Der Kan­ton Aar­gau kippt erfolg­rei­ches Integrationsprogramm

Zum Flücht­lings­tag 2011 lan­cier­te das Netz­werk Asyl eine Aus­stel­lung in Muri. Vor­ge­stellt wur­de das erfolg­rei­che Inte­gra­ti­ons­jahr, wel­ches Asyl­su­chen­de mit N‑Status an der Kan­to­na­len Schu­le für Berufs­bil­dung in Baden (KSB) absol­vie­ren konnten.Die­ses Inte­gra­ti­ons­jahr konn­te dank einer Stif­tung, die nament­lich nicht genannt wer­den woll­te, vom Ver­ein «Netz­werk Asyl Aar­gau» finan­ziert wer­den. Die zehn Jugend­li­chen im Asyl­ver­fah­ren, die die KSB besuch­ten, durf­ten dank ihrer guten Lei­stun­gen ein zwei­tes Jahr an der KSB durch­füh­ren und schaff­ten über Prak­ti­kums­be­trie­be den Berufs­ein­stieg.Trotz des Erfol­ges hat sich der Kan­ton aus dem Pro­gramm zurück­ge­zo­gen. Umso wich­ti­ger ist es, neue Wege und Lösun­gen zu fin­den, wie sei­tens von Netz­werk Asyl Aar­gau wird. Im nach­ste­hen­den Gespräch schil­dert der 22-jäh­ri­ge Matin Ras­had aus Afgha­ni­stan, wie wich­tig und zukunfts­wei­send für ihn das Inte­gra­ti­ons­pro­gramm an der KSB war. Sei­ne Leh­re­rin Reni Nien­haus erläu­tert im Anschluss dar­an im Gespräch, wie sie Matin als Schü­ler wahr­ge­nom­men hat, und war­um sie eine Beschleu­ni­gung der Asyl­ver­fah­ren für sinn­voll hält. Matin, wie alt bist du? Woher stammst du und seit wann bist du in der Schweiz? Matin Ras­had: Ich wur­de am 1. Janu­ar 1991 gebo­ren und leb­te, bevor ich 2009 in die Schweiz kam in Afgha­ni­stan und im Iran. Bit­te schil­de­re dei­ne Situa­ti­on und die Wohn­ver­hält­nis­se.Bist du zufrie­den mit der Situa­ti­on, so wie sie jetzt ist? Ich woh­ne in Aar­au im Asyl­heim Tel­li. In jedem Stock­werk hat es ein Wohn­zim­mer, eine klei­ne Küche, ein Bade­zim­mer und drei Schlaf­zim­mer mit je vier Per­so­nen. All­ge­mein ist die Situa­ti­on eher schwie­rig. Ich schla­fe schlecht, da es oft laut da nicht alle zur glei­chen Zeit ins Bett gehen. Ich bekom­me in der Woche 70 Fran­ken. Dies muss für Essen, Zahn­pa­sta etc. rei­chen. Für Klei­der erhal­te ich alle drei Mona­te noch 60 Fran­ken dazu. Das ist lei­der sehr wenig, da Klei­der, die etwas län­ger hal­ten sol­len, teu­er sind. Eigent­lich koche ich immer in der Asyl­un­ter­kunft, weil das bil­li­ger ist. Nur ein­mal in der Woche, kau­fe ich mir in der KSB etwas zu Essen, damit ich mit den ande­ren zu Mit­tag­essen kann. Momen­tan bin ich mit mei­ner Situa­ti­on aber zufrie­den, weil ich durch den Besuch der KSB die Mög­lich­keit erhal­te einen Beruf zu erler­nen.Was war dei­ne Moti­va­ti­on, um die­ses Brücken­jahr zu machen? An der KSB kann ich mein Deutsch ver­bes­sern. Aus­ser­dem haben wir Sport- und Werk­un­ter­richt sowie ein Fach zur Berufs­vor­be­rei­tung. Ich woll­te die­se Schu­le machen, weil ich einen Beruf erler­nen will. Aus­ser­dem ist es mir wich­tig, bes­ser Deutsch zu spre­chen, damit ich wie ein