Der Tod ist konfessionslos
Beim TerÂmin mit HorÂiÂzonte spiegelt sich wider, Daniel Münger und Philipp Kindler sitzen nicht zum ersten Mal gemeinÂsam an einem Tisch. Im KanÂtonÂsspiÂtal Aarau arbeitÂen SpiÂtalseelÂsorge und Ärzteschaft eng zusamÂmen. EinÂdrückÂlich wird das am Beispiel der Kinder und JugendÂklinik deutÂlich. Dr. med. Daniel Münger, 52, ist KinderÂarzt, Kinder- und JugendpsyÂchiÂater und leiÂtÂenÂder OberÂarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche. Philipp Kindler, 42, ist als reformiertÂer PfarÂrer und SpiÂtalseelÂsorgÂer für einen grossen Teil der Kinderklinik zuständig. Daher haben die katholisÂchen TeamÂer der SpiÂtalseelÂsorge des KSA ihn gebeten, den GesprächÂsterÂmin wahrzunehmen.
Eine AusÂsage, die in vieÂlen Gesprächen gemacht wird, ist: Man kann Kindern beim Umgang mit Tod, Trauer und Abschied mehr zumuten, als ErwachÂsene glauben. Stimmt das?
Daniel Münger: Es sind zwei TheÂmen. Die grundÂsätÂzliche HalÂtung ob ich Kindern etwas zumute und die jewÂeils einzelne FamÂiÂlie, die wir begleitÂen. Die GrundÂhalÂtung unserÂerÂseits ist erstÂmal: ja, wir könÂnen Kindern sichÂer mehr zumuten. Die TenÂdenz Kindern etwas zu verÂheimÂlichen ist recht gross. Aus ganz verÂschiedeÂnen GrünÂden: Weil man die eigeÂnen GefühÂle zurückÂhalÂten möchte, weil man die Kinder vor etwas unsagÂbarem schützen möchte. Kinder spüren allerdÂings meisÂtens, dass etwas nicht stimmt. VielleÂicht liegt es an fehlenÂdem WisÂsen über die FähigkeitÂen der Kinder. Dann gibt es das einzelne Kind. Da ist wichtig ist zu wisÂsen, ob es eventuell schon trauÂmaÂtisÂche VerÂlusÂterÂlebÂnisse gibt, die man berückÂsichtiÂgen muss. Man muss den EntwickÂlungsÂstand des Kindes anschauen: Es ist ein UnterÂschied, ob es um einen ZweiÂjähriÂgen oder einen 15-JähriÂgen geht.
Philipp Kindler: Das sehe ich genauÂso. Was ganz wichtig ist: Kinder kenÂnen kein Tabu. Und der Tod ist für ganz viele von uns ein tabuisiertes TheÂma. Es ist, glaube ich, sehr wichtig, offen und ehrlich mit den Kindern umzugeÂhen und die eigeÂnen GefühÂle zu zeigen. AuszuÂdrückÂen, dass und warum man trauÂrig ist – und nicht einÂfach still werÂden. Stille Trauer geht nicht gegenüber einem Kind. Es weiss dann nicht genau worum es geht, spürt aber, dass etwas nicht richtig ist. Ich glaube auch, dass man Kindern einiges mehr zumuten kann und darf, als das von unserÂer Gesellschaft her üblich ist.
Den Eltern sollÂten aber komÂpeÂtente FachÂleute zur Seite gestellt werÂden, die ihnen helfen. Die Eltern sind ja selÂber in der Trauer, könÂnen aufÂgrund eigenÂer ErfahrunÂgen vielleÂicht nicht unbeÂfanÂgen mit dem TheÂma umgeÂhen. Gibt es da konkrete AngeÂbote?
