Die Kunst ist es, das Potential richtig zu nutzen

Die Kunst ist es, das Potential richtig zu nutzen

Sechs Orte der Barmherzigkeit besucht Felix Gmür im Jahr der Barmherzigkeit 2016. Am 27. Sep­tem­ber fand der fün­fte dieser Besuche in Aarau statt. Dort ist das Net­zw­erk Asyl Aar­gau mit ver­schieden­sten Ange­boten in der Arbeit mit Flüchtlin­gen tätig. Zen­trales The­ma: Kon­takt find­en.«Barmherzigkeit heisst nicht ein­fach, von oben herab ‚Gutes zu tun‘, son­dern auch, zu schauen, was mein Gegenüber mit­bringt und geben kann. Zu dieser Hal­tung gehört Gerechtigkeit, und dazu braucht es auch gesellschaft­spoli­tis­ches Engage­ment. Barmherzigkeit hat mit Empow­er­ment zu tun. Das wird hier im Offe­nen Pfar­rhaus gemacht», fasst Felix Gmür vor der Zvieri-Pause zusam­men.

Aus Tradition ein offenes Haus

Doch vor dem Zvieri ste­ht Geschichtlich­es und reger Aus­tausch. Esther Wyss, seit  2009 im Offe­nen Pfar­rhaus tätig, gibt einen Ein­blick in die Geschichte des über 200 Jahre alten Haus­es. Ursprünglich für einen Sei­den­fab­rikan­ten gebaut, wurde es 1939 von der Katholis­chen Kirche gekauft. «Eine mein­er Quellen, die ich befragt habe, sagte, das Haus sei schon immer ein offenes Haus gewe­sen, wobei das heisst, seit 1976 – solange arbeit­et die Quelle näm­lich hier», erzählt Esther Wyss, die auch Kon­tak­t­frau zum Net­zw­erk Asyl ist.Bis zum Umbau im Jahr 2003 lebten immer Pfar­rer oder nicht gewei­hte Seel­sorg­er im Haus – ein Umstand, der es mit sich bringt, dass Men­schen klopfen, kom­men und gehen. Nach dem Umbau mietete die Car­i­tas den zweit­en Stock, der erste Stock beherbergt Büros und Sitzungsz­im­mer. Das Pfar­rhaus ist eben auch Haus der lebendi­gen Pfar­rge­meinde Peter und Paul Aarau.

Netzwerk Asyl Aargau und seine Angebote

Jan Götschi, der seit August im Offe­nen Pfar­rhaus arbeit­et, ist nun damit beauf­tragt, ein Konzept für das Offene Pfar­rhaus zu erar­beit­en und umzuset­zen. «Beson­ders aktiv im Offe­nen Pfar­rhaus ist das Net­zw­erk Asyl, welch­es hier zweimal wöchentlich den Asyl­tr­e­ff ‚‚Con­tact‘‘ betreibt», erk­lärt er den Anwe­senden, und lis­tet weit­ere Aktiv­itäten der Non­prof­it-Organ­i­sa­tion in Aarau auf: «Klei­der­börse, Sportange­bote, das ‚Pro­gramm BBB —  Asyl mit Bil­dung, Begeg­nung und Beschäf­ti­gung‘, sog­ar eine Schule für 40 Unbe­gleit­ete Min­der­jährige (UMAs). Weit­er ist das Net­zw­erk Asyl eine Drehscheibe für Frei­willige und engagiert sich poli­tisch im Asyl­we­sen».Lange dabei ist auch Max Heim­gart­ner, reformiert­er Pfar­rer im Ruh­e­s­tand. Er koor­diniert die 20 Deutschkurse, die von rund 30 Frei­willi­gen für Asyl­suchende gegeben wer­den. «Der ‚Con­tact‘ ent­stand 2004 auch aus der Erken­nt­nis her­aus, dass hier nicht alles gut ist. Ein­er­seits gab es eine stete Ver­schär­fung des Asylge­set­zes und ander­er­seits wurde ein Ort notwendig, wo die Asyl­suchen­den Ansprech­part­ner, Hil­fe und Gast­fre­und­schaft, eine Woh­nung für die Seele find­en kon­nten», erin­nert sich Max Heim­gart­ner. Der ‚Con­tact‘ sei auch eine Art Ideennest. Vor­rangig ist allerd­ings für Max Heim­gart­ner, dass die Möglichkeit beste­ht, die Lan­dessprache Deutsch zu erler­nen.Darin sind sich alle Anwe­senden einig: Wer die Sprache beherrscht, hat die Chance, Kon­takt aufzunehmen, macht es auch den Ein­heimis­chen leichter, auf die Asyl­suchen­den zuzuge­hen und hat die Chance, sich zu inte­gri­eren.

