Es braucht Probierräume und mutige Vorschläge

Es braucht Probierräume und mutige Vorschläge

  • In der katholis­chen Kirche gibt es inner­halb Europas grosse Unter­schiede. Umkehr und Erneuerung tun über­all not, doch der weltweite syn­odale Prozess ist kom­plex und braucht Zeit.
  • Dies sind einige der Erken­nt­nisse der Schweiz­er Delegierten von der Kon­ti­nen­tal­syn­ode in Prag. Was fol­gt daraus für den syn­odalen Prozess im Bis­tum Basel?
  • Rund 100 Per­so­n­en aus dem Bis­tum kamen am Mittwoch, 19. April, nach Aarau, um die Berichte der Delegierten aus Prag zu hören und ihre eige­nen Ideen in den laufend­en syn­odalen Prozess einzubrin­gen.

«Erschreck­en Sie nicht!» Mit dieser War­nung begann Tat­jana Dis­teli ihren per­sön­lichen Rück­blick auf die Kon­ti­nen­tal­syn­ode in Prag. Die Gen­er­alsekretärin der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau war zusam­men mit Bischof Felix Gmür und Hele­na Jeppe­sen vom Hil­f­swerk Fas­te­nak­tion als Delegierte in Prag. Die drei hat­ten Anfang Feb­ru­ar an der Kon­ti­nen­tal­syn­ode teilgenom­men und berichteten am Mittwochabend, 19. April, in der Kirche Peter und Paul in Aarau von ihren Erken­nt­nis­sen.

Der Synodale Prozess

Papst Franziskus hat am 17. Okto­ber 2021 einen weltweit­en syn­odalen Prozess ges­tartet, der mit der Befra­gung des Volkes Gottes begann, gefol­gt von Gesprächen auf kon­ti­nen­taler Ebene und zwei Bischof­ssyn­oden auf weltkirch­lich­er Ebene in Rom 2023/2024.

  • Grup­pen­phase: Im Herb­st 2021 disku­tierten 7987 Per­so­n­en (1246 Grup­pen) über die Fra­gen der Weltkirche und der Diöze­sen Basel, Chur und St. Gallen und gaben ihre Antworten in die Forschungsplat­tform von gfs.bern ein.  
  • Diöze­sane Phase: Im Jan­u­ar 2022 disku­tierten an der Syn­odalen Ver­samm­lung in Basel 82 Per­so­n­en (44 Män­ner und 38 Frauen) über die Ergeb­nisse der Befra­gung des Kirchen­volkes und for­mulierten dringliche Hand­lungsan­liegen an die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz.
  • Nationale Phase: Im Mai 2022 wur­den die Eingaben aller Schweiz­er Diöze­sen an der Syn­odalen Ver­samm­lung Schweiz disku­tiert und zusam­menge­fasst. Im August 2022 wurde der Schweiz­er Syn­oden­bericht nach Rom ver­schickt.
  • Kon­ti­nen­tale Phase: Im Feb­ru­ar 2023 wur­den die nationalen Ergeb­nisse an der europäis­chen Kon­ti­nen­tal­syn­ode in Prag besprochen. Die Bischof­skon­feren­zen aller Län­der schick­ten je vier Delegierte nach Prag. Weit­ere Delegierte nah­men per Videokon­ferenz an der Ver­samm­lung teil.
  • Weltkirch­liche Phase: Im Herb­st 2023 und im Herb­st 2024 erfol­gen in Rom die Gespräche auf weltkirch­lich­er Ebene. 
     

Dis­teli erk­lärte, dass die Ver­samm­lung in Prag die tiefen Ver­let­zun­gen und den drama­tis­chen Ver­lust der Glaub­würdigkeit der Kirche durch die Miss­brauchs­fälle erkan­nt habe. «Der syn­odale Prozess ist der Weg der Ein­sicht und der Umkehr. Der Wille zur Erneuerung war bei allen Beteiligten spür­bar. Ich erlebte in den Begeg­nun­gen mit den anderen europäis­chen Delegierten eine nie dagewe­sene Offen­heit. Es waren heil­same Begeg­nun­gen.» Sie gab aber auch zu bedenken, dass die Schweiz erst am Anfang der Aufar­beitung der Miss­brauchs­fälle ste­he. «Doch ich glaube seit Prag wieder daran, dass wir das Steuer herum­reis­sen und neu ler­nen kön­nen, Kirche zu sein.»

Das Verbindende betonen und dezentrale Lösungen suchen

Die kon­ti­nen­tale Ver­samm­lung in Prag habe vor allem gezeigt, dass es nur schon inner­halb Europas «viele ver­schiedene Real­itäten von Kirche» gebe, wie es die Online-Delegierte Men­tari Bau­mann for­mulierte. Auch Bischof Felix Gmür erwäh­nte im Rück­blick auf Prag die Diver­sität und die unter­schiedlichen Geschwindigkeit­en, mit denen die europäis­chen Kirchen unter­wegs seien. Man müsse jedoch nicht das Tren­nende beto­nen und von Spal­tung sprechen, erk­lärte der Online-Delegierte Felix Ter­ri­er, son­dern vielmehr fra­gen, was uns alle im Glauben verbinde. Dazu komme, wie Hele­na Jeppe­sen sagte, dass die katholis­che Kirche in der Schweiz dur­chaus ein anderes Gesicht haben dürfe als am Schwarzen Meer. Lösun­gen kön­nten an ver­schiede­nen Orten unter­schiedlich ausse­hen. «Pro­bier­räume» habe eine öster­re­ichis­che Delegierte in Prag gefordert, diese erschienen ihr sin­nvoll.