Daniel Münger: Auch da muss man unterÂscheiÂden: geht es um Tabuisierung generell? Das ist weniger gut. Oder geht es um VerÂmeiÂdung? Das hat meisÂtens tiefe BegrünÂdunÂgen. Das kann ein SchonÂverÂhalÂten sein, dass in der FamÂiÂlie an den Tag gelegt wird und durÂchaus Sinn ergibt. Und dann ist es schwierig, das TemÂpo einÂfach zu erhöhen. Dazu kommt, dass jedes FamÂiÂlienÂmitÂglied norÂmalerÂweise in einÂer anderen der verÂschiedeÂnen VerÂarÂbeitungsphasen ist.
Philipp Kindler: BehutÂsames VorgeÂhen ist extrem wichtig. Aber es ist schon so, dass gerÂade bei der Trauer in Bezug auf ein Kind eine gewisse Beratungsmöglichkeit besteÂht. Auch weil man durch die eigene Trauer eingeschränkt ist. Man ist dann nicht mehr objekÂtiv.
Kann es passieren, dass trauernde Eltern durch die TabÂuÂlosigkeit der eigeÂnen Kinder, die ganz anders mit dem TheÂma umgeÂhen, zusätÂzlich überÂfordert werÂden?
Philipp Kindler: Ich habe schon erlebt, dass ein Kind den Tod gespielt hat, als der GrossÂvater grade verÂstorÂben war. Die Eltern haben das Tabu-überÂschreÂiÂtÂend gefunÂden. Mein Gefühl war eigentlich, dass das Spiel für das Kind eine wichtige und richtige Art war, den Tod zu verÂarÂbeitÂen und mit ihm umzugeÂhen. Das sollte man eigentlich zulassen dürÂfen und könÂnen. Aber in diesem Moment war es für die Eltern einÂfach schwierig.
Daniel Münger: Ich erlebe das auch. Kinder legÂen eine Art VerÂhalÂten an den Tag – vielleÂicht nicht unbeÂdÂingt ein Spiel – das eine Form der TrauerverÂarÂbeitung ist. Dann ist dieses Kind vielleÂicht das einzige Wesen in dem SysÂtem von Beteiligten, dass seine Trauer nach Aussen trägt. Unsere AufÂgabe ist dann zu schauen, wo das eigentlich noch gut funkÂtionÂiert und wo eine Störung beginÂnt. Und wir sollÂten neugierig nachÂfraÂgen und dem TheÂma eine Sprache, eine Stimme geben. Damit bauen wir VerÂtrauen auf, dass man darüber überÂhaupt sprechen kann und darf. Unsere eigeÂnen BeziehunÂgen zu den TheÂmen beginÂnen dann eine grosse Rolle zu spieÂlen. Zwar sprechen sowohl das Ärzteteam als auch das SeelÂsorÂgeteam jewÂeils untereÂinanÂder und auch gemeinÂsam, um das aufzÂuÂfanÂgen. Doch weil jedÂer von uns VerÂluste erlitÂten hat, wird man dann sofort Teil dieses FamÂiÂlien-SysÂtems und ist nie ganz objekÂtiv. DenÂnoch braucht es eine proÂfesÂsionelle HalÂtung. Das heisst nicht, kühl sein, aber seine eigeÂnen MechÂaÂnisÂmen im Griff zu haben. Dafür gibt es dann die SelbÂsterÂfahrung. Nicht um sich selÂber zu therÂaÂpieren, aber um die FamÂiÂlie zu unterÂstützen.
Philipp Kindler: Der Umgang mit Tod und Trauer regt ganz stark die eigeÂnen GefühÂle an. Und es ist dann gar nicht so einÂfach, das zu trenÂnen. Für eine proÂfesÂsionelle UnterÂstützung einÂer FamÂiÂlie muss es aber getrenÂnt sein. Das ist ganz wichtig.
Ist es möglich in einem FamÂiÂliengeÂfüge, das aus Eltern, einem krankem Kind und einem gesunÂden Kind, das übrig bleiben wird, allen gerecht zu werÂden? Oder gibt es den Punkt, wo man sagen muss: nein, das geht nicht?
