Die Jahre im Kloster haben mich reicher gemacht
«zVisite»-Autor Niklas Raggenbass machte im Kloster erste Schritte in mystische Welten.
Bild: © Roger Wehrli

Die Jahre im Kloster haben mich reicher gemacht

«zVisite»-Autor Niklas Raggenbass berichtet über seine Zeit als Benediktinermönch

Mystik – das schien mir die Rettung vor meinem Ehrgeiz und meiner Ziellosigkeit zu sein. So trat ich ins Kloster ein als einer, der nach sich selbst suchte. Gefunden habe ich viel, aber Mönch bin ich nicht geblieben.

Als ich vor dem Kloster Engel­berg stand, anklopfte und Mönch wer­den wollte, war ein­er der Gründe für meinen Entschluss, dass ich es zu Hause nicht mehr aushielt: Weg aus dem stür­mis­chen Zürich, weg von mein­er Fre­undin, weg von dieser Beziehung, von der ich nicht recht wusste, wie ich sie been­den sollte.

Vielle­icht ins Kloster ein­treten? Als ich mein­er Fre­undin sagte, ich wolle Mönch wer­den, war dieser Über­raschungscoup der Knock-out für die Beziehung. Ich brauchte mich gar nicht mehr weit­er zu erk­lären, alles schien klar: Ab ins Kloster! Als ich dann den Arbeit­skol­legin­nen und ‑kol­le­gen im Advokatur­büro in Zürich vom Kloster berichtete, meinte ein­er, dass das Kloster aber eine gar kleine Welt sei. Fast ein biss­chen stolz gab ich zurück: «Aber eine tiefe Welt, voller Mys­tik!» «Was weisst du denn schon von Mys­tik?», kam die Retourkutsche.

Mystik konkret: Alles verschenken?

Zum Klostere­in­tritt gehörte mein­er Mei­n­ung nach, dass in dieser neuen Welt nichts mehr gebraucht werde. So hat­te ich alles, was ich besass, ver­schenkt, auss­er mein­er CD-Samm­lung, die nahm ich mit. Ich dachte heim­lich, dass ich im Kloster sich­er Zeit find­en würde, sie zu hören – obwohl ich mich ja eigentlich ger­ade auch von diesen kleinen Extras lösen wollte. Wie viele andere Men­schen, die sich in ein Kloster zurückziehen – und von denen ich später einige ken­nen­lernte –, hat­te ich vor, etwas in meinem Leben zu verän­dern. Denn die Devise «alles erobern, koste es, was es wolle», hat­te Schiff­bruch erlit­ten. In der Arbeit, im Fre­un­deskreis, bei den ein­mal gesteck­ten Zie­len war mir alles zu eng gewor­den oder bess­er: Ich hat­te mich bei vie­len Auf­gaben mass­los über­schätzt.

Dabei hat­te es zunächst in meinem Leben so aus­ge­se­hen, als ob mir alles wie von selb­st in den Schoss fall­en würde. Statt nach und nach, Stufe um Stufe, die Dinge anzuge­hen, irrte ich wie ein hun­griger Löwe umher, brach Begonnenes ab, suchte Neues, möglichst Spek­takuläres. Ich fand keine Erfül­lung im langsamen und acht­samen Ken­nen­ler­nen der eige­nen Gren­zen und scheute nicht davor zurück, zu ver­let­zen und zu zer­stören. Beständigkeit, Respekt vor den anderen und Rückbesin­nung auf die eige­nen Möglichkeit­en waren mir sus­pekt. Was war meine Wirk­lichkeit?

Erste Schritte in mystische Welten

Im Kloster nahm ich mir als frisch Einge­treten­er vieles vor und wollte sehr streng mit mir sein, worauf Abt Berch­told mich etwas auf den Boden herun­ter­holte. Er ermutigte zu kleinen Schrit­ten – oder erst ein­mal gar keinen –, ganz im Stil des Ordens­grün­ders, der real­is­tisch vor jed­er Selb­stüber­schätzung warnte: «Du musst im Kloster nicht religiös sein und meinen, nur du kön­ntest etwas verän­dern und bewirken. Wenn du das meinst, dann hör sofort damit auf – doch bleibe ein Suchen­der, denn das muss dein Ziel bleiben, ein Leben lang.»

