«Theologinnen, übernehmt die Rolle der Kapitäninnen!»

«Theologinnen, übernehmt die Rolle der Kapitäninnen!»

  • Doris Strahm und Sil­via Strahm Ber­net haben in der fem­i­nis­tis­chen The­olo­gie wortwörtlich Geschichte geschrieben.
  • Am Son­ntag, 3. März, erhal­ten die Schwest­ern für ihre Arbeit den Her­bert Haag Preis 2024.
  • Die fem­i­nis­tis­che Auf­bruchsstim­mung in der The­olo­gie sei vor­bei, aber das Fun­da­ment für eine men­schen­fre­undliche Kirche gelegt, sagen die Preisträgerin­nen.

Was bedeutet es Ihnen, dass Sie den Preis gemein­sam bekom­men haben?
Doris Strahm: Es bedeutet mir viel. Ich ver­mute, dass unser Buch «Mächtig stolz» mit ein Grund war, dass uns und damit der fem­i­nis­tis­chen The­olo­gie dieses Jahr der Her­bert Haag Preis zuge­sprochen wurde. Die Arbeit an diesem umfan­gre­ichen und sehr aufwändi­gen Werk war ein High­light in unser­er Schwest­ern­beziehung.

Sil­via Strahm Ber­net: Der Preis ist sozusagen das Sah­ne­häubchen auf einem an sich schon wun­der­baren Buch­pro­jekt. Es hat die gemein­samen Fäden der Anfänge wieder aufgenom­men und run­det für mich unsere lan­gen, unter­schiedlich ange­gan­genen Denk- und Umset­zungswege aufs Schön­ste ab. Dass wir nun auch diesen Preis gemein­sam erhal­ten, passt in diese spezielle fem­i­nis­tisch-the­ol­o­gis­che Schwest­erngeschichte.

[esf_wordpressimage id=40803 width=half float=left][/esf_wordpressimage]

Welche Bedeu­tung kommt der Schwest­ern­schaft auch in der fem­i­nis­tis­chen The­olo­gie zu?
Doris Strahm: Der Slo­gan der neuen Frauen­be­we­gung «Sis­ter­hood is pow­er­ful» war für uns als junge The­ologin­nen in den 1980er-Jahren nicht ein­fach nur ein Slo­gan, son­dern etwas, das wir an Frauen­ta­gun­gen gelebt und erlebt haben. Gemein­sam waren wir stark und ermächtigten uns gegen­seit­ig. Angetrieben von unser­er lei­den­schaftlichen Suche nach ein­er frauen­be­freien­den und lebens­fre­undlichen The­olo­gie woll­ten wir die Welt aus den Angeln heben, die Gesellschaft radikal verän­dern und eben­so deren religiös-sym­bol­is­che Ord­nung.

«Anstelle von Schwest­ern­schaft ist meines Eracht­ens heute die Frage nach der Sol­i­dar­ität unter Frauen* ver­schieden­er sozialer und kul­tureller Herkun­ft getreten.»

Der Euphorie der Anfänge fol­gte in den 1990er-Jahren eine gewisse Ernüchterung. Das Gefühl, dass wir alle Schwest­ern seien, wurde von ver­schiede­nen Seit­en prob­lema­tisiert, weil es Ungle­ich­heit und Machtver­hält­nisse unter Frauen aus­blendete. Frauen sitzen näm­lich nicht ein­fach qua Geschlecht im sel­ben Boot; ihre Leben­sre­al­itäten sind je nach Kon­text von unter­schiedlichen Diskri­m­inierungs­for­men geprägt. Seit­dem ist eine Dif­feren­zierung und Plu­ral­isierung fem­i­nis­tis­ch­er The­olo­gien einge­treten, die ein «wir Frauen» nicht mehr unhin­ter­fragt zulässt. Anstelle von Schwest­ern­schaft ist meines Eracht­ens heute die Frage nach der Sol­i­dar­ität unter Frauen* ver­schieden­er sozialer und kul­tureller Herkun­ft getreten.

[esf_wordpressimage id=21187 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Sil­via Strahm Ber­net: Schwest­ern­schaft heisst Ver­wandtschaft, heisst, eng ver­bun­den sein, bedeutet gemein­same Wurzeln, eine gemein­same Herkun­ft haben, Erfahrun­gen machen, die verbinden. Etwas, das über das «Wir Frauen» hin­aus­ge­ht, das am Beginn des fem­i­nis­tis­chen Weges für viele von uns stand. Eine verbindlichere Kom­plizin­nen­schaft: kraftvoll, empathisch, auch für­sor­glich, wie Schwest­ern sein kön­nen. Dass Schwest­ern­schaft auch Schwest­ern­stre­it bein­hal­tet – der Titel der ersten Num­mer unser­er fem­i­nis­tisch-the­ol­o­gis­chen Zeitschrift FAMA (1985) lautete übri­gens so –, ist uns allen auch ver­traut, tut dem Ganzen aber keinen Abbruch. Wir sitzen vielle­icht nicht im sel­ben Boot, aber dass wir uns ungeachtet unser­er Dif­feren­zen und unter­schiedlichen Leben­sum­stände immer wieder auch gemein­sam formieren und kämpfen müssen, bleibt als Forderung legit­im.

Die Her­bert Haag Stiftung ste­ht für Frei­heit in der Kirche. Sie, Doris Strahm, sind 2018 aus der Kirche aus­ge­treten. Was denken Sie über die Frei­heit in der Kirche?
Doris Strahm: Frei­heit ist kein Wert, den die hier­ar­chisch ver­fasste römisch-katholis­che Klerik­erkirche ver­tritt oder gar verkör­pert. Deshalb unter­stützt der Her­bert Haag Preis Men­schen, die sich für Frei­heit in der Kirche, für Mitbes­tim­mung und Mit­sprache engagieren, die für Men­schen­rechte und Gle­ich­heit aller Kirchen­mit­glieder, ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer sex­uellen Ori­en­tierung oder ihres Zivil­standes, kämpfen. Als fem­i­nis­tis­che The­olo­gin habe ich mich jahrzehn­te­lang für eine frauen­be­freiende und geschlechterg­erechte The­olo­gie und Kirche einge­set­zt. Doch wie viele andere musste ich ein­se­hen, dass sich die Frei­heit eines Chris­ten­men­schen und vor allem ein­er Chris­ten­frau in der hier­ar­chisch-klerikalen Män­nerkirche nicht umset­zen lässt. Dass ich aus struk­turellen Grün­den als Frau daran nichts ändern kann. Um als Fem­i­nistin, die sich seit Jahrzehn­ten für Frauen-Men­schen­rechte engagiert, vor mir sel­ber und auch vor meinen säku­laren Mit­stre­i­t­erin­nen glaub­würdig zu bleiben, kon­nte ich nach dem unsäglichen Ver­gle­ich von Papst Franziskus 2018, dass Abtrei­bung wie ein Auf­tragsmord sei, nicht länger Teil dieser frauen­ver­ach­t­en­den römis­chen Insti­tu­tion sein. Ger­ade weil für mich als Christin Frei­heit, Men­schen­rechte und Gerechtigkeit ein hohes Gut sind.

Was sehen Sie selb­st als Ihr grösstes Ver­di­enst für die fem­i­nis­tis­che The­olo­gie? Was liegt Ihnen am meis­ten am Herzen?
Doris Strahm: Neb­st der FAMA sehe ich in mein­er Dis­ser­ta­tion zu den Chris­tolo­gien von Frauen aus dem glob­alen Süden, die unter dem Titel «Vom Rand in die Mitte» Mitte der 1990er Jahre erschienen ist, mein grösstes Ver­di­enst für die fem­i­nis­tis­che The­olo­gie hierzu­lande. Denn mit dem Sicht­bar­ma­chen der Stim­men von Frauen aus dem glob­alen Süden rück­te auch deren Kri­tik am Eurozen­tris­mus und unbe­wussten Ras­sis­mus ein­er «weis­sen» fem­i­nis­tis­chen The­olo­gie ins Blick­feld und stiess wichtige Lern­prozesse unter uns Schweiz­er The­ologin­nen an. Was heisst es, mit den Augen der Anderen sehen zu ler­nen, ohne diese aber zu vere­in­nah­men? Dieser Lern­prozess und Per­spek­tiven­wech­sel ging bei mir dann im inter­re­ligiösen Dia­log mit Jüdin­nen und Mus­lim­in­nen weit­er. Die Frage, die mir sei­ther am meis­ten am Herzen liegt, lautet: Wie kann interkul­turelles und inter­re­ligiös­es Ver­ste­hen gelin­gen und über die Unter­schiede und das Macht­ge­fälle zwis­chen Frauen hin­weg eine Poli­tik und Prax­is der Sol­i­dar­ität entwick­elt wer­den? Wie kön­nen wir trotz aller Dif­feren­zen Allianzen bilden im Kampf um Frauen-Men­schen­rechte weltweit?

Biografisches

Dr. the­ol., Dr. h.c. Doris Strahm und Dipl. the­ol. Sil­via Strahm Ber­net erhal­ten zusam­men mit Nor­bert Lüdecke am Son­ntag, 3. März in Luzern den Her­bert Haag Preis 2024. Die Schwest­ern wer­den damit gemein­sam als Pio­nierin­nen der fem­i­nis­tis­chen The­olo­gie in der Schweiz geehrt. In den 1980er und 1990er Jahren haben sie viele Pro­jek­te wie etwa die fem­i­nis­tisch-the­ol­o­gis­che Zeitschrift FAMA oder die IG Fem­i­nis­tis­che The­ologin­nen mit ins Leben gerufen. Für die FAMA arbeit­eten sie über 20 Jahre als Redak­torin­nen eng zusam­men. Doris Strahms Wirkungs­feld war akademisch. An den Uni­ver­sitäten Bern, Basel und Luzern hat sie Lehraufträge für fem­i­nis­tis­che The­olo­gie wahrgenom­men. Ausser­dem ist sie Mit­be­grün­derin des «Inter­re­ligiösen Think Tank».

