Arbeiten, Wohnen, Zweifeln, Glauben

Arbeiten, Wohnen, Zweifeln, Glauben

  • Zwei Men­schen, ein The­ma: Die Hor­i­zonte Som­merserie 2019 bringt Men­schen unter­schiedlich­er Stand­punk­te ins Gespräch.
  • Im ersten Teil sprechen Rita Wis­mann (Suhr) und Christi­na Fuhrmann (Wettingen/Würenlos) über den Anfang, beziehungsweise das Ende ihres kirch­lichen Dien­stes.
 Frau Wis­mann, wann sind Sie in den kirch­lichen Dienst gegan­gen und warum? Rita Wis­mann: Ich bin eine soge­nan­nte Spät­berufene und habe erst mit 50 das The­olo­gi­es­tudi­um an der Uni Luzern begonnen und mit dem Mas­ter abgeschlossen. Das Studi­um habe ich ein­er­seits begonnen, weil ich dem The­ma der Gottes­nähe und Ferne in schwieri­gen Sit­u­a­tio­nen nachge­hen wollte. Dieses The­ma war zen­tral bei mein­er Arbeit als Sozialar­bei­t­erin und Lei­t­erin der Opfer­ber­atungsstelle Aargau/Solothurn. Ander­er­seits hat­te ich schon immer eine innere Nähe zur Kirche. Nach dem Studi­um fol­gten die Beruf­se­in­führung und ein weit­eres Jahr in der Pfar­rei in Sursee. Anschliessend wurde ich für die Gemein­deleitung in der Pfar­rei Suhr ange­fragt.Frau Fuhrmann, Sie starten diesen August mit der Beruf­se­in­führung des Bis­tums Basel, was haben Sie bish­er gemacht und warum haben Sie sich für den kirch­lichen Dienst entsch­ieden? Christi­na Fuhrmann: Vor gut einem Jahr habe ich mein The­olo­gi­es­tudi­um abgeschlossen. Da ich nicht aus dem Bis­tum Basel stamme, habe ich ein soge­nan­ntes «Vor­jahr» gemacht, in dem ich bere­its als Pas­toralas­sis­tentin in Aus­bil­dun­gen in den Pfar­reien in Wet­tin­gen und Würen­los tätig war. Im August startet nun die Beruf­se­in­führung des Bis­tums. Ich glaube, für den kirch­lichen Dienst entschei­det man sich nicht mal eben so. Die Wurzeln für die Entschei­dung liegen sich­er schon in mein­er Kind­heit. In den ver­schiede­nen guten Erfahrun­gen im Pfar­reikon­text. Let­ztlich ste­hen und fall­en viele Fra­gen des Glaubens und des Kirch­e­seins mit den Per­so­n­en, die man ken­nen­lernt, die einen prä­gen und vor allem begleit­en.Frau Wis­mann, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Ein­steigerin Frau Fuhrmann erleben? Rita Wis­mann: Ich freue mich sehr, dass eine junge Frau in den kirch­lichen Dienst ein­treten wird. Ich war bei meinem Ein­tritt ein «älteres Semes­ter». Es tut der Kirche gut, wenn junge Frauen und auch Män­ner diesen wun­der­baren Beruf ergreifen und in Zukun­ft etwas bewe­gen kön­nen und wollen.Frau Fuhrmann, was inter­essiert Sie spon­tan, wenn Sie die dien­ster­fahrene Frau Wis­mann tre­f­fen? Christi­na Fuhrmann: Das The­ma Zeit­man­age­ment und Selb­st­für­sorge. Ich bin nun beina­he seit einem Jahr in der Pas­toral tätig und lang­weilig wurde mir nie. Schnell gerät man in ein Ham­ster­rad und die Arbeit hört niemals auf. Ich erlebe es als grosse Her­aus­forderung, die Auf­gaben und Anfra­gen zu koor­dinieren und zu pri­or­isieren, sodass man selb­st dabei nicht auf der Strecke bleibt.Was war die grösste Verän­derung während ihrer Jahre im Kirchen­di­enst, Frau Wis­mann? Rita Wis­mann: Für mich hat die Admin­is­tra­tion stark zugenom­men. Der Pas­toral­raum nimmt viel Zeit für Sitzun­gen, Arbeits­grup­pen und Konzep­tar­beit in Anspruch. Da kommt häu­fig das zu kurz, warum ich diesen Beruf gewählt habe: Die Seel­sorge! Eine Ent­las­tung durch Zusam­me­nar­beit im Pas­toral­raum habe ich nicht so zu spüren bekom­men, wie es vielle­icht vom Konzept her vorge­se­hen war oder ich es mir gewün­scht hätte.Welche Verän­derung erhof­fen Sie sich für die Zeit Ihres Dien­stes, Frau Fuhrmann? Christi­na Fuhrmann: Die vatikanis­chen Mühlen mahlen mit Blick auf weltkirch­liche Entschei­de und Verän­derun­gen (zu) langsam. Ob sich da in den näch­sten 40 Jahren wirk­lich viel bewegt? Aber im Kleinen ist vieles möglich. Das zeigt mir schon der Ver­gle­ich der Möglichkeit­en als The­olo­gin im Bis­tum Basel — im Gegen­satz zu vie­len anderen Bistümern.Wie nehmen Sie die Sit­u­a­tion der Kirche im Moment wahr? Christi­na Fuhrmann: Zweifel­sohne befind­en wir uns in ein­er schwieri­gen Sit­u­a­tion. Die Unzufrieden­heit ist gross, nicht nur mit Blick auf die römisch-katholis­che Kirche als ganze, son­dern teils auch in den Pfar­reien. Der