
Den richtigen Zeitpunkt erkennen
Den richtigen Zeitpunkt erkennen
Etwas zu beenden ist nie einfach, vor allem, wenn man es mit Freude gemacht hat, wie zum Beispiel Pfarrblattimpulse zu schreiben. Aber wenn es nicht äussere Umstände sind, dann rät uns das Lebensalter, unsere Rolle und unsere Tätigkeit zu überprüfen. Dass dies mein letzter Beitrag in «Kirche heute» ist, verdanke ich dem Umbau des Pfarrblatts. Aber das stimmt so für mich. Dies ist der richtige Zeitpunkt.Allerdings scheint die Welt voller Männer (!) zu sein, die den Ausgang nicht finden können. Möglicherweise liegt das schlicht und einfach an ihrem Ego, das die Notwendigkeit, eine Bühne zu verlassen, nicht erkennen kann. Vielleicht hindert sie auch ein übergrosses Verantwortungsgefühl, vielleicht auch ein Genuss der Macht, ein Verlangen nach Berühmtheit oder Applaus … Jedenfalls habe ich grosse Achtung vor allen, die aus sich selbst den richtigen Zeitpunkt erkennen und anderen die Rolle übergeben, die sie ausgeübt haben. Können sie dies nicht, dann landen sie unausweichlich in einer Niederlage.Der Heilige Kajetan war für mich bislang nur ein Name ohne Bedeutung. Ein kurzer Blick auf sein Leben lässt jedoch Bewunderung aufkommen. Er hatte Einfluss und Wirkung zu seiner Zeit. Aber er erkannte die Notwendigkeit von Veränderungen in seinem Leben. Er schrieb an seine Angehörigen: «Ich sehe Christus arm und mich reich, ihn verachtet und mich geehrt. Ich will ihm einen Schritt näherkommen und habe deshalb beschlossen, alles aufzugeben, was ich noch an zeitlichen Gütern besitze» (Zitat nach Schott-Messbuch). So zog er sich in ein Kloster zurück und schaffte es, keinen Einfluss mehr zu nehmen und nicht mehr bedeutend zu sein. Alle Achtung!Solche Achtung empfinde ich für alle, deren Veränderung freiwillig geschieht und nicht, weil sie durch Konkurrenten oder die Biologie ihres Lebens dazu gezwungen werden. Ein Papst geht ins Kloster, ein Chorleiter übergibt den Taktstock, ein Chef zieht sich freiwillig zurück – oder aus der Einsicht, dass es noch anderes gibt, dem sie sich stellen wollen. Im Gewohnten zu verharren und sich selbst für unverzichtbar zu halten, führt zur Kränkung. Das Älterwerden erfordert immer wieder Anpassungen der Lebensumstände. Neue Herausforderungen sind zu erkennen und führen zu Aufbrüchen. Neben der Überwindung eines gewissen unvermeidlichen Abschiedsschmerzes enthalten sie die Chance, innere Freiheit zu gewinnen, Leichtigkeit und Glück.Die Verse aus dem Lukasevangelium, die am Fest des heiligen Kajetan gelesen werden sollen, sind keine grundsätzliche Anweisung für ein gottgefälliges Leben, denn dann würden sie zwangsläufig zu Schuldgefühlen führen. Sie sind nur richtig zu verstehen, wenn man die Zeile aus den Buch Kohelet hinzufügt: «Alles hat seine Zeit …» Die Kunst besteht darin, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, den Ruf zu hören und ihm zu folgen. Dann wird man vielleicht Kehrtwendungen machen, die andere Menschen erstaunlich finden und nicht unbedingt mit Beifall honorieren. Aber es werden Schritte sein, die uns unserem Herzen, unserem Schatz, unserem Christus näherbringen, nennen Sie es wie Sie wollen.So verabschiede ich mich von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, und bedanke mich für Ihre aufmerksame Lektüre der Impulse. Möge Gottes Segen Sie begleiten und stets den richtigen Zeitpunkt für Veränderungen erkennen lassen.Ludwig Hesse, Theologe und Autor, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland


