Der Blick in die Weite
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Der Blick in die Weite

Johannes 3,7–8Wun­dere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von oben geboren wer­den. Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weisst aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.Ein­heit­süber­set­zung 2016

Der Blick in die Weite

Es wird ein «Impuls» für das Pfar­rblatt von mir erwartet. Dafür habe ich mich mit meinem Com­put­er in ein kleines Chalet im Jura zurück­ge­zo­gen, gönne mir ein paar Tage, um mich von diesem Rück­zug aufs Land inspiri­eren zu lassen. So sitze ich also im kleinen Chalet am Wal­drand, schaue zum Fen­ster hin­aus und suche in meinem Kopf nach einem geeigneten Impul­s­the­ma. Schwierig, denn ger­ade hat eine kleine Holztreppe meine Kreativ­ität ganz in Beschlag genom­men. Es sind zwar nur ger­ade sechs Stufen, die zuhause einen kleinen Schacht im Keller bege­hbar machen sollen, keine grosse Sache also, aber meine Gedanken kreisen darum, wie ich das am besten ange­hen soll. Sie kreisen um Kon­struk­tionsvari­anten, um Berech­nun­gen, um opti­male Platznutzung und ver­hin­dern so das Ein­tauchen in spir­ituelle Tiefen, … kein Impuls­gedanke regt sich weit und bre­it.Ohne Inspi­ra­tion schweift mein Blick aus dem Fen­ster. Jen­seits des Tales vor mir mache ich auf der übernäch­sten Hügelkette im Dun­st den Aus­sicht­sturm auf dem Moron aus. Es ist nur eine schwache Sil­hou­ette in der Ferne, die die Baum­spitzen über­ragt, aber sie weckt in mir die Bilder dieses ele­gan­ten Turms des Starar­chitek­ten Mario Bot­ta. Vor zwei Jahren war ich mit ein­er Pil­ger­gruppe die 207 Stufen des Turms hin­aufgestiegen und hat­te den wun­der­baren Blick in die Weite genossen und dabei auch das kleine Chalet in der Ferne aus­gemacht, in dem ich heute sitze. Und wir hat­ten natür­lich auch die wirk­lich aussergewöhn­liche Stein­treppe bewun­dert, die sich in uner­hörter Leichtigkeit um den Turm herum in die Höhe windet und den Besucherin­nen und Besuch­ern den fan­tastis­chen Weit­blick über die Jurahügel ermöglicht. Wenige Tage darauf brachen mit­ten in der Nacht unver­mit­telt die Stufen ab und stürzten in die Tiefe. Sei­ther kann der Turm nur noch von unten und als Sil­hou­ette aus der Ferne betra­chtet wer­den, kein müh­sames Hin­auf­steigen mehr und kein herzöff­nen­der, belohnen­der Blick mehr in die Weite.Ja, Trep­pen sind wichtig, egal, ob sie tech­nisch aus­gek­lügelt, kün­st­lerisch grossar­tig oder schlicht und funk­tion­al sind. Egal, ob sie felsen­fest wirken oder wack­e­lig und unsich­er sind. Ihnen allen ist gemein­sam, dass sie es den Men­schen, die sie bege­hen, ermöglichen, neue Ebe­nen, neue Höhen und Tiefen, neue Weit­en und auch neue Per­spek­tiv­en im Leben zu ent­deck­en. Einige Men­schen steigen diese Trep­pen ängstlich und zaghaft empor, andere neugierig, ver­trauensvoll und forsch. Allen aber erschliessen die Stufen neue Räume und Höhen, sie brin­gen Men­schen auf neue Ebe­nen, verbinden sie, über­winden Tren­nen­des und ermöglichen ungeah­nte Ein- und Weit­blicke. Trep­pen bauen macht schon Sinn, scheint mir … Übri­gens: Mein Trep­pen­pro­jekt im Keller ist fer­tig. Jet­zt haben meine Gedanken wieder Platz für spir­ituelle Tiefen und Höhen. Darauf freue ich mich.Felix Ter­ri­er Leit­er Bere­ich Kirche im Kloster Dor­nach
Felix Terrier
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