
Erkenne dich selbst
Der Schlüssel zur interkulturellen Pastoral
Für die Nationaldirektorin von Migratio sind interkulturelle Kompetenzen die Voraussetzung zu einem Miteinander in der katholischen Kirche. Isabel Vazquez sieht sie bei den jüngeren Generationen.
Frau Vasquez, als NationaldirekÂtorin von MigraÂtio verÂantÂworten Sie die UmsetÂzung des Gesamtkonzepts für die MigraÂtionspasÂtoral in der Schweiz. Was an diesem Konzept macht Ihnen am meisÂten Freude?
Isabel Vasquez: Das Konzept verÂsucht viele FraÂgen zu beantÂworten. Unter anderem die Frage, wie die AufÂnahÂmegeÂsellschaft ihre VerÂantÂworÂtung wahrnÂimmt, die MenÂschen, die bei uns ankomÂmen, zu unterÂstützen. Papst Franziskus hat alle MenÂschen dazu aufgeÂfordert, MigranÂtinnen und Migranten aufzunehmen, zu fördern, zu schützen und zu inteÂgriÂeren. Mir gefällt die VorstelÂlung, dass alle KathoÂlikinÂnen und KathoÂliken aufÂgrund ihrer Taufe eine «wahre GleÂichÂheit in ihrer Würde und Tätigkeit» haben. So steÂht es im KirchenÂrecht. Und darum gefällt mir die ZielsetÂzung: «VerÂmehrtes MiteinanÂder und bewusstes, wertschätzenÂdes NebeneinanÂder».
Was bedeutet dieser Satz im AllÂtÂag?
Er bedeutet, dass wir gegenÂseitÂig unsere IdenÂtität anerkenÂnen und denÂnoch gemeinÂsam etwas unternehmen könÂnen. Und dabei ist das Gebet vor der KirchenÂtür der lokalen PfarÂrei genauÂso wichtig, wie die TraÂdiÂtion der Maria von FatiÂma der porÂtugiesisÂchen MisÂsion. Diese HalÂtung spiegelt ein wertschätzenÂdes NebeneinanÂder. Dafür braucht es interkulÂturelle KomÂpeÂtenÂzen, die ich bei den jünÂgeren GenÂerÂaÂtioÂnen schon erkenÂnen kann. Sie wachÂsen auf mit binaÂtionalen Eltern und sprechen mehrere Sprachen. Heute werÂden InterkulÂturÂalÂität und VielÂsprachigkeit als KomÂpeÂtenÂzen geseÂhen, früher waren sie ein Makel. Es ist aber nicht so, dass MigranÂtinnen und Migranten automaÂtisch über interkulÂturelle KomÂpeÂtenÂzen verÂfüÂgen. Auch sie müssen das üben.
«Auf dem Weg zu einÂer interkulÂturellen PasÂtoral»
GemeinÂsames Gesamtkonzept MigraÂtionspasÂtoral
Die SchweizÂer BischofÂskonÂferenz (SBK) und die Römisch-KatholisÂche ZenÂtralkonÂferenz (RKZ) haben sich auf folÂgende Ziele und LeitÂsätze verÂständigt:
– MigraÂtion prägt die Gesellschaft auf Dauer und ist kein zeitlich begrenÂztes Phänomen. So gewinÂnt das VerÂständÂnis von der EinÂheit der Kirche als «GemeinÂschaft in Vielfalt» neue BedeuÂtung.
– Sowohl im Leben der OrtÂspÂfarÂreien als auch in jenÂem der SprachgeÂmeinÂschaften, soll dem sprach- und kulÂturüberÂgreifendÂen MiteinanÂder mehr RechÂnung getraÂgen werÂden.
– interkulÂturelle pasÂtorale Konzepte werÂden verÂmehrt gefördert.
– Das verÂmehrte MiteinanÂder und das wertschätzende NebeneinanÂder basieren auf einÂer BegegÂnung auf AugenÂhöhe. Wir interÂessieren uns für das Gegenüber und seine kulÂturellen und spirÂituellen Wurzeln.
– Weil die GrenÂzen zwisÂchen PfarÂreiseelÂsorge und MigraÂtionspasÂtoral fliessender werÂden, ist die SenÂsiÂbilÂität für sprachÂliche und kulÂturelle Vielfalt eine QuerÂschnittsaufÂgabe. Die MigraÂtionspasÂtoral ist damit TheÂma für alle, die in der Kirche MitverÂantÂworÂtung traÂgen.
Quelle: «Auf dem Weg zu einÂer interkulÂturellen PasÂtoral. Impulse für die MigraÂtionspasÂtoral ​in der Schweiz». HerÂausÂgegeben von der SchweizÂer BischofÂskonÂferenz und der ​Römisch-katholisÂchen ZenÂtralkonÂferenz

Woran erkenÂnt man interkulÂturelle KomÂpeÂtenÂzen?
Zuerst muss ich meine eigene IdenÂtität anerkenÂnen. Ich weiss, wer ich bin und welche KulÂtur mich geprägt hat. Dann kann ich auch die IdenÂtität und die kulÂturellen EigenÂheitÂen anderÂer MenÂschen anerkenÂnen, ihnen auf AugenÂhöhe begegÂnen und mit ihnen interÂagieren. Ich stelle mir dazu das Bild von van Gogh vor mit der Brücke von Arles. Sie wurde gebaut, damit man von der einen Seite auf die andere gelanÂgen kann. Ein MenÂsch mit interkulÂturellen KomÂpeÂtenÂzen wird die Brücke überÂqueren, um zu den MenÂschen auf der anderen Seite zu gelanÂgen. Oder die MenÂschen auf beiÂden SeitÂen treÂfÂfen sich auf der Brücke.
Wo gibt es StolperÂsteine in der UmsetÂzung des Gesamtkonzepts für die MigraÂtionspasÂtoral in der Schweiz?
Es gibt viele grosse und kleine StolperÂsteine. Oft ist zum Beispiel unklar, wer für was zuständig ist. ManchÂmal fehlt der Wille, Dinge anders zu denken. Es immer so zu machen wie früher, ist nicht der Weg zum Ziel.
Wie gelingt interkulÂturelle PasÂtoral?
Mit ParÂtizipaÂtion! Wenn also dem Tag der MigranÂtinnen und Migranten und dem Tag der VölkÂer schon am Anfang des Jahres eine Sitzung vorausÂgeÂht, um die PlaÂnung gemeinÂsam zu besprechen. Wenn eine KulÂtur herrscht, in der sich alle willkomÂmen fühlen. Und MenÂschen auch aus den MisÂsioÂnen Lust haben, im PfarÂreirat oder in der Kirchenpflege einzusitzen und mitzubesÂtimÂmen: Schliesslich bezahlen auch alle KirchenÂsÂteuer.
Ist der zunehmende PerÂsonalÂmanÂgel in der Kirche hier eher hinÂderÂlich, oder fördert er unkonÂvenÂtionelle LösunÂgen?
Ich glaube, dass er eine Chance ist. Die Kirche in fünf, zehn Jahren wird nicht mehr die gleÂiche sein. Es gibt viele MenÂschen mit MigraÂtionshÂinÂterÂgrund, die sich gerne in der Kirche engagieren würÂden. Helfen wir ihnen die hiesiÂgen BesonÂderÂheitÂen zu verÂsteÂhen, etwa das duale SysÂtem mit der pasÂtoralen und der kirchenÂrechtlichen Seite. ÖffÂnen wir ihnen diese Türe, dann profÂiÂtieren wir auch von ihren FähigkeitÂen und ErfahrunÂgen.