Mit­ein­an­der gegen den reli­giö­sen Extremismus

Wie soll es wei­ter gehen nach dem Atten­tat auf die Redak­ti­on der Sati­re-Zeit­schrift «Char­lie Heb­do» von ver­gan­ge­ner Woche in Frank­reich? In Baden dis­ku­tier­te der Bade­ner Stadt­pfar­rer und Dom­herr, Josef Stü­bi, zusam­men mit Halit Duran, dem Prä­si­den­ten des Ver­ban­des Aar­gau­er Mus­li­me. Mit unter­schied­li­chen Mass­nah­men, so glau­ben bei­de, kann reli­giö­sen Extre­mi­sten der Nähr­bo­den ent­zo­gen werden. Herr Duran, Herr Stü­bi: Noch immer sind das Atten­tat auf «Char­lie Heb­do» und der isla­mi­sti­sche Ter­ror in aller Mun­de- Als Seel­sor­gen­de sind Sie sicher­lich schon mit Fra­gen, Äng­sten und ver­schie­de­nen Res­sen­ti­ments kon­fron­tiert wur­den. Josef Stü­bi: Es haben mir Men­schen ihre Betrof­fen­heit, ihr Unver­ständ­nis und auch ihr ihre Angst bekun­det. Auch die Aar­gau­er Zei­tung hat in die­sem Zusam­men­hang mit mir Kon­takt auf­ge­nom­men. Halit Duran: Auch ich habe vie­le Reak­tio­nen erhal­ten, vor allem Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen. Wir dür­fen nicht ver­ges­sen: Die Men­schen, die das tun, ver­tre­ten nicht den Islam.Wir haben nun schon wie­der das Pro­blem, dass der Islam in die extre­mi­sti­sche Ecke gestellt wird. Ver­schie­de­ne Stu­di­en wol­len mitt­ler­wei­le sogar erho­ben haben, dass Mus­li­me gegen­über Chri­sten drei­mal eher zu Fana­tis­mus nei­gen. Halit Duran: Ich bin vor­sich­tig mit der­ar­ti­gen Stu­di­en. Der genann­te Wert dünkt mich ten­den­zi­ös. Je nach­dem, was und wer gefragt wird, kom­men ganz unter­schied­li­che Resul­ta­te her­aus. Es ist aber schon so, dass Beten und Fasten bei uns Mus­li­men eine gros­se Bedeu­tung hat. Extre­mi­sten sind aber eine Min­der­heit.Die aber das öffent­li­che Bild des Islam besetzt, in der Öffent­lich­keit auf­tritt und Hass schürt. Halit Duran: Lei­der ist das so. Ich bedau­re, dass die Medi­en immer wie­der die­se Stim­men ein­fan­gen. Es dient der Sache der reli­giö­sen Ver­stän­di­gung nicht, wenn sich per­spek­ti­ven­lo­se Jugend­li­che oder pro­fi­lie­rungs­süch­ti­ge Kon­ver­ti­ten und Secon­dos mit einer nar­ziss­ti­schen Per­sön­lich­keits­stö­rung der­art pro­fi­lie­ren kön­nen. Im Gegen­teil. Die­se Leu­te kon­ver­tie­ren und kämp­fen für den IS aus der Fas­zi­na­ti­on, end­lich Jemand zu sein. Josef Stü­bi: Der Islam ist kei­ne kriegs­het­ze­ri­sche Reli­gi­on. Aber es gibt lei­der radi­ka­le Mus­li­me, wel­che die­se Bild durch­aus schü­ren. Gewiss kann man auch nicht gene­rell aus­schlies­sen, dass es radi­ka­le Chri­sten gibt. Aber doch nicht in die­ser gewalt­tä­ti­gen Art und Wei­se. Das Bild vom Islam wird zur­zeit lei­der besetzt von radi­ka­len Expo­nen­ten und aktu­el­le Vor­gän­ge, über die medi­al berich­tet wird tra­gen das Ihri­ge dazu bei.Die Mus­li­me müs­sen sich immer wie­der anhö­ren, dass sie nicht ent­schie­den genug gegen Extre­mi­sten vor­ge­hen. Halit Duran: Bereits vor dem Atten­tat in Paris haben wir mit den Ima­men und Moschee-Prä­si­den­ten Sit­zun­gen abge­hal­ten. Wir haben die Mus­li­me infor­miert, was geschieht, haben auf­ge­rüt­telt, den Ter­ror ver­ur­teilt. Und mit dem Inte­gra­ti­ons­preis set­zen die Aar­gau­er Mus­li­me jeden­falls ein star­kes Zei­chen für ein fried­li­ches Mit­ein­an­der unter den Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten. Aber all die­se Din­ge wur­den in der Öffent­lich­keit zu wenig wahr­ge­nom­men.Im Grun­de, Herr Stü­bi, haben wir Chri­sten zu wenig von dem, was der Islam zu viel hat und für ihn zum Pro­blem wird: Der Glau­be spielt für uns nicht die­sel­be Rol­le wie bei den Mus­li­men, er ver­dun­stet gera­de­zu. Josef Stü­bi: Man kann nicht ein­fach sagen, der Glau­be ver­dun­stet. Die Kon­fes­sio­na­li­tät bröckelt. Welt­weit