Den ethiÂschen Anspruch in RechtsÂtexÂte umsetzen
Den ethiÂschen Anspruch in RechtsÂtexÂte umsetzen
Im InterÂview spricht AdriÂan LoreÂtan über MenÂschenÂrechÂte in der kathoÂliÂschen KirÂche und im Allgemeinen
Vor 75 JahÂren, am 10. DezemÂber 1948, verÂabÂschieÂdeÂte die UNO-GeneÂralÂverÂsammÂlung die AllÂgeÂmeiÂne ErkläÂrung der MenÂschenÂrechÂte (AEMR). SeitÂdem gibt es ein InstruÂment gegen MachtÂmissÂbrauch, auch in der KirÂche, sagt AdriÂan Loretan. MenÂschenÂwürÂde und MenÂschenÂrechÂte fanÂden auch EinÂzug in DokuÂmenÂte des ZweiÂten VatiÂkaÂniÂschen KonÂzils. WelÂche PunkÂte waren neu für die kathoÂliÂsche Kirche? AdriÂan LoreÂtan: Papst JohanÂnes XXIII. beginnt mitÂten im KonÂzil 1963 menÂschenÂrechtÂlich zu arguÂmenÂtieÂren in der EnzyÂkliÂka Pacem in terÂris. DieÂser WenÂde schliesst sich das KonÂzil an. Es gibt «in der KirÂche keiÂne UngleichÂheit aufÂgrund von […] soziaÂler StelÂlung oder Geschlecht» (LG 32). Das KonÂzil verÂneint so ausÂdrückÂlich jede TheoÂrie oder PraÂxis, «die zwiÂschen Mensch und Mensch […] bezügÂlich der MenÂschenÂwürÂde und der darÂaus fliesÂsenÂden RechÂte einen UnterÂschied macht […], weil dies dem Geist ChriÂsti widerÂspricht» (NA 5). Daher muss «jede Form einer DisÂkriÂmiÂnieÂrung […] beseiÂtigt werÂden, da sie dem Plan GotÂtes widerÂspricht» (GS 29). Dies ist keiÂne sozioÂloÂgiÂsche BeschreiÂbung der WirkÂlichÂkeit, sonÂdern eine norÂmaÂtiÂve Sicht, wie es sein müssÂte, aber nicht ist.
Hat die kathoÂliÂsche KirÂche SchritÂte unterÂnomÂmen, damit die RechÂte, die sie wähÂrend des ZweiÂten VatiÂkaÂniÂschen KonÂzils forÂmuÂliert hat, auch einÂgeÂforÂdert werÂden können? Der TheoÂloÂge Karl RahÂner hat mich motiÂviert, KirÂchenÂrechtsÂwisÂsenÂschaft zu stuÂdieÂren. Er verÂtritt die AufÂfasÂsung, dass das KonÂzil zur MakuÂlaÂtur verÂkommt, wenn dieÂse KonÂzilsÂtexÂte nicht in verÂbindÂliÂches VerÂfasÂsungsÂrecht der KirÂche überÂsetzt werÂden. Papst Paul VI. hatÂte dieÂses AnlieÂgen aufÂgeÂnomÂmen in einem GrundÂrechtsÂkaÂtaÂlog der kirchÂliÂchen VerÂfasÂsung (Lex EccleÂsiae FunÂdaÂmenÂtaÂlis), die aber von JohanÂnes Paul II. nicht in Kraft gesetzt wurÂde.
Die vom KonÂzil beschrieÂbeÂne WürÂde der PerÂson (DH 1), die GleichÂstelÂlung der GläuÂbiÂgen (LG 32), das DisÂkriÂmiÂnieÂrungsÂverÂbot (GS 29), die ReliÂgiÂonsÂfreiÂheit (DH) und die menÂschenÂrechtÂliÂche ArguÂmenÂtaÂtiÂon des oberÂsten LehrÂamÂtes bekomÂmen erst als rechtÂliÂche GrösÂsen ihre VerÂbindÂlichÂkeit. MenÂschenÂrechÂte sind ja ein InstruÂment gegen den MachtÂmissÂbrauch in der KirÂche, wie es die erste BischofsÂsynÂode 1967 sehr klar forÂmuÂliert hat.
WähÂrend die kathoÂliÂsche KirÂche nach ausÂsen eine VerÂfechÂteÂrin der MenÂschenÂwürÂde ist, scheint sie kirÂchenÂinÂtern einen andeÂren MassÂstab zu haben. Wie begrünÂdet sie dieÂsen ungleiÂchen Umgang mit den Grundrechten?Die KirÂche will die GrundÂsätÂze der soziaÂlen OrdÂnung verÂkünÂdiÂgen, «insoÂweit die GrundÂrechÂte der menschÂliÂchen PerÂson […] dies erforÂdern» (c. 747 § 2). Genau an dieÂsen GrundÂrechÂten, die die KirÂche nach ausÂsen verÂkünÂdet in ihrer SoziÂalÂlehÂre, wird sie nun nach innen gemesÂsen. Denn man kann nicht WasÂser preÂdiÂgen und Wein trinÂken.SolanÂge das gelÂtenÂde Recht der KirÂche von einem schranÂkenÂloÂsen VorÂbeÂhalt zugunÂsten der kirchÂliÂchen AutoÂriÂtät ausÂgeht, kann von GrundÂrechÂten in einem strikÂten Sinn in der KirÂche nicht die Rede sein. Deren Wesen besteht darÂin, dass sie der AusÂübung des Amtes SchranÂken setzt. Genau dieÂse schranÂkenÂloÂse AutoÂriÂtät führt zum MachtÂmissÂbrauch. Ohne garanÂtierÂte MenÂschenÂrechÂte könÂnen sich die Opfer sexuÂelÂler Gewalt nicht gegen die AmtsÂperÂsoÂnen wehÂren.