Schwei­zer arbei­ten kann.Hat die­ses Jahr bis jetzt dei­ne Vor­stel­lun­gen erfüllt? Zu 80% sind mei­ne Erwar­tun­gen erfüllt. Zu 20% lei­der nicht, da ich noch nicht mit der Leh­re zum Pfle­ge­as­si­sten­ten begin­nen kann, weil ich noch bes­ser Deutsch spre­chen muss. Näch­stes Jahr wer­de ich zwei Tage statt einem Tag im Alters­heim Täge­rig arbei­ten und drei Tage zur Schu­le gehen.Wo hast du dich über­all für eine Schnup­per­stel­le gemeldet? Ich konn­te bei der Spi­tex in Lenz­burg, in der Kli­nik Hirs­lan­den in Aar­au, im Alters­heim Seon und im Spi­tal in Sprei­ten­bach schnup­pern. Als Prak­ti­kan­ten hät­ten sie mich im Alters­heim Täge­rig sowie im Spi­tal Sprei­ten­bach ange­stellt. Ich habe mich dann für das Alters­heim in Täge­rig ent­schie­den.Wie war für dich die Auf­nah­me in den Prak­ti­kums­be­trieb? Warst du Will­kom­men im Betrieb? Es war ein nor­ma­les Will­kom­men. Es sind fast alle Leu­te nett. Es war sehr posi­tiv.Was war das Schön­ste und was das Schwie­rig­ste in die­sem Jahr? Am Schön­sten ist für mich, dass ich etwas machen darf. Ohne die KSB hät­te ich nie eine Bewil­li­gung für ein Prak­ti­kum erhal­ten. So lan­ge im Asyl­ver­fah­ren zu sein, emp­fin­de ich als schwie­rig. Denn mit dem N‑Ausweis kann ich nicht 100% im Alters­heim arbei­ten und darf noch kei­ne Leh­re machen.Ist das Prak­ti­kum auch gleich­zei­tig dein Traumberuf? Ja. Seit mei­ner Kind­heit will ich die­sen Beruf erler­nen. Das heisst, ich will die Aus­bil­dung zum Fach­mann Gesund­heit machen, zwei Jah­re auf die­sem Beruf arbei­ten und mich dann wei­ter­bil­den.Haben sich dei­ne Wün­sche und Vor­stel­lun­gen ver­än­dert, seit du aus Afgha­ni­stan auf­ge­bro­chen bist? Inwiefern? Ich bin in Kabul gebo­ren und mit mei­ner Fami­lie in den Iran geflo­hen. Als afgha­ni­scher Flücht­ling hat­te ich im Iran kei­ne Mög­lich­kei­ten. In der Schweiz habe ich den N‑Ausweis. Das heisst, dass ich noch im Asyl­ver­fah­ren ste­he und erst noch ent­schie­den wird, ob ich hier blei­ben darf oder nicht. Es kommt mir so vor, dass es mir nur erlaubt ist zu schla­fen. Dabei bin ich doch jung und möch­te mich ver­wirk­li­chen. Ich glau­be schon, dass sich Wün­sche und Vor­stel­lun­gen ver­än­dern, wenn man in ein ande­res Land reist.Was sind dei­ne Zukunftswünsche? Ich will viel ler­nen und die Aus­bil­dung zum Fach­mann Gesund­heit machen. Aus­ser­dem möch­te ich ein­mal eine klei­ne Fami­lie mit 1 bis 2 Kin­dern. Dann wür­de ich auch ger­ne, wie frü­her, mit mei­nen Eltern zusam­men­le­ben. Mei­ne Eltern und mei­ne neun Jah­re alte Schwe­stern leben in Hor­gen ZH. Aus­ser­dem möch­te ich dem Ver­ein Netz­werk Asyl Aar­gau Geld geben, damit die­ser wei­ter­hin Men­schen hel­fen kann. Ich möch­te ger­ne etwas zurück­ge­ben.Frau Nien­haus, sie sind die Leh­re­rin von Matin, wie sehen Sie sei­ne Ent­wick­lung vom ersten Tag bis heute? Reni Nien­haus: Matin hat im Deutsch gros­se Fort­schrit­te gemacht. Er ist sehr ziel­stre­big und ehr­gei­zig. Nach­dem Matin sei­ne anfäng­li­chen Hem­mun­gen abge­legt hat­te, war er selb­stän­dig in der Lage, sich tele­fo­nisch um Schnup­per­stel­len und Prak­ti­ka zu bemü­hen. Dies führ­te dazu, dass er sei­ne Prak­ti­kums­stel­le sel­ber orga­ni­sie­ren konn­te.Durch was zeich­net sich der Schü­ler beson­ders aus? Matin war von Anfang an sehr moti­viert. Er ver­folgt sei­ne Zie­le kon­se­quent und hart­näckig. Dies hat ihm schon eini­ge Erfol­ge ein­ge­bracht, wie zum Bei­spiel die Prak­ti­kums­stel­le. Er ist sehr offen und auf­ge­stellt. Die­se Eigen­schaf­ten hel­fen ihm, sich in ver­schie­de­nen Grup­pen zu inte­grie­ren. Aus­ser­dem arbei­tet Matin gut mit.Wo sehen Sie die Mög­lich­kei­ten und wo Gren­zen des Schülers? Matin wird wei­ter hart­näckig und ehr­gei­zig sein Ziel ver­fol­gen, eine Leh­re als Fach­mann Gesund­heit zu absol­vie­ren. Ich den­ke, dass ihm dies auch gelin­gen kann. Sein Ehr­geiz kann ihm teil­wei­se auch hin­der­lich sein, wenn er sich auf das eine Ziel zu sehr ver­steift. Denn dadurch blockiert er sich teil­wei­se sel­ber und ver­hin­dert wei­te­re Mög­lich­kei­ten. Ich glau­be aber, dass er durch sei­ne posi­ti­ve Art sicher einen guten Weg fin­det.Was für Erfah­run­gen haben Sie mit Men­schen gemacht, die in einer Asyl­un­ter­kunft leben und noch im Asyl­ver­fah­ren stehen? Alle Ler­nen­den in mei­ner Klas­se mit N‑Ausweis sind sehr moti­viert und sehen die Teil­nah­me in unse­rem Pro­gramm als eine Rie­sen­chan­ce. Sie sind sehr dank­bar, dass sie die Mög­lich­keit einer sinn­vol­len Tages­be­schäf­ti­gung mit Zukunfts­aus­sich­ten haben und brin­gen viel Enga­ge­ment in die Arbeit in der Schu­le sowie im Prak­ti­kum ein.Ab wann soll nach Ihnen Inte­gra­ti­on beginnen? Die gesell­schaft­lich unter­stütz­te Inte­gra­ti­on ist mei­nes Erach­tens ein Men­schen­recht. Des­halb bin ich der Mei­nung, dass die Asyl­ver­fah­ren mas­siv ver­kürzt wer­den soll­ten, damit das lan­ge Abwar­ten auf die Bewil­li­gung ein Ende nimmt und eine sinn­vol­le Tages­be­schäf­ti­gung und somit auch die Inte­gra­ti­on star­ten kann. Dies führt auch zu mehr Selbst­wert­ge­fühl, was sicher vie­le Pro­ble­me löst. Wer will schon mona­te- oder jah­re­lang zum Nichts­tun ver­dammt sein, im Arbeits­markt als «min­der­wer­tig» oder «uner­wünscht» gel­ten, wenn man selbst so vie­le Mög­lich­kei­ten sieht, sei­ne eige­nen Res­sour­cen und sei­ne Arbeits­kraft ein­zu­brin­gen? Ich sicher nicht!www.netzwerkasyl.ch Asyl­su­chen­den mit N‑Status ist es nicht erlaubt zu arbei­ten. Im schlimm­sten Fall dau­ert ein Ver­fah­ren Jah­re, wäh­rend dem sie zum Nichts-tun gezwun­gen sind. Ist es daher sinn­voll, Asyl­ver­fah­ren zu ver­kür­zen? Oder soll­ten Asyl­su­chen­de mit N‑Status arbei­ten dürfen?
Redaktion Lichtblick
mehr zum Autor
nach
soben