«Im Osten sind wir nur zu zweit unterwegs»

«Im Osten sind wir nur zu zweit unterwegs»

  • Seit 20 Jahren ver­richt­en die Schwest­ern des Ordens «Diener­in­nen des Her­rn und der Jungfrau von Matará in der Ukraine» ihr kar­i­ta­tives Werk in der Ukraine. Sie kämpfen dabei gegen Armut, Bil­dungsnot­stand, Dro­gen­sucht, Krankheit und Gewalt.
  • Um ihre vielfälti­gen Auf­gaben leis­ten zu kön­nen, erhal­ten die Schwest­ern jedes Jahr Unter­stützung von der Hil­f­sor­gan­i­sa­tion «Kirche in Not». Durch deren finanzielle Mit­tel ist es den Ordens­frauen unter anderem möglich, eigene Schulen zu bauen und Kinder von der Strasse zu holen.
  • Schwest­er Maria Zarvanyt­s­ka leit­et als Pri­or­in die Gemein­schaft der Schwest­ern von Bur­shtyn, ein­er Stadt  im Gross­raum Iwano-Franki­wsk im West­en des Lan­des. Hor­i­zonte kon­nte ein Inter­view mit der engagierten Ordens­frau führen.
 Schwest­er Maria, welche Ziele ver­fol­gt Ihr Orden in der Ukraine? Schwest­er Maria Zarvanyt­s­ka: Unser Orden ist ja weltweit tätig. In der Ukraine gilt das­selbe wie über­all auf der Welt: Wir respek­tieren jede Kul­tur und ver­suchen, Chris­tus zu den Men­schen zu brin­gen — egal, wo sie sind.Und wie machen Sie das? Wir helfen den Men­schen. Wir pfle­gen alte Leute, die alleine sind, nehmen Kinder bei uns auf, die aus schwieri­gen Fam­i­lien­ver­hält­nis­sen stam­men, betreuen alle­in­ste­hende Frauen und junge Müt­ter. Ganz wichtig ist uns, dass Kinder und Jugendliche eine gute schulis­che Bil­dung erhal­ten.Gibt es denn keine staatlichen Schulen, die diese Auf­gabe übernehmen? Oh je, da machen Sie sich keine Vorstel­lung! Die Sit­u­a­tion der öffentlichen Schulen wird von Jahr zu Jahr schlim­mer. Fam­i­lien, die es sich leis­ten kön­nen, schick­en ihre Kinder an pri­vate Schulen. Aber die Armut ist so gross hier, dass das nur für die aller­wenig­sten in Frage kommt. Darum sam­meln wir, um mehr katholis­che Schulen in der Ukraine bauen zu kön­nen. Wie viele katholis­che Schu­len­gibt es denn bis jet­zt? Ich kenne nur drei in der ganzen Ukraine. Darum bin ich auch sehr glück­lich, dass unsere Schule, die «Sofron Dmyterko human­is­tis­che Schule und Gym­na­si­um» langsam Gestalt annimmt. Für Kinder und Fam­i­lien ist es sehr wichtig, Bil­dung zu erhal­ten und eine christliche Denkweise zu erler­nen.Aber laut Sta­tis­tik gehören doch drei Vier­tel der Ukrain­er der ortho­dox­en Kirche an, sind also auch Chris­ten… Ach Gott, ja, sie nen­nen sich Ortho­doxe, aber sie wis­sen nichts von der Reli­gion. Vor allem im Osten des Lan­des sind die Leute noch sehr im Sozial­is­mus ver­haftet. Religiöse Bindung und Bil­dung sind da sehr schwach. Es geht ja nicht ein­fach darum, sich Christ zu nen­nen, man muss auch danach leben.Wie brin­gen Sie das den Men­schen bei? Indem wir es vor­leben. Unsere Gemein­schaft betreibt ver­schiedene «Häuser der Barmherzigkeit», wie wir sie nen­nen. Ein Haus etwa dient als Anlauf­stelle für Fam­i­lien mit Prob­le­men. Hier kön­nen auch Kinder mit den Schwest­ern zusam­men­wohnen, bis sich die Lage zu Hause gebessert hat. In einem anderen Haus nehmen wir ledi­ge Müt­ter auf und berat­en sie. So kon­nten wir schon viele Abtrei­bun­gen ver­hin­dern. Einige dieser jun­gen Müt­ter wohnen zum Teil während Jahren bei uns, andere find­en schneller