Mit Rosenkranz und Regenschirm

Mit Rosenkranz und Regenschirm

Die Wall­fahrt von Hor­nussen über gut 80 Kilo­me­ter zu Fuss nach Todt­moos und zurück erfreut sich noch immer gross­er Beliebtheit. Am Mon­tag, 18. Mai 2015 ist es wieder so weit. Pil­ger­leit­er Karl Her­zog erwartet erneut gegen 200 Teil­nehmende.Karl Her­zog hievt ein Buch auf den Tisch. Aussen mas­sive Met­allbeschläge, innen vir­tu­ose Schrift auf zähem Perga­ment. Das Buch ist fünfhun­dert Jahre alt, und enthält die erste Erwäh­nung der Wall­fahrt von Hor­nussen nach Todt­moos. Blass gewor­dene Buch­staben, hinge­malt im Jahr 1600.Ver­wurzelt «1600 ist man von uhral­tem mit creutz und fah­nen in das tot­moos gegan­gen.», lautet der Ein­trag im Jahrzeit­en­buch, das im Hor­nuss­er Pfar­ramt lagert. Dieser Satz, vor allem der Aus­druck «von uhral­tem» deute darauf hin, dass die Tra­di­tion der Frick­taler Wall­fahrt nach Todt­moos ihren Ursprung ger­aume Zeit vor dem Jahr 1600 habe, erk­lärt Karl Her­zog. Der 64-Jährige ist in Hor­nussen daheim. Er hat fast sein ganzes bish­eriges Leben hier ver­bracht, leis­tete in Feuer­wehr, Schulpflege und in der Dorf­musik viele Stun­den Arbeit, erlebte Kam­er­ad­schaft und pflegt Kon­tak­te im Dorf, aber auch im weit­eren Frick­tal. Seit vierzehn Jahren amtet Karl Her­zog als Pil­ger­leit­er der tra­di­tionellen Hor­nuss­er Wall­fahrt, die jew­eils am Mon­tag vor Pfin­g­sten stat­tfind­et und in den Marien-Wall­fahrt­sort Todt­moos im deutschen Schwarzwald führt. Am kom­menden Mon­tag nimmt er die 40 Kilo­me­ter lange Strecke bere­its zum vierzig­sten Mal unter die Füsse.Vom Gross­vater zum Enkel Wenn Karl Her­zog erzählt, wird deut­lich bewusst, auf welche Art Tra­di­tio­nen wirk­sam weit­ergegeben wer­den. Sein Gross­vater war es, der den dama­li­gen Viertk­läss­er zum ersten Mal auf die Wall­fahrt mitgenom­men hat­te. Der Gross­vater war es auch, der dem Jun­gen unzäh­lige Geschicht­en mit auf den Lebensweg gab. Er schilderte ihm die Geschicke des Frick­tals, die Fam­i­liengeschichte und vererbte seinem Enkel die Fasz­i­na­tion für die Hor­nuss­er Wall­fahrt, deren Geschichte sich über mehr als fünf Jahrhun­derte erstreckt, und deren Ablauf sich über die Jahre kaum verän­dert hat.32 Rosenkränze auf 40 Kilo­me­tern Nach der Pil­ger­messe und kurzem Früh­stück tre­f­fen sich die Teil­nehmer ober­halb des Dorfs Hor­nussen. Der Pil­ger­leit­er Karl Her­zog begrüsst die Pil­ger, dann bricht die Gruppe auf zu einem zehn­stündi­gen Fuss­marsch, der sie über Laufen­burg, Hän­ner und Segeten ins Dör­fchen Todt­moos führt. Die Mehrheit der Pil­ger stösst in Laufen­burg auf deutsch­er Seite zum Pil­gerzug. In den let­zten Jahren waren jew­eils rund 200 Teil­nehmer dabei. Als Pil­ger­leit­er nimmt Karl Her­zog die Anmel­dun­gen ent­ge­gen, organ­isiert Unterkun­ft und Verpfle­gung und leit­et die Wall­fahrt. Seine «Werkzeuge», wie er sie salopp