Die­se Men­schen machen unse­re Arbeit

Die­se Men­schen machen unse­re Arbeit

  • Der Illu­stra­tor Dani­el Lien­hard will die Men­schen sicht­bar machen, die pre­kä­re Arbei­ten verrichten.
  • Sei­ne Aus­stel­lung zeigt zwölf Bild­mon­ta­gen mit Heiligen.
  • Damit woll­te der Illu­stra­tor die Men­schen, die ganz unten in der Gesell­schaft sind, erhöhen.

Muss­ten Sie in Ihrem Leben schon ein­mal soge­nann­te Drecks­ar­beit machen?

Dani­el Lien­hard: Wenn Sie Drecks­ar­beit als Arbeit ver­ste­hen, die kei­ner machen will: Nein, das muss­te ich nie. Aber ich ken­ne pre­kä­re Arbeits­ver­hält­nis­se aus eige­ner Erfah­rung. Ich hat­te die­se Arbei­ten jedoch selbst gewählt. Als 27-Jäh­ri­ger habe ich mit einem Kol­le­gen eine Pri­vat­schu­le gegrün­det. In den ersten Jah­ren konn­ten wir uns nur einen Hun­ger­lohn aus­zah­len. Vom Unter­rich­ten bis zum Put­zen der Schul­toi­let­ten haben wir alles gemacht.

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Sind Men­schen, die sol­che Tätig­kei­ten aus­füh­ren müs­sen, qua­si die Arbeits­skla­vin­nen und ‑skla­ven von heute?

Unse­re Ser­vice-Gesell­schaft braucht Skla­vin­nen und Skla­ven, die die­se Ser­vice­lei­stun­gen erbrin­gen. Wenn ich klick-klick im Inter­net etwas bestel­le, dann will ich es auch subi­to gelie­fert bekom­men. Also muss das jemand ver­packen. Und jemand muss es mir an die Haus­tür brin­gen. Ab einem bestimm­ten Bestell­wert zah­le ich nicht ein­mal Lie­fer­ko­sten. Schon dar­aus kann ich erah­nen, wie wenig die Ver­packe­rin und der Post­bo­te ver­die­nen. Der mas­si­ve Wohl­stand in unse­ren Brei­ten – wohl­ver­stan­den immer nur für einen Teil der Leu­te – kann nur auf­recht erhal­ten wer­den durch das Aus­nüt­zen der Zudie­ne­rin­nen und Zudie­ner des Systems.

Sie haben in einer Bild­se­rie Hei­li­gen­fi­gu­ren an die Stel­le der Leu­te gerückt, die in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen arbeiten.

In mei­ner Arbeit als Illu­stra­tor kom­bi­nie­re ich ger­ne Ele­men­te aus ver­schie­de­nen Wel­ten und hof­fe auf einen Über­ra­schungs­ef­fekt. Hier also Hei­li­ge aus der Welt von Reli­gi­on und Spi­ri­tua­li­tät mit Arbeits­ver­hält­nis­sen in der frei­en Markt­wirt­schaft. Im besten Fall funk­tio­niert das dann wie in der Che­mie, wenn man zwei Sub­stan­zen zusam­men­bringt. Es gibt einen Fun­ken oder es knallt. Im aller­be­sten Fall sehen sie beim näch­sten Mal im Super­markt die Ange­stell­ten mit ande­ren Augen.

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Sind Men­schen, die als Paket­zu­stel­ler, Kran­ken­schwe­stern, Putz­frau­en, Güsel­män­ner arbei­ten, die Mär­ty­re­rin­nen und Mär­ty­rer unse­rer Marktwirtschaft?

Nein, so habe ich es nicht gese­hen. Ich woll­te bloss, dass man die Leu­te ansieht, die die vie­len, oft kaum sicht­ba­ren Arbei­ten ver­rich­ten. Ich woll­te die Leu­te, die ganz unten in der Gesell­schaft ste­hen, erhöhen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Mit Coro­na begann man plötz­lich von «system­re­le­van­ten Beru­fen» zu spre­chen. Von genau den Beru­fen, die ich hier zei­ge. Lei­der läuft es in unse­rer Gesell­schaft para­do­xer­wei­se so, dass die, auf die man locker ver­zich­ten könn­te, in der Regel gut ver­die­nen. Und die, die unver­zicht­bar sind, schlecht.

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Haben Sie auch schon nega­ti­ve Reak­tio­nen erhalten?

Dass ich «die Hei­li­gen» vom Sockel her­un­ter­ho­le, das kommt eigent­lich über­all gut an. Bei Katho­li­ken und Refor­mier­ten. Und auch bei Leu­ten, die mit der Kir­che gar nichts am Hut haben.

Wie sind Sie vorgegangen?