«Synodal» ist Haltung und Methode

Einen syn­odalen Prozess im Mini­for­mat haben die zehn Online-Delegierten gemacht, die während der Syn­ode in Prag in der Prop­stei Wis­likofen zusam­men­lebten und die Vorträge am Bild­schirm ver­fol­gten. Der Online-Delegierte Felix Ter­ri­er erlebte das Zusam­men­sein als gutes Lern­feld: «Wir mussten nach dem Ankom­men in Wis­likofen erst ein­mal ler­nen, wie wir uns organ­isieren und unsere Zusam­me­nar­beit gestal­ten.» Eben­so müssten wir alle zuerst ler­nen «syn­odal» zu denken und zu han­deln.

Die Online-Delegierte Rena­ta Asal-Ste­ger machte deut­lich: «Zuhören allein reicht heute nicht mehr aus. Es müssen Tat­en fol­gen. Die Zeit läuft uns eben­so davon wie die Gläu­bi­gen, die unsere Kirche in Scharen verlassen.»[esf_wordpressimage id=43848 width=half float=left][/esf_wordpressimage]

Zwischen Aufbruch und Resignation

Der Abend in Aarau zeigte, dass der syn­odale Prozess Hoff­nung und gar Begeis­terung her­vor­ruft, aber auch, dass sich über die ver­gan­genen Jahre viel Frust ange­sam­melt hat, der die aufkeimende Hoff­nung immer wieder dämpft. Dieser Zwies­palt zwis­chen Auf­bruch und Res­ig­na­tion artikulierte sich in den per­sön­lichen Rück­blick­en der Delegierten auf die Kon­ti­nen­talver­samm­lung in Prag, aber auch in den Diskus­sio­nen in Kle­in­grup­pen. Namentlich die Zulas­sung der Frauen zu den Wei­heämtern ist ein Schritt, der nach der Mei­n­ung der in Aarau Ver­sam­melten über­fäl­lig ist. «Erst wenn die Frauen zuge­lassen sind zu den Ämtern, kön­nen wir wieder von glaub­würdi­ger Kirche sprechen», sagte Rena­ta Asal-Ste­ger. Natür­lich würde die Wei­he von Diakonin­nen und Pries­terin­nen nicht alle Prob­leme lösen, sagte Men­tari Bau­mann, «doch es würde helfen. [esf_wordpressimage id=43846 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Mindestens das Diakonat für Frauen

Wie bere­its in früheren State­ments betonte Bischof Felix auch in Aarau: «Ich werde im Herb­st nach Rom gehen und mich dafür ein­set­zen, dass min­destens das Diakonat für Frauen kommt. Aber der ‘Pro­bier­raum’ kann nicht nur die Schweiz sein, das muss min­destens wes­teu­ropäisch sein.»

Der Bischof ärgert sich

Dass sich auch beim Bischof ein gewiss­er Frust ange­sam­melt hat, zeigte seine Reak­tion auf die Rück­mel­dun­gen aus den Diskus­sion­s­grup­pen. Auf den Zetteln standen Dinge wie «Ökumene», «Syn­odales Führen einüben», «Es braucht die Vertre­tung von Migranten» oder «Wir haben die Jugend ver­loren», was Bischof Felix Gmür mit den Worten kom­men­tierte: «Um diese Kirche muss es schlecht bestellt sein, denn das klingt alles nicht sehr anmäche­lig.» Er beklagte, dass bei vie­len Kirchen­mit­gliedern die Ein­sicht fehle, dass die Sit­u­a­tion der Kirche sich verän­dert habe: «Viele tun so, als seien die Kirchen noch immer über­all jeden Son­ntag voll, das ärg­ert mich.» Aus den Worten des Bischofs liess sich der Frust über die Wider­stände bei der Errich­tung der Pas­toral­räume raushören. Da hiesse es immer, Rom solle vor­wärts machen, dabei soll­ten wir gescheit­er über­legen, was wir selb­st bess­er machen kön­nten, forderte der Bischof.

«Dieses Ding ist nicht mehr zu stoppen»

Das täten die Men­schen in den Pfar­reien sehr wohl, ent­geg­nete Vroni Peter­hans, Kat­e­chetin im Pas­toral­raum am Rohrdor­fer­berg und Präsi­dentin der europäis­chen Allianz katholis­ch­er Frauen­ver­bände andante, dem Bischof. Sie ver­ste­he nicht, warum die Rück­mel­dun­gen aus den Diskus­sion­s­grup­pen so neg­a­tiv ver­standen wür­den. Sie und viele andere näh­men sich nicht aus der Ver­ant­wor­tung, im Gegen­teil, sie kämpften in ihrem Bere­ich seit Langem für die Teil­habe aller, die Ökumene und die Bewahrung der Schöp­fung.

Der Wortwech­sel zeigte, wie wichtig es ist, genau zuzuhören, nachzufra­gen, zu disku­tieren, manch­mal auch zu stre­it­en, aber immer im Dia­log zu bleiben. Hele­na Jeppe­sen sagte: «Uns ist aufge­gan­gen, dass wir über den syn­odalen Prozess reden müssen. Und fügte – im Rah­men ein­er Anek­dote aus Prag – den Satz an: «Dieses Ding ist nicht mehr zu stop­pen.»

Marie-Christine Andres Schürch
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