Es gibt Wichtigeres als meinen Tod!

Es gibt Wichtigeres als meinen Tod!

Offen­barung 12,10–12ADa hörte ich, Johannes, eine laute Stimme im Him­mel rufen: Jet­zt ist er da, der ret­tende Sieg, die Macht und die Königsh­errschaft ­unseres Gottes und die Voll­macht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unser­er Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verk­lagte. Sie haben ihn ­besiegt durch das Blut des Lammes und durch ihr Wort und ihr Zeug­nis. Sie hiel­ten ihr Leben nicht fest, bis hinein in den Tod. Darum jubelt, ihr Him­mel und alle, die darin wohnen.   Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Es gibt Wichtigeres als meinen Tod!

Der Karsam­stag ist ein ganz beson­der­er Tag, der Tag der Grabesruhe Jesu zwis­chen den Trä­nen des Kar­fre­itags und dem Jubel des Oster­son­ntags. Meist wird dieser Karsam­stag mis­sachtet und gebraucht als Vor­bere­itungstag für das Oster­fest. Die dur­chaus vielfälti­gen prak­tis­chen und vielle­icht auch notwendi­gen Tätigkeit­en lassen vergessen, dass der Sinn von Kar- und Oster­woche darin liegt, den Weg Jesu zu begleit­en, zu bedenken und so bess­er zu ver­ste­hen. Der Karsam­stag ist die Mitte dieser Zeit, absolute Tiefe des Unglücks und der Rat­losigkeit.Wie ret­tet man sich aus der Ohn­macht? Wie geht man um mit Nieder­la­gen? Wie bewältigt man Trauer? Sich­er kann man sich in Aktivis­mus stürzen; dann merkt man weniger, wie sehr man ver­let­zt und ent­täuscht ist. Man kann sich mit aller Kraft in das Leben nach dem Ver­lust hinein­ret­ten, um der Leere zu ent­ge­hen, die man meint nicht aushal­ten zu kön­nen. Aber ich weiss nicht, ob dieser Umgang mit dem «Nicht-wis­sen-wie-es-weit­erge­ht» wirk­lich hil­fre­ich ist.Der Karsam­stag ist eine Ein­ladung, der Erfahrung der Rat­losigkeit nachzus­püren. Im kirch­lichen Rit­u­al wird dies deut­lich durch den offen ste­hen­den leeren Taber­nakel. Er stellt das Herz dar, in dem nun, nach dem Tod des Geliebten, nie­mand mehr wohnt. Das Bild tut weh, aber ich mag dieses Bild. Denn wie kaum eine andere Darstel­lung spiegelt sie diese Lebenssi­t­u­a­tion. Ich selb­st habe sie dur­chaus schon erlebt. Und ich habe erfahren, dass es nicht gut ist, den Schmerz mit einem Schul­terzuck­en weg­denken zu wollen. Dabei bleibt die Seele zurück.Wie zwis­chen dem Ausat­men und dem Einat­men ein Moment der Leere liegt, so liegt zwis­chen dem Kar­fre­itag und dem Oster­fest der Karsam­stag. Es gilt, auszuhal­ten, um zu begreifen. Was ver­gan­gen ist, klingt nach wie ein Echo. Was kom­men wird, kann nicht vor­weggenom­men wer­den.Zufäl­lig deckt sich in diesem Jahr das Datum des Karsam­stags mit dem Gedenk­tag des hl. Stanis­laus, eines Bischofs im Polen des 11. Jahrhun­derts. Ermordet wurde er, weil er dem Machthaber unan­genehm den Spiegel vorge­hal­ten hat. Während des Gottes­di­en­stes wurde er umge­bracht. Auch sein Tod raubt uns den Atem an diesem Karsam­stag. Aber wir sehen die Par­al­le­len mit den vie­len anderen, die das gle­iche Schick­sal erlit­ten haben, zum Beispiel mit Bischof Óscar Romero. Wir tun nicht gut daran, all diese Mär­tyr­er zu rasch zu ver­gold­en und in die Schar der Heili­gen zu stellen. Bess­er wäre es, unsere Entrüs­tung und Wut zu spüren, vielle­icht auch unsere eigene Angst.Wir kön­nten uns fra­gen, ob es auch für uns etwas Wichtigeres gibt als unser eigenes Leben. Jesus wurde wegen sein­er Überzeu­gun­gen umge­bracht. Er war und blieb sich selb­st treu und seinem Gott. War das diesen Kreuzweg wert? Und die anderen, zu denen wir auf­blick­en? «Sie hiel­ten ihr Leben nicht fest, bis hinein in den Tod», so kom­men­tiert die Offen­barung. Wir hal­ten sie für mutig. Wie treu sind wir unseren Überzeu­gun­gen?Der offene leere Taber­nakel am Karsam­stag lädt ein zur Med­i­ta­tion, vielle­icht gar zur Selb­st­besin­nung, zur Kon­fronta­tion mit den eige­nen ungelösten Fra­gen. Vielle­icht nehmen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich am Karsam­stag Zeit für Ihre ganz pri­vate Leere. Gehen Sie in eine Kirche und set­zen Sie sich vor den Taber­nakel und hal­ten Sie die Zeit dort aus, ohne kluge Gedanken, ohne Flucht in den All­t­ag. Die Stille ist der Geburt­sort der Hoff­nung. Spüren Sie den Moment vor dem neuen Atemzug. Vielle­icht spüren Sie in der Karsam­stagsleere hinein in Ihr eigenes Herz und ahnen, was Ihnen wichtiger sein kön­nte als Ihr eigenes Über­leben.Lud­wig Hesse, The­ologe, Autor und Teilzeitschrein­er, war bis zu sein­er Pen­sion­ierung Spi­talseel­sorg­er im Kan­ton Basel­land.   
Redaktion Lichtblick
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