«Wir sind k.o., aber glücklich»

«Wir sind k.o., aber glücklich»

Nach vier Jahren Ren­o­va­tion und Leben im Pro­vi­so­ri­um kon­nten die Fahrer Schwest­ern am 9. Novem­ber 2016 wieder in ihre anges­tammten Räume zurück­kehren. Mit Pri­or­in Irene Gassmann und der ver­ant­wortlichen Denkmalpflegerin Isabel Haupt nahm Hor­i­zonte das Ergeb­nis in Augen­schein und staunte: Für Umbaut­en in his­torischen Gebäu­den sind unkon­ven­tionelle Lösun­gen gefragt, der­weil die Schwest­ernge­mein­schaft mit neuen For­men des Kloster­lebens exper­i­men­tieren will.Sichtlich freudig werde ich im Kloster Fahr emp­fan­gen. Schwest­er Petra, mit 84 Jahren die Senior­in der 20köpfigen Frauenge­mein­schaft, begrüsst mich aus dem Fen­ster ober­halb der Pforte lehnend und lässt ver­laut­en, dass sie gle­ich öff­nen werde. Kurz darauf schüt­tle ich sowohl ihr als auch ein­er offen­sichtlich strahlen­den Pri­or­in Irene Gassmann die Hand zur Begrüs­sung. Seit der Rück­kehr in die anges­tammten Räum­lichkeit­en am 9. Novem­ber 2016 sind erst zwei Wochen ver­gan­gen. Zwei Jahre haben die Schwest­ern zuvor in der ehe­ma­li­gen Bäuerin­nen­schule gelebt.

Der Trick mit dem Kamin

«Ich staune, wie wir das geschafft haben», sin­niert Irene Gassmann. «Die Jahre auf doch sehr engem Raum, der Umzug.» Und dann meint sie lachend: «Wir sind k.o., aber glück­lich.» Die Heit­erkeit bei der Begrüs­sung wider­spiegelt die grosse Erle­ichterung der Schwest­ernge­mein­schaft, endlich wieder im anges­tammten Zuhause leben zu kön­nen. «Nach der Rück­kehr ist uns noch ein­mal so richtig bewusst gewor­den, wie die Kloster­räum­lichkeit­en für ein monas­tis­ches Leben gemacht sind» erk­lärt die Pri­or­in. «Die weit­en Gänge für unsere Prozes­sio­nen, die grossen Räume, in denen das Schweigen leichter fällt.… Unser Leben ist überdies wieder ruhiger und langsamer gewor­den.»Unmit­tel­bar vom Ein­sturz bedro­ht waren die Gebäude nicht. Es ging, wie die zuständi­ge Denkmalpflegerin Isabel Haupt erk­lärt, bei den Sanierungsar­beit­en ein­er­seits um sicher­heit­stech­nis­che Aspek­te, ander­er­seits um Unter­halts- und Restau­rierungsar­beit­en bei den barock­en Räu­men. Weit­er wurde aber auch in alters­gerecht­es Wohnen investiert. «Den eigentlichen Anstoss gaben die ver­al­teten Elek­trok­a­bel», erin­nert sich Isabel Haupt. Die studierte Architek­tin erk­lärt, dass bei his­torischen Baut­en eine fehlende Brand­schutzan­lage oder zu erset­zende Elek­trok­a­bel nicht so ein­fach zu instal­lieren sind wie bei Neubaut­en. «Man muss extrem darauf schauen, dass an der his­torischen Bausub­stanz nichts kaputt geht, man also beispiel­sweise nicht aus Verse­hen durch Malereien fräst.» Stolz zeigt die Denkmalpflegerin, wie der ver­ant­wortliche Architekt Cas­tor Huser, der Elek­tro­fach­plan­er und die Denkmalpflege nach langem Hin und Her eine aus­ge­fuch­ste Lösung für die vie­len Kabel­bün­del fan­den – im alten, nicht mehr in Betrieb ste­hen­den Kamin. Von dort aus ver­schwindet der Kabel­salat im Boden, respek­tive in der Decke.

Auf dem Weg zu einer neuen Offenheit

Umsichtig vorge­gan­gen wer­den musste auch bei der Real­isierung roll­stuhlgängiger Nasszellen und Toi­let­ten sowie bei der Entschär­fung von Türschwellen, also den Mass­nah­men für alters­gerecht­es Wohnen. Sie sei ges­pan­nt, wie sich die näch­sten Jahre entwick­el­ten, erk­lärt Pri­or­in Irene Gassmann. Die 20 Frauen, die im Kloster leben, sind zwis­chen 51 und 84 Jahren alt. «Die meis­ten sind bere­its über 70, allerd­ings immer noch sehr vital», betont die Pri­or­in und ergänzt: «Ich habe die Vision, dass das Fahr auch kün­ftig ein Ort ist, wo benedik­tinis­che Spir­i­tu­al­ität gelebt wird. Wie das aber genau aussieht, wis­sen wir zum jet­zi­gen Zeit­punkt noch nicht. Da sind wir am exper­i­men­tieren. Vielle­icht sind wir die Gen­er­a­tion, die den Weg bere­it­et für eine neue Offen­heit, für neue For­men von Verbindlichkeit im Kloster­leben», so Irene Gassmann viel­sagend. Sie ver­traut darauf, dass sich alles schon irgend­wie fügen werde, so wie das schon oft der Fall gewe­sen sei: «Wir müssen loslassen kön­nen, damit es einen Weg in die Zukun­ft gibt.»Anlass zur Freude gibt auch der neu geschaf­fene Tor­ri­cel­li-Raum – geschaf­fen aus fünf kleinen Abstel­lka­m­mern. Ein­er­seits wurde bei der Gestal­tung dieses neuen Raumes ein Fres­co der Gebrüder Tor­ri­cel­li ent­deckt, jen­er Kün­stler aus dem 18. Jahrhun­dert, die auch die Malereien in der Kirche und an der Aussen­fas­sade gestal­tet haben; ander­er­seits ist zu sehen, wie aus fünf ein­sti­gen Abstell­räu­men ein funk­tionaler Mehrzweck­raum ent­standen ist – «eine Verbindung von his­torischen und mod­er­nen Ele­menten», freut sich Pri­or­in Irene Gassmann. «Dieses Konzept hat sich wie ein rot­er Faden durch die Ren­o­va­tion gezo­gen.»