nen­nt, kann er in ein­er Hand tra­gen: Rosenkranz, Regen­schirm und Marschta­belle. Let­ztere ist sorgfältig laminiert und passt in die Brust­tasche. Die Tabelle ist aber eher Gedanken­stütze, denn die Durch­gangszeit­en bei den bekan­nten Weg­punk­ten unter­schei­den sich von Jahr zu Jahr kaum. «Ich staune immer wieder über die Diszi­plin der Leute», erzählt Karl Her­zog, «alle hal­ten das Tem­po, jed­er ist nach ein­er Pause rechtzeit­ig wieder abmarschbere­it.» Diszi­plin sei aber auch nötig, damit die bis 150 Meter lange Zweierkolonne unfall­frei und ohne Ver­spä­tun­gen die zweitägige, ins­ge­samt 80 Kilo­me­ter lange Strecke bewälti­gen könne. Die seit eh und je bewährten «Ämtli» gewährleis­ten den rei­bungslosen Ablauf. Zuvorder­st gehen ein alter und ein junger Pil­ger nebeneinan­der, die Mis­chung ergibt das richtige Marschtem­po. Auf der gesamten Strecke betet die Gruppe 32 Rosenkränze. Vor­beter marschieren verteilt im Mit­tel­gang zwis­chen der Zweierkolonne und sor­gen dafür, dass die Gebete syn­chron erklin­gen. Das Gehen im Gebet bewirke einen beson­deren Zus­tand, schildert Karl Her­zog: «Wenn man betet, wird man nicht müde, weil das Beten die Gedanken an die schlap­pen Beine ver­drängt.» Auch die Strecke bekommt durch das Beten eine neue Struk­tur, so dass sich der Pil­ger­leit­er die Dis­tanzen nicht in Stun­den, son­dern in Rosenkränzen merkt: «Von der Kapelle Kaisten bis hin­auf nach Itten­thal sind es drei Rosenkränze. Haben wir einein­halb gebetet, weiss ich, dass wir in der Hälfte sind.» Neben dem Gebets­marsch gibt es auch Abschnitte im Schweige- oder Freimarsch. Wenn sich die Marschfor­ma­tion für den Freimarsch auflöst, wird deut­lich, dass die Wall­fahrt zwar ein frommes und ern­stes Anliegen ist, dass aber Gesel­ligkeit und Aus­tausch genau­so dazuge­hören.Zahn­bürsteli und ein paar frische Sock­en In neuer­er Zeit kam die Verkehrs­gruppe dazu, die dafür sorgt, dass der Pil­gerzug auf den teil­weise stark befahre­nen Strassen unfall­frei voran kommt. Das Verkehrsaufkom­men und der Strassen­be­lag hät­ten sich denn auch am meis­ten verän­dert, seit er als Kind an der Wall­fahrt dabei gewe­sen sei, find­et Karl Her­zog. Aber auch die Aus­rüs­tung der Pil­ger sei heute ganz anders als noch vor fün­fzig Jahren: «Ich erin­nere mich, dass mein Gross­vater lediglich sein Zahn­bürsteli und ein paar frische Sock­en in der Innen­tasche sein­er Jacke mit­nahm. Geschlafen hat er gle­ich in den Wan­derklei­dern.», erin­nert sich Karl Her­zog. Aus unzäh­li­gen Episo­den und Anek­doten beste­hen die Wall­fahrts-Erin­nerun­gen von Karl Her­zog. Dass er voller Geschicht­en steckt, ver­dankt er neben seinem Gross­vater zu einem guten Teil sein­er Leselust, die er schon als klein­er Junge ver­spürte: «Wenn mich die Eltern jew­eils sucht­en, fan­den sie mich meist lesend in ein­er Ecke.», erzählt er. Noch heute liest Karl Her­zog mit