Aus lauter Angst totgeschwiegen

Aus lauter Angst totgeschwiegen

  • Seit mehr als zehn Jahren forscht Thomas Aure­lius Belz an den christlichen Grund­la­gen der abendländis­chen Tonkun­st. Seine Erken­nt­nisse pub­liziert er schriftlich und in Vorträ­gen.
  • Im Inter­view mit Hor­i­zonte erzählt der Instru­menten­bauer und Dok­tor der Kunst­wissenschaft warum er bei Ver­la­gen und selb­st bei der Kirche mit seinen Schriften auf Ablehnung stösst.
  • Dieser let­zte Teil der Serie «Musik und Kirche» bedeutet nicht das Ende der Berichter­stat­tung über den uner­müdlichen Kul­turent­deck­er aus Reinach.


Im ersten Teil der Serie «Musik und Kirche» berichtete Hor­i­zonte über das immense Forschungs­ge­bi­et, das Thomas Belz seit nun­mehr weit über zehn Jahren beack­ert. Selb­st der reformierte Johann Sebas­t­ian Bach schöpfte in seinem Schaf­fen aus dem Quell ein­er im eigentlichen Sinne katholis­chen Welt- und Kul­turbe­tra­ch­tung, die seit dem Frühchris­ten­tum direk­ten Ein­fluss auf die Entwick­lung der abendländis­chen Musik ausübte. Nachzule­sen im zweit­en Teil unser­er Serie. Im Video zum sel­ben The­ma zeigt Thomas Belz, was er beim Nach­bau des mut­masslich ältesten Klav­izitheri­ums der Welt ent­deckt hat. Und im abschliessenden Inter­view erzählt er hier, warum die Ergeb­nisse sein­er Forschung bei Ver­la­gen, Bil­dungsver­ant­wortlichen und der Kirche selb­st auf taube Ohren stossen.

Herr Belz, Sie sind Wis­senschaftler, das heisst, Sie kön­nen Ihre Ent­deck­un­gen wieder­hol­bar bele­gen. Auf welchen Wegen haben Sie Ihre Forschungsergeb­nisse schon pub­liziert?
Veröf­fentlichun­gen erfol­gten in wis­senschaftlichen Fach­magazi­nen, zum Beispiel in der Riv­ista Inter­nazionale di Musi­ca Sacra, in Ausstel­lungskat­a­lo­gen, aber auch in Vorträ­gen wie etwa an der Katholis­chen Hochschule Heili­genkreuz bei Wien oder an Volk­shochschulen. Ich habe auch in eige­nen Büch­ern pub­liziert sowie in zahlre­ichen Blog­beiträ­gen und Video­präsen­ta­tio­nen auf mein­er Home­page. Let­ztere haben den Vorteil, mit reich­lich Bild­ma­te­r­i­al aufwarten zu kön­nen. Die visuellen Belege sind neben den Schriftquellen unverzicht­bar. 

Sie haben im Eigen­ver­lag mehrere Büch­er her­aus­gegeben. Wie war das Echo auf diese Werke?
Ein Echo würde voraus­set­zen, dass sich jemand mit den Inhal­ten detail­liert auseinan­derge­set­zt hat. Das ist bis auf den heuti­gen Tag nicht geschehen, unter anderem wohl auch deshalb, weil dazu sehr viel fachüber­greifend­es Wis­sen erar­beit­et wer­den muss. Anlässlich von Vorträ­gen war das Echo staunen­des Entset­zen darüber, dass Kul­turgüter solch­er Grössenord­nung in unser­er Bil­dungs­land­schaft unterge­hen kön­nen. Dabei wur­den sog­ar Ver­gle­iche mit der bren­nen­den Kathe­drale Notre-Dame de Paris gezo­gen. 

Kann man diese Büch­er und andere Schriften noch bei Ihnen beziehen? Wenn ja, auf welchem Weg und zu welchen Kon­di­tio­nen?
Die Büch­er sind nicht mehr beziehbar, doch hat sich meine Home­page zu einem brauch­baren Äquiv­a­lent entwick­elt, das ich zugle­ich zur Doku­men­ta­tion der Ereignisse nutze. Nur wer speziell Lit­er­aturverze­ich­nisse sucht, find­et sie vornehm­lich in den gedruck­ten Werken.