Daniel Münger: Wir stellen unsere AngeÂbote einÂfach zur VerÂfüÂgung. In einÂer solchen SitÂuÂaÂtion herrscht nicht nur emoÂtionaler, sonÂdern auch zeitlichÂer Stress. Ich habe die BeobachÂtung gemacht, dass die FamÂiÂlien unser Gefäss nur so weit nutzen, wie sie es in ihr Leben inteÂgriÂeren könÂnen. Und etwas konkreter zu Ihrer Frage: es ist aus meinÂer Sicht die schwierigÂste SitÂuÂaÂtion überÂhaupt, wenn ein Kind sich verÂabÂschiedet. Wenn es eine Krankheit hat und stirbt. Da gibt es einen Moment, wo man ehrlicherÂweise sagen muss: wir sind sprachÂlos. Wir sind mit der FamÂiÂlie gemeinÂsam sprachÂlos. Dann muss man nicht gross besprechen oder HilÂfestelÂlunÂgen geben. Da ist das gemeinÂsam mit der FamÂiÂlie sprachÂlos sein schon eine wichtige Sache. Das andere ist, was wir schon vorher gesagt haben: zu sehen, wie es so FamÂiÂlien geht. Ich würde immer die beiÂden TheÂmen respekÂtieren und nicht immer nur das zweite wollen und das erste weglassen. Es ist eine unglaublich schwierige SitÂuÂaÂtion.
Philipp Kindler: Das Leben ist nicht perÂfekt. Wir scheitÂern alle irgendÂwann. Es ist in solch einÂer SitÂuÂaÂtion unmöglich, allen gerecht zu werÂden. Ich denke, ein wichtiger Aspekt ist, die Sprachlosigkeit und das OhnÂmachtsÂgeÂfühl auszuhalÂten. Das gilt für alle, die daran beteiligt sind. Das ist sehr einÂdrückÂlich. GlückÂlicherÂweise sterÂben bei uns im KinderÂspiÂtal nicht so viele Kinder, gerÂade in der OnkoloÂgie ist die Heilungschance recht gross. Aber wenn wirkÂlich ein Kind stirbt, dann ist das sehr belasÂtend für alle. Und das spürt man deutÂlich. LetÂztlich gibt es dafür keine Sprache. Ob als SpiÂtalseelÂsorgÂer oder PfarÂrer, egal, da fehlen auch mir die Worte. Da kann ich nicht anfanÂgen mit irgendwelchen kirchÂlichen oder theÂolÂoÂgisÂchen ErkÂlärunÂgen. Damit habe ich dann Mühe und komme absoÂlut an meine GrenÂzen.
Daniel Münger: Das ist auch ein wichtiger Punkt in diesem interÂdisziÂplinären Team: Da ist jemand der die Sprachlosigkeit legitÂimiert. Jemand von dem man denkt, dass er gut sprechen kann gesteÂht diese unfassÂbare Sprachlosigkeit ein und lässt sie zu. Das ist gut, denn das bekomÂmen wir und auch das PflegeperÂsonÂal mit. Ärzte und PfleÂgenÂden wollen hanÂdeln. Wir wollen Leben retÂten. Helfen und etwas verbessern und da ist die SitÂuÂaÂtion so, dass wir das scheinÂbar nicht könÂnen. Aber in Tat und Wahrheit ist auch das ein Prozess, ein AbschiedÂsprozess an dem wir beteiligt sind. Und die SitÂuÂaÂtion ist umgekehrt. Denn die Kinder hanÂdeln. Sie nehmen gut wahr, was im Umfeld passiert, was für Bedürfnisse vorhanÂden sind. GerÂade einÂer der letÂzten Fälle war einÂdrückÂlich. Ein Junge, der die gesamte SitÂuÂaÂtion auf der StaÂtion mitÂgeÂtraÂgen hat.
Was für Bilder findÂen die Kinder? Im äusserÂsten Fall ein sterÂbenÂdes Kind, aber auch die GeschwisÂterkinder?
