Die Frau, die nicht aufgibt
Hele­na Jep­pe­sen-Spuh­ler (links im Bild) bei der Welt­syn­ode in Rom im Okto­ber 2023 © kna-Bild

Die Frau, die nicht aufgibt

Bereits zum zweiten Mal nimmt Helena Jeppesen-Spuhler an einer Weltsynode teil. Ein Gespräch über Streitkultur, Solidarität und die Ehrfurcht vor dem Papst.

Sie neh­men an der Welt­syn­ode in Rom teil, die heu­te eröff­net wird. Sind Sie unter Druck?

Hele­na Jep­pe­sen-Spuh­ler: In der Schweiz begeg­nen vie­le dem Syn­oda­len Pro­zess mit star­ker Zurück­hal­tung oder gar Resi­gna­ti­on. Zu oft wur­de schon debat­tiert, ohne dass sich wirk­lich etwas ver­än­dert hat. Des­halb ste­hen wir als Dele­ga­ti­on im Okto­ber unter Druck. Wir müs­sen dem Papst Vor­schlä­ge unter­brei­ten, die er über­nimmt und die zu kon­kre­ten Refor­men führen.

Und ganz persönlich?

Ja, auch da spü­re ich einen enor­men Druck. Ich füh­le mich ver­pflich­tet, die Anlie­gen und Emp­feh­lun­gen aus den euro­päi­schen Län­dern und mit ihnen auch jene aus der Schweiz ein­zu­brin­gen. Ganz beson­ders die Anlie­gen der Frau­en und der Lai­en. Ich bin des­halb enorm gefor­dert. Es sind vie­le, sehr vie­le Stun­den, die ich dafür her­ge­be. Alles in mei­ner Freizeit.

Am Mitt­woch, 2. Okto­ber, star­tet die Welt­syn­ode in Rom. Eine Buss­fei­er am Vor­abend bil­de­te den Auf­takt. Bis am 27. Okto­ber wer­den die 368 Syn­oda­len – 272 Bischö­fe, 96 nicht Bischö­fe davon 45 Frau­en – das Arbeits­pa­pier «Instru­men­tum labo­ris» dis­ku­tie­ren. Aus der Schweiz sind Hele­na Jep­­pe­­sen-Spuh­­ler, Bischof Felix Gmür und Clai­re Jonard (als Mode­ra­to­rin) mit dabei.

Die Syn­oda­len tref­fen sich von Mon­tag bis Sams­tag um 8.45 Uhr und arbei­ten bis 19.30 Uhr mit einer drei­ein­halb­stün­di­gen Mit­tags­pau­se. Am Ender der Syn­ode wer­den die Resul­ta­te der Gesprä­che dem Papst vor­ge­legt. Die syn­oda­le Dis­kus­si­ons­me­tho­de ist eine Mischung aus Gespräch und Medi­ta­ti­on und wird als «spi­ri­tu­el­le Kon­ver­sa­ti­on» bezeich­net. Die Klein­grup­pen wer­den mode­riert. Die zehn bis zwölf Teil­neh­men­den dür­fen bis zu drei­mi­nü­ti­gen State­ment abge­ben. Auf die Wort­mel­dun­gen wird nicht direkt reagiert, son­dern es gibt eine kur­ze Schwei­ge­zeit, erst dar­auf äus­sern sich die Teil­neh­men­den zum Gehör­ten. Auf eine wei­te­re Unter­bre­chung in Stil­le, wird das Gehör­te zuhan­den der Gene­ral­ver­samm­lung zusammengefasst.

Blick über Rom © Marie-Chri­­sti­­ne Andres

Woher kommt der Wider­stand kon­ser­va­ti­ver Krei­se gegen den Syn­oda­len Pro­zess, den ja immer­hin der Papst selbst ange­stos­sen hat?

Unter den Kon­ser­va­ti­ven gibt es ein Nar­ra­tiv, das gezielt ver­brei­tet wird: Mit dem Syn­oda­len Pro­zess wür­den der Syn­oda­le Weg aus Deutsch­land für die Welt­kir­che kopiert und die Auto­ri­tät der Bischö­fe und des Pap­stes unter­gra­ben. Kon­ser­va­ti­ve Ver­tre­ter sehen bei den The­men Gleich­be­rech­ti­gung und Homo­se­xua­li­tät schnell rot. Die Fron­ten sind ver­här­tet. Da braucht es enorm viel Aus­tausch und ein Gespür für per­sön­li­che Begegnung.

Die Dis­kus­si­ons- und Streit­kul­tur ist in der katho­li­schen Kir­che nur schwach aus­ge­bil­det. Hat sich da in den zwei Jah­ren, in denen Sie sich im Syn­oda­len Pro­zess enga­gie­ren, etwas verändert?

