Der Tod ist konfessionslos

Beim Ter­min mit Hor­i­zonte spiegelt sich wider, Daniel Münger und Philipp Kindler sitzen nicht zum ersten Mal gemein­sam an einem Tisch. Im Kan­ton­sspi­tal Aarau arbeit­en Spi­talseel­sorge und Ärzteschaft eng zusam­men. Ein­drück­lich wird das am Beispiel der Kinder und Jugend­klinik deut­lich. Dr. med. Daniel Münger, 52, ist Kinder­arzt, Kinder- und Jugendpsy­chi­ater und lei­t­en­der Ober­arzt der Klinik für Kinder und Jugendliche. Philipp Kindler, 42, ist als reformiert­er Pfar­rer und Spi­talseel­sorg­er für einen grossen Teil der Kinderklinik zuständig. Daher haben die katholis­chen Team­er der Spi­talseel­sorge des KSA ihn gebeten, den Gespräch­ster­min wahrzunehmen. Eine Aus­sage, die in vie­len Gesprächen gemacht wird, ist: Man kann Kindern beim Umgang mit Tod, Trauer und Abschied mehr zumuten, als Erwach­sene glauben. Stimmt das? Daniel Münger: Es sind zwei The­men. Die grund­sät­zliche Hal­tung ob ich Kindern etwas zumute und die jew­eils einzelne Fam­i­lie, die wir begleit­en. Die Grund­hal­tung unser­er­seits ist erst­mal: ja, wir kön­nen Kindern sich­er mehr zumuten. Die Ten­denz Kindern etwas zu ver­heim­lichen ist recht gross. Aus ganz ver­schiede­nen Grün­den: Weil man die eige­nen Gefüh­le zurück­hal­ten möchte, weil man die Kinder vor etwas unsag­barem schützen möchte. Kinder spüren allerd­ings meis­tens, dass etwas nicht stimmt. Vielle­icht liegt es an fehlen­dem Wis­sen über die Fähigkeit­en der Kinder. Dann gibt es das einzelne Kind. Da ist wichtig ist zu wis­sen, ob es eventuell schon trau­ma­tis­che Ver­lus­ter­leb­nisse gibt, die man berück­sichti­gen muss. Man muss den Entwick­lungs­stand des Kindes anschauen: Es ist ein Unter­schied, ob es um einen Zwei­jähri­gen oder einen 15-Jähri­gen geht. Philipp Kindler: Das sehe ich genau­so. Was ganz wichtig ist: Kinder ken­nen kein Tabu. Und der Tod ist für ganz viele von uns ein tabuisiertes The­ma. Es ist, glaube ich, sehr wichtig, offen und ehrlich mit den Kindern umzuge­hen und die eige­nen Gefüh­le zu zeigen. Auszu­drück­en, dass und warum man trau­rig ist – und nicht ein­fach still wer­den. Stille Trauer geht nicht gegenüber einem Kind. Es weiss dann nicht genau worum es geht, spürt aber, dass etwas nicht richtig ist. Ich glaube auch, dass man Kindern einiges mehr zumuten kann und darf, als das von unser­er Gesellschaft her üblich ist.Den Eltern soll­ten aber kom­pe­tente Fach­leute zur Seite gestellt wer­den, die ihnen helfen. Die Eltern sind ja sel­ber in der Trauer, kön­nen auf­grund eigen­er Erfahrun­gen vielle­icht nicht unbe­fan­gen mit dem The­ma umge­hen. Gibt es da konkrete Ange­bote? Daniel Münger: Auch da muss man unter­schei­den: geht es um Tabuisierung generell? Das ist weniger gut. Oder geht es um Ver­mei­dung? Das hat meis­tens tiefe Begrün­dun­gen. Das kann ein Schon­ver­hal­ten sein, dass in der Fam­i­lie an den Tag gelegt wird und dur­chaus Sinn ergibt. Und dann ist es schwierig, das Tem­po ein­fach zu erhöhen. Dazu kommt, dass jedes Fam­i­lien­mit­glied nor­maler­weise in ein­er anderen der ver­schiede­nen Ver­ar­beitungsphasen ist. Philipp Kindler: Behut­sames Vorge­hen ist extrem wichtig. Aber es ist schon so, dass ger­ade bei der Trauer in Bezug auf ein Kind eine gewisse Beratungsmöglichkeit beste­ht. Auch weil man durch die eigene Trauer eingeschränkt ist. Man ist dann nicht mehr objek­tiv.Kann es passieren, dass trauernde Eltern durch die Tab­u­losigkeit der eige­nen Kinder, die ganz anders mit dem The­ma umge­hen, zusät­zlich über­fordert wer­den? Philipp Kindler: Ich habe schon erlebt, dass ein Kind den Tod gespielt hat, als der Gross­vater grade ver­stor­ben war. Die Eltern haben das Tabu-über­schre­i­t­end gefun­den. Mein Gefühl war eigentlich, dass das Spiel für das Kind eine wichtige und richtige Art war, den Tod zu ver­ar­beit­en und mit ihm umzuge­hen. Das sollte man eigentlich zulassen dür­fen und kön­nen. Aber in diesem Moment war es für die Eltern ein­fach schwierig. Daniel Münger: Ich erlebe das auch. Kinder leg­en eine Art Ver­hal­ten an den Tag – vielle­icht nicht unbe­d­ingt ein Spiel – das eine Form der Trauerver­ar­beitung ist. Dann ist dieses Kind vielle­icht das einzige Wesen in dem Sys­tem von Beteiligten, dass seine Trauer nach Aussen trägt. Unsere Auf­gabe ist dann zu schauen, wo das eigentlich noch gut funk­tion­iert und wo eine Störung begin­nt. Und wir soll­ten neugierig nach­fra­gen und dem The­ma eine Sprache, eine Stimme geben. Damit bauen wir Ver­trauen auf, dass man darüber über­haupt sprechen kann und darf. Unsere eige­nen Beziehun­gen zu den The­men begin­nen dann eine grosse Rolle zu spie­len. Zwar sprechen sowohl das Ärzteteam als auch das Seel­sor­geteam jew­eils untere­inan­der und auch gemein­sam, um das aufz­u­fan­gen. Doch weil jed­er von uns Ver­luste erlit­ten hat, wird man dann sofort Teil dieses Fam­i­lien-Sys­tems und ist nie ganz objek­tiv. Den­noch braucht es eine pro­fes­sionelle Hal­tung. Das heisst nicht, kühl sein, aber seine eige­nen Mech­a­nis­men im Griff zu haben. Dafür gibt es dann die Selb­ster­fahrung. Nicht um sich sel­ber zu ther­a­pieren, aber um die Fam­i­lie zu unter­stützen. Philipp Kindler: Der Umgang mit Tod und Trauer regt ganz stark die eige­nen Gefüh­le an. Und es ist dann gar nicht so ein­fach, das zu tren­nen. Für eine pro­fes­sionelle Unter­stützung ein­er Fam­i­lie muss es aber getren­nt sein. Das ist ganz wichtig.Ist es möglich in einem Fam­i­lienge­füge, das aus Eltern, einem krankem Kind und einem gesun­den Kind, das übrig bleiben wird, allen gerecht zu wer­den? Oder gibt es den Punkt, wo man sagen muss: nein, das geht nicht? Daniel Münger: Wir stellen unsere Ange­bote ein­fach zur Ver­fü­gung. In ein­er solchen Sit­u­a­tion herrscht nicht nur emo­tionaler, son­dern auch zeitlich­er Stress. Ich habe die Beobach­tung gemacht, dass die Fam­i­lien unser Gefäss nur so weit nutzen, wie sie es in ihr Leben inte­gri­eren kön­nen. Und etwas konkreter zu Ihrer Frage: es ist aus mein­er Sicht die schwierig­ste Sit­u­a­tion über­haupt, wenn ein Kind sich ver­ab­schiedet. Wenn es eine Krankheit hat und stirbt. Da gibt es einen Moment, wo man ehrlicher­weise sagen muss: wir sind sprach­los. Wir sind mit der Fam­i­lie gemein­sam sprach­los. Dann muss man nicht gross besprechen oder Hil­festel­lun­gen geben. Da ist das gemein­sam mit der Fam­i­lie sprach­los sein schon eine wichtige Sache. Das andere ist, was wir schon vorher gesagt haben: zu sehen, wie es so Fam­i­lien geht. Ich würde immer die bei­den The­men respek­tieren und nicht immer nur das zweite wollen und das erste weglassen. Es ist eine unglaublich schwierige Sit­u­a­tion. Philipp Kindler: Das Leben ist nicht per­fekt. Wir scheit­ern alle