Sil­via Strahm Ber­net hat neben der Fam­i­lien­ar­beit als freis­chaf­fende The­olo­gin und an der Frauenkirchen­stelle Zen­tralschweiz gear­beit­et. Bis 2000 hat sie sich ausser­dem in der Frauenkirche-Bewe­gung engagiert. Nach ein­er beru­flichen Neuori­en­tierung hat Sil­via Strahm Ber­net von 2000 bis 2020 bei der Zen­tral- und Hochschul­bib­lio­thek Luzern gear­beit­et.

Bei­de Schwest­ern waren pub­lizis­tisch und in der Erwach­se­nen­bil­dung tätig: in Kursen, an fem­i­nis­tisch-the­ol­o­gis­chen Tagun­gen, Stu­di­en­wochen im Romero­Haus in Luzern oder an der Zürcher Paulus Akademie.

Sil­via Strahm Ber­net: Ich habe 1981 an der The­ol­o­gis­chen Fakultät Luzern im Fach Dog­matik die schweizweit erste Diplo­mar­beit zur fem­i­nis­tis­chen The­olo­gie ver­fasst: «Fem­i­nis­tis­che The­olo­gie. Eine Darstel­lung ihrer Grundzüge und dreier ihrer The­men (Gottesrede, Chris­tolo­gie und Mar­i­olo­gie)». Von da an habe ich mich schw­er­punk­t­mäs­sig mit diesem The­ma weit­er auseinan­derge­set­zt, viele Pro­jek­te und Zusam­men­schlüssen mitini­ti­iert, sel­ber pub­liziert und mir mit anderen zusam­men ausser­halb der Insti­tu­tion Kirche ein Denk-und Arbeits­feld erschlossen.

Mit dem Buch «Mächtig stolz» haben Sie die Geschichte der fem­i­nis­tis­chen The­olo­gie der Schweiz geschrieben. Wie sieht ihre Zukun­ft aus? Wagen Sie den Blick in die Kristal­lkugel!
Doris Strahm: Es wird keine grosse Bewe­gung mehr sein, weil Kirche und The­olo­gie in unser­er Gesellschaft immer mehr an Bedeu­tung ver­lieren. Aber das Fun­da­ment, das fem­i­nis­tis­che The­ologin­nen in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten mit ihren Büch­ern und Pro­jek­ten gelegt haben und das nachk­om­mende Gen­er­a­tio­nen von Frauen für sich nutzen kön­nen, wird hof­fentlich beste­hen bleiben. Und vielle­icht entste­ht eines Tages an anderen Orten und unteren anderem Namen etwas Neues, das wieder ein Feuer ent­facht.

[esf_wordpressimage id=34830 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Sil­via Strahm Ber­net: Wenn es grundle­gende Fra­gen waren, mit denen wir uns beschäftigten, dann wer­den sie nicht ein­fach ver­schwinden, son­dern sich immer wieder neu stellen. Ich hoffe, dass diese Welt, die sich vor unseren Augen so ras­ant verän­dert und neu schafft, die Men­schen nicht so sehr verän­dert, dass sie aus den Augen ver­lieren und aufhören, Sorge dafür zu tra­gen, was sich in unser­er Gesellschaft als Sol­i­dar­ität, Gemeinsinn, Men­schen­rechte, Gle­ich­stel­lung etc. ein­schrieb. Eine men­schen­fre­undliche Kirche, fem­i­nis­tis­che oder befreiungs­the­ol­o­gis­che Blick­winkel kön­nen das Ein­ste­hen und Umset­zen dieser Werte motivieren und unter­stützen.

[esf_wordpressimage id=36047 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Was rat­en Sie jun­gen Frauen, die heute beschliessen, The­olo­gie zu studieren?
Sil­via Strahm Ber­net: Mein erster Gedanke: Lasst es sein! Aber dann: vielle­icht ein sehr guter Zeit­punkt! Macht es, nutzt die Freiräume, die sich daraus ergeben, dass ihr euch auf einem nicht mehr so recht fahrtüchti­gen Schiff befind­et, das viele deshalb ver­lassen. Übernehmt die Rolle der Kapitänin­nen, ren­oviert, möbliert das alte Schiff neu, natür­lich nicht ein­sam von der Kom­man­do­brücke herab, son­dern mit allen, die mit­fahren wollen, aber bleibt doch ver­ant­wortlich für Fahrtüchtigkeit und behal­tet den gemein­samen Hor­i­zont immer im Blick. Exper­i­men­tiert, ver­bün­det euch mit allen, die ein gutes Leben für alle im Blick haben, seid erfind­erisch und mutig und geduldig. Nach dem Mot­to von Georg Tabori: «Scheit­ern, immerzu scheit­ern, bess­er scheit­ern.»

Das Inter­view wurde schriftlich geführt.

Eva Meienberg
mehr zum Autor
nach
soben