Ich fin­de schon. An vie­len Orten ist Ver­trau­en gewach­sen. Und damit kann auch bes­ser gestrit­ten wer­den. Es gibt bei­spiels­wei­se Syn­oda­le, die auf mich zukom­men und mit mir über Gleich­be­rech­ti­gung spre­chen wol­len. Das Haupt­pro­blem in der katho­li­schen Kir­che bleibt jedoch, dass zu vie­le Fra­gen nur unter Kle­ri­kern bespro­chen und ent­schie­den wer­den. Des­halb sit­zen Bischö­fe dann in einer Arbeits­grup­pe, ohne die Rol­le der Frau­en über­haupt anzu­spre­chen. Das müs­sen dann wir Frau­en tun, weil sie selbst nicht auf die Idee kommen.

Hele­na Jeppesen-Spuhler

Hele­na Jep­­pe­­sen-Spuh­­ler (58) ist bei «Fasten­ak­ti­on» ver­ant­wort­lich für das Lan­des­pro­gramm Phil­ip­pi­nen und Asi­en all­ge­mein sowie für die Koope­ra­ti­on Inland. Sie ist zudem in der Alli­anz Gleich­wür­dig Katho­lisch, im Catho­lic Women’s Coun­cil und in der Begleit­grup­pe Syn­oda­ler Pro­zess im Bis­tum Basel engagiert.

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Die Schwei­zer Dele­ga­ti­on an der Kon­ti­nen­tal­syn­ode in Prag: Hele­na Jep­­pe­­sen-Spuh­­ler, Tat­ja­na Diste­li und Bischof Felix Gmür (von links). | Foto: zvg

Gilt das auch für die Schwei­zer Bischöfe?

Felix Gmür ist als Dele­gier­ter der Schwei­zer Bischö­fe in die­ser Hin­sicht eine löb­li­che Aus­nah­me, eben­so Erz­bi­schof Ladis­lav Neme­th aus Bel­grad und Bischof Franz-Josef Over­beck aus Deutsch­land. Aber die aller­mei­sten Bischö­fe zögern immer noch, die bri­san­ten The­men auf den Tisch zu bringen.

Wo kön­nen Sie Bewe­gung in die Syn­ode bringen?

Wir müs­sen vor allem jene Bischö­fe errei­chen, die sich im Mit­tel­feld bewe­gen. Da spü­re ich eine Bereit­schaft zur Ver­än­de­rung. Aber es braucht auch hier viel Zeit und Geduld.

Glau­ben Sie dar­an, dass die Syn­ode nach­hal­tig wir­ken wird?

Es wird ent­schei­dend sein, dass wir den Schluss­be­richt noch­mals dis­ku­tie­ren kön­nen. Dass der Schluss­be­richt nicht – wie bis­lang üblich – von einer intrans­pa­ren­ten Redak­ti­on geschrie­ben wird. Trans­pa­renz und die Erar­bei­tung von Lösun­gen, die von den Gläu­bi­gen und von den Amts­trä­gern mit­ge­tra­gen wer­den, sind wich­ti­ge Merk­ma­le einer syn­oda­len Kir­che. Da muss sich etwas ändern.

Gera­de in die­ser Hin­sicht sen­det Papst Fran­zis­kus jedoch wider­sprüch­li­che Signa­le, wenn er sich bei­spiels­weis kate­go­risch gegen das Dia­ko­nat der Frau aus­spricht, noch bevor die Syn­ode dazu bera­ten kann.

Ja, das fin­de ich auch sehr schwie­rig. Einer­seits ermu­tigt er uns, neue For­men und Pro­zes­se zu den­ken. Ande­rer­seits bleibt er aber selbst immer wie­der hin­ter sei­nen eige­nen For­de­run­gen zurück.

Wor­an liegt das?

Ich kann nur ver­mu­ten, dass er vom System im Vati­kan stark abge­schirmt und nicht zu muti­gen Ent­schei­dun­gen her­aus­ge­for­dert wird. Da gibt es immer noch kaum kol­le­gia­le Bera­tung. Es sind dann ein­zel­ne Bera­ter, die dem Papst ein­flü­stern, was mög­lich ist und was die Ein­heit der Kir­che gefähr­det. Auf die­ser Grund­la­ge ent­schei­det dann der Papst, was zu tun ist. Da wird er auch nicht her­aus­ge­for­dert. Das ist bei uns in der Schweiz anders. Wir gehen direkt auf Bischö­fe zu und for­dern auch Din­ge ein.

Schüch­tert Sie der Papst ein?

Nein. Ich brauch­te zwar etwas Zeit, um mich zurecht­zu­fin­den. Wie läuft das im Vati­kan? Wel­che Kräf­te herr­schen hier? Wie ver­hal­ten sich die Men­schen dem Papst gegen­über? Aber ich blei­be eine demo­kra­ti­sche Schwei­ze­rin und habe kei­ne Angst, mich auch so zu ver­hal­ten. Ich habe nie in die­sem kle­ri­ka­len System gelebt. Ich habe des­halb auch kei­ne Mühe, mei­ne Über­zeu­gung offen vorzutragen.