irgend­wann. Es ist in solch ein­er Sit­u­a­tion unmöglich, allen gerecht zu wer­den. Ich denke, ein wichtiger Aspekt ist, die Sprachlosigkeit und das Ohn­machts­ge­fühl auszuhal­ten. Das gilt für alle, die daran beteiligt sind. Das ist sehr ein­drück­lich. Glück­licher­weise ster­ben bei uns im Kinder­spi­tal nicht so viele Kinder, ger­ade in der Onkolo­gie ist die Heilungschance recht gross. Aber wenn wirk­lich ein Kind stirbt, dann ist das sehr belas­tend für alle. Und das spürt man deut­lich. Let­ztlich gibt es dafür keine Sprache. Ob als Spi­talseel­sorg­er oder Pfar­rer, egal, da fehlen auch mir die Worte. Da kann ich nicht anfan­gen mit irgendwelchen kirch­lichen oder the­ol­o­gis­chen Erk­lärun­gen. Damit habe ich dann Mühe und komme abso­lut an meine Gren­zen. Daniel Münger: Das ist auch ein wichtiger Punkt in diesem inter­diszi­plinären Team: Da ist jemand der die Sprachlosigkeit legit­imiert. Jemand von dem man denkt, dass er gut sprechen kann geste­ht diese unfass­bare Sprachlosigkeit ein und lässt sie zu. Das ist gut, denn das bekom­men wir und auch das Pflegeper­son­al mit. Ärzte und Pfle­gen­den wollen han­deln. Wir wollen Leben ret­ten. Helfen und etwas verbessern und da ist die Sit­u­a­tion so, dass wir das schein­bar nicht kön­nen. Aber in Tat und Wahrheit ist auch das ein Prozess, ein Abschied­sprozess an dem wir beteiligt sind. Und die Sit­u­a­tion ist umgekehrt. Denn die Kinder han­deln. Sie nehmen gut wahr, was im Umfeld passiert, was für Bedürfnisse vorhan­den sind. Ger­ade ein­er der let­zten Fälle war ein­drück­lich. Ein Junge, der die gesamte Sit­u­a­tion auf der Sta­tion mit­ge­tra­gen hat.Was für Bilder find­en die Kinder? Im äusser­sten Fall ein ster­ben­des Kind, aber auch die Geschwis­terkinder? Philipp Kindler: Es sind unglaubliche Bilder. Die ver­rück­testen und die schön­sten und ich finde es unheim­lich wichtig, dass man ihnen diese Bilder nicht zuträgt oder gibt, son­dern die Bilder sich in ihnen wach­sen lässt, die Kinder kreativ wer­den lässt. Sie haben eine Phan­tasie, die unsere bei weit­em über­steigt. Zum Beispiel vom Him­mel der kom­men wird, der aus­ge­malt wird. Was da alles drin ist. Ich steh oft mit offen­em Mund da und lass mir die Zeich­nun­gen erk­lären. Ich enthalte mich da auch jeden Kom­men­tars, weil es vol­lkom­men ist. Ein solch­es Bild tröstet auch. Es ist unglaublich schön. Da spüre ich die Ressourcen der Kinder und dass man den Kindern ruhig einiges zumuten darf und kann und sollte. Daniel Münger: Mir kommt dann ein Regen­bo­gen in den Sinn. Es ist ein biss­chen der Him­mel. Es ist ein­er­seits eine Fröh­lichkeit, aber ander­er­seits auch ein biss­chen Trau­rigkeit. Der Regen­bo­gen ist auch ein Sym­bol für Über­gang. Wir inter­pretieren auch nicht so viel, aber was ein Kind dann zeich­net ist unglaublich.Wie ist das mit Geschwis­terkindern? Daniel Münger: Die Schat­tenkinder nen­nt man sie auch. Die darf man nie vergessen. Es ist auch im Inter­esse der Patien­ten sel­ber, dass diese nicht zu kurz kom­men. Die laden wir immer mit ein, die sprechen wir immer mit an. Jedes Kind reagiert da kom­plett anders. Die einen wollen gar nicht darüber sprechen und die Eltern sind hochbe­un­ruhigt. Dann stellt sich vielle­icht her­aus, dass diese Kinder ein­fach gute Strate­gien haben und viel später darüber sprechen. Oder andere Vari­ante: sie lei­den