Die Aargauer Notschlafstelle kommt

  • Im kom­menden Win­ter soll es im Aar­gau endlich eine Notschlaf­stelle für Obdachlose geben. Abklärun­gen für eine Liegen­schaft in Baden laufen.
  • Treibende Kraft hin­ter dem Pro­jekt ist eine Inter­es­sen­ge­mein­schaft unter der Führung der unab­hängi­gen christlichen Sozialin­sti­tu­tion «Hope» in Baden. In der IG vertreten sind auch die Aar­gauer Lan­deskirchen, das Beratungszen­trum BZB­plus Baden sowie die Reformierte Kirchge­meinde Baden.
  • Um die Kosten möglichst ger­ing zu hal­ten, will das «Hope» die geplante Notschlaf­stelle gemein­sam mit ein­er Not­pen­sion führen.
 Nach vie­len gescheit­erten Anläufen soll sie nun endlich kom­men: Die lang ersehnte Notschlaf­stelle für Obdachlose im Aar­gau. Eigentlich hätte es ursprünglich mal ein «Pfu­us­bus» wer­den sollen wie in Zürich, doch daraus wurde nichts, weil es die Gemein­den nicht mit­tra­gen woll­ten. So jeden­falls begrün­dete sein­erzeit Hilde­gard Hochstrass­er, Lei­t­erin Soziale Dien­ste Baden, das Scheit­ern des Pro­jek­ts. Auch die Aar­gauer Lan­deskirchen waren als Part­ner für den «Pfu­us­bus» vorge­se­hen. Luc Hum­bel, Kirchen­rat­spräsi­dent der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche, mah­nte auch nach dem Mis­ser­folg an, am Ball zu bleiben. Man werde mit der neu geschaf­fe­nen Fach­stelle Diakonie die Fragestel­lung erneut the­ma­tisieren, liess er ver­laut­en.

Dank Synergien grössere Chancen auf Realisierung

Mit­tler­weile kämpft wieder eine Inter­es­sen­ge­mein­schaft für die baldige Eröff­nung ein­er Notschlaf­stelle im Kan­ton. Noch in diesem Win­ter soll es soweit sein, hofft Kurt Adler-Sach­er von der Fach­stelle Diakonie der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau. Die Abklärun­gen für eine Liegen­schaft im Raum Baden laufen. Mit von der Par­tie sind erneut die Aar­gauer Lan­deskirchen, die unab­hängige christliche Sozialin­sti­tu­tion «Hope», das Hil­f­swerk der Evan­ge­lis­chen Kirchen HEKS, das Beratungszen­trum Baden BZB­plus sowie die reformierte Kirchge­meinde Baden. Bei den Sozialen Dien­sten der Stadt wisse man um das Pro­jekt, sei aber nicht involviert, heisst es bei Hilde­gard Hochstrass­er auf Anfrage.Die Ini­tia­tive sei von «Hope» aus­ge­gan­gen, erk­lärt Kurt Adler-Sach­er, der als Leit­er der Fach­stelle Diakonie für die Römisch-Katholis­che Lan­deskirche Aar­gau beim Pro­jekt mitar­beit­et. Noch sei nicht alles in trock­e­nen Tüch­ern, meint Kurt Adler-Sach­er. Aber man sei sehr zuver­sichtlich, dass es dieses Mal klappe. Auch weil es laut «Hope» dieses Mal eine Lösung gebe, wie über Syn­ergien mit ein­er soge­nan­nten Not­pen­sion Kosten ges­part wer­den kön­nten.

Notpension als mögliche Anschlusslösung für Obdachlose

«Eine Not­pen­sion ist eine Unterkun­ft, die nachts für Men­schen geöffnet hat, die von einem Kos­ten­träger dor­thin über­wiesen wer­den und länger­fristig dort über Nacht bleiben kön­nen, erk­lärt Daniela Fleis­chmann vom «Hope». Konkret gehe es um Leute, die nicht in Heimen oder Insti­tu­tio­nen unterge­bracht wer­den kön­nten, weil sie dort nicht angemessen betreut wer­den kön­nen und sich auch nicht in beste­hende Struk­turen ein­fü­gen – also häu­fig Dro­gen­ab­hängige und sozial sehr auf­fäl­lige Per­so­n­en.Um nun auch für jene Obdachlose eine Anlauf­stelle schaf­fen zu kön­nen, die sich noch weniger an beste­hen­den Struk­turen ori­en­tieren kön­nen und wollen, will das «Hope» die geplante Notschlaf­stelle organ­isatorisch an die Not­pen­sion binden. «So kann das­selbe Per­son­al einge­set­zt, und die Kosten kön­nen hal­biert wer­den», weiss Daniela Fleis­chmann. Ähn­lich wie beim Zürcher «Pfu­us­bus» sollen auch im Aar­gau geschulte Frei­willige zum Ein­satz kom­men. Das helfe eben­falls, die Kosten zu senken, so Daniela Fleis­chmann. Allerd­ings wür­den in Anbe­tra­cht der anspruchsvollen Betreu­ungssi­t­u­a­tion Frei­willige stets mit Profis zusam­me­nar­beit­en. «Uns ist es ein gross­es Anliegen, dass Obdachlose men­schwürdig über­nacht­en kön­nen», betont Daniela Fleis­chmann und hofft, dass über die Kom­bi­na­tion von Notschlaf­stelle und Not­pen­sion let­ztlich Obdachlose wieder in geregel­tere Struk­turen über­führt wer­den kön­nen.

