
Bild: © Christoph Wider
«Tränen sind ein gutes Resonanzsignal»
Der Soziologe Hartmut Rosa ist mit seinem Resonanzbegriff in aller Munde. Im Gespräch erklärt er, was er darunter versteht, und was Resonanz mit Ostern zu tun hat.
KirchenÂbautÂen sind in Ihrer Forschung wichtige Orte. Was könÂnen Kirchen?
HartÂmut Rosa: Sie könÂnen uns einen Sinn geben für eine andere Art, in der Welt zu sein. Wer eine Kirche betritt, steÂht in einem Raum, der anders ist als ein SuperÂmarkt, ein BahnÂhof oder ein Büro. Die Art und Weise, wie wir in die Welt gestellt sind, transÂformiert sich.
Woran liegt das?
Am räumÂlichen EmpfindÂen. Das kann sich durch die dickÂen Mauern der Kirche veränÂdern. Durch die Stille. Oft auch durch DunkelÂheit oder dadurch, dass es im KirchenÂraum eigentlich nichts zu tun gibt. ManchÂmal spielt auch die zeitliche VerorÂtung eine Rolle: SonÂntagÂmorÂgen fühlt sich anders an als MonÂtagÂmorÂgen. Kirchen könÂnen also einen Raum schafÂfen, in dem ein anderes WeltverÂhältÂnis möglich und erahnÂbar wird.
Wozu ist das gut?
Meine soziÂolÂoÂgisÂche Grundthese lautet, dass wir derzeit in einem wachÂsend aggresÂsivÂen VerÂhältÂnis zur Welt steÂhen. Ein anderes VerÂhältÂnis zur Welt ist also drinÂgend nötig und wünÂschenswert.
Woran erkenÂnen Sie dieses aggresÂsive VerÂhältÂnis?
Wir müssen nur unsere To-do-LisÂten anschauen: Die sind immer endÂlos und scheinen zu explodieren. Wir fühlen uns dadurch regelmäsÂsig schuldig, weil wir ständig denken: Das wollte ich schon lange machen, jenes hätte ich drinÂgend tun sollen, das wiederum kriege ich womÂöglich gar nicht hin. AggresÂsion wächst auf allen drei EbeÂnen der sozialen RealÂität: Im Grossen verÂhalÂten wir uns gegenüber der Natur aggresÂsiv, man denke nur an das ArtenÂsterÂben und die KliÂmakrise. Im Kleinen kämpfen wir mit wachÂsenden Burnout- und DepresÂsionÂsratÂen. Und viele MenÂschen sind mit ihrem KörÂpÂer und ihrer PsyÂche nicht zufrieden, wollen sich ständig optiÂmieren. DazwisÂchen liegt die Ebene des sozialen Umgangs, den wir miteinanÂder pfleÂgen. Hier hat sich das KliÂma der kulÂturÂpoliÂtisÂchen AuseinanÂderÂsetÂzung veränÂdert: Krieg wird nicht mehr als AusÂnahÂmeÂfall betraÂchtet, sonÂdern wieder als norÂmal wahrgenomÂmen.
Sie setÂzen dem die ResÂoÂnanzÂerÂfahrung entÂgeÂgen. Was passiert darin?
ResÂoÂnanz ist eine Form der Beziehung. Es geht darum, wie ein SubÂjekt zur Welt rundÂherum in Beziehung tritt. ResÂoÂnanz beginÂnt nicht damit, dass wir etwas tun, sonÂdern damit, dass wir etwas wahrnehmen. GerÂade so, als rufe uns etwas an. Etwas berührt uns, bewegt uns, erreÂicht uns. Und ich antworte darauf nicht mit dem Impuls «Das will ich haben! Das will ich kaufen!». Vielmehr öffne ich mich und gehe dem Anruf entÂgeÂgen. Hören und antworten ist die GrundÂform einÂer ResÂoÂnanzbeziehung, im UnterÂschied zu beherrschen, konÂtrolÂlieren, dominieren.

