Der erste mit dem Namen Franziskus
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Der erste mit dem Namen Franziskus

Ein Nachruf auf Jorge Mario Bergoglio SJ (1936–2025) vom Franziskus-Kenner und Jesuiten Pater Andreas Batlogg.

Der Papst ist tot. Kurz nach Beginn seines dreizehn­ten Pon­tif­ikat­s­jahres ist Papst Franziskus am Oster­mon­tag, dem 21. April 2025 ver­stor­ben. Wochen­lang war er mit Lun­genentzün­dung im Spi­tal gewe­sen, nach seinem Aus­tritt war ihm die Krankheit ins Gesicht geschrieben. Trotz sein­er Rück­kehr, auch in die Öffentlichkeit, war klar: Es kon­nte jed­erzeit «soweit» sein.

13. März 2013: Noch nie hat­te sich ein Papst «Franziskus» genan­nt. Noch nie war es ein Lateinamerikan­er. Noch nie zuvor war ein Jesuit zum Bischof von Rom gewählt wor­den. Alles eine Pre­miere. Ein Argen­tinier mit ital­ienis­chem Migra­tionsh­in­ter­grund, der sehr direkt auf Men­schen zug­ing, buch­stäblich mit der Tür ins Haus fall­en kon­nte, mit Blitzbe­suchen oder Handyan­rufen, ger­adezu infla­tionär von Zärtlichkeit und Barmherzigkeit sprach und mit eingängi­gen, oft etwas schrä­gen, hierzu­lande missver­ständlichen Bildern und Ver­gle­ichen («Kar­nick­el-Gate», «Klaps-Debat­te») aufhorchen liess. Franziskus wurde zur riesi­gen Pro­jek­tions­fläche. Kein Wun­der, dass später von einem «Papst der Ent­täuschun­gen» (Michael Meier) die Rede war.

Der Papst «vom anderen Ende der Welt» liess auch aufat­men. Viele fühlten sich an Johannes XXIII. (1958–1963) erin­nert. Im 77. Leben­s­jahr ins höch­ste Amt der Kirche gewählt, rech­nete Franziskus sel­ber mit einem kurzen Pon­tif­ikat. Nun sind es mehr als zwölf Jahre gewor­den. Ich sage: Dieser Papst hat die Kirche verän­dert – nach­haltiger, als manche bere­it sind zu sehen und anzuerken­nen. Die Meta­phern von den «offe­nen Türen» und von der «Kirche als Feld­lazarett» wer­den ihn über­dauern. Sein Ver­mächt­nis lauetet: Syn­odal­ität. Der Geist ist aus der Flasche und er kehrt nie mehr dor­thin zurück. Und wenn doch? Dann macht sich die Kirchen­führung lächer­lich und ver­liert jegliche Glaub­würdigkeit.

Franziskus brach klerikale Trotzbur­gen auf, prangerte per­ma­nent Mauschelei und klerikalen Kar­ri­eris­mus an. Seine Wei­h­nacht­sansprache an die Kurie im Dezem­ber 2014 ging als «Kopfwäsche» in die Geschichte ein. «Geistlich­er Alzheimer», eine von fün­fzehn erwäh­n­ten «Krankheit­en» attestierte er den Klerik­ern: Das blieb hän­gen. Dienen statt kom­mandieren war sein Mot­to. Es hiess oft: Dieser Papst fremdelt mit dem Amt, ver­nach­läs­sigt Struk­turen und ver­achtet den Appa­rat. Entsch­ied er schnell, kom­pro­miss­los oder hart, hiess es: Wo bleibt die Barmherzigkeit? Franziskus kon­nte sich für Fehlein­schätzun­gen auch entschuldigen. Er nahm Ent­gleisun­gen zurück, räumte ein, dass er zu schnell reagiert hat­te oder falsch informiert war. Wer ihm vor­warf, er sei «beratungsre­sistent», kon­nte erleben, dass er eine kom­plette Bischof­skon­ferenz in den Vatikan zitierte, einen Bischof zum Rück­tritt zwang oder einen Kar­di­nal in den Laien­stand ver­set­zte. Der Kinder­schutzgipfel im Vatikan im Feb­ru­ar 2019 führte schon drei Monate später zu Ver­schär­fun­gen im Kirchen­recht.