«Die Finanzierung ist zur Hälfe gesichert»

180’000 Franken pro Jahr braucht es für die geplante Notschlaf­stelle, rech­net Daniela Fleis­chmann gegenüber Hor­i­zonte vor. Das sei wenig, wen man bedenke, dass dort von 19 Uhr abends bis mor­gens um 9 Uhr Obdachlose von zwei Per­so­n­en aufgenom­men, betreut und verpflegt wür­den. Und eine solche eng­maschige Betreu­ung sei nötig, zumal jene, die in der Notschlaf­stelle Unter­schlupf find­en, sozial sehr auf­fäl­lig seien, nicht sel­ten suchtkrank. Im Grunde «Men­schen in Krisen­si­t­u­a­tio­nen, die man nicht allein lassen kann», beschreibt es Daniela Fleis­chmann. Die Betrof­fe­nen seien durch alle Maschen des sozialen Net­zes gefall­en und von keinem Kos­ten­träger mehr an irgen­deine Insti­tu­tion ver­mit­tel­bar. «Wenn da jemand austickt, muss geschultes Per­son­al zur Stelle sein.»Im Rah­men eines Pilotver­suchs soll das Pro­jekt vor­erst für drei Jahre laufen. 140’000 Franken der ins­ge­samt 180’000 Franken für den jährlich benötigten Betrieb sollen von Insti­tu­tio­nen garantiert wer­den, den Rest soll ein noch zu grün­den­der Vere­in über Pri­vat­spenden akquiri­eren. Bere­its die Hälfte des Geldes für die besagten drei Jahre ist von ver­schiede­nen Part­nern zuge­sagt wor­den; das stimmt Kurt Adler-Sach­er zuver­sichtlich. Unter den Unter­stützern find­en sich neben den Aar­gauer Lan­deskirchen die reformierte Pfar­rei Baden sowie der Vere­in Anker. Dieser unter­stützt und koor­diniert Pro­jek­te, die Men­schen mit ein­er psy­chis­chen Krankheit oder Behin­derung gesellschaftlich inte­gri­eren.

«Obachlosigkeit bedeutet Prostitution und Tod»

«Ich spüre Gottes Unter­stützung für das Pro­jekt und bin der Mei­n­ung, dass es ein gutes Konzept ist, weil wir zwei Insti­tu­tio­nen zusam­men­fassen», ist Daniela Fleis­chmann überzeugt. Dass es im Gegen­satz zu Zürich im Aar­gau so lange für eine Notschlaf­stelle braucht, führt Kurt Adler-Sach­er darauf zurück, dass das Prob­lem im Aar­gau ein­fach nicht so unmit­tel­bar sicht­bar sei wie in ein­er Grossstadt. Der Aar­gau sei zer­siedelt und man habe kaum Hotspots, wo sich die Rand­ständi­gen sam­melten, weiss Daniela Fleis­chmann. «Aber das Prob­lem ist akut, beson­ders im Win­ter, so die «Hope»-Geschäftsleiterin. «Wir haben auch schon Men­schen abweisen müssen – ger­ade im Win­ter ist das schlimm. Obdachlose Frauen müssen sich pros­ti­tu­ieren, um irgend­wo unterzukom­men, Män­ner laufen Gefahr, draussen zu erfrieren. Ger­ade im let­zten Win­ter habe es einen tragis­chen Fall gegeben», erin­nert sich Daniela Fleis­chmann. «Ein Mann, den wir nicht aufnehmen kon­nten und der immer wieder bei uns im Haus­gang über­nachtet hat. Er soll sich im Laufe des Win­ters das Leben genom­men haben.»Im Kan­ton Aar­gau ist die Betreu­ung von Obdachlosen gemäss Sozial­hil­fe- und Präven­tion­s­ge­setz Sache der einzel­nen Gemein­den. Die Erfahrung aus früheren Pro­jek­tan­läufen, bei denen die poli­tis­chen Gemein­den ein­be­zo­gen wer­den soll­ten, zeigte jedoch, dass diese ein solch­es Ange­bot nicht bewälti­gen kön­nen. Christliche Insti­tu­tio­nen wie das «Hope», die Heil­sarmee oder das HEKS sprangen in die Bresche und stell­ten Unterkün­fte zur Ver­fü­gung, an welche die Gemein­den in Frage kom­mende Per­so­n­en zuweisen kön­nen (Hor­i­zonte berichtete). Doch diese Unter­bringungsmöglichkeit­en kön­nen nur Per­so­n­en zur Ver­fü­gung gestellt wer­den, welche bis zu einem gewis­sen Grad gesund sind, kooperieren und in der Lage sind, sich an Regeln zu hal­ten.

