Auf was wartest du? Werde wesentlich!
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Auf was wartest du? Werde wesentlich!

Lukas 12,22bf.25f.30bfDeswe­gen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Klei­dung [] Wer von euch kann mit all sein­er Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne ver­längern? Wenn ihr nicht ein­mal etwas so Geringes kön­nt, warum macht ihr euch dann Sor­gen um das Übrige? [] Euer Vater weiss, dass ihr das braucht. Vielmehr sucht sein Reich; dann wird euch das andere dazugegeben.
Ein­heit­süber­set­zung 2016

Auf was wartest du? Werde wesentlich!


Wer mit kranken Men­schen ins Gespräch kommt und ihnen fördernd zuhört, der nimmt sehr unter­schiedliche Strate­gien wahr, wie sie ihr Schick­sal bewälti­gen. Sie, liebe Leserin­nen und Leser, sind vielle­icht auch schon ein­mal ern­sthaft erkrankt. Wie sind Sie damit umge­gan­gen? Bitte Denkpause ein­le­gen!Da gibt es die grosse Gruppe der Opti­mis­ten («Kommt schon gut»), man trifft die Kämpfer («Ich gebe nicht auf», «Das ist eine Prü­fung»), die Geduldigen, die ihr Schick­sal ertra­gen (sie fühlen sich als Zufall­sopfer, eventuell Gott ergeben), jene, die sich auflehnen (gegen Umstände, Fehler ander­er, die Zumu­tung Gottes) und wieder andere, die kla­gen, deprim­iert sind oder ganz still.Zu welch­er Gruppe gehören Sie? Es gibt keine richtige oder falsche Ein­stel­lung. Darum müssen sich alle, die kranken Men­schen förder­lich zuhören wollen, immer wieder vor dem Ver­gle­ichen und dem Urteilen hüten. Man kann dem Depres­siv­en nicht zum Opti­mis­mus rat­en. Man kann ihm nur nahe sein und mit ihm fra­gen. Aber jed­er muss seinen eige­nen Weg gehen. Diese let­zte Ein­samkeit ist bei aller Ein­fühlsamkeit und Liebe nicht aufzulösen. Was allerd­ings jede/r tun kann, in gesun­den wie in kranken Tagen: Hin­schauen, wie andere damit umge­hen und ver­suchen, davon für die eigene Hal­tung zu ler­nen. Ich möchte ein Beispiel geben:Am 27. Feb­ru­ar 1862 starb ein 24-jähriger The­olo­gi­es­tu­dent an Tuberku­lose. Er hat­te keine ein­fache Lebens­geschichte. Zuvor hat­te er bere­its ein­mal eine lebens­bedrohliche Krankheit über­standen. Wir wis­sen nicht, wie er damit umge­gan­gen ist. Dann aber erschüt­terte ihn der Suizid seines Brud­ers und der frühe Tod sein­er Schwest­er, die ihm sehr nah­e­s­tand. Eines Tages wurde er sich bewusst, dass er nicht der erste war, der Schick­salss­chläge zu ertra­gen hat­te. Vor einem Bild der schmerzhaften Mut­ter­gottes hörte er in sich die Stimme, die er ver­stand: «Auf was wartest du? Folge dein­er Beru­fung!» Er zog tat­säch­lich Kon­se­quen­zen und hat­te daraufhin mehrmals beschrieben, dass sei­ther eine tiefe Freude in ihm wohnte.Wenn wir ein­mal den etwas prob­lema­tis­chen Begriff «Beru­fung» (es geht hier nicht um etwas Kirch­lich­es) durch «wesentlich wer­den» erset­zen, dann kön­nen wir der Geschichte des heili­gen Gabriele für uns etwas abgewin­nen, abschauen: Wie auch immer wir charak­ter­lich gebaut sind und zu welch­er der ein­gangs genan­nten Grup­pen wir gehören; für uns alle führt die Auseinan­der­set­zung mit Krankheit zur Suche nach der eige­nen Wahrheit. Die erschüt­ternde Begeg­nung mit unser­er Vergänglichkeit drängt uns hin zur Frage: «Auf was wartest du?» Ver­schieben ist offen­bar keine Option, das Leben find­et jet­zt statt!Die Rich­tung des Suchens wird angedeutet: Werde dem treu, was deinem Wesen, dein­er Seele, deinem Herzen, dem inneren Licht oder der Beru­fung entspricht. Das ist die Chance im Kranken­bett, ob man nun wieder gesund wird, chro­nisch krank bleibt oder sich auf den Weg des Abschieds begeben muss. Das kann ein inner­er Prozess sein, kann aber auch lebens­geschichtliche Kon­se­quen­zen (Neuori­en­tierung) haben. In jedem Fall aber ist uns ver­heis­sen, dass die innere Freude und Sicher­heit Einzug hält, wenn wir uns trauen, die Frage nach dem Wesentlichen in unserem Leben zu stellen.
Lud­wig Hesse, The­ologe und Autor, war bis zu sein­er Pen­sion­ierung Spi­talseel­sorg­er im Kan­ton Basel­land
Ludwig Hesse
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