Skan­dale (Miss­brauch, Finanzen, verunglück­te Per­son­alien) blieben auch zwis­chen 2013 und 2025 nicht aus. Franziskus set­zte weniger auf Macht­worte (an denen es nicht fehlte), als auf Überzeu­gungsar­beit. «Syn­odal­ität» wurde zum Zauber­wort, da und dort missver­standen als Passep­a­rtout, verdächtigt als Meth­ode zur «Demokratisierung» der Kirche. Dabei liess Franziskus nie einen Zweifel daran: Sie sei kein «Par­la­men­taris­mus». Aber er liess an ein­er syn­odal ver­fassten und aufgestell­ten Kirche arbeit­en, brachte Frauen in hohe Führungspo­si­tio­nen im Vatikan. Eine andere Debat­ten- und Stre­itkul­tur propagierte er. Wider­spruch war erwün­scht. Wer wagte ihn?

2014 und 2015 fand eine Fam­i­lien­syn­ode in zwei Etap­pen statt, 2018 eine Jugendsyn­ode, 2019 die Son­der­syn­ode über Ama­zonien, 2023 und 2024 eine Syn­ode über Syn­odal­ität, ihr vor­angeschal­tet ein mehrjähriger syn­odaler Weg. Auf das Zwei­drit­tel-Votum der stimm­berechtigten Bis­chöfe, min­destens am Ama­zonas, wegen des ekla­tan­ten Priester­man­gels über die Wei­he von «viri pro­bati» nachzu­denken, ging er in seinem Nach­syn­odalen Schreiben «Queri­da Ama­zo­nia» (2020) mit kein­er Silbe ein. Das kostete ihn Sym­pa­thien. Er wies ein funk­tion­al­is­tis­ches Ver­ständ­nis zurück, das nur auf das Durch­box­en ein­er Agen­da aus ist. Wenn er den Ein­druck hat­te, man gehe mit vorge­fer­tigten Mei­n­un­gen in Beratun­gen hinein, war das für ihn keine echte «Unter­schei­dung der Geis­ter».

Dass Franziskus durch und durch Jesuit war und auf bewährte Instru­mente, die ihm von der igna­tian­is­chen Spir­i­tu­al­ität her ver­traut waren, zurück­griff, wurde lange unter­schätzt. Den Umgang mit «Trost» und «Mis­strost», die Vor­bere­itung von Entschei­dun­gen, auch schwieri­gen, lernt ein Jesuit in den Geistlichen Übun­gen (Exerz­i­tien). Diese prägten Franziskus, seit­dem er 1958, mit 22, Jesuit wurde. Erfahrun­gen als Novizen­meis­ter, als Prov­inzial (während der argen­tinis­chen Mil­itär­jun­ta), als Rek­tor eines Jesuit­enkol­legs und Pfar­rer, als geistlich­er Begleit­er und The­olo­giedozent kamen dazu, bis er 1992 Wei­h­bischof von Buenos Aires unter Kar­di­nal Anto­nio Quar­ra­ci­no wurde, dem er als Koad­ju­tor (1997) und Erzbischof (1998) nach­fol­gte. Als Kar­di­nal (2001) und Vor­sitzen­der der argen­tinis­chen Bischof­skon­ferenz war er fed­er­führend an der Ausar­beitung des Schluss­doku­ments von Apare­ci­da (2007) beteiligt, der Fün­ften Vol­lver­samm­lung der Lateinamerikanis­chen Bischofsver­samm­lung (CELAM).

