«Gender» – jenseits von Wahnsinn und Gaga
In Regenbogenfamilien ist mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich beziehungsweise intergeschlechtlich und/ oder nichtbinär.
Bild: © Marie-Christine Andres

«Gender» – jenseits von Wahnsinn und Gaga

Eine Veranstaltungsreihe zum Thema «Gottes vielfältige Menschheit. LGBTQ AI was geht mich das an?»

Die siebenteilige Veranstaltungsreihe des Ökumenischen Forums in Muttenz will informieren, klären und aufzeigen, dass Diversität eine Bereicherung für alle Menschen ist. Alessandra Widmer, Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS) machte den Anfang mit ihrem Referat zur «Sexuelle Orientierung».

Was bedeutet «Gen­der» und ist das nur eine Mod­eer­schei­n­ung? Um solche Fra­gen ging es am ersten Anlass des Öku­menis­chen Forums für Ethik und Gesellschaft in Mut­tenz. Als Ref­er­entin zu Gast war Alessan­dra Wid­mer, Co-Geschäft­slei­t­erin der Les­benor­gan­i­sa­tion Schweiz (LOS), die sich für die rechtliche und gesellschaftliche Gle­ich­stel­lung von Les­ben, Bisex­uellen und queeren Frauen ein­set­zt. Ihr Co-Ref­er­ent, der Psy­chi­ater Udo Rauch­fleisch, musste krankheit­shal­ber absagen.

Information hilft gegen Polemik

Sach­liche Infor­ma­tio­nen zum The­ma «Gen­der» seien nötig, denn der Wind im öffentlichen Diskurs sei rau. Der harte Abstim­mungskampf zur Ehe für alle habe die Akzep­tanz für queere Men­schen ver­schlechtert. Sor­gen macht Alessan­dra Wid­mer der «Back­lash», der mit der Ein­schränkung der Rechte für Frauen und Min­der­heit­en in den USA ein­herge­he. Diese Entwick­lung schwappe mit Verzögerung auf Europa über. In dieser Atmo­sphäre müssten die erstrit­te­nen Rechte bewahrt wer­den. Weit­ere Rechte zu bekom­men, sei eher schwierig, sagt die Co-Geschäft­slei­t­erin der LOS. «Infor­ma­tion hil­ft gegen Polemik», sagte die Ref­er­entin und erk­lärte dem inter­essierten Pub­likum im Kirchge­mein­de­haus Fel­dreben als erstes das Akro­nym LGBTQIA+ Buch­stabe für Buch­stabe.

  • L ste­ht für les­bisch und meint Frauen, die Frauen begehren und lieben.
  • G ste­ht für gay und meint Män­ner, die Män­ner begehren und lieben.
  • B ste­ht für bisex­uell und beze­ich­net Men­schen, die sich zu bei­den Geschlechtern hinge­zo­gen fühlen.
  • T ste­ht für transgeschlechtlich/transgender und meint Men­schen, die sich selb­st nicht mit dem ihnen zugewiese­nen Geschlecht iden­ti­fizieren kön­nen. Die meis­ten Men­schen wer­den als cis beze­ich­net. Im Unter­schied zu trans Men­schen stimmt bei den cis Men­schen ihr biol­o­gis­ches Geschlecht mit der eige­nen Geschlecht­si­den­tität übere­in.
  • Q ste­ht für das englis­che Wort «queer» und bedeutet «selt­sam». Es wurde als Schimpf­wort gegen nicht het­ero­sex­uelle Men­schen ver­wen­det. Heute benutzt es die queere Gemein­schaft als Selb­st­beze­ich­nung. Nicht alle Men­schen, die nicht der het­ero­sex­uellen Norm entsprechen, beze­ich­nen sich jedoch als queer.
  • I ste­ht für Intergeschlechtlichkeit und ori­en­tiert sich am biol­o­gis­chen Geschlecht eines Men­schen. Intergeschlechtliche Men­schen wer­den mit ein­er kör­per­lichen Var­i­anz geboren. Sie haben zum Beispiel sowohl weib­lich als auch männliche primäre Geschlecht­sor­gane oder haben eine Var­i­anz bei den Geschlecht­shormo­nen. Oft erken­nen sie diese Var­i­anz erst in der Pubertät oder bei einem allfäl­li­gen Kinder­wun­sch.
  • A ste­ht für asex­uell und aro­man­tisch. Asex­uelle Men­schen lieben, ohne dass sie begehren. Aro­man­tis­che Men­schen wollen keine roman­tis­che Beziehung einge­hen mit einem anderen Men­schen. Das heisst aber nicht, dass sie keine Beziehun­gen leben.
  • + ste­ht für alles andere. Das Spek­trum von Sex­u­al­ität und Begehren ist mit den oben­ge­nan­nten Kat­e­gorien nicht abgeschlossen.

Eine umstrittene Kategorie

Unsere Gesellschaft ist geprägt von ein­er Weltan­schau­ung, die alle Men­schen auf­grund biol­o­gis­ch­er Merk­male in zwei Kat­e­gorien ein­teilt: Frauen und Män­ner. Dazu gehören Vorstel­lun­gen, wie Frauen und Män­ner sich zu ver­hal­ten haben. Diese het­ero­nor­ma­tive Ein­teilung stimme für  rund zehn Prozent der Men­schen nicht. Denn neben einem biol­o­gis­chen Geschlecht gebe es ein soziales, gefühltes Geschlecht, das als «Gen­der» beze­ich­net wird. «Hier im Pub­likum kön­nten also fünf queere Men­schen sitzen”, sagte Alessan­dra Wid­mer. Genaue Zahlen gebe es keine, weil die Geschlecht­si­den­tität und die sex­uelle Ori­en­tierung nicht erfasst wer­den. Nicht zulet­zt darum, weil queere Men­schen fürcht­en müssten, auf­grund der Erhe­bun­gen diskri­m­iniert zu wer­den.

