«Es funk­tio­niert, solan­ge kei­ner unter dem Hag durch frisst»

«Es funk­tio­niert, solan­ge kei­ner unter dem Hag durch frisst»

  • Der Histo­ri­ker Linus Hüs­ser arbei­tet als Kir­chen­pfle­ger schon seit 20 Jah­ren für die staats­kir­chen­recht­li­che Sei­te des dua­len Systems.
  • Die­se Form der Kir­chen­fi­nan­zie­rung ermög­licht nicht nur vie­le seel­sor­ge­ri­sche und dia­ko­ni­sche Wer­ke, es bewahrt auch Kul­tur­schät­ze vor dem Zerfall.
  • Bei einer Füh­rung durch «sei­ne» Kir­che, erklärt Hüs­ser die Vor­tei­le und Stol­per­stei­ne des dua­len Systems

Wer das Pri­vi­leg hat, von Linus Hüs­ser per­sön­lich durch die Kir­chen­an­la­ge St. Niko­laus in Herz­nach geführt zu wer­den, ver­gisst die­se Ein­drücke nicht mehr so schnell. Der impo­san­te Glocken­turm aus dem 14. Jahr­hun­dert zeigt heu­te noch die Spu­ren des gros­sen Erd­be­bens von Basel. «Die mei­sten Kirch­tür­me im Frick­tal sind damals, 1356, ein­fach umge­fal­len», erzählt der pro­mo­vier­te Histo­ri­ker, «aber unser Glocken­turm stand auf einem so soli­den Fun­da­ment, dass nur die­se bei­den gros­sen Ris­se ent­stan­den sind.» 

Beim anschlies­sen­den Gang durch die spät­ba­rocke Kir­che mit ihrem präch­ti­gen Chor spru­deln histo­ri­sche Fak­ten und Anek­do­ten der Geschich­te im mun­te­ren Wech­sel aus die­sem mensch­li­chen Füll­horn des Wis­sens. Nicht nur als Histo­ri­ker, son­dern auch als über­zeug­ter Katho­lik und lang­jäh­ri­ger Kir­chen­pfle­ger freut sich Hüs­ser über den Umstand, dass sei­ne Kirch­ge­mein­de der Aus­sen­re­no­va­ti­on des barocken Schmuck­stücks in Höhe von 800’000 Fran­ken zuge­stimmt hat.

Was der Kir­che schadet

Waren es im Mit­tel­al­ter noch Erd­be­ben oder Krie­ge, die der Kir­che Scha­den zuge­fügt haben, so sind es heu­te Skan­dal­nach­rich­ten, Wohl­stand, Gleich­gül­tig­keit und Des­in­ter­es­se, die dazu füh­ren, dass die Kir­che ins gesell­schaft­li­che Abseits gerät. Momen­tan kann die katho­li­sche Kir­che der Schweiz ihre zahl­rei­chen Auf­ga­ben im Dien­ste der Men­schen noch erfül­len. Das ver­dankt sie im wesent­li­chen der Kan­tons­ver­fas­sung von 1885, auf deren Basis die heu­te amtie­ren­den Lan­des­kir­chen mit öffent­lich-recht­li­cher Selb­stän­dig­keit und eige­ner Rechts­per­sön­lich­keit ent­ste­hen konnten.

Das soge­nann­te dua­le System, das aus der neu­en Ver­fas­sung her­aus ent­stand und die Kir­chen­struk­tur in fast der Schweiz bis heu­te prägt, trennt zwi­schen ernen­nungs­be­rech­tig­ten kirch­li­chen Auto­ri­tä­ten (Bischö­fe, Prie­ster) und staats­kir­chen­recht­li­chen Behör­den (Lan­des­kir­che, Kirch­ge­mein­den) und for­dert gleich­zei­tig deren Zusammenarbeit.

Pro­blem ist der Mensch

Das kann zu Pro­ble­men füh­ren, wie es Hori­zon­te in sei­ner Aus­ga­be 09/10 unter dem Titel «Das dua­le System frisst sei­ne Kin­der – auf bei­den Sei­ten» berich­te­te. Linus Hüs­ser kennt die staats­kir­chen­recht­li­chen Auf­ga­ben à fond. Seit 20 Jah­ren ist er schon Mit­glied der Kir­chen­pfle­ge Herz­nach-Ueken und seit 19 Jah­ren deren Prä­si­dent. Als Histo­ri­ker hat er 2011 die Bro­schü­re «Mei­len­stei­ne» ver­fasst, zum 125. Geburts­tag der Aar­gau­er Landeskirche. 

Er sieht die heu­ti­gen Pro­ble­me der Kir­che nicht grund­sätz­lich im dua­len System begrün­det, son­dern in den Men­schen: «Die Fol­gen der Wohl­stands­ver­blö­dung geben mir schon zu den­ken. Die Kir­chen­aus­trit­te sind das eine, aber schlimm ist auch, dass immer mehr Eltern ihre Kin­der nicht mehr tau­fen las­sen. Der Gip­fel war für mich, als ein Paar sein Kind noch die Erst­kom­mu­ni­on bei uns fei­ern liess und gleich danach aus der Kir­che aus­ge­tre­ten ist.»

Nicht zuviel sitzen

Wenn bei­de Sei­ten des dua­len Systems ihre Kom­pe­ten­zen kenn­ten und sie gegen­sei­tig respek­tier­ten, dann gäbe es kei­ne Pro­ble­me, sagt Hüs­ser. «Es funk­tio­niert, solan­ge kei­ner unter dem Hag durch frisst. Wich­tig ist die Kom­mu­ni­ka­ti­on unter­ein­an­der. Aus­ser­dem hilft es, wenn die Mit­glie­der der Kir­chen­pfle­ge, wie bei uns, in der Kir­che sel­ber auch aktiv sind.» 

Und ganz wich­tig: «Nicht zu vie­le Sit­zun­gen abhal­ten. Das ist eine Krank­heit der Staats­kir­che, sie sitzt zuviel her­um. Der letz­te Pfar­rer, den wir in Herz­nach hat­ten, Niko Bano­vic, hat ein­mal gesagt, dass er die mei­ste Zeit als Prie­ster in Sit­zun­gen ver­tue. Ich habe dann dafür gesorgt, dass es nur noch sie­ben Sit­zun­gen pro Jahr gab.» Dann steht Hüs­ser auf und nimmt sei­nen Gast mit zum Bein­haus und in den Glocken­turm, wo die näch­sten histo­ri­schen Schät­ze und ihre Geschich­te warten.


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Christian Breitschmid
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