Blick in die Kirchengeschichte stimmt mich aber hoff­nungsvoll. Jede Epoche birgt ihre Her­aus­forderun­gen, viele Kon­flik­te sind schon ein­mal da gewe­sen und ich will auch heute noch glauben, dass Wan­del möglich ist. Rita Wis­mann: Wenn ich nur die Sit­u­a­tion in mein­er Pfar­rei anschaue, arbeite ich in ein­er sehr fortschrit­tlichen, frauen­fre­undlichen Pfar­rei. Ich bin als Pfar­reilei­t­erin akzep­tiert und respek­tiert. Natür­lich wird immer mal nach dem Her­rn Pfar­rer gefragt oder der Gottes­di­enst nur besucht, wenn eine Eucharistiefeier stat­tfind­et. Schaue ich das grössere Ganze der Kirche an, dann ist noch sehr viel Hand­lungs­be­darf. Auch für die Akzep­tanz der Frauen im kirch­lichen Dienst. Die Sit­u­a­tion mit den Miss­brauch­sopfern macht es zudem vie­len Men­schen schw­er, auch das Gute in der Kirche noch zu sehen. Dabei sind wir in unserem Bis­tum aber auf einem sehr guten Weg in der Präven­tion.Haben Sie beim Frauen*Kirchenstreik mit­gemacht? Rita Wis­mann: Ja, ich habe daran teilgenom­men. Es ist wichtig, dass auch wir Kirchen­frauen uns bemerk­bar machen und zeigen, dass vieles nicht ide­al läuft für uns. Sym­bol­isch habe ich eine Mitra getra­gen, um ein Zeichen zu set­zen. In mein­er Pfar­rei haben die Kirchen­glock­en geläutet und der rosarote Punkt war an der Kirchen­tür sicht­bar. Da wir am Son­ntag Fir­mung feierten, habe ich inhaltlich im Gottes­di­enst nichts gemacht. Christi­na Fuhrmann: Ich war das ganze Woch­enende vor­wiegend mit Schü­lerin­nen, Schülern und Erstkom­mu­nionkindern unter­wegs und wollte sie nicht die Lei­d­tra­gen­den mein­er Absenz sein lassen. Daher habe ich nicht aktiv teilgenom­men. So war ich im Geiste mit den streik­enden Frauen ver­bun­den.Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie mit Men­schen über die Kirche und Ihren Beruf sprechen? Rita Wis­mann: Wichtig ist mir, dass die Leute bei dem was ich bin, mache und sage, spüren, dass ich diesen Beruf liebe und darin meine Beru­fung lebe. Es ist auch wichtig, zu sagen, dass die Kirche so vielfältig ist wie die Men­schen darin, und dass die Kirche nicht ver­all­ge­mein­ert wer­den darf oder man nur auf das Neg­a­tive fokussiert. Christi­na Fuhrmann: Mir ist es wichtig, offen darüber zu sprechen. Ganz gle­ich mit wem, ob kirchen­nah oder –fern. Oft werde ich mit Kri­tik oder Zweifeln der Kirche gegenüber kon­fron­tiert. Ger­ade dann ist es mir wichtig, kri­tik­fähig zu bleiben und zu kom­mu­nizieren, dass auch ich eine Suchende und manch­mal eine Zweifel­nde bin. Am wichtig­sten ist mir aber, dass mein Gegenüber meine Freude und meine Lei­den­schaft für meinen Beruf spüren kann.Was ist Ihr Aus­gle­ich zur Arbeit? Rita Wis­mann: Meine bei­den Enkeltöchter helfen mir sehr, in eine ganz andere Welt einzu­tauchen. Bis im Früh­ling war das Kloster Melch­tal (OW) seit vie­len Jahren mein zweites Zuhause. Seit dessen Zusam­men­schluss mit dem Frauen­kloster Sar­nen ist diese Zeit zu Ende. Ich set­ze mich aber als Stiftungsrätin im Stiftungsrat der Stiftung «ora et lab­o­ra», die das Benedik­tinis­che Zen­trum Sar­nen führt, für die Anliegen «mein­er Melch­taler­schwest­ern» ein. Christi­na Fuhrmann: Während mein­er Stu­dien­zeit habe ich neben­bei als Fit­nesstrainer­in gear­beit­et. Sport oder Aktiv­itäten im Wald, in den Bergen oder ein­fach in der Natur machen mir den Kopf frei. Egal, ob beim joggen, wan­dern oder rasen­mähen.Frau Wis­mann, Sie steigen aus dem Kirchen­di­enst aus – wo steigen Sie neu ein? Rita Wis­mann: Im Moment fehlen mir noch Zeit und Musse, darüber tiefer nachzu­denken. Ich wün­sche mir aber mehr Zeit für meine bei­den Enkeltöchter und werde sich­er noch ein­mal nach Indi­en reisen und unsere Pfar­reipro­jek­te besuchen. Lang­weilig wird es mir sich­er nicht.Frau Fuhrmann, worauf freuen Sie sich als Ein­steigerin am meis­ten? Christi­na Fuhrmann: Auf alle Her­aus­forderun­gen, die auf mich warten. Ich glaube, es gibt viele Möglichkeit­en, kirch­lich­es Leben und Kirch­enen­twick­lung mitzugestal­ten, sich einzubrin­gen, Gutes zu bewahren, aber auch Neues zu schaf­fen. Und ich freue mich auf die vie­len Begeg­nun­gen mit den unter­schiedlich­sten Men­schen dabei.
Anne Burgmer
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