Mir sind die vie­len Last­wa­gen auf­ge­fal­len, die sich Nacht für Nacht auf den Rast­plät­zen der Rhein­tal­au­to­bahn drän­gen, weil die Fern­fah­rer ja irgend­wo über­nach­ten müs­sen. Die­se ein­sa­men Fah­rer aus Rumä­ni­en oder der Slo­wa­kei in ihren Füh­rer­ka­bi­nen, die im Vorn­her­ein auf Fami­lie ver­zich­ten oder erst schmerz­haft erken­nen müs­sen, dass Frau und Kin­der mit die­sem Beruf nicht kom­pa­ti­bel sind. Deren impo­san­te Trucks ver­ges­sen las­sen, dass da eigent­lich Arbeits­skla­ven unter­wegs sind.

Zur Per­son

Dani­el Lien­hard ist visu­el­ler Gestal­ter und Illu­stra­tor in Bre­genz am Boden­see. Er leb­te von 1981 bis 2018 in Zürich und Ror­schach und arbei­tet in den Berei­chen Bil­dung, Kul­tur und Reli­gi­on. Von 1990 bis 2010 war Lien­hard refor­mier­ter Kirch­ge­mein­de­prä­si­dent der öku­me­ni­schen Pre­di­ger­kir­che in Zürich.

Aus­stel­lun­gen

Die näch­ste Aus­stel­lung der Illu­stra­tio­nen in der Schweiz fin­det vom 27. Okto­ber bis zum 10. Novem­ber im katho­li­schen Pfar­rei­zen­trum Wil SG statt. Vom 19. Novem­ber bis zum 9. Dezem­ber sind die Illu­stra­tio­nen im Haus der Reli­gio­nen in Bern zu sehen. Wäh­rend der Aus­stel­lung gibt es an bei­den Orten ver­schie­de­ne Begleitveranstaltungen.

Per­so­nen, wel­che die Aus­stel­lung in ihrem Umfeld zei­gen möch­ten, kön­nen die 13 Aus­stel­lungs­ta­feln kosten­los bei Dani­el Lien­hard bezie­hen. Kon­takt:

Wie kamen Sie auf die Heiligen?

Ich bin ich zufäl­lig auf die Skulp­tur des Hei­li­gen Bene­det­to gestos­sen. Die­ser leb­te – auf­grund unfrei­wil­li­ger Migra­ti­on – im 16. Jahr­hun­dert mit sei­nen Eltern als Skla­ve auf dem Gut eines sizi­lia­ni­schen Oran­gen-Bau­ern. Als Bene­det­to mit 18 Jah­ren die Frei­heit geschenkt wur­de, ging er ins Mino­ri­ten­klo­ster San­ta Maria di Gesù in Paler­mo. Dort arbei­te­te er in der Küche. Schon bald und gegen sei­nen aus­drück­li­chen Wil­len wur­de er zum Abt gewählt. Er refor­mier­te das Klo­ster sehr intel­li­gent, behielt aber sein gan­zes Leben lang sei­nen Dienst in der Küche bei.

Dun­kel­häu­ti­ge Migran­ten als Ern­te-Skla­ven in Süd­ita­li­en haben wir auch heu­te vor der glo­ba­len Haus­tür. So prall­te in mei­nem Kopf und in mei­nem Her­zen die Welt des Hei­li­gen aus Paler­mo auf die Welt der Fern­fah­rer auf der Rheintalautobahn.

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Wie kön­nen sich Men­schen in sol­chen pre­kä­ren Arbeits­e­xi­sten­zen weh­ren? Was kön­nen wir alle dage­gen tun?

Dass die Leu­te ganz unten aus eige­ner Kraft die Ver­hält­nis­se ändern könn­ten, da bin ich eher pes­si­mi­stisch. Ich glau­be, sie brau­chen unse­re Hil­fe. Auf der indi­vi­du­el­len Ebe­ne viel­leicht durch das, was mei­ne Bil­der auf ihre Art ver­su­chen. Näm­lich zuerst ein­mal die Leu­te zu sehen, die den Dreck für uns machen. Man muss sie ja nicht gleich zu Hei­li­gen machen, aber man kann sie anse­hen und das wür­di­gen, was sie für uns tun.

Und was kann oder soll­te die Kir­che tun?

Ich sage nicht, die Kir­che tue nichts. Aber sie hat schon mehr Übung dar­in, zu pre­di­gen als sich mutig ein­zu­mi­schen. Was hat die Kir­che doch nicht schon alles aus der Hand gege­ben: Fürs Kli­ma kämpft heu­te die Kli­ma-Jugend, für die Umwelt Green­peace, für die Gefan­ge­nen Amne­sty, für die Geflüch­te­ten Ärz­te ohne Gren­zen, für die Tran­szen­denz die Eso­te­rik und für die Erklä­rung der Welt Goog­le. Dabei gehör­te doch all das auch zum Kern­ge­schäft der Kir­che. Die Kir­che müss­te wie­der poli­ti­scher wer­den. Und kom­pro­miss­lo­ser. Wären wir nur ein Zehn­tel so unbe­quem, wie man es uns von Jesus erzählt, die Welt sähe anders aus.


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Eva Meienberg
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