den Weg in ein selb­ständi­ges Leben zurück. Es gibt auch Häuser für alte Men­schen, die arm, alle­in­ste­hend und häu­fig auch krank sind. Ihnen allen zeigen wir, dass nie­mand allein ist, der in Chris­tus lebt. Wie viele Schwest­ern sind dazu im Ein­satz? In der ganzen Ukraine sind wir rund 100 Schwest­ern. In unser­er Gemein­schaft hier in Bur­shtyn sind wir zu acht. Unser Haus beste­ht aus zwei Teilen. Der eine Teil dient als «Haus der Barmherzigkeit». Da wohnen und arbeit­en zwei Schwest­ern zusam­men mit zwei jun­gen Mäd­chen, die auf dem Weg sind, sich unser­er Gemein­schaft anzuschliessen. Dann gibt es noch den Pas­toral­teil des Haus­es, das eigentliche Kloster. Hier leben sechs Schwest­ern, die sich um Besuch­er küm­mern, Kinder und Fam­i­lien im Kat­e­chis­mus unter­richt­en, die öffentlichen Schulen in der Umge­bung besuchen und über­all Hil­fe leis­ten, wo Not am Mann ist.Wo bren­nt es denn am meis­ten? Ein gross­es Prob­lem ist der Alko­holis­mus. Auch andere Dro­gen sind stark ver­bre­it­et. Die Men­schen sind arm und haben keine Per­spek­tiv­en. So greifen sie zu Dro­gen. Das führt zu Gewalt — in den Fam­i­lien, aber auch auf der Strasse. Verge­wal­ti­gun­gen, min­der­jährige Müt­ter und ver­wahrloste Kinder sind die Folge. Ein weit­eres Prob­lem ist die Emi­gra­tion. Mil­lio­nen wan­dern aus, um im Aus­land Arbeit zu find­en. So gibt es viele Kinder, die ohne Vater oder über­haupt ganz ohne Eltern aufwach­sen. Wie gefährlich ist Ihre Arbeit unter diesen Umstän­den? Hier in der Wes­tukraine erhal­ten wir von vie­len Men­schen Unter­stützung, da es hier mehr Katho­liken gibt als im Osten oder Süden des Lan­des. Wir pfle­gen auch einen guten Kon­takt zu den lokalen Behör­den. Aber im Osten und im Nor­den sind unsere Schwest­ern nur immer zu zweit unter­wegs. Schon viele von ihnen wur­den ver­bal heftig attack­iert, wenn sie helfen woll­ten. Tätlichkeit­en sind bish­er zum Glück noch keine passiert. Aber man kann nie wis­sen.Wie kam die Zusam­me­nar­beit mit «Kirche in Not» zus­tande? Das begann schon bald nach der Grün­dung unser­er Kon­gre­ga­tion hier in der Ukraine, 1999. Wir hat­ten zwar schon Helfer vor Ort, die uns prak­tisch unter­stützten und uns auch halfen, für die Bedürfti­gen Essen oder Klei­dung zu beschaf­fen. Aber wir braucht­en drin­gend Geld, um unsere Auf­gaben erfüllen zu kön­nen. So reis­ten zwei unser­er Schwest­ern nach König­stein in Deutsch­land, um am Haupt­sitz von «Kirche in Not» vorzus­prechen. Aus diesem ersten Kon­takt entwick­elte sich eine tiefe Fre­und­schaft. Jedes Jahr erhal­ten wir einen Beitrag. Dieses Geld ver­wen­den wir für die Errich­tung unser­er Schulen und für unsere ganze kar­i­ta­tive Arbeit. Unser gross­er Traum ist es, in Bur­shtyn eine Kirche zu bauen.Was möcht­en Sie den Men­schen in der Schweiz ans Herz leg­en? Vor allem möchte ich sie dazu aufrufen, niemals ihre christlichen Wurzeln zu vergessen. Seien Sie auch im All­t­ag Chris­ten und bleiben Sie es! Ich weiss, dass es den meis­ten Schweiz­ern sehr gut geht. Deswe­gen soll man aber den spir­ituellen Teil des Lebens nicht vergessen. Es ist näm­lich möglich, reich zu sein und gle­ichzeit­ig christlich. Wer aus dieser Hal­tung gibt, der erhält auch. 
Christian Breitschmid
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