aller­dings ver­zeich­net die Römisch-Katho­li­sche Kir­che für das letz­te Jahr einen mas­si­ven Zuwachs an Mit­glie­dern. Und es gibt auch bei uns neben Aus­trit­ten auch Kir­chen­ein­trit­te. Für die Pfar­rei Baden waren dies im letz­ten Jahr 12 Ein­trit­te.Herr Duran, was kann denn getan wer­den, um aktiv das Bild des Islam bei uns zu ver­än­dern. Halit Duran: Zunächst ein­mal müs­sen wir Mus­li­me etwas gelas­se­ner wer­den im Umgang mit unse­rer Reli­gi­on. Vie­le Mus­li­me füh­len sich ange­grif­fen und ver­letzt durch Islam-Kari­ka­tu­ren. Das ist eine Sub­kul­tur, zu der vie­le Mus­li­me kei­nen Zugang haben. Josef Stü­bi: Eine wich­ti­ge Lösung der Pro­ble­me liegt in der Ver­net­zung, im leben­di­gen Mit­ein­an­der. Wenn Men­schen ein­an­der ken­nen, tut man sich nicht gegen­sei­tig etwas an, auch wenn man nicht der glei­chen Reli­gi­on ange­hört. In die­sem Sinn ver­su­chen wir all­jähr­lich mit dem «Gebet der Reli­gio­nen» einen Bei­trag zu lei­sten. Chri­sten, Mus­li­me, Juden und Ver­tre­ter ande­rer Reli­gio­nen beten mit­ein­an­der. Bei den vor­be­rei­ten­den Gesprä­chen habe ich bemerkt, dass gewis­se Gebets­for­men und Gebräu­che im Islam und im Katho­li­zis­mus ein­an­der recht ähn­lich sind. Zudem tref­fen sich bei uns jähr­lich unse­re Fir­man­den und die refor­mier­ten Kon­fir­man­den in unse­rer Pfar­rei mit Jugend­li­chen Juden, Mus­li­men, Hin­dus und Bud­dhi­sten, um sich mit­ein­an­der über die Glau­bens­wel­ten aus­zu­tau­schen.Gelas­sen­heit allein kann es ja noch nicht sein, oder? Halit Duran: Wir müs­sen der Aus­le­gung des Korans mehr Bedeu­tung bei­mes­sen. Ara­bisch ist eine sehr rei­che Spra­che, die bei Über­set­zun­gen gros­sen Spiel­raum lässt. Wenn ein­zel­ne Text­stel­len aus dem Kon­text her­aus inter­pre­tiert und instru­men­ta­li­siert wer­den, rich­tet das gros­sen Scha­den an. Josef Stü­bi: Auch in der Bibel darf man ein­zel­ne Ver­se nicht ein­fach iso­liert betrach­ten. Das führt auch hier zu Falschaus­le­gun­gen. Man muss stets den Zusam­men­hang beach­ten. Halit Duran: Extre­me geben den Ver­sen manch­mal eine ande­re Bedeu­tung, weil nur die Hälf­te eines Sat­zes abge­bil­det wird. Nir­gends im Koran fin­det sich die Aus­sa­ge, dass Anders­gläu­bi­ge getö­tet wer­den müs­sen, oder dass jemand bes­ser oder schlech­ter ist. Islam bedeu­tet eigent­lich nichts ande­res als «Frie­den». Gegen­sei­ti­ger Respekt vor ande­ren Reli­gio­nen, das ist auch das Ziel des Islam.Der Ruf nach in der Schweiz gebo­re­nen und in der Schweiz aus­ge­bil­de­ten Ima­men wird immer lau­ter. Was bringt das? Halit Duran: Mit Blick auf die Aus­le­gung des Korans und der isla­mi­schen Glau­bens­pra­xis im Westen gewiss sehr viel. Kommt hin­zu, dass ein Schwei­zer Imam mit Sicher­heit einen bes­se­ren Draht zu den Jun­gen knüp­fen kann.Und die öffent­lich-recht­li­che Aner­ken­nung des Islam? Halit Duran: Das wäre ein star­kes Zei­chen der Aner­ken­nung und wür­de den Radi­ka­len den Wind aus den Segeln neh­men. Josef Stü­bi: Für eine öffent­lich-recht­li­che Aner­ken­nung müss­ten aber demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren geschaf­fen wer­den. Dies war sei­ner­zeit für die römisch-katho­li­sche Kir­che auch eine Her­aus­for­de­rung. Halit Duran: Der Islam ist demo­kra­tisch. Sun­ni­ten bei­spiels­wei­se ken­nen kei­ne Hier­ar­chie. Demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren sind also mit dem Islam durch­aus ver­ein­bar.Die Schii­ten haben aber ihre Aya­tol­lahs. Heisst das, der Islam ist ähn­lich viel­fäl­tig wie das Chri­sten­tum? Josef Stü­bi: Wie jede Reli­gi­on Halit Duran: Das trifft schon zu. Im Islam gibt es ver­schie­de­ne Grup­pie­run­gen…Andre­as C. Müller 
Andreas C. Müller
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