Philipp Kindler: Es sind unglaubliche Bilder. Die verÂrückÂtesten und die schönÂsten und ich finde es unheimÂlich wichtig, dass man ihnen diese Bilder nicht zuträgt oder gibt, sonÂdern die Bilder sich in ihnen wachÂsen lässt, die Kinder kreativ werÂden lässt. Sie haben eine PhanÂtasie, die unsere bei weitÂem überÂsteigt. Zum Beispiel vom HimÂmel der komÂmen wird, der ausÂgeÂmalt wird. Was da alles drin ist. Ich steh oft mit offenÂem Mund da und lass mir die ZeichÂnunÂgen erkÂlären. Ich enthalte mich da auch jeden KomÂmenÂtars, weil es volÂlkomÂmen ist. Ein solchÂes Bild tröstet auch. Es ist unglaublich schön. Da spüre ich die Ressourcen der Kinder und dass man den Kindern ruhig einiges zumuten darf und kann und sollte.
Daniel Münger: Mir kommt dann ein RegenÂboÂgen in den Sinn. Es ist ein bissÂchen der HimÂmel. Es ist einÂerÂseits eine FröhÂlichkeit, aber anderÂerÂseits auch ein bissÂchen TrauÂrigkeit. Der RegenÂboÂgen ist auch ein SymÂbol für ÜberÂgang. Wir interÂpretieren auch nicht so viel, aber was ein Kind dann zeichÂnet ist unglaublich.
Wie ist das mit GeschwisÂterkindern?
Daniel Münger: Die SchatÂtenkinder nenÂnt man sie auch. Die darf man nie vergessen. Es ist auch im InterÂesse der PatienÂten selÂber, dass diese nicht zu kurz komÂmen. Die laden wir immer mit ein, die sprechen wir immer mit an. Jedes Kind reagiert da komÂplett anders. Die einen wollen gar nicht darüber sprechen und die Eltern sind hochbeÂunÂruhigt. Dann stellt sich vielleÂicht herÂaus, dass diese Kinder einÂfach gute StrateÂgien haben und viel später darüber sprechen. Oder andere VariÂante: sie leiÂden wirkÂlich und könÂnen nicht darüber sprechen. Wollen vielleÂicht noch SchlimÂmeres VerÂhinÂdern und die anderen in der FamÂiÂlie schoÂnen. Auch da spielt das Alter eine Rolle und es geht um verÂschiedene TheÂmen. Vom angesteckt werÂden bis hin zu, dass sie plötÂzlich ausÂgeschlossen werÂden. Das geschieht sehr häuÂfig. Sie sind wegen der SitÂuÂaÂtion zurückÂhalÂtender, vielleÂicht depresÂsivÂer und dann werÂden sie zusätÂzlich noch bestraft durch eine Art MobÂbing, weil ihr GeschwisÂter ein onkolÂoÂgisÂchÂer Fall ist. Dazu noch die FolÂgeprobÂleme in der TrauerverÂarÂbeitung. Die GeschwisÂterÂpoÂsiÂtion ändert sich ja eventuell. Es stellt sich die ÄltesÂtenÂtheÂmatik und die Frage nach VerÂantÂworÂtungsüberÂnahme. Das gilt es alles zu berückÂsichtiÂgen. Aber gleÂichzeitÂig ist auch da die Frage nach den Ressourcen: wie machen die das? GeschwisÂter wisÂsen meisÂtens sehr genau, was für ihre GeschwisÂter gut ist. Sie sind also auch eine Ressource. In jedem Fall ist es wichtig, die SchatÂtenkinder nicht zu vergessen
Philipp Kindler: Da bin ich sehr dankbar, dass es die PsyÂchiÂater und PsyÂcholoÂgen gibt. Die haben viel mehr Ahnung in diesem BereÂich als ich und ich bin froh für die ZusamÂmeÂnarÂbeit und um das FachÂwisÂsen, was dort vorhanÂden ist.
Der Begriff SchatÂtenkinder ist ein starkÂer Begriff, weil er sehr gut ausÂdrückt, was mit den Kindern ist. Sie steÂhen im SchatÂten des direkt betrofÂfeÂnen Kindes.
