Eine leere Kirche voller Geschichten

Eine leere Kirche voller Geschichten

  • Für Aben­teuer, Ent­deck­un­gen und kun­sthis­torische Aha-Erleb­nisse braucht es keine weite Reise: Geschicht­strächtige Orte mit beson­der­er Spir­i­tu­al­ität gibt es gle­ich um die Ecke.
  • Zum Beispiel die Klosterkirche Königs­felden, die zum «Muse­um Aar­gau» gehört.
  • Hor­i­zonte unter­nahm eine Führung mit Kindern durch die Kirche, in der die grossen Ereignisse der europäis­chen Geschichte ihre Spuren hin­ter­lassen haben.

Schon bevor die Führung begin­nt, zeigt sich, dass die Inter­essen von Kindern und Erwach­se­nen bei ein­er Kirchen­führung ver­schieden sind. Während die Müt­ter die Kirche aus allen Winkeln fotografieren, spie­len die Kinder Fangis zwis­chen den Blu­men­töpfen und schieben mit ihren Turn­schuhen den Kies auf dem Platz zu Häufchen zusam­men.

Bar­bara Stüs­si-Lauter­burg leit­et seit vie­len Jahren Führun­gen an den ver­schiede­nen Stan­dorten des Muse­um Aar­gau, zu dem auch die Kirche in Königs­felden gehört. Sie begin­nt mit ein­er Frage an die Kinder: Warum heisst dieser Ort über­haupt «Königs­felden»? «Das hat mit einem König auf einem Feld zu tun», sind sich alle einig.

Der König auf dem Feld

Die Exper­tin nickt: «Der König hiess Albrecht I.» Im Früh­ling vor mehr als 700 Jahren, am 1. Mai 1308, zog er von Baden her in Rich­tung Rhein. Mit dabei war sein Neffe Johann von Schwaben. Er plante einen Mor­dan­schlag auf seinen Onkel, weil dieser sein Erbe unter Ver­schluss hielt. Während der Rest des Gefolges noch mit dem Boot die Reuss über­querte, ritt König Albrecht I. mit Johann und dessen Ver­bün­de­ten die Anhöhe nach Windisch hin­auf. Oben auf dem Feld ris­sen die Män­ner den König vom Pferd und ermorde­ten ihn mit ihren Schw­ert­ern.

Albrecht I. hin­ter­liess eine Frau und elf Kinder. Zum Gedenken und damit die Seele ihres Mannes Frieden fände, stiftete seine Gemahlin Elis­a­beth eine Kirche und zwei Klöster. Die Klarissin­nen im Frauen­kloster beteten für Albrecht. Die Franziskan­er­mönche im Män­nerk­loster lasen die Messen für ihn.

Rebek­ka Sieber, Kun­stver­mit­t­lerin im Muse­um Lang­matt in Baden, hat ein paar ein­fache Ideen, wie der Besuch eines Muse­ums oder ein­er his­torischen Stätte für Kinder zum Erleb­nis wer­den kann.

- Alle Sinne brauchen: Wie kön­nte dieses Bild riechen? Welch­es Geräusch fällt dir zu dieser Skulp­tur ein?
- Den Besuch in ein­er Kirche oder in einem Muse­um in ein Such­spiel ver­pack­en und ver­steck­te Details auf­spüren: Wo sitzen die Engel? Wie viele Vögel find­est du auf dem Kirchen­fen­ster?
- Zusam­men mit dem Kind eine Geschichte zum besucht­en Ort oder einem Ausstel­lung­sob­jekt erfind­en.
- Skizzen­buch und Stifte mit­nehmen und vor Ort etwas abze­ich­nen, das einem beson­ders gefällt. Das ergibt einen Moment der Ruhe und Konzen­tra­tion, der in Erin­nerung bleibt.