Wer das prophetis­che Apos­tolis­che Schreiben «Evan­gelii gaudi­um» (Novem­ber 2013) mit dem lan­gen Text von Apare­ci­da ver­gle­icht, erhält Antworten, was Franziskus the­ol­o­gisch bewegte: Wie kann die Kirche mis­sion­ar­isch aus­gerichtet wer­den – anstatt auf sich selb­st fix­iert zu sein? Schon im Vorkon­klave hat­te er vor «autoref­er­en­cial­i­dad» gewarnt: Eine um sich selb­st kreisende Kirche sei «krank». Volks­fröm­migkeit war ihm wichtig. Auch der «sen­sus fideli­um», der Glaubenssinn und ‑instinkt der Gläu­bi­gen, dem er oft mehr zutraute als The­olo­gen. Wichtig war ihm auch die argen­tinis­che Volk­s­the­olo­gie, die «teología del pueblo». Lucio Gera, Romano Guar­di­ni, Hen­ri de Lubac, Michel de Certeau, Hugo Rah­n­er: Die the­ol­o­gis­chen Quellen von Franziskus sind eine Mis­chung aus europäis­ch­er und lateinamerikanis­ch­er The­olo­gie.

«Prozesse in Gang set­zen» war für diesen Papst wesentlich­er als «Räume beset­zen», auch the­ol­o­gis­che. Sein Nach­syn­odales Schreiben «Amor­is laeti­tia» (2016) löste heftige Debat­ten aus: Franziskus – ein Häretik­er? Die Sozialen­zyk­liken «Lauda­to si’» (2015) und «Fratel­li tut­ti» (2020) zeigten seine Sen­si­bil­ität für unseren gefährde­ten Plan­eten. Struk­turell, behaupten Kri­tik­er, habe Franziskus wenig getan. Stimmt das? Er hat die Lehre nicht verän­dert. Aber einen pas­toralen Ton hineinge­bracht, anstatt weit­er auf pas­torale Schlupflöch­er oder the­ol­o­gis­che Qua­si­lö­sun­gen zu set­zen. Ist das «jesuit­is­che Spitzfind­igkeit»?

Franziskus hat den Boden für Neu­land bere­it­et. Er war kein Vertreter ein­er bes­timmten Rich­tung der The­olo­gie. Sein Pon­tif­ikat war das Ende des Schwarz-Weiss-Denkens. Eine «kalte Schreibtis­chmoral» emp­fand er genau­so wenig lebens­di­en­lich wie abstrak­te The­olo­gie aus dem Labor. Anto­nio Spadaro charak­ter­isierte seine Amt­szeit bere­its 2020 als «Pon­tif­ikat der Aus­saat, nicht der Ernte». Ob sich die Lin­ien, die Franziskus aus­ge­zo­gen hat, auch in der Organ­i­sa­tion­skul­tur der Kirche nieder­schla­gen? Die Kurien­re­form hat er gegen grossen Wider­stand durchge­zo­gen. Am Kar­di­nal­srat, dem ausser­halb der Kurie ange­siedel­ten Beratungs­gremi­um, hielt er bis zulet­zt fest. Der «point of no return» ist aus mein­er Sicht erre­icht: Es gibt kein Zurück zu einem sich byzan­ti­nis­tisch darstel­len­den, autoritär agieren­den Pap­st­tum mit der Aura der Unnah­barkeit.

Seine Reisen führten in Län­der, die nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung standen: Das ist seine Art, sich zu sol­i­darisieren. In Zürich, Wien, Berlin oder Paris war Franziskus nie. Aber in Myan­mar. Oder im Irak. Oder im Süd­su­dan. Wer Franziskus Pop­ulis­mus vor­warf oder ihn als «the­ol­o­gis­ches Leicht­gewicht» verspot­tete, musste sich eines Besseren belehren lassen. Der «Ignatius von Assisi» hat­te etwas von einem «agent provo­ca­teur» an sich: Er pro­bierte aus. Er liess gewähren. Er ermöglichte – und über­forderte damit. Alles nur Sym­bol­poli­tik? Han­delte es sich wirk­lich um eine Reform der Kirche? Ich sage entsch­ieden: Ja! Refor­men brauchen Zeit. Syn­odale Vorgänge auch. Welt­frieden, Wel­tre­li­gio­nen, Weltk­li­ma: Das waren die grossen The­men. Mit seinen Erk­lärun­gen und Man­i­festen (Abu Dhabi) hat er Meilen­steine geset­zt.