wirk­lich und kön­nen nicht darüber sprechen. Wollen vielle­icht noch Schlim­meres Ver­hin­dern und die anderen in der Fam­i­lie scho­nen. Auch da spielt das Alter eine Rolle und es geht um ver­schiedene The­men. Vom angesteckt wer­den bis hin zu, dass sie plöt­zlich aus­geschlossen wer­den. Das geschieht sehr häu­fig. Sie sind wegen der Sit­u­a­tion zurück­hal­tender, vielle­icht depres­siv­er und dann wer­den sie zusät­zlich noch bestraft durch eine Art Mob­bing, weil ihr Geschwis­ter ein onkol­o­gis­ch­er Fall ist. Dazu noch die Fol­geprob­leme in der Trauerver­ar­beitung. Die Geschwis­ter­po­si­tion ändert sich ja eventuell. Es stellt sich die Ältes­ten­the­matik und die Frage nach Ver­ant­wor­tungsüber­nahme. Das gilt es alles zu berück­sichti­gen. Aber gle­ichzeit­ig ist auch da die Frage nach den Ressourcen: wie machen die das? Geschwis­ter wis­sen meis­tens sehr genau, was für ihre Geschwis­ter gut ist. Sie sind also auch eine Ressource. In jedem Fall ist es wichtig, die Schat­tenkinder nicht zu vergessen Philipp Kindler: Da bin ich sehr dankbar, dass es die Psy­chi­ater und Psy­cholo­gen gibt. Die haben viel mehr Ahnung in diesem Bere­ich als ich und ich bin froh für die Zusam­me­nar­beit und um das Fach­wis­sen, was dort vorhan­den ist.Der Begriff Schat­tenkinder ist ein stark­er Begriff, weil er sehr gut aus­drückt, was mit den Kindern ist. Sie ste­hen im Schat­ten des direkt betrof­fe­nen Kindes. Philipp Kinder: Es ist ver­ständlich. Die Eltern haben ein krankes Kind und sind fokussiert. Man kann nie­man­dem einen Vor­wurf machen. Es ist ein­fach wichtig, dass man das von aussen wahrn­immt und darauf aufmerk­sam macht. Daniel Münger: Sehr häu­fig ver­mis­cht sich auch die ganze Trauer mit der Wut, im Schat­ten zu ste­hen. Oft ist das dann das eigentliche The­ma. Denn die Wut darf in ein­er Trauer­phase nicht gelebt wer­den. Das ist kaum akzep­tiert. Philipp Kindler: Die Wut ist in dieser Sit­u­a­tion tabuisiert. Dabei ist Konkur­renz und auch Wut unter Geschwis­tern etwas ganz nor­males. Aber in der Trauer soll sie ver­schlossen wer­den. Es ist ganz wichtig, dass man das anspricht und ver­sucht, die Wut zu ermöglichen. Trotz der schw­eren Gesamt­si­t­u­a­tion.Ist es in unser­er Gesellschaft, die häu­fig ein Prob­lem mit extremen Gefühlsaus­brüchen hat, schw­er­er, Gefüh­le wie Wut und Trauer zuzu­lassen und mit ihnen umzuge­hen? Daniel Münger: Ich weiss nicht, ob das jet­zt zu weit führt, aber mir kommt da eine Sit­u­a­tion in den Sinn, wo ich gerufen wurde zu ein­er soge­nan­nten «hys­ter­isch agieren­den» Mut­ter. Das Kind war wenige Minuten vorher ver­stor­ben. Die Mut­ter war wirk­lich auss­er Rand und Band und hat sich in ihrer Verzwei­flung auf ver­schiedene Ange­hörige gestürzt. Schlussfaz­it: das war eine nicht-kon­trol­lierte Trauer­reak­tion. Das war alles.Wenn man in andere Kul­turen blickt, wird Trauer oft nach aussen sicht- und hör­bar gemacht. Es erscheint gesün­der, als die Trauer still in sich hinein zu schluck­en. Ist das Ansichtssache? Philipp Kindler: Nein, das ist schon so. In der Not­fallseel­sorge beispiel­sweise ist der Blick ganz klar auf die gerichtet, die nichts mehr sagen. Bei all denen, die rum­schreien, ist im Nor­mal­fall alles soweit in Ord­nung. Der stille Men­sch ist viel wichtiger. Auf der Sta­tion ermutige ich die Leute oft, ihre Gefüh­le zu