Arbeit für ein fried­li­ches Miteinander

In Tune­si­en begann 2011 der ara­bi­schen Früh­ling, mit Zine el-Abidi­ne Ben Ali muss­te sich der erste Poten­tat ver­ab­schie­den. Es folg­ten wirt­schaft­li­che Schwie­rig­kei­ten, reli­giö­se Span­nun­gen und Gewalt. Die aus Schaff­hau­sen stäm­mi­ge Sale­sia­n­er­schwe­ster Maria Rohrer kam kurz vor dem Umsturz ins Bis­tum Tunis und teilt mit der Bevöl­ke­rung die Gewiss­heit, dass da etwas in die fal­sche Rich­tung lief. Aber auch die Hoff­nung, dass ein Weg gefun­den wer­den wird. 

Schwe­ster Maria mag die Tune­si­er. Kurz vor der Jas­min­re­vo­lu­ti­on kam sie mit zwei wei­te­ren Sale­sia­ne­rin­nen in die Haupt­stadt Tunis. Eine zwei­te Gemein­schaft des­sel­ben Ordens betreibt seit vie­len Jah­ren eine Pri­vat­schu­le in einer ande­ren Stadt – eine von neun katho­li­schen Ein­rich­tun­gen im Land. «Das ist eine gros­se Aus­nah­me in die­sen Län­dern. Bischö­fe aus den Nach­bar­staa­ten stau­nen immer wie­der, was bei uns mög­lich ist», meint Schwe­ster Maria stolz. «Aber natür­lich arbei­ten wir diskret.»

Reli­gi­on für Aus­län­der
Mit dem Erbe des anti­ken Bis­tums Kar­tha­go hat das heu­ti­ge Chri­sten­tum in Tune­si­en indes nicht mehr viel gemein – die Unab­hän­gig­keit von Frank­reich im Jahr 1956 been­de­te des­sen pri­vi­le­gier­te Posi­ti­on. Damals zogen regel­mäs­sig fran­zö­sisch-katho­li­sche Pro­zes­sio­nen durch die Stras­sen und die Ein­hei­mi­schen sahen am Ran­de zu. Das Chri­sten­tum blieb aller­dings eine Reli­gi­on der Aus­län­der. Der über­wie­gen­de Teil der Tune­si­er ist isla­misch. Den­noch: «Einen reli­giö­sen Gra­ben wie in Ägyp­ten kennt man hier nicht», so Schwe­ster Maria. «Unsi­cher gefühlt haben wir uns nie.»

Unter Poli­zei­schutz
Unter dem vor­ma­li­gen, 1987 an die Macht gekom­me­nen Prä­si­den­ten Zine el-Abidi­ne Ben Alis war das Chri­sten­tum tole­riert, die gros­sen Kir­chen stan­den unter Poli­zei­schutz. Als Tou­ris­mus­land am Meer woll­te man sich kei­ne Image­schä­den lei­sten, aber alles muss­te sich hin­ter ver­schlos­se­nen Türen abspie­len. Kei­ne Glocken, kei­ne Kreu­ze, kei­ne Pro­zes­sio­nen. «Tune­si­sche Chri­sten gibt es fast kei­ne, wenn man bedenkt, dass in Ägyp­ten sechs Mil­lio­nen Kop­ten leben», weiss Schwe­ster Maria. «Unser Bis­tum ist eines der weni­gen ohne Ein­hei­mi­sche. Bei uns sind die Gläu­bi­gen Schwarz­afri­ka­ner, Euro­pä­er, Süd­ame­ri­ka­ner, und Asia­ten.» Die Erste­ren arbei­ten bei der Afri­ka­ni­schen Ent­wick­lungs­bank (BAD) oder stu­die­ren, die ande­ren arbei­ten in inter­na­tio­na­len Unternehmen.

Unter­stüt­zung in der Frem­de
Tau­sen­de von Stu­den­ten aus Schwarz­afri­ka leben in Tune­si­en, zahl­rei­che am Ran­de der Gesell­schaft. «Unse­re Gemein­schaft in Tunis ist als Mis­si­on für Stu­den­ten aus Schwarz­afri­ka gegrün­det wor­den», so Schwe­ster Maria. «Die­se jun­gen Men­schen sind das erste Mal von daheim weg, in einem frem­den Land, wo die Leu­te eine ande­re Spra­che spre­chen. Die mei­sten sind Chri­sten, dazu oft in finan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten.» Bevor Schwe­ster Maria nach Tune­si­en kam, arbei­te­te sie 33 Jah­re in Schwarz­afri­ka. So hofft sie, zum Zusam­men­le­ben zwi­schen Schwarz­afri­ka­nern und Tune­si­ern bei­tra­gen zu können.