Wie wird ResÂoÂnanz ausÂgelöst?
Das kann ein Bild sein, das wir im MuseÂum sehen, oder ein Wort in der Predigt oder auch ein Lied. PlötÂzlich ergreift uns etwas. ManchÂmal kann das so stark sein, dass uns TräÂnen in die Augen komÂmen. TräÂnen sind ein gutes ResÂoÂnanzsigÂnal. Es passiert eine TransÂforÂmaÂtion, ich bleibe in der ResÂoÂnanzbeziehung nicht derÂselbe. Ursprünglich ist ResÂoÂnanz ein Begriff aus der Akustik, der ein MitschwinÂgen in feinen VibraÂtioÂnen beschreibt.
Muss man ResÂoÂnanz üben?
Nehmen wir an, jemand geht am SonÂntag zum GottesÂdiÂenst, er macht das vielleÂicht einÂmal im Jahr oder sogÂar einÂmal in zehn Jahren. Er macht dabei eine starke Erfahrung, sodass er eine ResÂoÂnanz empfindÂet. Er geht danach erneut zum GottesÂdiÂenst, aber die nächÂsten 90 Mal macht er diese Erfahrung nicht mehr. DenÂnoch werÂden ihn der KirchenÂraum und der GottesÂdiÂenst immer wieder an seine ResÂoÂnanzÂerÂfahrung erinÂnern und damit auch die ZuverÂsicht weckÂen, dass solch eine Erfahrung möglich ist.
«Kirchen könÂnen einen Raum schafÂfen,
in dem ein anderes WeltverÂhältÂnis
möglich wird.»
WelchÂes sind die wichtigÂsten EleÂmente der ResÂoÂnanz?
In meinÂer Forschung haben sich vier EleÂmente herÂauskristallisiert. Das erste EleÂment: NachÂdem uns etwas berührt hat, könÂnen wir Antwort darauf geben. Das zweite: Wir haben das Gefühl, wir erreÂichen die andere Seite, wir fühlen uns dem Gegenüber verÂbunÂden. DritÂtens: Wir fühlen uns dabei verÂwanÂdelt. Manche sagen, sie komÂmen aus dem GottesÂdiÂenst anders herÂaus, als sie hineingeÂganÂgen sind. VielleÂicht ist ein neuer Gedanke aufgeÂtaucht. Oder die Beziehung zur Welt hat sich fühlbar veränÂdert. Und viertens: Wir könÂnen ResÂoÂnanz nicht herÂstellen. SelbÂst wenn sie einÂtritt, bleibt sie unverÂfügÂbar und unkonÂtrolÂlierÂbar.
Sie schreiben, Ihr Lieblingswort sei «aufhören». Warum?
Zunächst bedeutet «aufhören» unterÂbrechen, nicht mehr weitÂerÂmaÂchen. Dann kann man es aber auch als «nach oben hören» verÂsteÂhen. Lass dich von etwas anderem anrufen. Unsere kleine Kirche in GrafenÂhausen im Schwarzwald beispielÂsweise gefällt mir deshalb so gut, weil sie in der Decke aufÂstrebende Balken hat und ganz oben ein kleines FenÂster, durch das Licht hereÂinÂfällt. Aufhören ist ein Sich-nach-oben-RichtÂen, im UnterÂschied zu einÂer KulÂtur des gesenkÂten Blicks zum Handy.
Bald ist Ostern. Wenn Sie an die Geschichte von Jesu Tod und AuferÂsteÂhung denken – lässt Sie darin etwas aufhorchen?
Mir ist wichtig, dass der KarÂfreÂitag zu Ostern gehört. Die Trauer, die da zu fühlen ist, das LeiÂden, das TrostÂlose, das sind essenÂzielle Momente. «Aufhören» heisst für mich, genau das auch zuzuÂlassen, die Angst, den Zweifel, sogÂar die Sinnlosigkeit und den Tod. Ostern ist für mich dann ein «TrotzÂdem». Ich muss die WüstenÂerÂfahrung der Welt nicht leugÂnen, trotzÂdem bietet sich ein DahinÂter an. Das empfinde ich als sehr einÂdrucksvoll.