Ich hat­te ein Buch über die Mys­tik im Kloster gele­sen, das wie ein Schlüs­sel war, mir selb­st näher zu kom­men, die enge Tür des Herzens zu öff­nen. Ich merk­te, dass ich mich nach und nach von mir selb­st, von meinem Herzin­neren ent­fer­nt hat­te. Mys­tik hat viele Schat­tierun­gen, da es nicht eine Mys­tik gibt. Es ist, als ob Mys­tik eine Lücke aus­füllen würde, wo das fehlt, was zum eige­nen Ich hin­führt. Ob in der Schule, im Fre­un­deskreis, bei der Arbeit oder ganz alleine, beim Joggen, ich bastelte mir aus den vie­len Impulsen zur Selb­stfind­ung etwas zusam­men. Vielle­icht kön­nte ich sie «Haus­mys­tik» nen­nen. Auch wenn sie sehr handgestrickt daherkam, war ich in die Lage, einen Ort zu find­en, wo ich aus meinem Lebenss­chla­mas­sel her­aus­find­en kon­nte, wo sich eine Stille aushal­ten liess, um den Stein wegrollen zu kön­nen, der mir auf dem Herzen lag.

Spirituelle Klostererfahrungen im Trend

In den let­zten Jahren haben die klöster­lichen Struk­turen und Visio­nen tat­säch­lich immer mehr Men­schen ange­zo­gen, die – anders als ich – nicht Nonne oder Mönche wer­den woll­ten, aber Lust auf eine spir­ituelle Ent­deck­ungs­fahrt hat­ten. Manche kom­men als Gäste, andere melden sich zur Mitar­beit oder zum Mit­beten an. Klöster empfin­gen seit jeher Gäste (siehe Box), doch der aktuelle Zus­trom an Leuten führte dazu, dass einige Klöster ihre Tra­di­tio­nen hin­ter­fragt und der heuti­gen Zeit angepasst haben. Eine Neuerung aus jün­ger­er Zeit ist, dass einige Klöster ihre Gäste den klöster­lichen All­t­ag der Ordensleute direkt miter­leben lassen.

Dass sie sich der­art neu erfind­en kön­nen, hängt auch mit der mys­tis­chen Tra­di­tion der Klöster zusam­men. In Klöstern gab es schon in mit­te­lal­ter­lich­er Zeit im Rah­men der Mys­tik grosse Frei­heit­en. Mys­tik war so etwas wie ein Code: Bilder, Lieder, Sym­bole und Texte von Mys­tik­erin­nen und Mys­tik­ern liessen sich frei ver­wen­den, was mit den bib­lis­chen und dog­ma­tis­chen Vor­gaben nicht möglich war. Auch die Mys­tik ander­er Reli­gio­nen hat­te ihren Platz. In der Buch­malerei im ehe­ma­li­gen Dop­pelk­loster Engel­berg, wo Non­nen und Mönche zusam­me­nar­beit­eten, kommt die Mys­tik in all ihren offe­nen und unge­bändigten Aus­drucksmöglichkeit­en deut­lich zur Gel­tung. Ein wichtiger Teil war die Buch­malerei, wo die Mönche die Perga­mente zubere­it­eten und schrieben und die Non­nen das Verzieren über­nah­men. Das Wort Verzieren mag die wichtige Bedeu­tung dieser Arbeit nicht aus­re­ichend zu Aus­druck brin­gen, ger­ade in ein­er Zeit, als der Buch­druck, das Fernse­hen oder das Inter­net noch nicht erfun­den war. Die Buch­malerei ist voll von Fig­uren, Bildern, Far­ben und Zeichen, die nicht nur den Text ver­tiefen, son­dern auch eigene Erzäh­lun­gen anschliessen lassen, die aus der Mys­tik stam­men. Man kön­nte fast meinen, es seien Par­al­lel­wel­ten, doch sie gehörten zusam­men. Die Beschäf­ti­gung mit der Mys­tik ent­fal­tete seit jeher eine verän­dernde Kraft, mit der die stren­gen klöster­lichen Struk­turen mitunter über­wun­den wer­den kon­nten. So waren Bilder vom Fliessen der Quellen, zer­stück­el­ten Kör­perteilen, Bren­nen der Wolken, den fan­tasievollen Tieren und Pflanzen oder der Gegen­stände fremder Far­ben, neue Aus­drucksmöglichkeit­en. Es war eine Sprache, mit der ein neuer Zugang zu sich und anderen gefun­den wer­den kon­nte. 

Ein Stück Kloster bleibt auch in der «Welt»

Nach vie­len Jahren als Benedik­tin­er entschloss ich mich, das Kloster wieder zu ver­lassen. Ich ging nicht ohne Trauer, denn es war mir nicht geglückt, Mönch zu bleiben. Den­noch ging ich bere­ichert durch viele Begeg­nun­gen mit den ver­schieden­sten Men­schen und unzäh­lige Erfahrun­gen.

Ich nahm sozusagen etwas von der Kloster­welt mit, ger­ade so, wie wir es in Besin­nungsta­gen mit Gästen eingeübt hat­ten, getra­gen von ein­er Mys­tik, die auch heute noch beschützend und befreiend wirkt. Wichtig ist es gewor­den, sich Zeit zu nehmen auch im schein­bar Unbe­deu­ten­den und Kleinen etwas vom fliessenden Feuer zu spüren, im abge­broch­enen Stein zum Ursprung zu find­en, im Geruch des Mistes, der auf den Feldern verteilt wird, den Kreis­lauf des Lebens zu beja­hen, im reis­senden Sturm die Gelassen­heit zu bewahren, im grössten Lachen der Teufel zu schlafen, und der grösste Erfolg ein­er Arbeit kann auch ohne mich bewirkt wer­den. Aus dem Chaos ist eine neue Welt ent­standen – wie es im ersten Buch Mose heisst – und viele der Steine, die zuerst spitzig und störend waren, sind heute stützende Weg­marken, die mein Ich prä­gen. Heute kann ich mich annehmen, mein Herz ohne Angst öff­nen und weit­er­hin ein Suchen­der bleiben, als «weltlich­er Mönch», bere­it zu hören. Dazu lädt uns schon das erste Wort aus der Kloster­regel des Heili­gen Benedikt ein: «Oscul­ta o fili et incli­na aurem cordis tui – höre, mein Sohn, und neige das Ohr deines Herzens!»

Gäste im Bendiktinerkloster

Der Gast geniesst in den Klöstern eine beson­dere Stel­lung, was schon in der Architek­tur zum Aus­druck kommt. Die Klosterp­forte und der Gäste­bere­ich sind gut aus­ge­baut, sog­ar mit eigen­er Küche. Schon Benedikt von Nur­sia, der um 500 nach Chris­tus lebte und den Orden der Benedik­tin­er grün­dete, wusste, dass die Klöster Anziehungspunk­te für unter­schiedlich­ste Men­schen sind. So schrieb er in sein­er Regel nicht ohne war­nen­den Unter­ton:  «An Gästen wird es euch nie fehlen.» Der Gast sei ganz beson­ders her­zlich zu begrüssen, führte er aus, und selb­st in der Fas­ten­zeit solle er nicht merken, dass das Essen für die Mönche karg­er ist, denn es kön­nte ja Jesus Chris­tus selb­st sein, der da anklopft. In der Benedik­t­sregel heisst es sog­ar, man müsse sich vor dem Gast nieder­w­er­fen, und dem Pfört­ner müsse ein erfahren­er Mit­brud­er zu Seite gestellt wer­den, wenn dieser Hil­fe bräuchte.

Im Diesseits das Jenseitige erfahren - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz 6

Dieser Text und dieses Video sind eine Pro­duk­tion der inter­re­ligiösen Zeitung «zVis­ite». zVis­ite ist eine Koop­er­a­tion von reformiert., die evan­ge­lisch-reformierte Zeitung, Forum, Mag­a­zin der katholis­chen Kirche im Kan­ton Zürich, tach­les, das jüdis­che Wochen­magazin, Licht­blick, Pfar­rblatt Nord­westschweiz, Christkatholisch, Zeitschrift der Christkatholis­chen Kirche, Kirchen­bote, evan­ge­lisch-reformierte Zeitung BS, BL, SO, SH und Zen­tralschweiz und dem katholis­chen Pfar­rblatt Bern.

Marie-Christine Andres Schürch
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