Philipp Kinder: Es ist verÂständlich. Die Eltern haben ein krankes Kind und sind fokussiert. Man kann nieÂmanÂdem einen VorÂwurf machen. Es ist einÂfach wichtig, dass man das von aussen wahrnÂimmt und darauf aufmerkÂsam macht.
Daniel Münger: Sehr häuÂfig verÂmisÂcht sich auch die ganze Trauer mit der Wut, im SchatÂten zu steÂhen. Oft ist das dann das eigentliche TheÂma. Denn die Wut darf in einÂer TrauerÂphase nicht gelebt werÂden. Das ist kaum akzepÂtiert. Philipp Kindler: Die Wut ist in dieser SitÂuÂaÂtion tabuisiert. Dabei ist KonkurÂrenz und auch Wut unter GeschwisÂtern etwas ganz norÂmales. Aber in der Trauer soll sie verÂschlossen werÂden. Es ist ganz wichtig, dass man das anspricht und verÂsucht, die Wut zu ermöglichen. Trotz der schwÂeren GesamtÂsiÂtÂuÂaÂtion.
Ist es in unserÂer Gesellschaft, die häuÂfig ein ProbÂlem mit extremen GefühlsausÂbrüchen hat, schwÂerÂer, GefühÂle wie Wut und Trauer zuzuÂlassen und mit ihnen umzugeÂhen?
Daniel Münger: Ich weiss nicht, ob das jetÂzt zu weit führt, aber mir kommt da eine SitÂuÂaÂtion in den Sinn, wo ich gerufen wurde zu einÂer sogeÂnanÂnten «hysÂterÂisch agierenÂden» MutÂter. Das Kind war wenige Minuten vorher verÂstorÂben. Die MutÂter war wirkÂlich aussÂer Rand und Band und hat sich in ihrer VerzweiÂflung auf verÂschiedene AngeÂhörige gestürzt. SchlussfazÂit: das war eine nicht-konÂtrolÂlierte TrauerÂreakÂtion. Das war alles.
Wenn man in andere KulÂturen blickt, wird Trauer oft nach aussen sicht- und hörÂbar gemacht. Es erscheint gesünÂder, als die Trauer still in sich hinein zu schluckÂen. Ist das Ansichtssache?
Philipp Kindler: Nein, das ist schon so. In der NotÂfallseelÂsorge beispielÂsweise ist der Blick ganz klar auf die gerichtet, die nichts mehr sagen. Bei all denen, die rumÂschreien, ist im NorÂmalÂfall alles soweit in OrdÂnung. Der stille MenÂsch ist viel wichtiger. Auf der StaÂtion ermutige ich die Leute oft, ihre GefühÂle zu zeigen, auch wenn andere dann vielleÂicht schräg schauen. Doch es ist tatÂsächÂlich so: bei PatienÂten aus KulÂturen, wo ein offenere Umgang mit Trauer üblich ist, ist es wichtig die PfleÂgenÂden darauf hinzuweisen, dass es so ist und dass es heilÂsam ist. Wenn auch für uns vielleÂicht ungeÂwohnt.
In Gesprächen wird deutÂlich, dass Tod und Trauer gewisÂserÂmassen reliÂgions- und konÂfesÂsionÂsÂlos sind. Gehen gläuÂbige MenÂschen denÂnoch anders mit Tod und Trauer um?
Philipp Kindler: Ich finde das schwierig. EinÂerÂseits entsteÂht der EinÂdruck, dass man ReliÂgion auf diesem Weg legitÂimieren möchte. AnderÂerÂseits kann es sein, dass eine JenÂseitsvorstelÂlung hilÂft. Und es kann auch zu sehr schwieriÂgen SitÂuÂaÂtioÂnen komÂmen. Die Taufe zum Beispiel wird als heilÂsnotwendig propagiert. Aber wie geht es Eltern, die das verinÂnerÂlicht haben und deren Kind nicht getauft werÂden darf, weil es tot zur Welt kam? Das ist eine LeiÂdenssiÂtÂuÂaÂtion, die durch die ReliÂgion eigentlich erst angestossen wurde. Das erlebe ich häuÂfig und deshalb fällt es mir schwÂer, StelÂlung nehmen.
