­lärt Alois Metz. Inter­esse sig­nal­isieren, das geht auch mit der Kör­per­hal­tung und dem Blick, erk­lärt der Kursleit­er. Wichtig aber trotz aller method­is­chen Kniffe: authen­tisch bleiben. Dazu gehöre auch, dass die Besuchen­den auf sich selb­st Rück­sicht näh­men. «Wenn es euch unan­genehm wird, es zeitlich ausufert oder wenn schlicht die Chemie nicht stimmt, dann zieht eure Gren­ze», sagt Alois Metz.

Gespräche in Theorie und Praxis

In einem Rol­len­spiel üben zwei Teil­nehmende das aktive Zuhören mit fol­gen­der Aus­gangslage: Herr Weber wohnt im Senioren­heim und traut sich seit kurzem nicht mehr unter die Leute. Die Lei­t­erin der Abteilung hat die Frau vom Besuchs­di­enst darauf hingewiesen, dass vor kurzem die Katze gestor­ben sei, die auf der Abteilung gelebt hat. Herr Weber habe die Katze sehr gern gehabt, trauere nun über den Tod des Tieres und mei­de Gesellschaft. Zwei Kursteil­nehmerin­nen spie­len die Szene vor. Die übri­gen Teil­nehmenden beobacht­en ­genau. Was erzählt die Kör­per­sprache der bei­den? Wie gehen sie mit Rede­pausen um? Wie kom­men sie aus ein­er Schleife wieder her­aus, wenn sie sich the­ma­tisch nur noch im Kreis drehen? Nach dem Spiel wird die Szene genau analysiert.

UNO-Tag der Freiwilligen​am 5. Dezem­ber

Frei­williges Engage­ment ist ein zen­traler Bestandteil der Zivilge­sellschaft und fördert Werte wie Frieden, Frei­heit und Gerechtigkeit. Es stärkt Gemein­schaftssinn, ermöglicht lebenslanges Ler­nen und hil­ft, Unter­schiede zu über­winden. Es trägt dazu bei, nach­haltige Gemein­schaften zu schaf­fen und glob­ale Her­aus­forderun­gen gemein­sam zu bewälti­gen.

SBK und EKS stehen solidarisch an der Seite der jüdischen Gemeinschaft - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz
Frei­willi­ge­nar­beit trägt und ver­net­zt Men­schen. © Roger Wehrli

Besuche im Gefängnis

Franz Krum­me­n­ack­er und Paul Erni ken­nen solche Szenen nicht nur the­o­retisch. Seit rund dreis­sig Jahren besuchen sie inhaftierte Men­schen im Gefäng­nis. Franz Krum­me­n­ack­er kann sich noch leb­haft an seine ersten Besuche bei einem Sex­u­al­straftäter erin­nern. Die seien gar nicht ein­fach gewe­sen, weil der Mann seine Tat­en ständig herun­terge­spielt habe. Den­noch besuchte Franz Krum­me­n­ack­er den Mann während drei Jahren alle paar Monate. Dieser habe sich gefreut, wenn er gekom­men sei. Sie hät­ten über ihr gemein­sames Hob­by, den Sport, gesprochen, aber dann habe er früher oder später ange­fan­gen zu schimpfen.

Den Frust von der Seele reden

Ähn­lich­es hat auch Paul Erni erlebt. «Am Anfang des Besuchs im Gefäng­nis ist man manch­mal der Abfall­eimer für den Ärg­er der Insassen», sagt Paul Erni. Er über­lasse dann dem Gegenüber die Gesprächs­führung und frage höch­stens nach, wenn er etwas nicht ver­standen habe. Paul Erni ver­ste­ht, dass die Gefäng­nisin­sassen das Bedürf­nis haben, sich ihren Frust ein­fach mal von der Seele zu reden. Meis­tens gelinge es ihm auch, mit ein­er Frage dem Gespräch eine neue Wen­dung zu geben. Franz Krum­me­n­ack­er und Paul Erni sind sich einig, dass die Delik­te nicht herun­terge­spielt wer­den dür­fen. Gle­ichzeit­ig wollen sie die inhaftierten Men­schen nicht auf ihre Tat reduzieren. Ein beson­ders schön­er Moment für Paul Erni war, als er einen Mann, den er besucht hat­te, am Gefäng­nis­tor abholen und in die Frei­heit begleit­en durfte. Beständi­ge Fre­und­schaften haben sich jedoch wed­er für Franz Krum­me­n­ack­er noch für Paul Erni aus den Besuchen ergeben. Nach der Haft woll­ten die Men­schen wohl nicht mehr an die Zeit im Gefäng­nis erin­nert wer­den.

Nach der Pause erk­lärt Alois Metz den Kursteil­nehmenden das Fünf-Säulen-Mod­ell: Leib­lichkeit, Soziale Beziehun­gen, Arbeit und Leis­tung, materielle Sicher­heit, Werte und Ide­ale sind exis­ten­tielle Pfeil­er für die Iden­tität eines Men­schen. Drei Säulen brauche der Men­sch, um sta­bil zu ste­hen, sagt der Kursleit­er. Die Säulen sollen in den Gesprächen dazu dienen, den Fokus auf die Ressourcen der Men­schen zu lenken. Zum Abschluss hat der Kursleit­er eine weit­ere Kurz­formel parat: «Besuchs­di­enst ist Friedens­di­enst».

Eva Meienberg
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