Den richtigen Zeitpunkt erkennen
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Den richtigen Zeitpunkt erkennen

Lukas 12, 32–34Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben. Verkauft euren Besitz und gebt Almosen! Macht euch Geld­beu­tel, die nicht alt wer­den! Ver­schafft euch einen Schatz, der nicht abn­immt, im Him­mel, wo kein Dieb ihn find­et und keine Motte ihn frisst! Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. Ein­heit­süber­set­zung 2016

Den richtigen Zeitpunkt erkennen

 Etwas zu been­den ist nie ein­fach, vor allem, wenn man es mit Freude gemacht hat, wie zum Beispiel Pfar­rblattim­pulse zu schreiben. Aber wenn es nicht äussere Umstände sind, dann rät uns das Leben­salter, unsere Rolle und unsere Tätigkeit zu über­prüfen. Dass dies mein let­zter Beitrag in «Kirche heute» ist, ver­danke ich dem Umbau des Pfar­rblatts. Aber das stimmt so für mich. Dies ist der richtige Zeit­punkt.Allerd­ings scheint die Welt voller Män­ner (!) zu sein, die den Aus­gang nicht find­en kön­nen. Möglicher­weise liegt das schlicht und ein­fach an ihrem Ego, das die Notwendigkeit, eine Bühne zu ver­lassen, nicht erken­nen kann. Vielle­icht hin­dert sie auch ein über­gross­es Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl, vielle­icht auch ein Genuss der Macht, ein Ver­lan­gen nach Berühmtheit oder Applaus … Jeden­falls habe ich grosse Achtung vor allen, die aus sich selb­st den richti­gen Zeit­punkt erken­nen und anderen die Rolle übergeben, die sie aus­geübt haben. Kön­nen sie dies nicht, dann lan­den sie unauswe­ich­lich in ein­er Nieder­lage.Der Heilige Kaje­tan war für mich bis­lang nur ein Name ohne Bedeu­tung. Ein kurz­er Blick auf sein Leben lässt jedoch Bewun­derung aufkom­men. Er hat­te Ein­fluss und Wirkung zu sein­er Zeit. Aber er erkan­nte die Notwendigkeit von Verän­derun­gen in seinem Leben. Er schrieb an seine Ange­höri­gen: «Ich sehe Chris­tus arm und mich reich, ihn ver­achtet und mich geehrt. Ich will ihm einen Schritt näherkom­men und habe deshalb beschlossen, alles aufzugeben, was ich noch an zeitlichen Gütern besitze» (Zitat nach Schott-Mess­buch). So zog er sich in ein Kloster zurück und schaffte es, keinen Ein­fluss mehr zu nehmen und nicht mehr bedeu­tend zu sein. Alle Achtung!Solche Achtung empfinde ich für alle, deren Verän­derung frei­willig geschieht und nicht, weil sie durch Konkur­renten oder die Biolo­gie ihres Lebens dazu gezwun­gen wer­den. Ein Papst geht ins Kloster, ein Chor­leit­er übergibt den Tak­t­stock, ein Chef zieht sich frei­willig zurück – oder aus der Ein­sicht, dass es noch anderes gibt, dem sie sich stellen wollen. Im Gewohn­ten zu ver­har­ren und sich selb­st für unverzicht­bar zu hal­ten, führt zur Kränkung. Das Älter­w­er­den erfordert immer wieder Anpas­sun­gen der Leben­sum­stände. Neue Her­aus­forderun­gen sind zu erken­nen und führen zu Auf­brüchen. Neben der Über­win­dung eines gewis­sen unver­mei­dlichen Abschiedss­chmerzes enthal­ten sie die Chance, innere Frei­heit zu gewin­nen, Leichtigkeit und Glück.Die Verse aus dem Luka­se­van­geli­um, die am Fest des heili­gen Kaje­tan gele­sen wer­den sollen, sind keine grund­sät­zliche Anweisung für ein gottge­fäl­liges Leben, denn dann wür­den sie zwangsläu­fig zu Schuldge­fühlen führen. Sie sind nur richtig zu ver­ste­hen, wenn man die Zeile aus den Buch Kohelet hinzufügt: «Alles hat seine Zeit …» Die Kun­st beste­ht darin, den richti­gen Zeit­punkt zu erken­nen, den Ruf zu hören und ihm zu fol­gen. Dann wird man vielle­icht Kehrtwen­dun­gen machen, die andere Men­schen erstaunlich find­en und nicht unbe­d­ingt mit Beifall hon­ori­eren. Aber es wer­den Schritte sein, die uns unserem Herzen, unserem Schatz, unserem Chris­tus näher­brin­gen, nen­nen Sie es wie Sie wollen.So ver­ab­schiede ich mich von Ihnen, liebe Leserin­nen und Leser, und bedanke mich für Ihre aufmerk­same Lek­türe der Impulse. Möge Gottes Segen Sie begleit­en und stets den richti­gen Zeit­punkt für Verän­derun­gen erken­nen lassen.
Lud­wig Hesse, The­ologe und Autor, war bis zu sein­er Pen­sion­ierung Spi­talseel­sorg­er im Kan­ton Basel­land
Ludwig Hesse
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