Aller­dings: Wir kön­nen den Papst nur mit Alli­an­zen errei­chen. Wenn sich bei­spiels­wei­se die 54 Frau­en zusam­men­tun, die an der Syn­ode teil­neh­men, dann kön­nen weder Papst noch Bischö­fe sie überhören.

Wie alli­anz­fä­hig sind Bischöfe?

Die Bischö­fe aus Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz müss­ten viel geein­ter auf­tre­ten. Ich sehe bei­spiels­wei­se nicht, wo sich die Schwei­zer Bischö­fe mit den deut­schen Bischö­fen effek­tiv soli­da­ri­sie­ren oder ver­net­zen. Das schwächt ihren Ein­fluss erheblich.

Und wie steht es mit der Soli­da­ri­tät unter den 54 Frau­en, die an der Syn­ode teilnehmen?

Viel bes­ser, auch wenn wir Frau­en eben­falls von ganz unter­schied­li­chen Orten und mit ganz unter­schied­li­chen Posi­tio­nen auf­ein­an­der­tref­fen. Trotz­dem herrscht unter uns ech­te Solidarität.

Wie zeigt sich diese?

Wir haben sofort mit­ein­an­der gere­det, haben uns ver­netzt und haben Kon­takt gehal­ten. Das hängt wahr­schein­lich damit zusam­men, dass vie­le von uns in ihren Län­dern den Syn­oda­len Pro­zess prak­tisch allein orga­ni­sie­ren müs­sen, weil sich die Bischö­fe nicht wirk­lich dafür inter­es­sie­ren. Des­halb unter­stüt­zen wir uns gegen­sei­tig. Aus die­ser Erfah­rung stellt sich eine mei­ner gros­sen Fra­gen zur Nach­hal­tig­keit: Was geschieht, wenn die Frau­en nach der Syn­ode im Okto­ber wie­der aus dem Pro­zess raus sind und die Bischö­fe wie üblich übernehmen?

Stellt sich die­se Fra­ge auch in der Schweiz?

Dazu nur so viel: Ich habe es mir nach der Syn­ode im letz­ten Jahr rich­tig­ge­hend erstrei­ten müs­sen, dass ich in der Bischofs­kon­fe­renz berich­ten durf­te. Sie dach­ten dort, es reicht doch, wenn Felix Gmür ein wenig berich­te. Und in die­sem Jahr ist es wie­der das Glei­che. Es gibt lei­der immer noch Bischö­fe – die Bischö­fe der Deutsch­schweiz aller­dings aus­ge­nom­men – die es unnö­tig fin­den, dass ich als Syn­oden­mit­glied in der Bischofs­kon­fe­renz berichte.

Auf wel­che The­men wer­den Sie sich wäh­rend der Syn­ode fokussieren?

Auf die Par­ti­zi­pa­ti­on auf Lei­tungs­ebe­ne und auf die Kom­pe­ten­zen der Orts­kir­che. Nur wenn die Orts­kir­che mehr Kom­pe­tenz erhält, kön­nen wir die Kir­che auch umbau­en. Dafür bleibt nicht mehr viel Zeit, davon bin ich über­zeugt. Und selbst­ver­ständ­lich wer­de ich mich auch für Gerech­tig­keit und Gleich­be­rech­ti­gung einsetzen.

In Pro­zent­zah­len: Wie gross ist die Bereit­schaft der Syn­oda­len zu Reformen?

Mein Ein­druck ist: Es sind über 50%. Aller­dings haben wir immer noch das Pro­blem, dass die dele­gier­ten Bischö­fe oft nur wenig Ein­fluss auf ihre jewei­li­gen Bischofs­kon­fe­ren­zen haben. Das ist für die nach­hal­ti­ge Wir­kung der Syn­ode eine Gefahr. Und das wird so blei­ben, solan­ge der Papst das Kir­chen­recht nicht ändert und par­ti­zi­pa­ti­ve und demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren in der Kir­che verankert.

Was berei­tet Ihnen Sorgen?

Vor allem die Kom­mis­si­on 5, in der auch die Par­ti­zi­pa­ti­on der Frau­en behan­delt wird. Da wis­sen wir bis­lang nicht ein­mal, wer in die­ser Kom­mis­si­on Ein­sitz hat. Völ­lig intrans­pa­rent und des­halb beunruhigend.

Wie stark ist Ihr Gedulds­fa­den noch?

Ziem­lich stark, weil ich aus der Men­schen­rechts­ar­beit kom­me. Ich set­ze mich bei­spiels­wei­se seit Jah­ren für Kli­ma­ge­rech­tig­keit ein, auch wenn es manch­mal aus­sichts­los scheint. Ich habe einen lan­gen Atem und bin es gewohnt, par­tout nicht aufzugeben.

Das Gespräch ist zuerst im Forum Pfarr­blatt der katho­li­schen Kir­che im Kan­ton Zürich erschienen.

Thomas Binotto
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