Warum kon­nten Ihre Schriften nicht über einen anerkan­nten Ver­lag mit the­ol­o­gis­ch­er, musik­wis­senschaftlich­er oder kun­sthis­torisch­er Aus­rich­tung ver­legt wer­den?
Ver­lage sind the­ma­tisch spezial­isiert, entwed­er auf Musik, The­olo­gie oder Kun­st­geschichte. Damit fällt ein katholis­ches, das heisst allum­fassendes The­ma durch das Raster. In den Redak­tio­nen namhafter Musikver­lage haben lange Diskus­sio­nen stattge­fun­den, das weiss ich, aber warum nun ger­ade die Libre­ria Editrice Vat­i­cana nach erfol­gter, freudi­ger Zusage einen Rückzieher machte, das woll­ten mir die Entschei­dungsträger in Rom nicht ver­rat­en.

Sie waren kurz davor, vom emer­i­tierten Papst Benedikt XVI. ein Geleit­wort für Ihr Buch «Die christliche Sym­bo­l­ik der abendländis­chen Har­monielehre» zu erhal­ten. Was ist schiefge­laufen?
Benedikt XVI. schrieb eine wertschätzende Absage, ver­bun­den mit ein­er Weit­erempfehlung in der Woche vor seinem Amtsverzicht. Offen­bar erre­ichte ihn die Anfrage zu einem denkbar ungün­sti­gen Zeit­punkt. Das Geleit­wort ver­fasste daraufhin der Pre­side des Pon­tif­i­cio Isti­tu­to di Musi­ca Sacra, Mon­signore Vin­cen­zo de Gre­go­rio.

Ihre Vorschläge zur Anpas­sung der Lehrmit­tel in Schweiz­er Schulen, unter Berück­sich­ti­gung Ihrer Forschungsergeb­nisse, stiessen bish­er auf taube Ohren. Wie erk­lären Sie sich dieses Desin­ter­esse der Bil­dungsver­ant­wortlichen am kul­turhis­torischen Erbe, das uns die christliche Kirche in der Musik­lehre hin­ter­lassen hat?
Das erk­lären die Bil­dungsver­ant­wortlichen gle­ich selb­st, und inzwis­chen liegt ein ganz­er Ord­ner mit höchst unter­schiedlichen Stel­lung­nah­men vor. Dabei beto­nen sie gerne, dass eine wichtige zivil­isatorische Errun­gen­schaft die Tren­nung von Kirche und Staat sei. Man stelle sich vor, wie es einem Musik­lehrer erge­ht, der vor eini­gen Migrantenkindern das Inter­vall Oktav mit den acht Seligkeit­en in Verbindung bringt und dann auch noch auf die Anfangssil­ben des Johannes-Hym­nus zu sprechen kommt: Ut, Re, Mi, Fa, So, La und Si. Über­spielte Angst ist trau­riger Bestandteil unseres Zeit­geistes. «Die Zeit», eine namhafte Wochen­zeitung, wies einen Artikel zum The­ma zurück «auf­grund der reli­gion­spoli­tisch aufge­heizten Zeit­en.» Für die Ehrlichkeit dieser Auskun­ft bin ich aus­ge­sprochen dankbar.

Was wäre für Sie der schön­ste Lohn für all die Arbeit, die Sie in den ver­gan­genen Jahren in Ihre Forschung und die Rekon­struk­tion alter Tas­tenin­stru­mente gesteckt haben?
Die Wer­tigkeit der Fund­stücke ist mit keinem Lohn bezahlbar. Die abendländis­che Har­monielehre ist das überkon­fes­sionelle, inter­re­ligiöse Herzstück des Chris­ten­tums, ein um viele Jahrhun­derte vor­weggenommenes Wel­tethos. «Da Kriege im Geist der Men­schen entste­hen, muss auch der Frieden im Geist der Men­schen ver­ankert wer­den», so ste­ht es in der Präam­bel der Ver­fas­sung der UNESCO. Es wäre mir eine grosse Erle­ichterung, dieses akut gefährdete Kul­turgut als Weltkul­turerbe gesichert zu wis­sen.

Christian Breitschmid
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