Noch bis 2030 wird im Fahr renoviert

11 Mil­lio­nen Franken wur­den bish­er investiert. Bis zum Abschluss der gesamten Ren­o­va­tion­sar­beit­en im Jahre 2030 sind 23 Mil­lio­nen Franken vorge­se­hen. Nach punk­tuellen Ein­grif­f­en im 20. Jahrhun­dert habe man jet­zt Gele­gen­heit für eine sorgfältige, inten­sive Arbeit, erk­lärt die Denkmalpflegerin Isabel Haupt. Der weit abgesteck­te Zei­tho­r­i­zont habe sich bere­its bezahlt gemacht. Beispiel­sweise wur­den in einem Raum längst ver­schollen geglaubte Deck­en­bilder wieder­ent­deckt. Pos­i­tiv sei auch die bre­it abgestützte finanzielle Unter­stützung, ergänzt Pri­or­in Irene Gassmann: «Als Kloster kön­nten wir das gar nicht allein stem­men. Wir sind froh, dass uns sowohl die Eidgenossen­schaft, die Kan­tone Aar­gau und Zürich, die Denkmalpflege, aber auch poli­tis­che Gemein­den, Kirchge­mein­den sowie Pfar­reien, Stiftun­gen und Pri­vate unter­stützen.»Rund 6 200 Stun­den, also 688 Arbeit­stage, kamen für die Handw­erk­er zusam­men. Allein 1 157 Quadrat­meter Boden­fläche wur­den auf­bere­it­et, aus­ge­baut, restau­ri­ert, wieder einge­baut, geschlif­f­en und geölt. Eine zweite Ren­o­va­tions-Etappe wird in den Jahren 2017 bis 2018 im Aussen­bere­ich behin­derten­gerechte Wege sowie eine dazu passende Aussen­beleuch­tung schaf­fen, während in ein­er drit­ten Etappe von 2017 bis 2022 die Gebäude rund ums Kloster – also das Restau­rant oder die Müh­le saniert wer­den sollen. Abschliessend fol­gen in ein­er vierten Etappe bis 2030 die Däch­er und Fas­saden des Klosters. «Wir kön­nen nun aber bis zum Abschluss all dieser Arbeit­en in unseren Räum­lichkeit­en bleiben», erk­lärt Irene Gassmann zufrieden.

Über 200 denkmalgeschützte Sakralbauten im Aargau

Wie recht­fer­tigt sich ein der­ar­tiger Aufwand? «Das Kloster Fahr ist his­torisch und baukün­st­lerisch extrem wertvoll und wichtig – es hat nicht nur mit­te­lal­ter­liche Teile, die Gebäude wur­den nach der Ref­or­ma­tion im Barock­stil aufwendig und von guten Handw­erk­ern aus­ge­baut», so die Denkmalpflegerin aus. «Zudem ist es seit sein­er Grün­dung im Jahre 1130 das weltweit einzige noch beste­hende Dop­pelk­loster (Anmerkung der Redak­tion: mit Ein­siedeln).»Von ins­ge­samt 226 929 Gebäu­den im Aar­gau ste­hen – so Isabel Haupt — rund 1 500 Objek­te unter kan­tonalem Schutz. Unter diesen befind­en sich ins­ge­samt 224 christliche Sakral­baut­en. Kirch­liche Baut­en hät­ten einen grossen Anteil an den schützenswerten Baut­en im Kan­ton. «Die Men­schen haben sich für Kirchen­baut­en immer grosse Mühe gegeben, weil sie für einen höheren Zweck gedacht waren und sind», erk­lärt Isabel Haupt. Entsprechend beein­druck­end seien die ent­stande­nen Gebäude. Und das gelte bis in die jüng­ste Zeit. So habe man im Kan­ton Aar­gau nahezu aus jed­er Epoche ver­schiedene High­lights. Isabel Haupt erwäh­nt die ehe­ma­lige Klosterkirche Königs­felden aus dem Mit­te­lal­ter, das Ver­e­namün­ster in Bad Zurzach, die barock umge­formte Klosterkirche Muri und die Klosterkirche Wet­tin­gen, die Pfar­rkirche Bünzen aus dem 19. Jahrhun­dert, deren Kirchge­meinde für die gelun­gene Innen­restau­rierung 2015 den Schweiz­er Denkmal­preis erhielt, aber auch die katholis­chen Kirchen von Möh­lin, Ennet­baden und Möriken-Wildegg als Kun­stzeu­gen des 20. Jahrhun­derts.

Das «Flair fürs Schöne» ist durchaus benediktinisch

Die Schwest­ern im Fahr erfüllt es mit Freude und Stolz, in ein­er der­ar­ti­gen Umge­bung spir­ituell wirken zu kön­nen. «Das ist ein Erbe, das wir gerne pfle­gen», beken­nt Pri­or­in Irene Gassmann. «Und zum Benedik­tinis­chen gehört auch das Flair fürs Schöne. Mit der umfassenden Ren­o­va­tion wird das wieder zum Leucht­en gebracht.»   
Andreas C. Müller
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