«Erleuchtung ist weder männlich noch weiblich»

«Erleuchtung ist weder männlich noch weiblich»

  • Eine Hindu­pries­terin und eine Bud­dhistin erzählen von ihrem religiösen Weg.
  • Vas­an­thamala Jeyaku­mar ist gewei­hte Hindu­pries­terin, Losang Pal­mo ist Med­i­ta­tion­slehrerin und Lei­t­erin des Bud­dhis­tis­chen Zen­trums in Bern.
  • Im «Dossier zur Woche der Reli­gio­nen» bericht­en die bei­den Frauen von der Sehn­sucht, Pries­terin zu sein und über die Ein­stel­lung des Dalai Lama zur Gle­ich­stel­lung.
 Als Vas­an­thamala Jeyaku­mar in Jaffna an der Uni war, brach in Sri Lan­ka der Krieg aus. Zur gle­ichen Zeit starb auch noch ihr Vater. «Es war das reine Chaos», erzählt die heute 59-Jährige. Umso mehr ver­suchte sie, wenig­stens beru­flich Fuss zu fassen und nahm eine Stelle als Lehrerin an. Doch bald schon musste sie das Land ver­lassen und flüchtete 1985 in die Schweiz, zunächst nach Basel. Ihre zwei Schwest­ern, ein Brud­er und die Mut­ter blieben in Sri Lan­ka zurück. «Ich war sehr trau­rig. Die Mut­ter hat mir viel bedeutet», erin­nert sie sich. Über­haupt hat sie grossen Respekt vor der älteren Gen­er­a­tion. «Eigentlich habe ich alles von mein­er Mut­ter gel­ernt.»

Mitmachen statt zuschauen

Schon als Kind war Vas­an­thamala Jeyaku­mar oft im Tem­pel. Sie habe die Reli­gion qua­si in den Genen, erzählt sie. Die Atmo­sphäre dort, die Göt­ter­welt, das faszinierte sie schon immer: Shi­va, Par­vati, Gane­sha, Vish­nu, Lak­sh­mi und ganz beson­ders Muru­gan. Sie habe den Priestern in Sri Lan­ka immer zugeschaut, wie sie die Rit­uale vol­l­zo­gen, ging hin­ter ihnen her und wollte nicht nur dabei sein, son­dern mit­machen.In der Schweiz suchte sie dann die Nähe zum Göt­tlichen bei der Madon­na im Kloster Mari­astein, in Ein­siedeln oder auch in Lour­des oder Keve­laer. «Maria ist wie eine Uni­ver­salmut­ter», meint die Tamilin. «Und sie erin­nerte mich an meine grosse Sehn­sucht, als Pries­terin zu wirken.» Als sie später nach Bern zog, gab es dort endlich einen hin­duis­tis­chen Tem­pel­raum, zunächst an der Laupen‑, später an der Schwarz­torstrasse. «In einem Tem­pel hole ich Energie. Der Besuch eines Tem­pels ist genau­so wichtig wie das tägliche Essen.»

«Natürlich darf ich das»

Der Haupt­priester in Bern, Sasiku­mar Thar­ma­lingam, hat­te sie ein­mal bei einem ihrer zahlre­ichen Besuche gebeten, kleine Arbeit­en, die son­st dem Priester vor­be­hal­ten sind, zu übernehmen. «Ich fragte mich, ob ich das über­haupt darf, schliesslich ist das doch Priester­auf­gabe.» Doch Vas­an­thamala Jeyaku­mar liebte es, die Opfer­gaben Wass­er und Milch zu brin­gen und immer mehr Auf­gaben zu übernehmen. Sasiku­mar Thar­ma­lingam und Muraleel­ha­ran Thiru­sel­vam ent­pup­pten sich als fortschrit­tliche Priester und set­zten im Tem­pel in Bern grundle­gende Refor­men um: Sie grün­de­ten die reformierte Hin­duge­meinde und waren bere­it, Frauen als Pries­terin­nen zu wei­hen. So wurde 2014 Vas­an­thamala Jeyaku­mar, zusam­men mit drei weit­eren Frauen, gewei­ht. Sei­ther ist sie Pries­terin der reformierten Hin­duge­mein­schaft Saivaner­ikoodam im Haus der Reli­gio­nen in Bern. Ihre Auf­gaben sind vielfältig: An Fes­ten, Hochzeit­en und Geburt­sta­gen leit­et sie die hin­duis­tis­chen Rit­uale und bietet auch Seel­sorge an. Inzwis­chen stellt sie sich die Frage, ob sie als Pries­terin amtieren dürfe, nicht mehr. «Natür­lich darf ich das», sagt sie stolz. Ein­er­seits, weil sie die Regeln ein­halte, Veg­e­tari­erin ist und regelmäs­sig faste. «Und ich darf ganz ein­fach auch deshalb, weil ich dafür bere­it bin.»