75 JahÂre nach der VerÂabÂschieÂdung der AEMR werÂden noch immer die GrundÂrechÂte unsägÂlich vieÂler MenÂschen beschnitÂten. Was müssÂte gescheÂhen, damit die EinÂhalÂtung der MenÂschenÂrechÂte zur SelbstÂverÂständÂlichÂkeit mutierte?MenÂschenÂrechÂte sind eine HerÂausÂforÂdeÂrung. Wenn sie dann selbstÂverÂständÂlich geworÂden sind, dann ist zu überÂprüÂfen, ob sie schon im Reich GotÂtes angeÂkomÂmen sind. Der Anwalt der ÄrmÂsten, ChriÂstus, meint: «Was ihr für eine/n meiÂner geringÂsten BrüÂder und SchweÂstern getan habt, das habt ihr mir getan.» (Mt 25,40). Kann man das AnlieÂgen der MenÂschenÂrechÂte besÂser forÂmuÂlieÂren? Ich glauÂbe schon. Die FolÂter der sexuÂelÂlen Gewalt wird erst abgeÂschafft, wenn wir im Opfer sexuÂelÂler Gewalt, auch einen MenÂschen, also eine PerÂson erkenÂnen, ChriÂstus erkenÂnen (Mt 25,40), der eine «menÂschenÂwürÂdiÂge» BehandÂlung verÂdient. MenÂschen solÂlen sich gegenÂseiÂtig als GleiÂche, als EbenÂbilÂder GotÂtes (Gen 1,26), anerÂkenÂnen und gleichÂzeiÂtig in ihrer AndersÂheit respekÂtieÂren, wie die GolÂdeÂne Regel der BergÂpreÂdigt Jesu (Mt 7,12), rechtÂlich überÂsetzt im DecreÂtum GraÂtiaÂni (1140), es schon seit zwei JahrÂtauÂsenÂden forÂdert.
Wie kann die AEMR umgeÂsetzt werden?Der ethiÂsche Anspruch muss in RechtsÂtexÂten umgeÂsetzt werÂden. Die MenÂschenÂwürÂde und die darÂaus fliesÂsenÂden MenÂschenÂrechÂte, auch der KinÂder, wird z.B. durch die RatiÂfiÂzieÂrung der KinÂderÂrechtsÂkonÂvenÂtiÂon durch den HeiÂliÂgen Stuhl völÂkerÂrechtÂlich unterÂstriÂchen. Aber ohne rechtÂliÂche ÃœberÂsetÂzung ins gelÂtenÂde Recht der KirÂche, einer InstiÂtuÂtiÂon von 1,4 MilÂliÂarÂden MenÂschen, bleibt dieÂse VölÂkerÂrechtsÂkonÂvenÂtiÂon ebenÂfalls MakuÂlaÂtur. Auch der interÂnaÂtioÂnaÂle ÃœberÂwaÂchungsÂausÂschuss der UN-KinÂderÂrechtsÂkonÂvenÂtiÂon weist die KirÂche immer wieÂder darÂauf hin, dass sie die KinÂderÂrechÂte noch nicht in ihr VerÂfasÂsungsÂrecht aufÂgeÂnomÂmen hat, obwohl der HeiÂliÂge Stuhl die KinÂderÂrechtsÂkonÂvenÂtiÂon ratiÂfiÂziert hat. An der UN-KinÂderÂrechtsÂtaÂgung vom 12./13. März 2024 an der UniÂverÂsiÂtät Luzern wird die eheÂmaÂliÂge StaatsÂpräÂsiÂdenÂtin Irlands und KinÂderÂrechtsÂexperÂtin, Mary McAÂleeÂse, die RechÂte der KinÂder einÂforÂdern, z.B. das Recht auf gewaltÂfreie ErzieÂhung (Art 19 der UN-KinÂderÂrechtsÂkonÂvenÂtiÂon).
DieÂses InterÂview wurÂde schriftÂlich von MariÂanÂne Bolt geführt. Das vollÂstänÂdiÂge InterÂview ist im PfarÂreiÂblatt 50/51 des KanÂtons Zug zu finden.___________________________________
ErläuÂteÂrung der AbkürÂzunÂgen:
LG = Lumen genÂtiÂum (DogÂmaÂtiÂsche KonÂstiÂtuÂtiÂon der KirÂche)
NA = NostÂra aetÂaÂte (ErkläÂrung über die HalÂtung der KirÂche zu den nichtÂchristÂliÂchen ReliÂgioÂnen)
GS = GauÂdiÂum et spes (PastoÂralÂkonÂstiÂtuÂtiÂon über die KirÂche in der Welt von heuÂte)
DH = DigniÂtaÂtis humÂaÂnae (ErkläÂrung über die ReliÂgiÂonsÂfreiÂheit)
c. 747 § 2= ArtiÂkel 2 des Codex des KanoÂniÂschen Rechtes