Sie beschreiben ResÂoÂnanz als Ort der EntsteÂhung von etwas unverÂfügÂbar Neuem. Ist ResÂoÂnanz verÂgleÂichÂbar mit dem, was das ChrisÂtenÂtum an Ostern feiert: Sich hinzugeben und Neues entsteÂhen zu lassen?
Ja, das könÂnte sein. Man findÂet diese HalÂtung auch in der Idee, dass der Geist Gottes dort weht, wo er will – und nicht dort, wo wir wollen. Damit wird UnverÂfügÂbarkeit deutÂlich gemacht. Und gleÂichzeitÂig etwas, das uns entÂgeÂgenkommt. Und darin steckt auch ein ganz wichtiger Gedanke gegen den Irrglauben, wir müssten alles selbÂst tun. Wir müssten bessÂer werÂden im Umweltschutz, wir müssten die Wirtschaft wieder in Gang brinÂgen, wir müssten mehr in die SicherÂheit investieren. Der Gedanke der ResÂoÂnanz, der sich in der christlichen ReliÂgion auch in TheÂoloÂgie überÂsetÂzt hat, sagt: Lass es zu, dass da auch von anderÂer Seite BeweÂgung ausÂgeÂht, dass Neues nicht nur durch dein Tun entsteÂhen kann.
Gibt es ein KunstÂwerk, das für Sie diese Dynamik ausÂdrückt?
Ich habe meine ästhetisÂchen SenÂsiÂbilÂitäten vor allem im BereÂich von Musik und LitÂerÂatur, aber es gibt auch unglaublich sprechende bildende KunÂst. SponÂtan kommt mir die Pietà von Käthe KollÂwitz in den Sinn. Sie macht dieses BeziehungsmoÂment der ResÂoÂnanz, von dem wir gerÂade mit Blick auf Ostern gesprochen haben, einÂdrückÂlich sichtÂbar.
«Lass zu, dass von anderÂer Seite BeweÂgung ausÂgeÂht,
dass Neues nicht nur
durch dein Tun entsteÂhen kann.»
Neben der ResÂoÂnanz beschäftiÂgen Sie sich auch mit dem LebenÂstemÂpo, das immer schneller wird. Wie kam es dazu?
ManchÂmal fragt man sich: Wie kann es eigentlich sein, dass ich nie Zeit habe, wenn ich doch die ganze Zeit welche spare? Da gibt es also ein ParaÂdox. Dann ist mir schon als StuÂdent aufgeÂfallÂen: Fragt man MenÂschen, wie es ihnen geht, sagen sie häuÂfig, dass es ihnen eigentlich gut geht, dass es nur gerÂade eben so hekÂtisch sei. Da es aber fast immer für fast alle hekÂtisch war, dachte ich, müsste man das «gerÂade eben» streÂichen. Und HekÂtik scheint nichts IndiÂviduÂelles zu sein, sonÂdern etwas KollekÂtives. Ich wollte wisÂsen, woran das liegt.
Ich lese Ihre AnalyÂsen dazu auch als KriÂtik an unserÂer Gesellschaft, die immer schneller wird.
NatürÂlich. Ein Antrieb zu wisÂsenschaftlichÂer Forschung ist ja oftÂmals die FestÂstelÂlung: IrgenÂdetÂwas stimmt hier nicht! So ging es mir von Anfang an mit der so unterÂschiedlichen ZeitÂerÂfahrung zwisÂchen GrafenÂhausen und LonÂdon. Wir steÂhen mit dem Gefühl in der Zeit, andauernd in einem HamÂsterÂrad zu laufen – allerdÂings ohne voranzukomÂmen. Ich nenne das den «rasenden StillÂstand».