Auf der Suche nach einer Ant­wort
In den Schul­klas­sen aller neun Bis­tums­schu­len sit­zen tune­si­sche Schü­ler. Der isla­mi­sche Reli­gi­ons­un­ter­richt gehört zum Pro­gramm. Dane­ben gibt es Platz für ande­res. Schwe­ster Maria unter­rich­tet Lebens­kun­de an sech­zig jun­ge Tune­si­er in der letz­ten Sekun­dar­klas­se. Die­se Men­schen, wel­che die Revo­lu­ti­on erleb­ten, viel­fach auch Gewalt und Kri­mi­na­li­tät, suchen eine Ant­wort für ihr Leben, die ihnen die Gesell­schaft nicht gibt. «Nach der Revo­lu­ti­on kamen Leu­te und woll­ten sich tau­fen las­sen», erin­nert sich Schwe­ster Maria. «Aber wir sind da vor­sich­tig und prü­fen die Beweg­grün­de gut. Ande­re kom­men und suchen jeman­den, der ihnen zuhört. Mis­sio­nie­ren tun wir nicht.»

Neue Regie­rung for­cier­te Isla­mi­sie­rung
Seit den ersten frei­en Wah­len im Herbst 2011 regiert die isla­mi­sti­sche Ennah­da-Par­tei, wel­che unter Prä­si­dent Ben Ali ver­bo­ten war. Wie die Mus­lim­brü­der in Ägyp­ten ver­spiel­te aber auch die­se Regie­rung ihren Ruf bei den Men­schen. Statt sich um die Wirt­schaft zu küm­mern, posi­tio­nier­te sie ihre Leu­te in den Schalt­stel­len und liess radi­ka­le Pre­di­ger ins Land. «Für uns hat sich seit der Revo­lu­ti­on aber nicht viel geän­dert», meint Schwe­ster Maria. «Die Ennah­da mach­te unse­rem neu­en Bischof deut­lich, dass auch sie an der Prä­senz der Kir­che in Tune­si­en wei­ter­hin inter­es­siert sei.» Für die Tune­si­er hin­ge­gen änder­te sich eini­ges. Das Land kann­te im Gegen­satz zu Ägyp­ten weni­ger isla­mi­sche Tra­di­ti­on. Unter den vor­ma­li­gen Macht­ha­bern waren sogar Frau­en­rech­te ein­ge­führt wor­den. In den öffent­li­chen Ämtern arbei­te­ten die­se ohne Schleier.

Span­nung zwi­schen Lai­zi­sten und Isla­mi­sten
Nach der Revo­lu­ti­on bekämpf­ten sich zwei Lager: Die Lai­zi­sten ver­bün­de­ten sich mit den Gewerk­schaf­ten gegen die Isla­mi­sten. Demo­kra­tie gegen Got­tes­staat also? Schwe­ster Maria sieht das dif­fe­ren­zier­ter: «Alle gin­gen an die ersten frei­en Wah­len, wähl­ten die Isla­mi­sten, und am näch­sten Tag stand in den Zei­tun­gen, die Demo­kra­tie habe gesiegt.» Dazu gehö­re aber mehr als ein blos­ser Urnen­gang, glaubt die gebür­ti­ge Schwei­ze­rin. «Kommt es zur Demo­kra­tie, wird die­se anders aus­se­hen als jene bei uns», meint Schwe­ster Maria in Anleh­nung an die Erwar­tun­gen der west­li­chen Staa­ten. Den Weg in Rich­tung Demo­kra­tie beur­teilt sie als schwie­rig, aber nicht unmög­lich. Der Kol­laps der umlie­gen­den Staa­ten schwemm­te Flücht­lin­ge und radi­ka­le Kämp­fer ins Land. «Die Leu­te sind vor­sich­ti­ger», meint die Sale­sia­ne­rin. «Seit sich Mel­dun­gen von ver­haf­te­ten Bom­ben­bast­lern häu­fen, merkt man auch hier, dass sich was tut. Die Ver­ant­wor­tung geben die Men­schen der Regie­rung. Sie sind der Mei­nung, dass ihnen die Isla­mi­sten die Revo­lu­ti­on gestoh­len haben.» Für Schwe­ster Maria bleibt die Zukunft offen. Die Sale­sia­ne­rin­nen füh­ren ihre Arbeit fort. «In Demut, als Zei­chen für ein fried­li­ches Mit­ein­an­der der Reli­gio­nen», bringt es Schwe­ster Maria auf den Punkt.

Oli­ver Schneitter

 

Die Sale­sia­ne­rin­nen
Schwe­ster Maria gehört dem Orden der Sale­sia­ne­rin­nen von Don Bosco an. Don Bosco, der Jugend­a­po­stel von Turin, woll­te für die Mäd­chen, was er schon für die Jun­gen unter­nom­men hat­te. Zusam­men mit Maria Dome­ni­ca Maz­z­arel­lo grün­de­te er 1872 in Mor­ne­se Ita­li­en einen Orden. Heu­te wir­ken über 13 000 Sale­sia­ne­rin­nen in 93 Län­dern. Ihr Leben besteht aus Gebet, Gemein­schaft und Erzie­hungs­ar­beit. Dies vor allem für jene Jugend­li­chen mit beson­de­ren Herausforderungen.

 

 

Redaktion Lichtblick
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