Club Asyl Aarau schreibt einen Brief an die Aargauerinnen und Aargauer

Doch was bedeutet das Offene Pfar­rhaus den Men­schen, die es nutzen? Aus dem Pro­gramm BBB ent­stand der Club Asyl Aarau, in dem «etwas gelebt wird, was noch wenig prak­tiziert wird», wie Rahel Wun­der­li, Pro­jek­tlei­t­erin des Pro­gramm BBB und des Club Asyl, sagt. «Der Club Asyl beste­ht aus 20 Flüchtlin­gen, die in ihrer Inte­gra­tion bere­its fort­geschrit­ten sind. Diese Men­schen helfen uns Ein­heimis­chen bei der Betreu­ung der Neu-Angekomme­nen und bei anderen Auf­gaben», erk­lärt sie und fragt dann die vier anwe­senden Mit­glieder des Clubs: «Was bedeutet euch dieses Haus?»Die Antworten zeigen: Die Kon­tak­t­möglichkeit­en, auch über den Spra­chunter­richt hin­aus, sind unschätzbar. Sub­a­ji­ni aus Sri Lan­ka ist seit vier Jahren in der Schweiz und sagt: «Zwei Jahre war ich ohne Kon­takt. Dann zog ich nach Aar­burg und hörte von dem Ort hier. Jet­zt habe ich viele Kol­legin­nen und füh­le mich hier in ein­er offe­nen Welt». Berhe aus Eritrea erk­lärt: «Das hier ist der erste Ort, wo wir hinge­hen, wenn wir ins Erstauf­nah­mezen­trum in Buchs kom­men.  Hier tre­f­fen wir andere Flüchtlinge und Schweiz­erin­nen und Schweiz­er und find­en Hil­fe. Dafür bin ich sehr dankbar».Doch die vier sind nicht ein­fach nur dankbar – sie wollen etwas zurück­geben und haben das bere­its getan. «Mein Geschenk für die Schweiz» hiess eine Ausstel­lung zum Welt­flüchtlingsson­ntag im Jahr 2015 und dieses Jahr hat der Club Asyl Aarau einen offe­nen Brief an die Aar­gauerin­nen und Aar­gauer geschrieben. «Wir haben aus den Medi­en erfahren, wieviel Schlecht­es über uns berichtet wird. Und wir woll­ten erk­lären, dass wir nicht alle so sind. Auch woll­ten wir unsere Sicht auf die Flüchtlings­the­matik dar­legen», sagt Sub­a­ji­ni. Der Brief wurde dem Par­la­ment übergeben. Zwar habe es keine direk­ten Reak­tio­nen gegeben, so Rahel Wun­der­li, doch man sehe an ver­schiede­nen Vorstössen, dass sich poli­tisch ein paar Dinge bewe­gen.

Was die Kirche noch machen könnte

Ein oder zweimal geht die Frage in Rich­tung Felix Gmür, «ob man bei euch» (also der Kirche) nicht noch mehr machen könne. «Was heisst da bei euch?», gibt Felix Gmür zurück. «Dieses Pfar­rhaus ist ja ‚bei uns‘. Kirche kann nicht zen­tral steuern. Wir kön­nen wohl zen­tral ermuti­gen. Das ist das eine. Das andere ist  – und das machen wir betend – wir dür­fen diese Men­schen nicht vergessen. Wir erin­nern! Flüchtlinge dür­fen keine Rand­no­tiz wer­den. Ein weit­eres sind meine Besuche — das ist Wer­bung für diese Orte der Barmherzigkeit. Und es ist die Auf­gabe von Kirche, Pfar­rge­mein­den und Einzel­nen, zu schauen, ‚Was ist meine Auf­gabe?‘, wenn ich zum Beispiel Geld habe, oder Liegen­schaften oder Zeit. Bere­its vor einem Jahr haben wir zwölf Flüchtlinge bei uns im Solothurn­er Bis­tumssitz aufgenom­men. Die Kun­st ist es, das Poten­tial richtig zu nutzen. Und schlussendlich ist die Kirche Mul­ti­p­lika­torin und Ver­mit­t­lerin. Wir hören zu und ver­mit­teln.»Nach der Begeg­nung in der Runde und im ‚Con­tact‘ wieder­holt Felix Gmür diese Aus­sage in der Abschlus­san­dacht auf etwas andere Art. Er zitiert aus der Bibel: «Barmherzigkeit aber tri­um­phiert über das Gericht» (Jak 2, 13b). Ein Gericht, egal welch­es, ziehe einen Schlussstrich, erk­lärt er. Die Barmherzigkeit aber kenne kein Ende.Vere­in Net­zw­erk Asyl 
Anne Burgmer
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