Was befürchtÂen Sie durch diesen rasenden StillÂstand?
Dass sich die AggresÂsion als WeltverÂhältÂnis so stark in unsere KörÂpÂer einÂschreibt, dass wir uns gar keine andere Art mehr vorstellen könÂnen, in der Welt zu sein. Ich bin aber überzeugt: Wir brauchen Räume, die uns ein anderes In-der-Welt-Sein offenÂhalÂten.

Es geht Ihnen um «das gelinÂgende Leben». Was verÂsteÂhen Sie darunter?
Ich beschreibe neben den vier EleÂmenten der ResÂoÂnanz auch vier Achsen. Und ich definiere gelinÂgenÂdes Leben als eines, in dem diese vier Achsen in Schwingung sind. Da ist zum Ersten die soziale Achse: Die ResÂoÂnanz mit anderen. In Liebe, FreÂundÂschaft, auch in der PoliÂtik oder in der SeelÂsorge. ZweitÂens die materielle Achse: Man kann mit manchen physisÂchen DinÂgen, mit denen man sich Tag für Tag umgibt, in eine ResÂoÂnanzbeziehung treten. Ein KirchenÂraum ist ein Beispiel dafür. Oder der BrotÂteig, den der BäckÂer bearÂbeitÂet. Die dritte Achse ist die SelbÂstachse der ResÂoÂnanz: Ich kann mit mir selbÂst, mit meinem KörÂpÂer, meinÂer PsyÂche, mit meinÂer Biografie in ein ResÂoÂnanzverÂhältÂnis treten. Viertens schliesslich eine verÂtikale ResÂoÂnanz, wenn wir mit dem in Schwingung treten, was man als umfassende WirkÂlichkeit wahrnehmen kann. Es wird Natur genanÂnt oder Welt oder KosÂmos oder Leben. In dieser Achse kommt ReliÂgion ins Spiel. Ich glaube, «Gott» steÂht für die VorstelÂlung, dass am Grund unserÂer ExisÂtenz eine AntwortÂbeziehung steÂht und nicht ein schweigenÂdes UniÂverÂsum.
«ReliÂgioÂnen stärken den Sinn dafür,
dass da draussen etwas ist,
das mich anruft.»
HatÂte Jesus in diesem Sinn ein «gelunÂgeÂnes Leben»?
Es fällt mir schwÂer, das auf Jesus anzuwenÂden … Ich würde zunächst davon ausÂgeÂhen, dass er im verÂtikalen, existenÂziellen ResÂoÂnanzsinn über eine starke Achse verÂfügte. Dann hat er besÂtimmt auch eine Art von SelbÂstresÂoÂnanz gelebt, ich stelle ihn mir so vor, dass er mit sich selbÂst im Reinen war. Und er hatÂte seine Jünger, mit denen er wohl eine ResÂoÂnanzbeziehung gepflegt hat. Ich würde also davon ausÂgeÂhen, dass Jesus in diesem Sinn ein gelunÂgeÂnes Leben hatÂte. Aber wir sehen gerÂade bei ihm auch, dass gelinÂgenÂdes Leben nicht bedeutet, keine Phasen der EntÂfremÂdung zu durchÂleiÂden. Die EvanÂgelien erzählen, dass auch bei Jesus die ResÂoÂnanÂzachÂsen nicht immer ohne EinÂschränkunÂgen geschwunÂgen haben. «Mein Vater, warum hast Du mich verÂlassen?» – dieser Schrei Jesu am KarÂfreÂitag ist ein radikaler AusÂdruck des VerÂlusts einÂer ResÂoÂnanzbeziehung. Ich glaube, nieÂmand ist in DauerÂresÂoÂnanz, nicht einÂmal Jesus.
Gilt es, EntÂfremÂdung unter allen UmstänÂden zu verÂmeiÂden?
