Das christliche Profil schärfen

Das christliche Profil schärfen

Zwei Türste­her emp­fan­gen die Leute. Nein, keine fin­ster drein­blick­enden Sicher­heitsmän­ner mit Knopf im Ohr, die über Ein­treten oder Draussen­bleiben entschei­den. Am Ein­gang der Neua­pos­tolis­chen Kirche in Baden ste­hen zwei fre­undliche Her­ren, reichen jedem die Hand und heis­sen die Kirchgänger willkom­men. Damit begin­nt der Gottes­di­enst der Neua­pos­tolis­chen Kirche (NAK) eigentlich schon vor dem Betreten des Kirchen­raums.Ein Neua­pos­tolis­ch­er Gottes­di­enst, wie ihn die NAK-Gemeinde Baden-Wet­tin­gen an diesem Abend feiert, ist ein Gesamtkunst­werk. Der Chor ist dabei jenes Ele­ment, das Aussen­ste­hen­den beson­ders auf­fall­en wird: Unverse­hens erhebt sich ein Teil der Gemeinde aus den Bänken, klappt das Gesangs­buch auf und begin­nt mehrstim­mig zu sin­gen. «Jede NAK-Gemeinde hat ihren Chor, der Chorge­sang ist fes­ter Bestandteil des Gottes­di­en­stes», erk­lärt Gaby Gühring. Sie wirkt sel­ber als Diri­gentin und Sän­gerin, früher erteilte sie auch Son­ntagss­chul- und Reli­gion­sun­ter­richt. Der Unter­richt für die Kinder find­et im gle­ichen Gebäude statt wie die Gottes­di­en­ste, die Kirchen der Neua­pos­tolis­chen Gemein­den sind – salopp for­muliert – religiöse Mehrzweck­ge­bäude.Zeit­gle­ich Entste­hung In Baden befind­et sich der Gottes­di­en­straum im Obergeschoss. Hell, schlicht, mit Holzbänken, wie man sie in vie­len katholis­chen Kirchen find­et. Auch die Feier weist zahlre­iche «katholis­che» Ele­mente auf. Die NAK ver­ste­ht sich als Nach­fol­gerin der katholisch-apos­tolis­chen Gemein­den. Ent­standen waren diese in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­derts in Eng­land. Der Hirte und Vorste­her der NAK-Kirchge­meinde Baden-Wet­tin­gen, Han­srue­di Hert­er, betont: «Speziell an der Entste­hungs­geschichte der NAK ist, dass ihre Grün­dung nicht von ein­er Per­son aus­ging, son­dern sie fast zeit­gle­ich über­all auf der Welt ent­stand. Die Men­schen hat­ten das Bedürf­nis, dass der Heilige Geist wieder stärk­er wirke.»Gelebte Seel­sorge Ster­be­be­gleitung, Seel­sorge und per­sön­liche Begleitung leis­tet der Priester. Das Priester­amt ist eine Beru­fung. Ein Gemein­demit­glied wird von anderen Priestern für das Amt ange­fragt. «Es erschrickt, glaub’ ich, jed­er, der ange­fragt wird, oder?» fragt Gaby Gühring in die Runde. Denn das Priester­amt ist eine (zeit-)intensive Auf­gabe, die neben einem «zivilen» Vol­lzeitjob Platz find­en muss. Bezirk­se­van­ge­list André Stutz, der zusam­men mit vier Kol­le­gen für 18 Kirchge­mein­den mit 4800 Gläu­bi­gen ver­ant­wortlich ist, rel­a­tiviert: «Die Seel­sorge ist ein Prozess, in den die ganze Gemeinde involviert ist – das funk­tion­iert, weil unsere Gemeinde aus aktiv­en Kirchgängern beste­ht. Man trifft einan­der und merkt, wenn jemand Hil­fe braucht, kann fra­gen, wie es dem anderen geht.»Bibel­stelle zeigt die Rich­tung Für Gemein­de­vorste­her Han­srue­di Hert­er war seine Beru­fung ins Priester­amt ein prä­gen­des Erleb­nis: Seel­sorg­er hat­ten ihm ihren Besuch angekündigt. Um sich vorzu­bere­it­en, las er in der Bibel und stiess auf die Stelle im Johan­ne­se­van­geli­um, wo Jesus Simon Petrus fragt: «Hast du mich lieb?» (Johannes 21,15–17) Dreimal stellt Jesus diese Frage. Und Han­srue­di Hert­er sagt heute: «Diese Bibel­stelle hat mich in jen­em Moment sehr berührt und mir die Rich­tung gezeigt. Eine Beru­fung ist emo­tion­al und die Entschei­dung fällt mit Hil­fe des Glaubens.»Ras­ante Entwick­lung Im April dieses Jahres unterze­ich­nete die Neua­pos­tolis­che Kirche zusam­men mit sechs weit­eren Mit­gliedern der Arbeits­ge­mein­schaft Christlich­er Kirchen in der Schweiz (AGCK) die gegen­seit­ige Anerken­nung der Taufe. André Stutz erin­nert sich: «Als Kind habe ich die Zeit­en noch erlebt, als wir als Sek­te oder «Stün­del­er» beze­ich­net wur­den. Das hat sich geän­dert, unsere Kirche hat einen grundle­gen­den Wan­del durchgemacht.» Auch der Pres­sev­er­ant­wortliche der NAK, Simon Wer­ren, sieht in diesem Schritt eine wichtige Öff­nung sein­er Kirche: «Gemein­samkeit­en zu stärken ist allen ein Anliegen, für uns ist es wichtig, das christliche Pro­fil zu schär­fen.» Und Han­srue­di Hert­er fügt an: «Eine ras­ante Entwick­lung, die unsere Kirche in der rel­a­tiv kurzen Zeit ihres Beste­hens durchgemacht hat.»Marie-Chris­tine Andres
Anne Burgmer
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