«Wie viele der fol­gen­den Aus­sagen stim­men auf Sie zu?», fragte Alessan­dra Wid­mer das Pub­likum und gab einen Denkanstoss, der die Leben­sre­al­ität queer­er Men­schen ver­ständlich machen sollte.

Wie viele Frage kön­nen Sie mit «Ja» beant­worten?

  • Ich habe noch nie irgend­wo ein Com­ing-out gemacht.
  • Meine engen Arbeit­skol­legin­nen und Kol­le­gen ken­nen den Namen des Men­schen, den ich liebe.
  • Andere haben noch nie ver­sucht, meine roman­tis­che oder sex­uelle Ori­en­tierung zu ändern.
  • Ich kann mit mein­er Fam­i­lie offen über mein Beziehungsleben sprechen.
  • Ich musste mein Kind adop­tieren, damit es ein­mal von mir erbt.
  • Ich kann in der Öffentlichkeit Händ­chen hal­ten, ohne Angst vor Gewalt zu haben.
  • Ich habe noch nie das Geschlecht mein­er Partnerin/meines Part­ners ver­schwiegen.
  • Ich wurde noch nie gefragt, wie ich eigentlich Sex habe.

Alessan­dra Wid­mer, Co-Geschäft­s­führerin der Les­benor­gan­i­sa­tion Schweiz (LOS) © Adri­an Moser / Tame­dia AG

Ein Meilenstein: Ehe für alle

Für queere Men­schen tre­f­fen einige oder vielle­icht alle dieser Aus­sagen nicht zu. Queere Men­schen erführen in vie­len Lebens­bere­ichen Diskri­m­inierung, sagte Alessan­dra Wid­mer. Aber es gebe auch pos­i­tive Entwick­lun­gen zu verze­ich­nen. Alessan­dra Wid­mer berichtete von der «Ehe für alle», für welche die Les­benor­gan­i­sa­tion gekämpft hat­te. Heute dür­fen gle­ichgeschlechtliche Paare heirat­en, Kinder adop­tieren und les­bis­che Paare haben Zugang zur geset­zlich geregel­ten Samen­spende in der Schweiz. Doch es gebe noch Verbesserungspoten­zial. Das Recht der Co-Mut­ter in ein­er les­bis­chen Ehe sei zu wenig gut abgesichert für sie und das Kind. Sterbe etwa die leib­liche Mut­ter, bevor die Co-Mut­ter das Kind adop­tieren kon­nte, sei das Ver­hält­nis zwis­chen ihnen rechtlich nicht abgesichert, was zu Kom­p­lika­tio­nen führen könne.

Regen­bo­gen­feiern in der OKE in Basel

Die Offene Kirche Elis­a­bethen in Basel ver­anstal­tet regelmäs­sig Regen­bo­gen­feiern. Hier gelan­gen Sie zur Agen­da.

Pride: Kampagne und Gottesdienste statt Parade - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz
Regen­bo­gen­feier © Marie-Chris­­tine Andres

Konversionsmassnahmen – heilen, was nicht krank ist

Ausser­dem seien in der Schweiz Kon­ver­sion­s­mass­nah­men auf nationaler Ebene nicht ver­boten. Mit Kon­ver­sion­s­mass­nah­men oder Kon­ver­sion­s­ther­a­pi­en ver­suchen Ther­a­peuten, Coach­es oder Seel­sor­gende queere Men­schen von ihrer ver­mei­dlich falschen sex­uellen Ori­en­tierung zu heilen. «Solche Mass­nah­men nützen nicht nur nichts, son­dern sie richt­en häu­fig grossen Schaden an», sagt Alessan­dra Wid­mer. Nur die Kan­tone Genf, Wal­lis, Waadt und Neuen­burg ver­bi­eten die Kon­ver­sion­s­mass­nah­men. In vie­len Kan­to­nen ist ein Vorstoss hängig. Graubün­den und Schwyz pla­nen keine Mass­nah­men, andere warten auf eine nationale Lösung.

Das können Sie tun

Zum Abschluss des Abends gab Alessan­dra Wid­mer dem Pub­likum noch einige Tipps mit auf den Weg. Wer sich für die queere Gemein­schaft ein­set­zen wolle, solle Organ­i­sa­tio­nen ideell und finanziell unter­stützen, die sich für queere Rechte ein­set­ze. Auch in der Poli­tik brauche es Unter­stützung für deren Anliegen. «Macht euch stark für queere Men­schen in eur­er Fam­i­lie, am Arbeit­splatz, in der Öffentlichkeit», sagte die Ref­er­entin, «zum Beispiel, wenn jemand einen blö­den Witz macht.»

Infor­ma­tio­nen zu den Ver­anstal­tun­gen find­en Sie auf der Seite des Kirchen­fo­rums.

Im Abschnitt «Eine umstrit­tene Kat­e­gorie» wur­den am 3.2.2025 um 10 Uhr einige Präzisierun­gen vorgenom­men.

Eva Meienberg
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