zeigen, auch wenn andere dann vielle­icht schräg schauen. Doch es ist tat­säch­lich so: bei Patien­ten aus Kul­turen, wo ein offenere Umgang mit Trauer üblich ist, ist es wichtig die Pfle­gen­den darauf hinzuweisen, dass es so ist und dass es heil­sam ist. Wenn auch für uns vielle­icht unge­wohnt.In Gesprächen wird deut­lich, dass Tod und Trauer gewis­ser­massen reli­gions- und kon­fes­sion­s­los sind. Gehen gläu­bige Men­schen den­noch anders mit Tod und Trauer um? Philipp Kindler: Ich finde das schwierig. Ein­er­seits entste­ht der Ein­druck, dass man Reli­gion auf diesem Weg legit­imieren möchte. Ander­er­seits kann es sein, dass eine Jen­seitsvorstel­lung hil­ft. Und es kann auch zu sehr schwieri­gen Sit­u­a­tio­nen kom­men. Die Taufe zum Beispiel wird als heil­snotwendig propagiert. Aber wie geht es Eltern, die das verin­ner­licht haben und deren Kind nicht getauft wer­den darf, weil es tot zur Welt kam? Das ist eine Lei­denssi­t­u­a­tion, die durch die Reli­gion eigentlich erst angestossen wurde. Das erlebe ich häu­fig und deshalb fällt es mir schw­er, Stel­lung nehmen. Daniel Münger: Bei den Kindern ist es so, dass man nie weiss, was sie sel­ber für eine Vorstel­lung haben – auch gegenüber der Vorstel­lung der Eltern oder der Fam­i­lie oder auch der Kul­tur aus der sie kom­men. Philipp Kindler: Ich hüte mich auch davor, ihnen irgendwelche christlichen Vorstel­lun­gen nahezubrin­gen. Sie haben ihre eige­nen und diese brin­gen sie dann mir bei. Ich höre zu und nehme die dankbar ent­ge­gen. Es ist ein The­ma, wo ich auch sel­ber immer wieder in Nöte komme, weil ich eben auch sehen, wie schw­er Reli­gion sein kann. Wo Leute durch Reli­gion in Äng­ste ger­at­en, die nicht sein müssten. Ich als reformiert­er Pfar­rer von der Spi­talseel­sorge ste­he ganz klar dafür ein, dass alle Men­schen zu Gott kom­men. Ob sie getauft sind oder nicht, woher sie kom­men, dass spielt keine Rolle. Das ist kein The­ma. Es geht vielfach darum, den Eltern Äng­ste dahinge­hend zu nehmen. Sie zu begleit­en. Das ist Teil unser­er Auf­gabe: heil­sam einzuwirken, damit das Leben pos­i­tiv weit­erge­hen kann.Grade wenn Eltern ein Kind ver­lieren kann ein Glaubens­ge­bäude aber auch in sich zusam­men­brechen. Philipp Kindler: Ja. Let­ztlich kann nie­mand sich­er sein, ob sein Glaubens­ge­bäude in ein­er solchen Sit­u­a­tion stand­hält oder zusam­men­bricht. Ich denke es kann auch heil­sam sein, wenn man von aussen gesagt bekommt, dass es nicht schlimm ist. Und dass man mit dieser Unsicher­heit nicht alleine ist. Dass es jeden tre­f­fen kann – auch mich. Die Gewis­sheit, dass es nicht in sich zusam­men­bricht, wenn die Sit­u­a­tion Spitze auf Knopf ste­ht, hat nie­mand. Daniel Münger: Aber auch das hat zwei Seit­en: Es kann auch sein, dass dieses Gebäude eine neue Fas­sade bekommt, einen neuen Anstrich, weil in der Sit­u­a­tion bes­timmte Frageze­ichen plöt­zlich gek­lärt wer­den. Philipp Kindler: Abso­lut. Das kann eine Chance sein, die Vorstel­lung zu erweit­ern und gröss­er zu machen. Oder umfassender zu gestal­ten. Aber im konkreten Moment ist das weniger hil­fre­ich, als das da sein und sagen: Ja, das passiert, das darf sein und unser Glaube lässt auch das zu. Das ist für die Betrof­fe­nen wichtig zu wis­sen.In zwei Gesprächen erzählten eine Mut­ter und eine Hebamme, dass trauernde Geschwis­terkinder Besuch von ihren