Ursprünglich dachte ich das. Dann habe ich festÂgestellt, dass das zu einÂfach ist. Wir könÂnen inzwisÂchen sogÂar empirisch zeigen, dass MenÂschen, die intenÂsive ResonanzÂerfahrungen erleben, immer auch intenÂsive EntÂfremÂdungs-ErfahrunÂgen machen. Genau das würde ich auch für Jesus diagÂnosÂtizieren. VerÂmutÂlich hat er über intenÂsive ResÂoÂnanzbeziehunÂgen und ‑erfahrunÂgen verÂfügt. Aber er kanÂnte auch diese menÂschlichen WüstenÂphasen der Dürre und ResÂoÂnanÂzlosigkeit.
Jesus hat auch Hass auf sich gezoÂgen. Ist Hass ebenÂfalls eine Form der ResÂoÂnanz?
Ich sehe Hass nicht als Form der ResÂoÂnanz. Hass ist die völÂlige VerneiÂnÂung des anderen, der Abbruch der Beziehung: «Ich will dich weghaben». Ans Kreuz geschlaÂgen zu werÂden, kann für nieÂmanÂden eine ResÂoÂnanzÂerÂfahrung sein.
Sie haben ein Buch mit dem Titel «Demokratie braucht ReliÂgion» veröfÂfentlicht. Weshalb?
ReliÂgioÂnen stärken den Sinn dafür, dass da draussen etwas ist, das mich anruft, das mich etwas angeÂht, das nicht ich selbÂst bin. Ich bin überzeugt, dass Demokratie genau diese AnrufÂbarkeit braucht. Es geht mir also nicht um Kirche oder um InstiÂtuÂtioÂnen. – Ich glaube übriÂgens, dass es damit in der Schweiz etwas bessÂer funkÂtionÂiert – bei allem, was man auch kriÂtisieren kann.
Woran genau denken Sie?
Dass wir uns als MenÂschen begegÂnen, als BürgÂerinÂnen und BürgÂer, die einanÂder etwas zu sagen haben. Dass mir der andere etwas zu sagen hat, obwohl er aus meinÂer Sicht zunächst mal – verzeiÂhen Sie – ein Depp ist. In DeutschÂland spüre ich momenÂtan jedoch eine starke gegenÂseitÂige DämonÂisierung und die Gräben zwisÂchen den Parteien sind tief bis zum Hass.
Sehen Sie einen Weg aus dieser VerÂbitÂterung?
Demokratie ist das VerÂsprechen, dass jedÂer eine Stimme hat. Zur Stimme gehören aber auch Ohren. Es geht nicht nur darum, dass ich «es» mal gesagt habe, sonÂdern auch, dass ich höre, mich vom anderen erreÂichen und potenÂziell transÂformieren lasse. Das ist die HalÂtung der AnrufÂbarkeit. ReliÂgioÂnen sind eine Möglichkeit, das zu üben.
Buchtipps
— Demokratie braucht ReliÂgion.
Über ein eigenÂtümÂlichÂes ResÂoÂnanzverÂhältÂnis
Schmales BüchÂlein, breÂite BedeuÂtung: zu einem TheÂma, das aktueller ist denn je.
HartÂmut Rosa, Kösel 2022
— ResÂoÂnanz.
Eine SoziÂoloÂgie der WeltÂbeziehung
Wenn BeschleÂuÂniÂgung das ProbÂlem ist, dann ist ResÂoÂnanz vielleÂicht die Lösung.
HartÂmut Rosa, Suhrkamp 2018
ResÂoÂnanz ist also keine EinÂbahnÂstrasse.
Genau. Bei einem ResÂoÂnanÂzangeÂbot habe ich den anderen nicht schon völÂlig begrifÂfÂen. Es bleibt da eine IrriÂtaÂtion: «Moment mal, das kenne und verÂsteÂhe ich noch nicht ganz.» Und es kann etwas qualÂiÂtaÂtiv Neues in mir entsteÂhen. Wenn mir jemand hingeÂgen nur ein gutes Gefühl gibt, so in etwa: «Der sagt endlich, was ich schon immer dachte», dann ist das nicht ResÂoÂnanz, obwohl es mich vielleÂicht entzünÂdet. ResÂoÂnanz bedeutet eine OffenÂheit der Beziehung.
Der KatholizisÂmus verÂfüge über mehr und andere ResÂoÂnanzqualÂitäten als der ProtesÂtantismus, sagten Sie einÂmal.
Als Kind wollte ich katholisch werÂden, weil ich meine KamÂerÂaden darum beneiÂdete. Warum? Max Weber, ein KlasÂsikÂer der SoziÂoloÂgie, hat das gut beschrieben: Für gläuÂbige KathoÂliken ist die Welt voller ResÂoÂnanz. Man betritt eine Kirche, bekreuzigt sich am WeiÂhÂwasserÂbeckÂen. Die Berührung mit dem WassÂer macht etwas mit mir – sie ist eine materielle ResÂoÂnanz. Dann das ewige Licht, die Idee der GegenÂwart Gottes. Mit den HeiliÂgen kann man in Beziehung treten, der Weihrauch zieht in die Nase, das Kreuz am WegesÂrand erinÂnert mich. Die ProtesÂtanten haben das Meiste davon stumÂmgestellt. Es geht stark um das Wort und um den VerÂstand. VielleÂicht wurÂden dadurch aber auch neue, vielleÂicht sogÂar tieferÂliegende ResÂoÂnanzquellen erschlossen, in der KunÂst, in der Musik, in der Natur.
WeiÂhÂwassÂer und Musik hin oder her: Warum erzeuÂgen die grossen Kirchen nur noch so wenig ResÂoÂnanz?
Das ist ein grossÂes RätÂsel. RitÂuale könÂnen eben auch erstarÂren. Dann erleben wir sie, die eigentlich ResÂoÂnanz ausÂlösen sollen, umso stärkÂer als entÂfremÂdend. Du sitzt in der Kirche und denkst: «Das sagt mir gar nichts mehr.» Ich glaube, es hängt auch mit dem modÂerÂnen VerÂsprechen zusamÂmen, wir könÂnten uns die Welt verÂfügÂbar machen. Dazu hat die Kirche eben wenig anzuÂbiÂeten. Sie macht gar nichts verÂfügÂbar. JetÂzt, wo wir allerdÂings nach und nach merken, dass es mit dem VerÂfügÂbarÂmaÂchen nicht so richtig klappt, ist vielleÂicht Zeit für eine NeubesinÂnung.
Angesichts all der BeschleÂuÂniÂgung gerÂatÂen langÂsamere SysÂteme unter Druck. Sollen sich die Kirchen fügen, um nicht unterzugeÂhen? Oder werÂden sie gerÂade dann untergeÂhen, wenn sie sich anpassen?
Ich glaube, sie würde gut daran tun, sich nicht anzuÂpassen. AllerdÂings nicht mit dem Gefühl, abgeÂhängt zu sein, sonÂdern im BewusstÂsein und in der Absicht, ResÂoÂnanzräume zu schafÂfen. Ich würde nicht bedinÂgungsÂlos in die modÂerne Logik des VerÂfügÂbarÂmaÂchens einÂtreten. Wird das Lied «Meine Zeit steÂht in deinen HänÂden» eigentlich auch in der katholisÂchen TraÂdiÂtion gesunÂgen?
Ja.
Da geht es um eine alterÂnaÂtive Form, um das, was man Sakralzeit oder HeilÂszeit nenÂnen kann. Das scheint mir wichtig. Ich erinÂnere mich an eine DiskusÂsion mit meinem Vater. Er hatÂte WeiÂhÂnachtÂen satt. «Seit 2000 Jahren immer das GleÂiche», murÂrte er. Darauf sage ich: Ja genau, darum geht es.