Wer macht hoch die Tür und weit das Tor?
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Wer macht hoch die Tür und weit das Tor?

Apos­telgeschichte 7, 54.56–58
Als sie [was Stephanus zu sagen hat­te] hörten, waren sie in ihren Herzen aufs Äusser­ste über ihn empört und knirscht­en mit den Zäh­nen gegen ihn. Er aber […] rief: Siehe, ich sehe den Him­mel offen und den Men­schen­sohn zur Recht­en Gottes ste­hen. Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hiel­ten sich die Ohren zu, stürmten ein­mütig auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hin­aus und steinigten ihn. Die Zeu­gen legten ihre Klei­der zu Füssen eines jun­gen Mannes nieder, der Saulus hiess.
Ein­heit­süber­set­zung 2016

Wer macht hoch die Tür und weit das Tor?

Das war wirk­lich ein ganz spezieller Moment, als wir im Zis­terzienserk­loster Fonte­nay im nördlichen Bur­gund waren, ger­ade als die Kirchen­tür geöffnet wurde. Das Kloster wird nicht mehr von Mönchen bewohnt, dafür besuchen ganze Heer­scharen von Touris­ten (wie wir) diese gut erhal­tene und gepflegte Anlage. In dem beson­deren Moment schenk­te sich uns der Blick in die noch (fast) men­schen­leere roman­is­che Kirche. Das Mor­gen­licht verza­uberte den Raum und mit ihm uns. Wir fühlten uns san­ft ein­ge­laden zum Ver­weilen und zum Still­w­er­den.Ein leer­er Raum voller Licht, in dem nichts ablenkt. Wir empfind­en rasch den Gegen­satz zum täglichen Leben. Wie schnell wer­den wir vollgestopft mit vorgegebe­nen Din­gen, mit Aufmerk­samkeit heis­chen­den Ein­drück­en, mit Ansprüchen und Erwartun­gen, mit Bedrohlichem und Lustver­sprechen­dem. Ganz viele Türen müsste man zuerst ein­mal ver­schliessen, um nicht über­schüt­tet zu wer­den von aussen. Nur durch Auswählen und Selb­st­beschränkung kann man sich spüren und ent­fal­ten. Nein, die Welt haben wir nicht vergessen, aber wir waren dankbar für den Moment, als jedes Aussen unwichtig wurde gegenüber diesem Hier und Jet­zt.Was der heilige Stephanus bei sein­er Hin­rich­tung erlebt hat, kann und mag man sich nicht vorstellen. Der über­lieferte let­zte Satz sein­er Rede aber ist eine Zusam­men­fas­sung des Evan­geli­ums. Die Tür des Him­mels ist aufgestossen, und das Men­schenkind ste­ht zur Recht­en Gottes. Welch fro­he Botschaft! Und welch wei­h­nachtliche Botschaft! Während wir uns darüber Gedanken machen, wie wir die Tür zur Welt dosierend zeitweise schliessen kön­nen, öffnet uns das göt­tliche Gegenüber die Tür zum Him­mel und ges­tat­tet uns einen Blick auf die grosse Ver­söh­nung zwis­chen Men­sch und Gott.Ein solch­er Blick wird uns gewährt, wenn wir vor der Krippe ste­hen und betra­cht­en, wie das Men­schenkind in Beth­le­hem schon mit sein­er Geburt den Frieden ein­läutet zwis­chen Gott und Men­sch. Bis dieser Friede auch wirk­sam wird als Ver­söh­nung unter uns Men­schen, liegt ein langer Weg vor uns, und wir sind in dieser Hin­sicht nicht eupho­risch opti­mistisch. Aber eine offene Tür gewährt immer wieder einen Blick auf diese Vision und gibt damit Moti­va­tion und Kraft, um die Gegen­sätze und Kon­flik­te auszuhal­ten und ver­söh­nend, d.h. Frieden stif­tend, zu wirken.Der Blick in die Kirche von Fonte­nay erin­nert uns an die Notwendigkeit, wenig­stens von Zeit zu Zeit unsere Pri­or­itäten neu zu über­prüfen und auszu­mis­ten, was sich an Ablenkung und Kitsch im Lauf der Zeit in uns ange­sam­melt hat. Advent kön­nte uns an die Notwendigkeit erin­nern, Platz zu machen für das Geheim­nis des Neben‑, Mit‑, ja Ineinan­ders zwis­chen Gott und Men­sch.Nichts gegen die Gemütlichkeit der adventlich geschmück­ten Stube und den fes­tlich gedeck­ten Wei­h­nacht­stisch. Das brauchen wir, damit es nicht herzen­skalt wird. Aber zwis­chen Gesang und Geschenk darf die leise Ahnung nicht unterge­hen, die ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, mit dem Worten der Dich­terin Hilde Domin auf den Weg durch die Wei­h­nacht­szeit mit­geben möchte:
Nicht müde werden
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.

Lud­wig Hesse, The­ologe und Autor, war bis zu sein­er Pen­sion­ierung Spi­talseel­sorg­er im Kan­ton Basel­land
Ludwig Hesse
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