«Eine Notschlafstelle braucht es unbedingt»

Bei der IG Notschlaf­stelle ist man überzeugt: Es fehlen ins­beson­dere nieder­schwellige Über­nach­tungsange­bote für Obdachlose mit psy­chis­chen Prob­le­men und Suchterkrankun­gen, die wenig Ver­ant­wor­tung für ihr teil­weise destruk­tives und unkon­trol­liertes Ver­hal­ten übernehmen kön­nen. Ein Prob­lem, dass auchJürg Her­mann, Sozial­diakon der Reformierten Kirchge­meinde Baden, nur zu gut ken­nt. «Bei mir ste­hen immer wieder Leute ohne Obdach und Geld im Büro und ich weiss nicht, wo ich sie hin­schick­en kann», erk­lärt er. Eine Zeit lang habe man die Leute in die Jugend­her­berge schick­en kön­nen, wo sie kurzfristig Auf­nahme fan­den. «Lei­der gab es dort Rekla­ma­tio­nen seit­ens der anderen Gäste, weshalb diese Option weg­fiel.» Für Jürg Her­mann ist daher klar: Die Notschlaf­stelle braucht es unbe­d­ingt. Aus diesem Grund engagiert sich die Reformierte Kirchge­meinde Baden für das aktuelle Pro­jekt und unter­stützt es per­son­ell und auch finanziell.

Gemeinden sind gefordert

Bei der Römisch-Katholis­chen Kirchge­meinde Baden-Ennet­baden ist eine Beteili­gung am Pro­jekt noch in Abklärung. «Auch uns ist die The­matik ein Anliegen, weil wir damit ja auch schon kon­fron­tiert wur­den», erk­lärt Beat­rice Eglin, Präsi­dentin der Kirchenpflege. «Eine Zeit lang haben wir Leute in den Kap­pel­er­hof schick­en kön­nen, doch das war keine opti­male Lösung.»Mit im Boot, um das Pro­jekt voranzutreiben, ist auch das Beratungszen­trum Baden BZB­plus – ursprünglich bekan­nt als Jugend­ber­atungsstelle und Anlauf­stelle für ambu­lante Sucht­ber­atung in Baden, seit einiger Zeit aber auch Anbi­eter von Unter­stützungsange­boten für Fam­i­lien und Kinder und Jugendliche. Geschäft­sleit­er Michael Schwilk: «Dieses Mal sind ver­schiedene Play­er mit grossem Engage­ment dabei. Darum denke ich, sind die Chan­cen zur Real­isierung ver­mut­lich bess­er als beim let­zten Mal.» Klar könne man nie wis­sen, ob das Ganze nicht doch noch an etwas «Kleinem» hän­gen bleibe – an der Finanzierung beispiel­sweise, befürchtet Michael Schwilk. «Da braucht es sich­er noch mehr Organ­i­sa­tio­nen, die sich beteili­gen – und wohl auch die eine oder andere Kirchge­meinde oder poli­tis­che Gemeinde. Zumal ja vom Kan­ton auch dieses Mal keine finanzielle Unter­stützung zu erwarten ist.»

Der Standort als möglicher Stolperstein

Ein Stolper­stein kön­nte in der Tat sein, wenn es mit ein­er Liegen­schaft im Raum Baden nicht klappt. Während beispiel­sweise für die Fach­stelle Diakonie der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau eben­so wie für das Beratungszen­trum BZB­plus für die geplante Notschlaf­stelle dur­chaus auch Alter­na­tiv­en zu einem Stan­dort in Baden denkbar sind, ste­ht für Daniela Fleis­chmann fest: «Das jet­ztige Konzept passt nur für Baden.»Der Win­ter naht, am kom­menden Woch­enende gibt es den ersten Schnee in den Bergen. Der Schnee wird auch den Aar­gau wieder erre­ichen. Noch nicht so bald, aber mit Sicher­heit in ein paar Monat­en. Für alle jene, die dann nicht wis­sen, wo sie unterkom­men kön­nen, bleibt zu hof­fen, dass es mit der geplanten Notschlaf­stelle im Aar­gau endlich klappt.  
Andreas C. Müller
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