Als erste Kardinäle auf offen­er Bühne über einen möglichen Rück­tritt spekulierten und orakel­ten, wie man Franziskus bewe­gen kön­nte aufzugeben («Oper­a­tion Biden»), inter­ve­nierte der Dekan des Kar­di­nal­skol­legiums, Kar­di­nal Gio­van­ni Bat­tista Re, selb­st 91-jährig: Das sei geschmack­los. Auf dem Peter­splatz wurde abends der Rosenkranz gebetet, geleit­et von Kar­di­nalsstaatssekretär Pietro Parolin. Weil sowohl Dekan wie auch Vizedekan des Kar­di­nal­skol­legiums, Leonar­do San­dri, die Alters­gren­ze von 80 über­schrit­ten haben und das Kon­klave nicht mehr leit­en kön­nen, fällt diese Rolle jet­zt Pietro Parolin als dien­stäl­testem Kar­di­nal­bischof zu.

Die öffentliche Stim­mung schwank­te zwis­chen echter Betrof­fen­heit für den let­zten Weg eines alterss­chwachen Pap­stes und gespiel­ter Sorge bis hin zu klerikaler Pietät­losigkeit. Andrea Ric­car­di, Grün­der der Laienge­mein­schaft «Sant’Egidio», brachte es auf den Punkt: «Die Raben begin­nen wieder zu kreisen.» Bei Monar­chen läuft es anders: «Der König ist tot, es lebe der König.» Das Pro­cedere im Vatikan ist fest­gelegt: Trauerzeit, Begräb­nis­riten, Kardinäle aus aller Welt reisen nach Rom, Gen­er­alkon­gre­ga­tio­nen, also das soge­nan­nte Vorkon­klave, dann das Kon­klave selb­st. Und dann heisst es, wenn die «fuma­ta bian­ca», weiss­er Rauch, eine erfol­gre­iche Wahl anzeigt: «Habe­mus papam». Derzeit gibt es 252 Kardinäle, von denen aber nur 137 wahlberechtigt sind – die über 80-jähri­gen kön­nen jedoch an den Beratun­gen im Vorkon­klave teil­nehmen. Was aber bei vie­len alters­be­d­ingt wenig wahrschein­lich ist: Der älteste unter ihnen wird bald 100, Kar­di­nal Friedrich Wet­ter, der frühere Erzbischof von München und Freis­ing, ist 97.

In sein­er Mitte Jän­ner 2025 erschiene­nen Auto­bi­ografie «Hoffe» ver­ri­et Franziskus (nicht zum ersten Mal), im Falle eines Rück­tritts wolle er sich nach San­ta Maria Mag­giore zurückziehen, in die Pap­st­basi­li­ka unweit der Stazione Ter­mi­ni, dem Haupt­bahn­hof Roms. Dazu ist es nicht gekom­men. Er wollte sich dort auch, wie zuvor sechs andere Päp­ste, begraben sehen: «Was meinen Tod ange­ht, so habe ich dazu eine recht prag­ma­tis­che Ein­stel­lung. (…) Wenn es so weit ist, dann werde ich nicht im Peters­dom bestat­tet, son­dern in San­ta Maria Mag­giore: Der Vatikan ist mein let­zter Arbeit­splatz auf Erden, aber nicht der Wohnort für die Ewigkeit.» Das war wohl auch ein let­zter Seit­en­hieb auf die Kurie, die der Jesuit und Freigeist Franziskus oft als Zwangs­jacke erlebte.

Andreas R. Batlogg SJ gilt als Franziskus-Kenner. Der österreichische Theologe trat 1985 in den Jesuitenorden ein und war zwischen 2009 und 2017 Herausgeber und Chefredaktor der «Stimmen der Zeit». Er betreibt einen Franziskus-Blog, auf dem er das Pontifikat fortlaufend kommentiert hat:
https://andreas-batlogg.de/franziskus-blog/

Dieser Beitrag erschien zuerst beim Forum — Pfar­rblatt der katholis­chen Kirche im Kan­ton Zürich

Andreas Batlogg
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