Bild der Ver­let­zung und Blu­men der Hoffnung

Bild der Ver­let­zung und Blu­men der Hoffnung

Rönt­gen­bild mit Goldblumen

Das neue Hun­ger­tuch ist ein Abbild des Lei­dens, zeigt aber auch Hoffnung

Das Hun­ger­tuch zur Fasten­zeit 2021 zeigt das Rönt­gen­bild eines gebro­che­nen Fus­ses. Die Ver­let­zung ent­stand bei einer Demon­stra­ti­on in Chi­le. Zu den schwar­zen Lini­en des Rönt­gen­bil­des kom­men Gold­blu­men als Zei­chen der Hoff­nung. Die Theo­lo­gin Vero­ni­ka Jeh­le (35) hat zum Hun­ger­tuch gedichtet.Mein erster Gedan­ke zum Hun­ger­tuch war: Ist das Kunst oder kann das weg? Wie war das bei Ihnen? Vero­ni­ka Jeh­le*: Mich hat das Hun­ger­tuch auf den ersten Blick ange­spro­chen. War­um genau, weiss ich nicht.Ich habe mei­ne Mei­nung geän­dert, als ich erfah­ren habe, dass die Grund­la­ge ein Rönt­gen­bild ist – und einen Kno­chen­bruch doku­men­tiert, der bei einer gewalt­vol­len Demon­stra­ti­on in Chi­le ent­stan­den ist. Wie war das bei Ihnen? Im Rück­blick wür­de ich sagen, dass ich erst begon­nen hab, etwas von dem Kunst­werk zu ver­ste­hen, als ich von die­sem Rönt­gen­bild und den Umstän­den gele­sen habe.Hel­fen Sie mir auf die Sprün­ge: Wie kann ich mich dem Hun­ger­tuch bes­ser nähern? Das Hun­ger­tuch mag auf den ersten Blick ver­wir­rend sein, irri­tie­rend, komisch viel­leicht sogar. Ich fin­de, es lohnt sich, sich mit den ver­schie­de­nen Ebe­nen ver­traut zu machen und sich auf sei­ne Bot­schaft ein­zu­las­sen. Wobei ich nicht glau­be, dass es eine ein­zi­ge Bot­schaft hät­te. Ich glau­be aber, es hat etwas zu sagen.Was am Hun­ger­tuch spricht Sie beson­ders an? Die vie­le Lee­re. Die unbe­setz­te Nüch­tern­heit. Weni­ge Far­ben, dafür ein star­ker Kon­trast: die­se fet­te schwar­ze Linie, der Fuss – im Kon­trast zu fei­nen, lie­be­voll aus­ge­stal­te­ten Gold­blu­men.Was hat es mit dem Gold auf sich? In der Aus­ein­an­der­set­zung mit der Künst­le­rin Lili­an Moreno Sán­chez habe ich ver­stan­den, dass sie immer wie­der das Lei­den the­ma­ti­siert. Das Lei­den der Men­schen, der Mensch­heit, zu allen Zei­ten, an allen Orten. Gleich­zei­tig zeigt sie aber auch, dass Wan­del, Ver­wand­lung und Erlö­sung mög­lich sind. Nicht umsonst heisst das Kunst­werk «Die Kraft des Wan­dels». Das Gold lese ich als Sym­bol­far­be für die­se Potenz des Lei­dens.Was bedeu­tet Ihnen per­sön­lich der Titel: «Du stellst mei­ne Füs­se auf wei­ten Raum»? Der Titel des Hun­ger­tuchs ist ja zwei­tei­lig: «Du stellst mei­ne Füs­se auf wei­ten Raum – Die Kraft des Wan­dels». Der erste Teil ist ein Zitat, der Vers 9 aus dem Psalm 31. Ob die­ser nach­träg­lich bei­gefügt wur­de, um einen direk­ten bibli­schen Bezug her­zu­stel­len? So oder so fin­de ich den Vers stark, vor allem auch im Kon­text des Psalms. Er passt zu die­sem Kunst­werk und eröff­net noch ein­mal eine wei­te­re Per­spek­ti­ve. Ich mer­ke aller­dings, dass er mich beim Schrei­ben der Medi­ta­tio­nen weni­ger gelei­tet hat. Es lag mehr als genug Inspi­ra­ti­on dar­in, ein­fach das Bild zu betrach­ten.In einer Bro­schü­re des Fasten­op­fers steht: «Wei­ten Raum und damit die Erfül­lung der Psalm­ver­heis­sung for­dern Men­schen auch an ande­ren Orten in der Welt.» Was ist damit gemeint? Viel­leicht, dass die For­de­rung nach Frei­heit, Gleich­be­rech­ti­gung und nach Teil­ha­be an den Grund­la­gen für ein gutes Leben immer und über­all eine mensch­li­che For­de­rung war und ist? Chi­le, die­se eine Demon­stra­ti­on, der spe­zi­fi­sche Gewalt­akt und das Rönt­gen­bild ste­hen ja exem­pla­risch dafür.Wo braucht die Kir­che mehr Wei­te? Im Zuhö­ren und Reden. Im Han­deln inner­halb und zum Wohl unse­rer eige­nen Gemein­schaft. Mir scheint, nach aus­sen hin sind wir da bes­ser auf­ge­stellt als nach innen.Sie haben für das Fasten­op­fer zum ersten Mal einen «lyri­schen Geh­ver­such» unter­nom­men, wie Sie selbst schrei­ben. Wie ging es Ihnen bei die­sem Geh­ver­such? Er hat mich gefor­dert. Er hat mir aber auch Spass gemacht, weil ich ja ger­ne mit Wor­ten spie­le und arbei­te. Die Zusam­men­ar­beit mit Andrea Gis­ler vom Fasten­op­fer und mit Jan Tschan­nen von Brot für alle, ihr Feed­back und das gemein­sa­me Fei­len an den Tex­ten im «Ping-Pong» waren auch echt sehr wert­voll. Inter­view: Rapha­el Rauch (gekürz­te Fassung) * Die Theo­lo­gin Vero­ni­ka Jeh­le (35) arbei­tet als Spi­tal­seel­sor­ge­rin und Jour­na­li­stin in Zürich.  Infor­ma­tio­nen zum Hun­ger­tuch und die Lyrik von Vero­ni­ka Jeh­le fin­den Sie hier.       
Regula Vogt-Kohler
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