ver­stor­be­nen Geschwis­tern beka­men. Diese hät­ten sich ver­ab­schiedet und dann sei alles gut gewe­sen. Leben Kinder in ein­er grösseren Welt, in der mehr ist, als wir empirisch denk­enden Erwach­se­nen sehen und wahrnehmen? Daniel Münger: Die imag­inäre Welt, wie wir vom psy­chol­o­gis­chen her sagen, ist eine Phan­tasiewelt. Die Ober­fläche zeigt sich in Märchen und Geschicht­en. Aber die Frage dahin­ter ist ja: gibt es diese Welt wirk­lich, diese Wahrnehmungen. Die im Kinde­salter noch als nor­mal ange­se­hen wer­den und die später als psy­cho­tis­che Symp­tome beze­ich­net wer­den. Sie wer­den da ver­mut­lich von jedem etwas anderes hören, doch ich bin überzeugt: Das ist so, die Kinder sehen etwas. Ich habe das sel­ber schon bei einem achtjähri­gen Mäd­chen erlebt. Wir waren in einem Gespräch in einem Raum und plöt­zlich habe ich gemerkt, wir sind nicht allein. Sie hat dann mit den zwei Ver­stor­be­nen zu sprechen begonnen. Sie wollte denen nach­fol­gen, wollte sich umbrin­gen. Wir haben mit diesen Ver­stor­be­nen gesprochen und uns von ihnen ver­ab­schiedet. Und sie haben ihr auch gesagt, sie solle da bleiben und nicht mitkom­men. Das war in dem Moment sehr hil­fre­ich, das nutzen zu kön­nen. Aber ich bin überzeugt das ist auch ein Teil dessen, was du Philipp gesagt hast, wo wir neugierig nach­fra­gen sollen oder dür­fen, was und wie die Kinder das wirk­lich wahrnehmen oder sehen. Zum Beispiel zu fra­gen, wann kom­men die Geschwis­ter wieder. Nachts, oder am Tag? All diese Dinge. Für viele Kinder, die man darauf anspricht ist das gar keine Frage. Wenn sie dann älter und erwach­sen wer­den, rel­a­tivieren sie das häu­fig. Warum, weiss ich auch noch nicht. Es ist eine span­nende Frage.Wie gehen Sie per­sön­lich mit dem The­ma Tod, Trauer und Abschied um? Philipp Kindler: Ich habe gewisse Schutzmech­a­nis­men im Umgang damit und kann mich auch dis­tanziere. Mit kleinen Rit­ualen. Aber es gibt die Sit­u­a­tion, ger­ade im Umgang mit Tod bei Kindern, da spüre ich deut­lich, das nehme ich nach der Arbeit mit nach Hause. Ich bin aber auch froh, dass es so ist, weil ich dann merke: Ich bin immer noch ein Men­sch. Empathie ist ein wichtiger Teil mein­er Arbeit, ger­ade weil es häu­fig keine Worte gibt; und deshalb bin ich froh, berührt mich meine Arbeit bis nach Hause, auch wenn es ein anstren­gen­der Teil ist. Daniel Münger: Das ist eine per­sön­liche, sehr sub­jek­tive Antwort. Ich höre jet­zt etwas von dir, Philipp, was ich noch nicht wusste. Mir hil­ft natür­lich das ganze Team. Wo ich die ganze Betrof­fen­heit merke und wir darüber sprechen. Und wenn wir nicht reden, tra­gen wir das den­noch zusam­men. Es ist schön, dass man da nicht auss­chliesslich als Einzelkämpfer unter­wegs ist. Wir sind eine Gemein­schaft. Auch mit der Fam­i­lie und dem ver­stor­be­nen Kind. Das ist inner­halb des Spi­tals. Dazu kommt natür­lich die eigene Geschichte. Da ist man dann ein­fach nicht mehr der Profi. Da gibt es andere Ver­ar­beitungsmech­a­nis­men, bei denen es eine grosse Rolle spielt, wie man mit dem The­ma umge­ht. Ich bin eher der Ver­dränger, der Opti­mist. Der dann ein­fach weit­er schaut. Doch ich bemerke dann: wenn ich es zu wenig anschaue, holt es mich wieder ein. Früher habe ich das weniger gekon­nt, heute ist mir das viel bewusster.
Anne Burgmer
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