grossem Vergnü­gen, vor allem His­torisches.Lediglich durch Kriege unter­brochen Der Wall­fahrt­sort Todt­moos liegt auf rund 850 Metern über Meer. Bis ins 13. Jahrhun­dert hinein war der Ort nicht besiedelt, son­dern galt – daher der Name – als ein­sames, totes Moos. Im Jahr 1255 erschien dort dem Priester Theoderich mehrmals die Gottes­mut­ter Maria, die ihm den Auf­trag gab, eine Kapelle zu erricht­en. Der junge Wall­fahrt­sort entwick­elte sich rasch und in der Zeit der Pestepi­demien im 15. Jahrhun­dert wurde Todt­moos zum wichtig­sten Wall­fahrt­sziel des Süd­schwarzwaldes. Die Hor­nuss­er Wall­fahrt gehört zu den Fuss­wall­fahrten, die sich bis heute erhal­ten haben. Bis 1803 gehörte das Frick­tal zum hab­s­bur­gis­chen Vorderöster­re­ich, so dass die Wall­fahrt noch nicht gren­züber­schre­i­t­end war. Obwohl sich die öster­re­ichis­che Regierung und später die Aar­gauis­chen Behör­den bemüht­en, die Wall­fahrten abzuschaf­fen, liessen sich die Hor­nuss­er nicht von ihrem Pil­ger­gang abbrin­gen. Einzig die bei­den Weltkriege haben die Tra­di­tion für eine Weile unter­brochen. Die Abschaf­fungs­be­mühun­gen der Behör­den und das hart­näck­ige Fes­thal­ten der Hor­nuss­er an diesem Brauch, haben eine beson­dere Art der Wall­fahrt entste­hen lassen, wie der emer­i­tierte Volk­skunde-Pro­fess­er Paul Hug­ger in seinem Werk «Die Wall­fahrt von Hor­nussen nach Todt­moos» beschreibt. Er hebt die Beson­der­heit her­vor, dass keine kirch­lichen Amt­sträger an der Organ­i­sa­tion der Wall­fahrt beteiligt sind: «Tonangebend sind die Laien, vor allem der Pil­ger­führer und seine Mitar­beit­er, sie tra­gen die Ver­ant­wor­tung und wollen sie auch tra­gen. Vor weni­gen Jahrzehn­ten zog noch kein Geistlich­er mit. Und am Wall­fahrt­sort selb­st amtierten Priester, die nicht mit dem heimis­chen Klerus iden­tisch waren, z. B. Kapuzin­er. Ohne Zweifel geht diese Regelung auf die Zeit zurück, wo die Obrigkeit, zulet­zt die aar­gauis­che, das Wall­fahrtswe­sen bekämpfte und es den Dorf­p­far­rern bei Strafe unter­sagte, irgendwelchen Vorschub zu leis­ten.»Glock­en heis­sen die Pil­ger willkom­men Auch dieses Jahr wer­den die Glock­en läuten in Todt­moos, wenn sich der Pil­gerzug aus der Schweiz dem Dör­fchen nähert. Ein ganz beson­ders emo­tionaler Moment für die Pil­ger und auch für den Pil­ger­leit­er: «Manchem kom­men die Trä­nen. Es ist wie ein Nach­hausekom­men.»Fuss­wall­fahrt nach Todt­moos Mon­tag, 18. bis Dien­stag, 19. Juni 2015. Die Wall­fahrt startet mit der Pil­ger­messe am Mo, 18.5. um 5 Uhr in der Kirche Hor­nussen. Abmarsch: 6.15 Uhr bei der Rain­halde ober­halb Hor­nussen. Zweite Start­möglichkeit: 08.30 Uhr beim Park­platz Wald­fried­hof in Laufen­burg (D). Kurzentschlossene erhal­ten weit­ere Auskun­ft beim Pil­ger­leit­er Karl Her­zog. T 062 871 37 49, .
Marie-Christine Andres Schürch
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