Daniel Münger: Bei den Kindern ist es so, dass man nie weiss, was sie selÂber für eine VorstelÂlung haben – auch gegenüber der VorstelÂlung der Eltern oder der FamÂiÂlie oder auch der KulÂtur aus der sie komÂmen.
Philipp Kindler: Ich hüte mich auch davor, ihnen irgendwelche christlichen VorstelÂlunÂgen nahezubrinÂgen. Sie haben ihre eigeÂnen und diese brinÂgen sie dann mir bei. Ich höre zu und nehme die dankbar entÂgeÂgen. Es ist ein TheÂma, wo ich auch selÂber immer wieder in Nöte komme, weil ich eben auch sehen, wie schwÂer ReliÂgion sein kann. Wo Leute durch ReliÂgion in ÄngÂste gerÂatÂen, die nicht sein müssten. Ich als reformiertÂer PfarÂrer von der SpiÂtalseelÂsorge steÂhe ganz klar dafür ein, dass alle MenÂschen zu Gott komÂmen. Ob sie getauft sind oder nicht, woher sie komÂmen, dass spielt keine Rolle. Das ist kein TheÂma. Es geht vielfach darum, den Eltern ÄngÂste dahingeÂhend zu nehmen. Sie zu begleitÂen. Das ist Teil unserÂer AufÂgabe: heilÂsam einzuwirken, damit das Leben posÂiÂtiv weitÂergeÂhen kann.
Grade wenn Eltern ein Kind verÂlieren kann ein GlaubensÂgeÂbäude aber auch in sich zusamÂmenÂbrechen.
Philipp Kindler: Ja. LetÂztlich kann nieÂmand sichÂer sein, ob sein GlaubensÂgeÂbäude in einÂer solchen SitÂuÂaÂtion standÂhält oder zusamÂmenÂbricht. Ich denke es kann auch heilÂsam sein, wenn man von aussen gesagt bekommt, dass es nicht schlimm ist. Und dass man mit dieser UnsicherÂheit nicht alleine ist. Dass es jeden treÂfÂfen kann – auch mich. Die GewisÂsheit, dass es nicht in sich zusamÂmenÂbricht, wenn die SitÂuÂaÂtion Spitze auf Knopf steÂht, hat nieÂmand.
Daniel Münger: Aber auch das hat zwei SeitÂen: Es kann auch sein, dass dieses Gebäude eine neue FasÂsade bekommt, einen neuen Anstrich, weil in der SitÂuÂaÂtion besÂtimmte FragezeÂichen plötÂzlich gekÂlärt werÂden.
Philipp Kindler: AbsoÂlut. Das kann eine Chance sein, die VorstelÂlung zu erweitÂern und grössÂer zu machen. Oder umfassender zu gestalÂten. Aber im konkreten Moment ist das weniger hilÂfreÂich, als das da sein und sagen: Ja, das passiert, das darf sein und unser Glaube lässt auch das zu. Das ist für die BetrofÂfeÂnen wichtig zu wisÂsen.
In zwei Gesprächen erzählten eine MutÂter und eine Hebamme, dass trauernde GeschwisÂterkinder Besuch von ihren verÂstorÂbeÂnen GeschwisÂtern bekaÂmen. Diese hätÂten sich verÂabÂschiedet und dann sei alles gut geweÂsen. Leben Kinder in einÂer grösseren Welt, in der mehr ist, als wir empirisch denkÂenden ErwachÂseÂnen sehen und wahrnehmen?
Daniel Münger: Die imagÂinäre Welt, wie wir vom psyÂcholÂoÂgisÂchen her sagen, ist eine PhanÂtasiewelt. Die OberÂfläche zeigt sich in Märchen und GeschichtÂen. Aber die Frage dahinÂter ist ja: gibt es diese Welt wirkÂlich, diese Wahrnehmungen. Die im KindeÂsalter noch als norÂmal angeÂseÂhen werÂden und die später als psyÂchoÂtisÂche SympÂtome bezeÂichÂnet werÂden. Sie werÂden da verÂmutÂlich von jedem etwas anderes hören, doch ich bin überzeugt: Das ist so, die Kinder sehen etwas. Ich habe das selÂber schon bei einem achtjähriÂgen MädÂchen erlebt. Wir waren in einem Gespräch in einem Raum und plötÂzlich habe ich gemerkt, wir sind nicht allein. Sie hat dann mit den zwei VerÂstorÂbeÂnen zu sprechen begonnen. Sie wollte denen nachÂfolÂgen, wollte sich umbrinÂgen. Wir haben mit diesen VerÂstorÂbeÂnen gesprochen und uns von ihnen verÂabÂschiedet. Und sie haben ihr auch gesagt, sie solle da bleiben und nicht mitkomÂmen. Das war in dem Moment sehr hilÂfreÂich, das nutzen zu könÂnen. Aber ich bin überzeugt das ist auch ein Teil dessen, was du Philipp gesagt hast, wo wir neugierig nachÂfraÂgen sollen oder dürÂfen, was und wie die Kinder das wirkÂlich wahrnehmen oder sehen. Zum Beispiel zu fraÂgen, wann komÂmen die GeschwisÂter wieder. Nachts, oder am Tag? All diese Dinge. Für viele Kinder, die man darauf anspricht ist das gar keine Frage. Wenn sie dann älter und erwachÂsen werÂden, relÂaÂtivieren sie das häuÂfig. Warum, weiss ich auch noch nicht. Es ist eine spanÂnende Frage.
Wie gehen Sie perÂsönÂlich mit dem TheÂma Tod, Trauer und Abschied um?
Philipp Kindler: Ich habe gewisse SchutzmechÂaÂnisÂmen im Umgang damit und kann mich auch disÂtanziere. Mit kleinen RitÂualen. Aber es gibt die SitÂuÂaÂtion, gerÂade im Umgang mit Tod bei Kindern, da spüre ich deutÂlich, das nehme ich nach der Arbeit mit nach Hause. Ich bin aber auch froh, dass es so ist, weil ich dann merke: Ich bin immer noch ein MenÂsch. Empathie ist ein wichtiger Teil meinÂer Arbeit, gerÂade weil es häuÂfig keine Worte gibt; und deshalb bin ich froh, berührt mich meine Arbeit bis nach Hause, auch wenn es ein anstrenÂgenÂder Teil ist.
Daniel Münger: Das ist eine perÂsönÂliche, sehr subÂjekÂtive Antwort. Ich höre jetÂzt etwas von dir, Philipp, was ich noch nicht wusste. Mir hilÂft natürÂlich das ganze Team. Wo ich die ganze BetrofÂfenÂheit merke und wir darüber sprechen. Und wenn wir nicht reden, traÂgen wir das denÂnoch zusamÂmen. Es ist schön, dass man da nicht aussÂchliesslich als Einzelkämpfer unterÂwegs ist. Wir sind eine GemeinÂschaft. Auch mit der FamÂiÂlie und dem verÂstorÂbeÂnen Kind. Das ist innerÂhalb des SpiÂtals. Dazu kommt natürÂlich die eigene Geschichte. Da ist man dann einÂfach nicht mehr der Profi. Da gibt es andere VerÂarÂbeitungsmechÂaÂnisÂmen, bei denen es eine grosse Rolle spielt, wie man mit dem TheÂma umgeÂht. Ich bin eher der VerÂdränger, der OptiÂmist. Der dann einÂfach weitÂer schaut. Doch ich bemerke dann: wenn ich es zu wenig anschaue, holt es mich wieder ein. Früher habe ich das weniger gekonÂnt, heute ist mir das viel bewusster.