Erkenne dich selbst
Bild: © Pixabay.com

Erkenne dich selbst

Der Schlüssel zur interkulturellen Pastoral

Für die Nationaldirektorin von Migratio sind interkulturelle Kompetenzen die Voraussetzung zu einem Miteinander in der katholischen Kirche. Isabel Vazquez sieht sie bei den jüngeren Generationen.


Frau Vasquez, als Nationaldirek­torin von Migra­tio ver­ant­worten Sie die Umset­zung des Gesamtkonzepts für die Migra­tionspas­toral in der Schweiz. Was an diesem Konzept macht Ihnen am meis­ten Freude?
Isabel Vasquez: Das Konzept ver­sucht viele Fra­gen zu beant­worten. Unter anderem die Frage, wie die Auf­nah­mege­sellschaft ihre Ver­ant­wor­tung wahrn­immt, die Men­schen, die bei uns ankom­men, zu unter­stützen. Papst Franziskus hat alle Men­schen dazu aufge­fordert, Migran­tinnen und Migranten aufzunehmen, zu fördern, zu schützen und zu inte­gri­eren. Mir gefällt die Vorstel­lung, dass alle Katho­likin­nen und Katho­liken auf­grund ihrer Taufe eine «wahre Gle­ich­heit in ihrer Würde und Tätigkeit» haben. So ste­ht es im Kirchen­recht. Und darum gefällt mir die Zielset­zung: «Ver­mehrtes Miteinan­der und bewusstes, wertschätzen­des Nebeneinan­der».

Was bedeutet dieser Satz im All­t­ag?
Er bedeutet, dass wir gegen­seit­ig unsere Iden­tität anerken­nen und den­noch gemein­sam etwas unternehmen kön­nen. Und dabei ist das Gebet vor der Kirchen­tür der lokalen Pfar­rei genau­so wichtig, wie die Tra­di­tion der Maria von Fati­ma der por­tugiesis­chen Mis­sion. Diese Hal­tung spiegelt ein wertschätzen­des Nebeneinan­der. Dafür braucht es interkul­turelle Kom­pe­ten­zen, die ich bei den jün­geren Gen­er­a­tio­nen schon erken­nen kann. Sie wach­sen auf mit bina­tionalen Eltern und sprechen mehrere Sprachen. Heute wer­den Interkul­tur­al­ität und Viel­sprachigkeit als Kom­pe­ten­zen gese­hen, früher waren sie ein Makel. Es ist aber nicht so, dass Migran­tinnen und Migranten automa­tisch über interkul­turelle Kom­pe­ten­zen ver­fü­gen. Auch sie müssen das üben.

«Auf dem Weg zu ein­er interkul­turellen Pas­toral»

Gemein­sames Gesamtkonzept Migra­tionspas­toral

Die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz (SBK) und die Römisch-Katholis­che Zen­tralkon­ferenz (RKZ) haben sich auf fol­gende Ziele und Leit­sätze ver­ständigt:

– Migra­tion prägt die Gesellschaft auf Dauer und ist kein zeitlich begren­ztes Phänomen. So gewin­nt das Ver­ständ­nis von der Ein­heit der Kirche als «Gemein­schaft in Vielfalt» neue Bedeu­tung.

– Sowohl im Leben der Ort­sp­far­reien als auch in jen­em der Sprachge­mein­schaften, soll dem sprach- und kul­turüber­greifend­en Miteinan­der mehr Rech­nung getra­gen wer­den.

– interkul­turelle pas­torale Konzepte wer­den ver­mehrt gefördert.

– Das ver­mehrte Miteinan­der und das wertschätzende Nebeneinan­der basieren auf ein­er Begeg­nung auf Augen­höhe. Wir inter­essieren uns für das Gegenüber und seine kul­turellen und spir­ituellen Wurzeln.

– Weil die Gren­zen zwis­chen Pfar­reiseel­sorge und Migra­tionspas­toral fliessender wer­den, ist die Sen­si­bil­ität für sprach­liche und kul­turelle Vielfalt eine Quer­schnittsauf­gabe. Die Migra­tionspas­toral ist damit The­ma für alle, die in der Kirche Mitver­ant­wor­tung tra­gen.

Quelle: «Auf dem Weg zu ein­er interkul­turellen Pas­toral. Impulse für die Migra­tionspas­toral ​in der Schweiz». Her­aus­gegeben von der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz und der ​Römisch-katholis­chen Zen­tralkon­ferenz

Erkenne dich selbst - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz 1
Isabel Vasquez ist Nationaldirek­torin von Migra­tio. Die Kom­mis­sion berät die Bis­chöfe zu Fra­gen der interkul­turellen Pas­toral. © zVg

Woran erken­nt man interkul­turelle Kom­pe­ten­zen?
Zuerst muss ich meine eigene Iden­tität anerken­nen. Ich weiss, wer ich bin und welche Kul­tur mich geprägt hat. Dann kann ich auch die Iden­tität und die kul­turellen Eigen­heit­en ander­er Men­schen anerken­nen, ihnen auf Augen­höhe begeg­nen und mit ihnen inter­agieren. Ich stelle mir dazu das Bild von van Gogh vor mit der Brücke von Arles. Sie wurde gebaut, damit man von der einen Seite auf die andere gelan­gen kann. Ein Men­sch mit interkul­turellen Kom­pe­ten­zen wird die Brücke über­queren, um zu den Men­schen auf der anderen Seite zu gelan­gen. Oder die Men­schen auf bei­den Seit­en tre­f­fen sich auf der Brücke.

Wo gibt es Stolper­steine in der Umset­zung des Gesamtkonzepts für die Migra­tionspas­toral in der Schweiz?
Es gibt viele grosse und kleine Stolper­steine. Oft ist zum Beispiel unklar, wer für was zuständig ist. Manch­mal fehlt der Wille, Dinge anders zu denken. Es immer so zu machen wie früher, ist nicht der Weg zum Ziel.

Wie gelingt interkul­turelle Pas­toral?
Mit Par­tizipa­tion! Wenn also dem Tag der Migran­tinnen und Migranten und dem Tag der Völk­er schon am Anfang des Jahres eine Sitzung voraus­ge­ht, um die Pla­nung gemein­sam zu besprechen. Wenn eine Kul­tur herrscht, in der sich alle willkom­men fühlen. Und Men­schen auch aus den Mis­sio­nen Lust haben, im Pfar­reirat oder in der Kirchenpflege einzusitzen und mitzubes­tim­men: Schliesslich bezahlen auch alle Kirchen­s­teuer.

Ist der zunehmende Per­sonal­man­gel in der Kirche hier eher hin­der­lich, oder fördert er unkon­ven­tionelle Lösun­gen?
Ich glaube, dass er eine Chance ist. Die Kirche in fünf, zehn Jahren wird nicht mehr die gle­iche sein. Es gibt viele Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund, die sich gerne in der Kirche engagieren wür­den. Helfen wir ihnen die hiesi­gen Beson­der­heit­en zu ver­ste­hen, etwa das duale Sys­tem mit der pas­toralen und der kirchen­rechtlichen Seite. Öff­nen wir ihnen diese Türe, dann prof­i­tieren wir auch von ihren Fähigkeit­en und Erfahrun­gen.

Eva Meienberg
mehr zum Autor
nach
soben