Kinder wollen Details wissen

Die Geschichte des Mordes am Hab­s­burg­erkönig Albrecht I. ist nur ein klein­er Auss­chnitt aus der Geschichte der Dynas­tie. Während die Erwach­se­nen gerne möglichst viel Kon­text hören, um das grosse Ganze zu überblick­en, pick­en die Kinder Einzel­heit­en her­aus: Was bedeutet dieses Wap­pen? Was ist ein Sarkophag? Bar­bara Stüs­si weiss zum Glück auf alles eine Antwort. Im Chor­raum zeigt sie den Kindern die Stelle, wo Albrecht I. starb. Dort stand früher der Altar.

Heute ist der Altar weg. Auch son­st ist die Kirche fast ohne Schmuck und Bilder. Bar­bara Stüs­si erk­lärt, dass im Zuge der Ref­or­ma­tion nicht nur die bei­den Klöster aufge­hoben wur­den, son­dern auch die Kirche aus­geräumt und die Altäre ver­bran­nt. Der Kirchen­raum ist fast leer. «Die Kirche diente vor allem dem Totenge­denken», resümiert Bar­bara Stüs­si. Sie erin­nert sich, dass in ihrer Kind­heit in der Kirchen­gruft noch die ange­blichen Schädel der Rit­ter lagen. Seit der Ren­o­va­tion in den 1980er-Jahren sind diese Schädel jedoch spur­los ver­schwun­den.

Kirche diente dem Totengedenken

Dann zieht eine Holztafel mit gemal­ten Porträts die kindliche Aufmerk­samkeit an: «Was sind das für Rit­ter?», fragt der Zweitäl­teste. Es sind Her­zog Leopold III. und seine Rit­ter. Diejeni­gen Hab­s­burg­er, die in der Schlacht von Sem­pach im Jahr 1386 gegen die Eidgenossen gefall­en sind. Einem der Kinder fällt auf, dass fünf der Porträtierten das gle­iche Wap­pen bei sich tra­gen. «Fünf Söhne aus der gle­ichen Fam­i­lie», sagt Bar­bara Stüs­si.

Ein Feldstecher wäre praktisch

Berühmt ist die Kirche Königs­felden vor allem wegen ihrer Glas­fen­ster. Sie sind zwis­chen 1320 und 1360 ent­standen und gehören zu den her­aus­ra­gen­den Werken der europäis­chen Glas­malerei im Spät­mit­te­lal­ter. Bar­bara Stüs­si erk­lärt, dass man die Fen­ster von unten nach oben lesen muss. So instru­iert, ent­deck­en die Kinder auf einem Fen­ster ganz unten einen Engel mit Maria. Ein wenig darüber die Krippe mit dem Jesuskind und Hirten. Wieder darüber die drei Könige. Alle schauen angestrengt hin­auf. Eigentlich wäre ein Feld­stech­er prak­tisch, find­et der Jüng­ste. In einem Buch zeigt Bar­bara Stüs­si, wie solche Glas­fen­ster hergestellt wur­den. Es ist eine aufwendi­ge Han­dar­beit, die noch heute auf die fast gle­iche Weise aus­ge­führt wird.

An der Geschichte mitgeschrieben

Es sind wichtige Kapi­tel der europäis­chen Geschichte, an denen die Klosterkirche Königs­felden mit­geschrieben hat. Die Herrschaft der Hab­s­burg­er, die Ref­or­ma­tion und die Geschichte der Eidgenossen­schaft sind mit diesem Ort ver­bun­den. Es sind aber vor allem die kleinen Dinge, welche die Kinder beein­druckt haben: Die aus einem einzi­gen Stamm geschnitzte Holztruhe. Die Abbil­dung von Franz von Assisi, dem sog­ar die Vögel zuhören. Der grosse Schlüs­sel zur ehe­ma­li­gen Schatzkam­mer. Und die Ponys und Esel, die vor der Kirche auf dem Feld des Königs friedlich grasen.

Marie-Christine Andres Schürch
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