Der wunderbare armselige Leib

Der wunderbare armselige Leib

Philip­per­brief 3,17.20fAhmt auch ihr mich nach, Brüder und Schwest­ern, und achtet auf jene, die nach dem Vor­bild leben, das ihr an uns habt! … Denn unsere Heimat ist im Him­mel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Chris­tus, den Her­rn, als Ret­ter, der unseren arm­seli­gen Leib ver­wan­deln wird in die Gestalt seines ver­her­rlicht­en Leibes, in der Kraft, mit der er sich auch alles unter­w­er­fen kann.Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Der wunderbare armselige Leib

Wie haben wir damals gelacht, und wie sehr habe ich mich nach­her geschämt! Mit dem Vers aus dem Philip­per­brief verbinde ich zeitlebens eine mir sehr pein­liche Erin­nerung. Heute kann ich darüber sprechen, denn ich habe viel daraus gel­ernt. Die Geschichte war so:Es war während meines The­olo­gi­es­tudi­ums im Sem­i­nar. Es war üblich, dass wir täglich die hl. Messe besucht­en, in der ein­er von uns jew­eils Lek­tor war. Nun hat­ten wir in unserem Kurs einen Mit­stu­den­ten, der klein von Statur war und schon als Stu­dent so tat, als sei er der kom­mende Bischof. Dieser Kom­mili­tone hat­te Dienst an jen­em Mor­gen. Wir sassen alle mehr oder weniger ver­schlafen in der Kirche, als sich der Kleine zum Vor­tra­gen der Lesung das Mikro­fon her­ab­zog. Mit sein­er piep­si­gen Stimme las er dann sehr ern­sthaft: «Brüder, ahmet mich nach!» Da schallte ein Lachen durch die Sem­i­narkirche, wir waren plöt­zlich wach.Schein­bar ungerührt fuhr der Lek­tor fort: «… der Ret­ter, der unseren arm­seli­gen Leib ver­wan­deln wird …» Mein Lachen war plöt­zlich erstickt, vor Scham bin ich erschrock­en. Selb­stver­ständlich wusste unser Mit­stu­dent um seinen arm­seli­gen Leib. Und natür­lich war die Sit­u­a­tion komisch. Trotz­dem war es gemein, ihn unserem Gelächter auszuset­zen. Ich denke, wir haben ihn sehr ver­let­zt. Aber beschw­ert hat er sich nicht, und nie­mand hat ein Wort darüber ver­loren. Ich denke, er wusste, was er gele­sen hat.Vielle­icht war dieses Erleb­nis ein­er der Impulse, die mich bewogen haben, eine lange Zeit mit Men­schen in Spitälern zuzubrin­gen, bei Men­schen mit beschädigtem Leib. Die Kranken und die Nicht-Schö­nen sind beson­ders schutzbedürftig. Aus­gelacht wer­den ver­let­zt tief. Dem Schutz dieser Men­schen habe ich mich gewid­met. Aber ich brauche gar nicht in ein Spi­tal zu gehen, um einen arm­seli­gen Leib zu sehen. Ein Spiegel reicht.Einen beson­deren Satz in meinem per­sön­lichen Glaubens­beken­nt­nis habe ich aus dieser Erken­nt­nis for­muliert: «Ich habe mich nicht selb­st gemacht!» Ich bin mir aufgegeben, klein oder gross, Mann oder Frau, mit dieser oder jen­er Behin­derung. Und ich muss mit mir zurechtkom­men. Ich bin mir selb­st eine Auf­gabe, denn mich selb­st in Liebe anzunehmen ist die Voraus­set­zung dafür, andere anzunehmen und nicht über sie zu lachen. Auch sie haben sich ihren Leib nicht aus­ge­sucht.Nun kann man diesen Leib für unwichtig eracht­en, da er ja doch vergänglich ist und wir auf die himm­lis­che Her­rlichkeit warten. So etwa war die Moti­va­tion des Ignatius, der, ver­haftet in Rom, ver­boten hat­te, sich für sein Über­leben einzuset­zen. Wilde Tiere macht­en mit seinem arm­seli­gen Leib kurzen Prozess, sein Glaube gab ihm die Zuver­sicht, mit Chris­tus in der himm­lis­chen Her­rlichkeit vere­int zu sein.So leib­vergessen oder gar leibfeindlich kann und will ich nicht sein. Schliesslich sind Leib und Leben wun­der­bare und staunenswerte Gottes­geschenke. Bevor mich der Tod von meinem irdis­chen Leib erlöst, will ich gel­ernt haben, was Liebe heisst. Ger­ade dort, wo keine per­fek­te Statur lockt, will ich die Schön­heit find­en. Und so heisst der zweite Satz in meinem Glaubens­beken­nt­nis: Du und ich, wir sind geliebte Kinder Gottes im wun­der­baren arm­seli­gen Leib.Lud­wig Hesse, The­ologe, Autor und Teilzeitschrein­er, war bis zu sein­er Pen­sion­ierung Spi­talseel­sorg­er im Kan­ton Basel­land
Redaktion Lichtblick
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