Buddhistische Männerwelt

Welche Rolle spie­len die Frauen im Bud­dhis­mus? Und: Gibt es eigentlich weib­liche Bud­dhas? «Natür­lich», meint Losang Pal­mo, Med­i­ta­tion­slehrerin und Lei­t­erin des Bud­dhis­tis­chen Zen­trums in Bern. «Im tibetis­chen Bud­dhis­mus gibt es etliche weib­liche Bud­dhas. Zum Beispiel Tara, eine weib­liche Man­i­fes­ta­tion des erwacht­en Geistes mit einem Kör­p­er, der nur aus Licht beste­ht.» Die Zürcherin mit den raspelkurzen grauen Haaren und dem schalkhaften Blick – mit bürg­er­lichem Namen heisst sie übri­gens Rita Riniker – öffnet die Tür zum Med­i­ta­tion­sraum.

Lehrerin der Weisheit

Hier riecht es nach Räuch­er­stäbchen. Rote Sitzkissen sind ordentlich im Raum verteilt und auf kleinen Ablage­bret­tern an der Wand ste­hen mehrere iden­tis­che Frauen­stat­uen. «Das sind also unsere Taras», erk­lärt Losang Pal­mo. «Tara ist eigentlich keine Göt­tin, son­dern vielmehr eine Lehrerin der Weisheit.» Jede der Tara-Fig­uren trägt einen ander­s­far­bigen Schleier: weiss, grün, blau, rot und gelb. «Die Far­ben verkör­pern die ver­schiede­nen Aspek­te des Mit­ge­fühls, Qual­itäten, die auch bei Bud­dha zu find­en sind», fährt Losang fort.
Laut der Über­liefer­ung soll es Tara tat­säch­lich gegeben haben. Sie kam als Prinzessin zur Welt und ver­liess schon als junge Frau das begüterte Leben, um Schü­lerin Bud­dhas zu wer­den. Nach­dem sie lange medi­tiert hat­te und weit fort­geschrit­ten war in der Prax­is der Acht­samkeit, trat ein Mönch an sie her­an und riet ihr, aufzugeben. Sie solle in einem späteren Leben einen männlichen Kör­p­er annehmen, denn nur so könne sie Erleuch­tung erlan­gen. Tara antwortete ihm selb­st­be­wusst: ein erwachter Geist hat kein Geschlecht. Losang Pal­mo blickt anerken­nend zu den Frauen­stat­uen. «Auch wenn das Männliche im Bud­dhis­mus oft stark im Vorder­grund ste­ht», erk­lärt sie, «sind die Frauen genau­so wichtig wie die Män­ner.» Sie habe sich all die Jahre als Nonne nie in irgen­dein­er Weise diskri­m­iniert gefühlt. «Jede und jed­er kann sich auf den Weg der Erken­nt­nis machen. Und let­z­tendlich ist klar, dass die volle Erleuch­tung wed­er männlich noch weib­lich ist.» Strebt auch sie die volle Erleuch­tung an? Losang Pal­mo lacht laut auf: «Nein, ich medi­tiere zwar seit vie­len Jahren, aber das mit der Erleuch­tung, das werde ich in diesem Leben wohl kaum schaf­fen.»

Viele tibetische Mönche sind gegen die Gleichberechtigung

Seit 1991 ist Losang Pal­mo bud­dhis­tis­che Nonne, sie lebte siebzehn Jahre in Indi­en im Kloster in Dharam­sala, hat dort medi­tiert und die bud­dhis­tis­chen Schriften studiert. «Es kam schon ab und zu vor, dass mich die jun­gen Mönche die niedri­gen Arbeit­en machen liessen», erin­nert sie sich, «doch darunter gelit­ten habe ich nicht.» Und ja: Die Welt des tibetis­chen Bud­dhis­mus beste­he aus ural­ten Struk­turen, die man dur­chaus als patri­ar­chal empfind­en könne. «Viele tibetis­che Mönche sind strikt gegen die Gle­ich­berech­ti­gung von Mann und Frau, und auch die Non­nen sel­ber sind nicht leicht dazu zu bewe­gen, Leitungs­funk­tio­nen zu übernehmen und zu unter­richt­en.»Dabei sei eigentlich klar, dass im Bud­dhis­mus jed­er jede Posi­tion ein­nehmen könne, wenn sie oder er die Fähigkeit­en dazu habe. Was die Gle­ich­berech­ti­gung ange­he, meint Losang Pal­ma, sei der Dalai Lama dur­chaus fortschrit­tlich. «Er betont immer wieder, dass die Gle­ich­w­er­tigkeit von Mann und Frau Voraus­set­zung für eine bessere Welt sei. Und natür­lich haben wir im Bud­dhis­mus, wie in anderen Reli­gio­nen, dabei noch etwas Nach­holbe­darf.»
Alle Infos zur Woche der Reli­gio­nen
www.zvisite.ch
Marie-Christine Andres Schürch
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